Kontinuitäten des deutschen Imperialismus Goldgrube Balkan

Politik

22. Januar 2020

Der Balkan ist eine Region, in der viele wirtschaftliche und geostrategische Interessen aufeinanderprallen. Es herrscht Goldgräberstimmung, wenn es um politische Einflussnahme zugunsten eigener imperialer Interessen geht. Deutschland spielt(e) stets vorne mit.

Schalterhalle auf dem Hauptbahnhof Belgrad, Serbien.
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Schalterhalle auf dem Hauptbahnhof Belgrad, Serbien. Foto: Julian Nyča (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

22. Januar 2020
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Der Balkan ist eine Region, die Begehrlichkeiten weckt. Gerade politische und wirtschaftliche Interessen (aufstrebender) imperialer Mächte versuchen dort Fuss zu fassen. Eine bedeutende Rolle nehmen die deutschen imperialistischen Interessen ein. Im vergangenen Artikel haben wir die Kontinuitäten dieser Interessen und Politik nachgezeichnet, die zur Wahrung notfalls mit Waffenlieferungen und aktiver Kriegsführung durchgesetzt wurde. Serbien stand dabei lange im Fokus deutscher Aussenpolitik.

Nachdem das Land lange als „renitent“ galt, stark an Russland orientiert war und nicht an geostrategische Interessen der EU gebunden werden konnte, vollzieht sich ein Wandel. Neoliberale, pro-westliche Kräfte gewinnen seit längerer Zeit an Einfluss und öffnen das Land für EU-Politik, NATO & Co. Teile der serbischen Oligarchie werben mit dem Versprechen von Wohlstand durch eine forcierte Anbindung an die EU und ihren Wirtschaftsraum. Währenddessen sehen sich Arbeiter*innen mit ökonomischen Gefahren und sozialem Abstieg konfrontiert.

Die Balkanregion, vor allem die sieben ehemaligen Teilrepubliken und Autonomen Provinzen Ex-Jugoslawiens (Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro, Kosovo, Nord-Mazedonien und hauptsächlich Serbien), sieht sich seit Jahrzehnten kontinuierlich mit einer starken Interessenspolitik Deutschlands konfrontiert. Diese teils aggressiven Interventionen zielen vor allem auf die ökonomische und geostrategisch-politische Ebene. Sie haben zum Ziel, den Einfluss deutscher Konzerne sowie ihrer politischen Vertreter*innen durchzusetzen. Der Blick in die Geschichte zeigt, dass das spätere Schicksal des sozialistischen Jugoslawiens vom deutschen Imperialismus massgeblich bestimmt wurde. Die Abwicklung des jugoslawischen Staatenverbundes als wirtschaftlicher und politischer „Irrtum “ sowie die Delegitimierung sozialistischer Alternativen zum Kapitalismus, war dabei immer ein besonderes Anliegen. Folgerichtig ging es auch darum, den Zerfall des jugoslawischen Staates aktiv zu beschleunigen.

Der Balkan war und ist dabei ein Testlabor für „weiche“ und „harte“ Instrumente der Durchsetzung kapitalistischer Interessen. Zur Not wurden diese Interessen auch mit Krieg durchgesetzt: Das machte die NATO – und damit auch die Bundeswehr – 1999 im Kosovokrieg deutlich, dem ersten Aggressionskrieg der deutschen Streitkräfte nach 1945. Er folgte der Strategie, ein neoliberales, westlich-orientiertes Regime im Kosovo einzusetzen, nach einer zuvor unilateral erfolgten Staatsgründung und Abtrennung des serbischen Staats. Warum aber ist der Balkan für die EU und den deutschen Staat von so grossem Interesse? Der Blick in die Geschichte gibt hierfür erste Anhaltspunkte. Hierfür scheinen die strategischen Raumnahmen auf dem Balkan sowie die brutalen Folgen der Politik seit 1991 und insbesondere im einsetzenden „Jugoslawienkrieg“ für weite Teile der jugoslawischen Arbeiter*innenklasse zentrale Momente zu sein.

Im kommenden Artikel werden wir uns ausführlicher mit der Geschichte des Jugoslawienkrieges als brutalisierte Zuspitzung und Melange ethnisierter sowie ökonomischer, und damit geopolitischer Konflikte auseinandersetzen. Anschliessend werfen wir einen Blick zurück und beschreiben, welche ökonomischen Herausforderungen Jugoslawien in der Vergangenheit zunehmend destabilisierten. Wir schauen auch nach Serbien und analysieren kurz die aktuellen Probleme des Landes unter einer „neoliberalen Knute“, die nicht zuletzt (auch) von der EU geschaffen wird. Anschliessend gehen wir zu geostrategischen Praxen imperialer Mächte über und wie sie den Balkan für ihre wirtschaftlichen Interessen in ihre Einflussbereiche ziehen.

Deutsche Waffen, deutsches Geld…

Es ist der Zeitraum zwischen 26. Juni und 7. Juli 1991. Spätestens der zehntägige Krieg zwischen slowenischen Separatist*innen und der Jugoslawischen Armee (JA) führt der Weltöffentlichkeit die dramatische Erosion Jugoslawiens vor Augen. Die militärischen Kampfhandlungen in Slowenien stellen den Beginn der kriegerischen Auseinandersetzungen dar, welche als „Jugoslawienkrieg“ mit zehntausenden Toten in die Geschichte eingehen und später vor allem in Kroatien, Bosnien und Herzegowina als ethnisierte Konflikte brutal entfesselt werden. Die auch in Jugoslawien nie ganz erfolgreich zugekitteten Brüche zwischen verschiedenen Teilen der Bevölkerung anhand jener ethnisierter Grenzen (Sprachen, kulturelle Hintergründe, Religion, etc.) und sozialer Hintergründe vertiefen sich zu nationalistischen und sozialchauvinistischen Gräben.

Bereits im Sommer 1991 erklärten Slowenien und Kroatien ihren Austritt aus dem jugoslawischen Verbund. Der damalige deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) und Aussenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) sprangen auf diesen Zug auf und trieben die internationale Anerkennungspolitik der beiden entstehenden Staaten voran. Im Dezember 1991 preschten sie schliesslich als erste vor – noch vor anderen Mitgliedern der damaligen Europäischen Gemeinschaft (EG). Der Zerfall Jugoslawiens war offensichtlich in deutschem Interesse. Die schnelle Anerkennung des Austritts von Slowenien und Kroatien durch die deutsche Politik spiegelt die Grossmachtphantasien wieder, die nach der Annexion der DDR und dem beginnenden Abzug der alliierten Streitkräfte aus Deutschland ungehindert gedeihen konnten.

Die deutsche Politik zielte neben der wirtschaftlichen Einflussnahme, ganz im Interesse eines sich durchsetzenden Neoliberalismus in den entstehenden Staaten, vor allem auf den geostrategischen Fuss-in-der-Tür, um eine zunehmend hegemoniale Rolle in Europa einnehmen zu können. Dabei wurde gegenüber der Öffentlichkeit mit der Durchsetzung von Menschenrechten, Minderheitenrechten sowie nationaler Selbstbestimmung geworben, um der Anerkennungspolitik ein Image von allgemeiner Legitimität zu verleihen.

Während die Jugoslawische Armee grösstenteils noch von Serbien kontrolliert wurde, trat Deutschland indirekt als militärischer Kontrahent in den Ring. Deutschland belieferte, trotz Waffenembargo, sowohl den jungen slowenischen, wie auch den kroatischen Staat fleissig mit Waffen. Teilweise kamen diese aus alten Beständen der Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR. Auch die USA blieben nicht untätig und entsandten Anfang der 1990er Jahre Militärberater*innen nach Zagreb, um ihre Interessen zu wahren. Das stete Liefern von Kriegsgerät und die internationale Forcierung der Anerkennungspolitik zugunsten der beiden jungen Staaten, sollten den Krieg weiter anfeuern und dafür Sorge tragen, den Zerfall des sozialistischen Jugoslawiens zu besiegeln.

Gleichzeitig beteiligte sich der deutsche Staat am Aufbau des nationalen Institutions- und Finanzwesens vor Ort. Das Kalkül: Wer die nationale Verfassung mitschreibt, staatliche Behörden, Notenbank und Finanzpolitik mit aufbaut, kann anschliessend leicht auf politische und ökonomische Geschicke Einfluss nehmen. Der Aufbau des Bankensystems und darauf folgend die Einflussnahme darauf, welche Kredite wo und in welcher Höhe zu welchen Bedingungen aufgenommen werden, sind machtrelevante Entscheidungen und bringen Finanzinstituten und den Kreditgeber*innen und -nehmer*innen ordentlich Geld ein.

Nichts geht darüber hinaus über die Ausbildung einer hörigen Elite, welche die eigenen und von aussen herangetragenen Interessen unter dem Deckmantel „nationaler Interessen“ gegenüber der jeweiligen Bevölkerung als Allgemeininteresse verkauft. Sinnbildlich dafür steht die Mär der „harten Deutschen Mark“ in der Währungspolitik Montenegros und Kosovos, wo die „D-Mark“ über Jahre als offizielles Zahlungsmittel fungierte. Die montenegrinischen Behörden führten diese beispielsweise 1999 ein. Auch Bosnien-Herzegowina koppelte seine Währung eng an die deutsche und besiegelte darüber seine wirtschaftliche Verbundenheit mit Deutschland und seinen politischen wie wirtschaftlichen Interessen.

Der brutale Angriff auf die Arbeiter*innen

Eine weitere Ursache des später einsetzenden neoliberalen Kahlschlags liegt bereits in der Regierungszeit des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens (BdKJ). Spätestens seit den 1980er Jahren nahm der Staat Kredite des Internationalen Währungsfonds (IWF) auf. Unter dem Paradigma des Schuldenabbaus nahm der IWF mit seinem neoliberalen Programm die Aufgabe wahr, der jugoslawischen Regierung Sparprogramme abzuringen und eine weiter liberalisierte Wirtschaftspolitik zu fordern. Ziel war es, die ökonomische Konkurrenz in Form jugoslawischer Unternehmen für das westliche Kapital zu schwächen, beziehungsweise zu vernichten und ausländischen Unternehmen die Zugänge zur Wirtschaft des Landes zu eröffnen. Dies zog katastrophale Folgen nach sich.

Für die jugoslawische Arbeiter*innenklasse bedeutete die zunehmende Neoliberalisierung, und die damit einhergehende teilweise Vernichtung der Industrie Entlassungen, Kürzungen bei den Sozialleistungen sowie vorangetriebene Verarmung. Die unter den jugoslawischen Teilrepubliken mitunter grossen Unterschiede zwischen wohlhabenderen Regionen und Teilstaaten (vor allem Slowenien und Kroatien) und ökonomisch schwachen Regionen (Kosovo und das damalige Mazedonien) verschärften sich weiter. Die Arbeitslosenquoten schnellten in den 1980ern in die Höhe, wobei sie im Kosovo und Mazedonien zwischen 21 und 27 Prozent lagen und weitgehende soziale Abstiege der Bevölkerung nach sich zogen. Bereits damals verklärten jugoslawische Eliten die soziale Deklassierung und kanalisierten diese in nationalistischen und rassistischen Erklärungsmustern.

Nach den Jugoslawienkriegen und der darauf folgenden Zersplitterung des gesamten Landes, entstanden nicht nur neue Staaten: Die angehäuften Schulden wurden weiter vom IWF eingefordert. Die deutsche Regierung unterstützte mit der Fragmentierung Jugoslawiens nicht nur wie genannt mit Waffenlieferungen an separatistische Kräfte, sondern auch mit dem institutionellen Wiederaufbau aktiv die Schuldenfalle des IWF und die neoliberale Ausrichtung der Staaten, beispielsweise Bosnien-Herzegowinas, Kroatiens, Sloweniens und Mazedoniens. Durch die von IWF und Co. abgeforderten „Strukturanpassungsprogramme“ wurden die Reste der staatlichen Industrie und der Wohlfahrtsprogramme dem „freien Markt“ übergeben. Viele ehemalige industrielle Zentren sind heute praktisch verwaist. Sie sind unter dem Druck westlicher Kapitalunternehmen aufgekauft, geschlossen oder gleich zur Aufgabe gezwungen worden. Prosperierende Industriestädte schrumpften zu verarmten und perspektivlosen Mittelstädten zusammen und leiden bis heute unter starker Abwanderung.

Der Zerfall der Städte

Eines dieser Zentren ist die nordserbische Stadt Zrenjanin. Gut zwei Stunden Fahrt von Belgrad entfernt, bezeugen Industriebrachen die Realität der Deindustrialisierung und damit von zerstörten Beschäftigungsverhältnissen. Schon früh suchte die jugoslawische Regierung mithilfe von Kreditaufnahmen die zunehmenden Schulden zu begleichen, was einen Strudel aus Kreditaufnahmen und versuchten Tilgungen in Gang setzte. Gleichzeitig wurden im sozialistischen Jugoslawien Kapitalbeteiligungen aus dem kapitalistischen Ausland bewilligt, was später die ökonomische Abwärtsspirale beschleunigen sollte.

Dementsprechend suchten in den 1960er Jahren insbesondere US-amerikanisches und deutsches Kapital auch in Jugoslawien nach Anlagemöglichkeiten. Ein bekanntes Beispiel ist das Unternehmen Slovin, welches ab 1967 die Lizenz erhielt, Coca Cola und weitere Getränkemarken von Coca Cola für den jugoslawischen Markt zu produzieren. Ein weiteres Beispiel ist das einst von Arbeiter*innen verwaltete Pharmaunternehmen Jugoremedija, das seit den 1960er Jahren stückweise vom deutschen Pharmakonzern Hoechst AG mit (Gründungs-)Kapital versorgt und nach dem Zerfall Jugoslawiens vergünstigt an Privatinvestor*innen verkauft wurde. Bereits in den 1960er Jahren suchten US-amerikanisches und deutsches Kapital auch in Jugoslawien nach Anlagemöglichkeiten.

Wie Jugoremedija erging es nach dem Zerfall Jugoslawiens vielen Unternehmen in Textil-, Agrar- und chemischen Sektoren. Zwei ehemalige Arbeiter*innen des Werks bezeichnen diese Vorgänge uns gegenüber als „politischen, organisierten Raub“. Die Aufteilungen und Liquidierungen (ex-)jugoslawischer Unternehmen dienten deutschen Firmen wie Siemens, Stada Arzneimittel GmbH, dem grossen Automobilzulieferer Dräxlmeier und anderen zur Ausschaltung von Konkurrenz und zur Rekrutierung von Arbeitskräften aus einem Niedriglohnland. Die politischen Eliten der Länder verdienten dabei mittels Korruption ordentlich mit. Sie waren es, welche den legislativen Rahmen für die Umsetzung von Neoliberalismus und der Umverteilung von unten nach oben weiter forcierten.

Mlađan Dinkić, seit den 2000er Jahren unter anderem Wirtschaftsminister in Serbien, inszenierte sich besonders herausstechend als Kämpfer gegen die Arbeiter*innenklasse. Er forcierte neoliberale Spar- und Ausverkaufprogramme und läutete damit das Zeitalter der entfesselten Marktwirtschaft ein. Bereits früh sollten Kapitalverbände, wie die deutsche Industrie- und Handelskammer (IHK), bei der Formulierung von neuen, restriktiveren Arbeitsgesetzgebungen aktiv einbezogen worden sein. Eingefädelt habe das die deutsche Botschaft, die natürlich auch die deutschen Kapitalinteressen teilt, so ein Mitarbeiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Belgrad, während eines persönlichen Gespräches mit uns Autoren. Serbien dient unter westlicher Einflussnahme als „verlängerte Werkbank“ für westliche Unternehmen, was mit der längerfristigen neoliberalen Destruktion von Arbeiter*innen- und Arbeitsrechten einherging. [1]

Ein Krieg im Namen der Menschenrechte

Der Aufbereitung Serbiens als jenes „Niedriglohnland“ und der aktuell stärkeren EU-Anbindung gingen jedoch längere, auch militärische, Konflikte zwischen der EU und Serbien voraus. Serbien betrachtete sich dabei lange Zeit als legitimes Übrigbleibsel Jugoslawiens.

Bereits in den kriegerischen Auseinandersetzungen in Slowenien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina Anfang der 1990er Jahre gerieten deutsche und jugoslawische bzw. serbische Interessen aneinander. Aus deutscher aussenpolitischer Sicht wurden hierbei die Jugoslawische Armee, die jugoslawische (zu diesem Zeitpunkt de facto nur noch serbische und montenegrinische) Regierung in Belgrad unter Slobodan Milošević sowie die politischen und militärischen Formationen der Republika Srbska innerhalb des sich in Gründung befindlichen Staates Bosnien-Herzegowina als Feinde deklariert. [2] Ganz im Geiste des ersten imperialistischen Weltkrieges, in dem die Habsburger Monarchie die Parole „Serbien muss sterbien!“ ausrief, wurden die Serb*innen in der gesamten westlichen Darstellung als alleinig Schuldige für Krieg und Genozid im ehemaligen Jugoslawien dargestellt.

Hintergrund davon war, dass die Regierung unter Milošević und seiner aus dem „Bund der Kommunisten Serbiens“ hervorgegangenen „Sozialistischen Partei Serbiens“ eine privatkapitalistische Umwälzung im zumindest mehrheitlich planwirtschaftlichen System des ehemaligen Jugoslawien in Gang setzten. Dies taten sie jedoch unter der Betonung jugoslawischer bzw. serbischer Souveränität. Dieses Verständnis war den ökonomischen und politischen Interessen des US-Imperialismus sowie der europäischen – und hierbei vor allem auch der deutschen – Imperialisten, entgegengesetzt. Dass die Milošević-Regierung zutiefst korrupt und alles andere als sozialistisch war, und zudem eine Mitverantwortung an den Verbrechen serbischer Milizen vor allem im Bosnienkrieg trug – etwa am Massenmord an bosnischen Muslima und Muslimen in der bosnischen Stadt Srebrenica im Jahr 1995 – steht ausser Frage. Doch die anti-serbische Hetze, auch in deutschen Medien, zielte auf etwas anderes ab: auf die Legitimation der kriegerischen Durchsetzung von Kapitalinteressen in der Region, für welche die Milošević-Regierung ein Hindernis darstellte.

Im Jahr 1999 erfolgten dann die Kämpfe zwischen Jugoslawischer Armee und der paramilitärischen kosovo-albanischen Formation Ushtria Çlirimtare e Kosovës (UÇK) in der serbischen Provinz Kosovo und auch die direkte militärische Intervention der NATO – ohne UN-Mandat und unter Beteiligung der Bundeswehr. NATO-Flugzeuge flogen Luftangriffe auf Stellungen der Jugoslawischen Armee sowie auf serbische Städte, vor allem auf die Hauptstadt Belgrad. Die Zerstörungen waren immens und prägen bis heute das Stadtbild serbischer Städte. Die NATO-Bombenangriffe forderten mehrere hundert zivile Todesopfer. Den Höhepunkt der anti-serbischen Hetze zur Legitimierung dieses Angriffskrieges fand auf dem ausserordentlichen Parteitag der Grünen am 13. Mai 1999 in Bielefeld statt.

Nicht genug damit, dass sich in der Partei mit nominell pazifistischen Ursprüngen eine Mehrheit zur Unterstützung des NATO-Luftkrieges mit Bundeswehr-Beteiligung fand. Der damalige Parteivorsitzende und Aussenminister Joschka Fischer begründete den Einsatz deutscher Truppen gegen die Jugoslawische Armee wie folgt: „Ich stehe auf zwei Grundsätzen: nie wieder Krieg, nie wieder Auschwitz, nie wieder Völkermord, nie wieder Faschismus. Beides gehört bei mir zusammen“. Diese Relativierung der Verbrechen des deutschen Faschismus beruhte auf später als Falschmeldungen enttarnten Berichten über ein angebliches serbisches Massaker an Kosovo-Albaner*innen im Dorf Račak sowie einen angeblichen serbischen „Hufeisenplan“ zur Vernichtung der Albaner*innen im Kosovo. Wie auch bei späteren Rechtfertigungen für „Auslandseinsätze“ der Bundeswehr (ob in Afghanistan, Mali oder anderswo), wurde hier unter der Berufung auf die Durchsetzung von Menschenrechten, der eigentliche Zweck, die Durchsetzung deutscher Kapitalinteressen, verschleiert – gepaart an dieser Stelle noch mit einer schamlosen NS-Relativierung. [3]

NATO- und EU-Ostpolitik im Interesse des Kapitals

Die NATO unter deutscher Beteiligung schafft Fakten, um die seit dem sogenannten „Jugoslawien-Krieg“Anfang der 1990er Jahre entstandenen Balkan-Staaten auch nachhaltig in der eigenen Einflusssphäre halten zu können. Seit Anfang 2000 sind Slowenien, Kroatien und Montenegro dem Kriegsbündnis beigetreten. Bosnien-Herzegowina und Nord-Mazedonien werden als baldige Beitrittskandidaten gehandelt, während der Kosovo ebenfalls Interesse an einem Beitritt bekundete. Neben der geostrategischen Frontstellung gegenüber einem möglichen russischen Einfluss, gehören bei geplanten EU-Neuaufnahmen so genannte Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) zur politischen Bündnispolitik der EU. Sämtliche Balkan-Staaten hatten zwischen 2004 und 2016 solche Abkommen geschlossen.

Deutschland als inzwischen ökonomisch stärkste Kraft in der EU, hat dabei ein besonderes Interesse, neue Kapitalmärkte durch die Beitrittsverhandlungen zu erschliessen. Dabei werden vor allem der Warenexport in neue Absatzmärkte, die Vernichtung der verbliebenen Konkurrenz-Unternehmen, sowie die Erschliessung weiterer Niedriglohnländer für die Produktion, im Fokus stehen. Freier Kapital-, Arbeits- und Dienstleistungsverkehr sind unter anderem bedeutender Inhalt der Abkommen, die für eine verstärkte Entfesselung nicht-regulierter Wirtschaftspolitik ganz im Sinne des europäischen Kapitals stehen. Dass dies nur zu Lasten der nicht konkurrenzfähigen Unternehmen in den Balkanstaaten und ihrer Arbeiter*innen gehen kann, versteht sich von selbst.

Die EU als Glücksversprechen

Auch Serbien, welches sich lange gegen einseitige politische und militärische Bündnisse mit dem Westen verwahrte, gerät zusehends unter westlichen Einfluss. 2013 trat dort das SAA in Kraft und festigte neben der Westanbindung auch den wirtschaftsliberalen Kurs. Der amtierende Präsident Aleksandar Vučić von der Serbischen Fortschrittspartei spielt dabei eine wichtige Rolle.

Die Fortschrittspartei, 2008 aus der ultra-nationalistischen Serbischen Radikalen Partei hervorgegangen und mit dem konservativen Bündnis „Europäischen Volkspartei (EVP)“ europaweit vernetzt, steht für die Verquickung nationalistischer Inhalte mit klar neoliberaler Agenda. Die Partei mit ihrem Parteivorsitzenden Vučić verkörpert als neoliberale Hardlinerin die Interessensvertreterin der EU in Serbien. Während das Credo des Wirtschaftswachstums und der vermeintlichen Segnungen eines EU-Beitritts seitens der Regierung als Glücksversprechen aller Serb*innen gepredigt wird, kommt bei Arbeiter*innen davon kaum etwas an.

Sparpolitiken und die beschriebene Vernichtung ganzer Industriesektoren haben Arbeitskräfte freigesetzt und zur Abwanderung gezwungen. In den letzten zwei Jahrzehnten haben hunderttausende Arbeiter*innen das Land verlassen. Weiterhin suchen jährlich zehntausende Arbeiter*innen in der EU, auch in Deutschland, nach besser bezahlter Lohnarbeit. Hinzu kommen die Kürzungen von Löhnen der Beamt*innen, sowie eine durch Kürzungen von Pensionen grassierende Altersarmut. Das Bruttoinlandsprodukt Serbiens deckt sich nur zu 37 Prozent mit der durchschnittlichen Leistung aller EU-Staaten zusammengerechnet. Damit sind folgerichtig auch die Löhne verbunden, die in Serbien bei durchschnittlich knapp über 400 Euro liegen. Ein Aufenthalt im europäischen Ausland ist für serbische Arbeiter*innen kaum zu finanzieren, die eigenen Lebenshaltungskosten bringen sie bereits an die maximalen Belastungsgrenzen.

Der Schwebezustand zwischen dem Status EU-Beitrittskandidat (seit 2013) und der Aufrechterhaltung politischer und wirtschaftlicher Beziehungen zu Russland birgt jedoch Herausforderungen. Das gilt insbesondere für die verschiedenen Kapitalfraktionen in Serbien, die mit der EU und Deutschland eng verknüpft sind. Denn auch Russland betrachtet das Land als Standbein in der Region und zieht es mit wirtschaftlich bedeutenden Verträgen im Wert von hunderten Millionen Euro an die Brust. Neben der Sanierung von Infrastruktur soll Serbien in den Genuss des russisch-türkischen Gaspipeline-Projektes „Turk Stream“ kommen. Das Pendeln zwischen Russland und der EU unter deutscher Führung bleibt für die serbische Regierung daher konfliktträchtig.

Gleichzeitig wird allerdings für die serbischen Arbeiter*innen keine der beiden Optionen ökonomisch von Vorteil sein. Das EU-Projekt „Balkan“ dient nicht zuletzt als wichtiges geostrategisches Bollwerk gegenüber dem Einfluss des russischen Imperialismus und sichert die eigenen Interessen gegenüber dem Kreml ab. Viele Staaten auf dem Balkan bekommen so den Status von NATO-Frontstaaten gegenüber anderweitiger russischer, chinesischer oder arabischer Einflussnahme. Deutsche politische Stiftungen, beispielsweise die Konrad-Adenauer-Stiftung, die traditionell mit grossen Kapitalverbänden liiert ist, beobachten die imperialistische Konkurrenz genau und wittern Verteilungskonflikte.

Diverse Kapitalfraktionen befinden sich in Serbien in Konkurrenz miteinander. Neben den Begehrlichkeiten europäischer und russischer Unternehmen mischen nun verstärkt auch arabische und chinesische Unternehmen mit. Die grösste serbische Fluggesellschaft Air Serbia wird bereits von Etihad Airways aus den Emiraten mit Kapital versorgt und stellt so auch den kontinuierlichen Waren- und Personentransport zwischen beiden Staaten sicher. Ebenso das grösste Luxus-Bauprojekt im Land, die sogenannte „Belgrade Waterfront“, wird von Investor*innen aus den Emiraten massgeblich finanziert und zusammen mit der serbischen Regierung umgesetzt. Während Armut in der Hauptstadt allgegenwärtig ist, werden für ca. 3,5 Milliarden Dollar hochpreisige Eigentumswohnungen und die grösste Shopping Mall in Südosteuropa errichtet. Die Quadratmeterpreise für renditegierige Investor*innen liegen bei bis zu 7000 Euro. Zum Vergleich: der Durchschnittslohn der an der Konstruktion beteiligten Bauarbeiter*innen liegt bei 422 Euro monatlich.

Die serbische Oligarchie verdient an diesem absurd erscheinenden Projekt kräftig mit. Gleichzeitig leiden die beschäftigten Arbeiter*innen unter schlechten Arbeitsbedingungen und ausbleibenden Löhnen. Mangelnde Arbeitssicherheit verursachten des Öfteren tödliche Arbeitsunfälle. Diverse Vorwürfe wegen der Veruntreuung von Geldern, wegen Klientelismus und Korruption, aber auch der Bedrohung, das internationale Kapital könne Belgrads Innenstadt einen normierten, gesichtslosen Ausdruck verpassen und weitere Gentrifizierung begünstigen, riefen daher zahlreiche Proteste hervor. Ihr Slogan: „Ne Da(vi)mo Beograd“ – Wir geben Belgrad nicht her. Um das „Investitionsklima“ in Serbien nicht weiter zu gefährden und entschlossen gegen soziale Proteste vorzugehen, diskreditierten regierungsnahe Medien und Präsident Vučić die Demonstrant*innen als „vom Ausland gesteuert“. Doch die seit 2018 immer wieder aufkommenden lauten Strassenproteste bringen die Regierung in Bedrängnis. Nationalistische Tendenzen und linke Perspektiven

Mit Blick auf imperialistische Einflussnahmen zeichnet sich insgesamt ein tragisches Bild des Balkans. Eine wichtige Rolle nehmen deutsche ökonomische Vormachtsfantasien ein, die sich neben geostrategischen Interessen vor allem auf die Mithilfe nationaler Eliten stützen. Trotz, oder gerade wegen des gegenseitigen, ethnisierten und kulturalisierten Misstrauens unter den ehemaligen Republiken Jugoslawiens, platziert sich das deutsche Kapital und seine politischen Lobbyist*innen gezielt in der Region und verspricht Prosperität für alle. Statt des „Wohlstands für alle“ und den Märchen von „blühenden Landschaften“ sehen wir allerdings eher eine Verarmungen der Massen und eine galoppierende Zerstörung von sozialen Rechten und Arbeitsrechten. Ganz bewusst empfiehlt das deutsche Kapital politische Bedingungen, um Arbeiter*innen „freizusetzen“, sie „wegzusparen“, um die Konkurrenz der Arbeiter*innen untereinander zu verstärken und die Gewerkschaften und das Arbeitsrecht zu schwächen. Die damit erzeugte Armut kann infolge dessen für das Wohl des Standortes Balkan und seiner Profiterwartungen ausgeschlachtet werden. [4] Die deutschen Aktionäre und Anteilseigner*innen danken.

Das Beispiel Serbiens zeigt, wie eine fortschreitende Westanbindung und Neoliberalisierung mit der Delegitimierung und Verdrängung sozialistischer Alternativen Hand in Hand gehen muss. Das sozialistische Erbe ist für pro-westliche Eliten nur ein Gedanke, der von „Jugo-Nostalgiker*innen“ bedient wird. Die von rechts forcierte Abwertung der sozialistischen Vergangenheit und seiner beachtlichen, wenn auch widersprüchlichen, Leistungen – beispielsweise soziale Sicherheiten oder Arbeiter*innenselbstorganisation zu Anfang des sozialistischen Jugoslawiens – spiegelt sich ebenso in der Umbenennung von Strassennamen und antifaschistischer Symbole, wie der Verwahrlosung von Partisan*innen-Denkmälern wieder.

Nichts soll daran erinnern, dass der Zugriff kapitalistischer und imperialistischer Interessen auf die Bevölkerung einmal stark reguliert war und gar seine Überwindung angestrebt wurde. Parallel dazu werden auf Staatsebene nationalistische Narrative wiederbelebt und nationale Gründungsmythen geschaffen. In Kroatien wird von rechts die faschistische Kollaborationsbewegung „Ustascha“ als „ehrenwerter“ antikommunistischer Mythos bemüht. In Serbien wurde die Bewegung der Teschetniks, eine völkische und antikommunistische Bewegung im Zweiten Weltkrieg, als eine „genuin serbische“ Legende populärer und ist überall anhand von zu verkaufenden Devotionalien präsent.

Die Linke auf dem Balkan ist marginalisiert, wenngleich sie sich in den Metropolen von Zagreb (Kroatien) bis nach Novi Sad und Belgrad (beide Serbien) inzwischen breiter aufstellt. Antifaschistische, antirassistische, feministische und stadtteilpolitische Initiativen und Gruppen entstehen. In Gesprächen mit Genoss*innen in Belgrad oder Zrenjanin wird deutlich, dass generationsübergreifend ein positiver und dennoch nicht gänzlich verklärender Bezug zum sozialistischen Jugoslawien anhält. Diese noch nicht verblassten Erinnerungen an eine sozialistische Alternative sind immer noch ein wichtiger Steigbügelhalter für linke Inhalte.

Gerade am Beispiel der „Recht auf Stadt“-Bewegungen kann ein kritischer und solidarischer Rückgriff auf die Vergangenheit helfen, die Frage nach Wohnraum jenseits neoliberaler Interessen sozialistisch anzugehen. Die grossteils junge, klassenkämpferische „neue“ Linke im post-jugoslawischen Raum benötigt internationale Solidarität. Insbesondere auch aus Deutschland. Dem herrschenden, deutschen Verständnis der „Goldgrube Balkan“ muss die Maske des „friedensbemühten, wohlstandsorientierten“ Deutschlands genommen werden.

Auch der Balkan dient, wie andere Regionen der Welt, als Laboratorium imperialistischer und neoliberaler Politik, welche aus dem „Herzen der Bestie“ (Che Guevara), den Zentren der kapitalistischen Metropolen, gewalttätig exportiert wird. Dazu benötigt es hierzulande einen Fokus auf die destruktive und kriegstreiberische Rolle Deutschlands bei der Anfeuerung der regionalen Kriegsmaschinerien, sowie der Filetierung des Balkans zugunsten deutscher sicherheitspolitischer, machtpolitischer und ökonomischer Interessen.

Viktor Milič / Christian Schwartz
revoltmag.org

Fussnoten:

[1] Zschächner, Roland: In deutscher Umklammerung, in: Hintergrund, 03/2019.

[2] Heute ist die Republika Srbska neben der Föderation Bosnien und Herzegowina eine von zwei Entitäten des Bundesstaats Bosnien und Herzegowina.

[3] siehe Ivanji, Andrej: Örtlich gebombt. 20 Jahre NATO-Angriff auf Serbien, in: TAZ vom 24.03. 2019. Weitere Einzelheiten siehe auch die Artikelserie der Tageszeitung junge Welt: Krieg gegen Jugoslawien. Hier ist die Serie online einzusehen.

[4] Zschächner, Roland: In deutscher Umklammerung, in: Hintergrund, 03/2019.

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