Demokratie und Imperialismus Die Abschlachtung Gaddafis

Politik

28. Oktober 2011

Gaddafi wurde erledigt, vor den Augen der Weltöffentlichkeit. Einige seiner Volksgenossen, die er über 40 Jahre lang regiert hat, haben ihn – nachdem die NATO kräftig mitgeholfen hat, ihn ausser Gefecht zu setzen – erst ein wenig geprügelt, ihm irgendwas in den Arsch gesteckt, und schliesslich abgeknallt.

Siegesfeier von libyschen Rebellen auf einem zerstörten Panzer eines Gaddafi-Bataillons in Al Bayda, Libyen.
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Siegesfeier von libyschen Rebellen auf einem zerstörten Panzer eines Gaddafi-Bataillons in Al Bayda, Libyen. Foto: ليبي_صح (PD)

28. Oktober 2011
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Alles mit Handy-Fotos und -Filmen dokumentiert, wir sind ja modern. Danach wurde seine Leiche noch zur Schau gestellt, er und sein Sohn wurden ausgeweidet, um das Schauspiel ein wenig zu verlängern, und dann wurden die beiden irgendwo in der Wüste verscharrt, weil sie schon gar zu sehr zu stinken begannen.

Das Ganze erinnert ein wenig an die Gepflogenheiten des Mittelalters, wo die Gehenkten vor den Stadttoren den Reisenden zur Schau gestellt wurden, um die Neuankömmlinge mit den örtlichen Rechtsbräuchen vertraut zu machen.

So endete ein Potentat, der in vielen Hauptstädten der Welt zu Gast war, seine Petrodollars in Europa investiert und mit dem CIA und anderen westlichen Geheimdiensten bei der Jagd auf Al-Kaida-Terroristen zusammengearbeitet hat, und meinte, dass ihm seine früheren antiimperialistischen Terroranschläge und andere Streiche verziehen worden seien. Er wiegte sich in solcher Sicherheit gegenüber seinen neuen Haberern, dass er die Flugabwehrraketen Libyens demontieren liess.

Dabei hat Gaddafi eines nie aufgegeben: Eine eigenständige Innen- und Aussenpolitik, die er sich aufgrund der Erdöleinnahmen auch leisten konnte, und das war sein Todesurteil.

Die Anklage beim internationalen Gerichtshof war ein rein formaler Akt: Niemand wollte Gaddafi auf der Anklagebank sitzen sehen, wo er über die Zusammenarbeit mit dem CIA oder die Finanzierung von Sarkozys Wahlkampf und ähnliche delikate Themen viel zu erzählen gehabt hätte. Mit dieser Anklage wurde nur einerseits klargestellt, wer das Völkerrecht definiert und wer sich diesen Grundsätzen zu unterordnen hat. Zweitens wurde damit auch aller Welt mitgeteilt, dass ein ehrenvoller Abgang für den Mann, – wie er vielen Hurensöhnen des Imperialismus gewährt worden war –, nicht vorgesehen ist.

Kein Land der Welt hätte ihn aufnehmen dürfen. Abgesehen davon, dass er auch nicht der Typ gewesen wäre, der vor überlegener Gewalt abhaut, aber so blieb ihm auch nichts anderes übrig, als in Libyen zu bleiben und sich lynchen zu lassen. Das war von den Machthabern der USA, Grossbritanniens und Frankreichs genau so vorgesehen und wurde auch durch das Bombardement Sirtes und seines Fahrzeugkonvois eingeleitet.

Das alles wurde von der internationalen gleichgeschalteten Presse begleitet, die das Terrain mit einer beispielslosen Hetzkampagne bearbeitet hat. Es geht doch nichts über eine freie Presse, die die überlegene Gewalt hofiert und diensteifrig ihre Taten für das gemeine Volk aufarbeitet.

Was kommt nach ihm?

Erstens einmal ein Terrorregime in Libyen. Die neuen Sieger machen Jagd auf die tatsächlichen oder vermuteten Sympathisanten Gaddafis. Das betrifft ganze Städte, und sogar einen Landesteil, den Fezzan, wo die dunkelhäutigen Libyer herstammen, auf die ja bereits seit Monaten im Norden Jagd gemacht wird. Was in dieser Hinsicht bereits geschehen ist, wieviele Tote der Bürgerkrieg bis jetzt gefordert hat, und welche Schlächtereien noch bevorstehen ist nicht mehr Anliegen der freien Presse, und irgendwelche unabhängigen Journalisten, die sich nach Libyen hinwagen sollten, riskieren ihr Leben.

Zweitens die Neuaufteilung des libyschen Öls. Die drei Staaten, die den Bürgerkrieg in Libyen eingeleitet und entschieden haben, wollen die Hand auf die libyschen Ölvorkommen legen. Das richtet sich gegen China, dessen Expansion durch Entzug von Rohstoffquellen gestoppt werden soll. Es belebt aber auch die Konkurrenz der traditionellen imperialistischen Mächte und fördert die Disharmonie in der EU: Die traditionellen Bezieher dieses Öls, Deutschland, Italien und Österreich werden wahrscheinlich aussen vor bleiben oder sich mit Trosthäppchen zufriedengeben müssen. Was wieder die Abhängigkeit von und Hinwendung zu Russland verstärken wird. Eine Bruchlinie quer durch die EU zeichnet sich hier ab, die auch rund um die eingefrorenen Gaddafi-Konten weitere Reibungspunkte verspricht.

Der "arabische Frühling", der aus einer Reihe von Blutbädern besteht und noch mit weiteren winkt, wurde und wird in Zusammenarbeit von Geheimdiensten, Umsturz-Firmen und NGOs ausgeheckt und von der NATO finalisiert. Das Labor für diese Art von Umstürzen war Jugoslawien. Seither wurde das System perfektioniert.

Was für Schlüsse die Regierungen und Völker der Welt aus dem Sturz und der Ermordung Gaddafis ziehen werden, wird sich erst weisen.

Amelie Lanier