Die neuen «Montagsdemonstrationen» als Teil der Querfrontstrategie Deutschland: Neue «Friedensengel»

Politik

23. Juni 2014

So genannte Montagsdemonstrationen sorgten zuletzt für nicht unerhebliches Aufsehen. Die dort betriebene Vermischung von Kapitalismuskritik und unhaltbaren Behauptungen diskreditieren auch ernsthafte Bemühungen um antikapitalistische und antimilitaristische Kritik.

Deutschland: Neue «Friedensengel».
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Deutschland: Neue «Friedensengel». Foto: Nichran (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

23. Juni 2014
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Plötzlich war von Querfront die Rede, die Mainstreampresse von Spiegel bis Zeit widmete sich der Sache, der Fernsehsender 3sat berichtete in seiner Sendung "Kulturzeit" und schliesslich machte sich auch noch die heute-show über die neuen Montagsfriedensmahnwachen lustig.

Aufgeregt wurden Facebook und andere Foren der sozialen Communities vollgeschrieben, Hitler- und Goebbels-Vergleiche erfreuten sich noch grösserer Beliebtheit als ohnehin schon und die Gemüter wollten sich über Wochen nicht wieder beruhigen.

Zig Facebook-NutzerInnen posteten Bilder von sich, auf denen sie Hüte aus Aluminiumfolie auf dem Kopf hatten und der ehemalige Chefredakteur des Satirmagazins Titanic, Leo Fischer, kommentierte stellvertretend für schätzungsweise 99 Prozent der Bevölkerung: "Ich las dieser Tage häufiger den Ausdruck 'Aluhut' bzw. 'Aluhut-Fraktion'. Ich vermutete darunter eine mir nicht bekannte radikalarabische Politgruppierung (al-úhut), so ähnlich wie man ja auch Wörter wie 'Al-Aksa', 'Zapatisten' etc. liest und für voll nimmt, ohne den blassesten Schimmer von ihrer Bedeutung zu haben."

Die Aluhüte sollen indes vor Chemikalien schützen, die einige der DemonstrationsteilnehmerInnen in den Kondensstreifen von Flugzeugen vermuten.

Am 30. März 2014 hatte Jutta Ditfurth auf ihrer Facebookseite verkündet, es sei "lehrreich, mit wieviel Hass und Dreck man beworfen wird, nur weil man Leute 'entfreundet', die mit Ken Jebsen befreundet sind bzw. Ihn liken." Auf diesen Eintrag folgten über 200 Kommentare anderer FacebooknutzerInnen, Ditfurth wurde darin teils übel beschimpft. Damit war der Stein ins Rollen gebracht.

Ken Jebsen ist ein ehemaliger Radiomoderator des RBB und Identifikationsfigur vieler MontagsdemonstrantInnen. Beim RBB wurde er 2011 wegen antisemitischer Äusserungen vor die Tür gesetzt und setzte sein Treiben seitdem und bis heute im Internet unter dem Titel KenFM fort, nach eigener Aussage "crowdfinanziert".

In seiner Sendung gibt er schon einmal dem Ufologen und Finanzapokalyptiker Franz Hörmann eine Bühne oder fabuliert von "radikalen Zionisten mit US-Pass, deren Hobby Israel ist und deren Lieblingssport im Schlachten von Arabern besteht".

Er gilt als das bekannteste Gesicht einer Bewegung, die behauptet, für "die Wahrheit" zu kämpfen und unter dem Label "truther" bereits seit längerem in erster Linie im Internet ihr Unwesen treibt. Das Hauptargument der truther ist die Behauptung, die "Wahrheit" hinter den weltpolitischen Vorgängen werde von den Massenmedien böswillig und systematisch verschleiert, weshalb es nun einer Bewegung bedürfe, die diese endlich ans Licht bringe. Ein weiterer Protagonist dieser absonderlichen Szene ist der ehemalige junge Welt-, Jungle World- und Konkret-Redakteur Jürgen Elsässer, der nach Stationen im Kommunistischen Bund und als Guru der pro-israelischen Antideutschen nun erneut die Sekte gewechselt hat und sich mit dem von ihm gegründeten Magazin Compact offenbar zum Anführer der Wahrheitsfreunde aufschwingen will. Auch Jebsen betätigt sich als Autor im Elsässer-Magazin, das mit dem Slogan "Mut zur Wahrheit" für sich wirbt.

Jetzt oder nie: Verschwörungstheorie

Soweit sich das nachvollziehen lässt, fand die erste der Montags-Veranstaltungen, die als Mahnwachen angemeldet wurden und auf denen später sowohl Jebsen als auch Elsässer als Redner auftraten, am 17. März 2014 in Berlin statt. Initiator und Anmelder war ein gewisser Lars Mährholz, der in einem Interview mit KenFM angibt, er sei hauptberuflich Fallschirmspringer und ehemaliger Eventmanager. Mährholz gibt auch Auskunft über seine Sicht der Dinge. Er behauptet unter anderem, die amerikanische Notenbank FED sei schuld an allen Kriegen der vergangenen einhundert Jahre und es müsse alle 50 bis 100 Jahre einen Krieg geben, "sonst funktioniert das ganze System nicht."

Auf die Frage, was denn die von ihm initiierte Montagsdemobewegung inhaltlich beizutragen habe, erklärt der Verschwörungstheoretiker Mährholz, man wolle erneut eine Mauer zu Fall bringen, diesmal jedoch die Mauer in den Köpfen der Menschen: "Die Menschen müssen Wissen bekommen, was halt nicht allgemein zugänglich ist, was nicht in der Schule gelernt wird, was nicht kommuniziert wird in Medien. Es gibt ne Wahrheit und die muss man halt mal erkennen."

Unter Weltpolitik macht man's nicht

Letztlich, so scheint es, sind Elsässer, Jebsen und Konsorten vor allem daran interessiert, mit ihrer Wahrheitshuberei Geld zu verdienen. Man nehme Versatzstücke linker Kapitalismuskritik, dazu populistische Ressentiments (Israel, USA, die Rothschilds, alles pauschal böse, das Übliche eben) und einen Schuss Verschwörungstheorie, schliesslich dick "Wahrheit" und "ehrlicher Journalismus" draufgeklatscht und fertig ist eine Suppe, die sich in Zeiten von Sarrazin, Pirincci und Fleischhauer bestimmt irgendwie verscherbeln lässt. Zu Werbezwecken machen sich da Demos, die zumindest ein Rauschen im Blätterwald erzeugen, nicht schlecht und sie kosten wenig.

Vor allem Jebsen zeigt ansonsten keine Berührungsängste mit dem Grosskapital. Wenn es ihm Geld bringt, lässt er sich von Grosskonzernen wie der ProSiebenSat1-Mediengruppe, der Telekom oder dem Brausehersteller "Red Bull" nur allzu gern grosszügig für seine Moderatorendienste bezahlen. Elsässer muss, insbesondere nachdem ihm kaum eine Zeitung in Deutschland mehr einen Artikel abnimmt, auch irgendwie über die Runden kommen und wie man mit Fallschirmspringen Geld verdient, dürfte Mährholz' Geheimnis bleiben.

Dennoch

Die Macher der vermeintlichen Friedensdemos treffen offenbar einen Nerv bei mehr Menschen als gedacht. Die Tatsache, dass zumindest in Berlin sowohl am Ostermontag als auch eine Woche später rund 1500 TeilnehmerInnen die truther-Veranstaltungen besuchten, zeigt, dass hier offenbar ein Bedürfnis nach sehr schlichten Antworten besteht, ohne sich mit Bakunin, Marx oder Adorno beschäftigen zu müssen.

Wer eine der Montagsdemos besucht, wird feststellen, dass sich hier in erster Linie die Abgehängten, Unterprivilegierten treffen und wer in einem Schulsystem, das marktkompatible Allroundwisser per Notendruck und Prüfungsdrohung zu produzieren versucht, nicht mitkommt und sich schliesslich als mies bezahlte Krankenschwester oder Erzieherin in einer Gesellschaft wiederfindet, die für solche Art "Loser" nichts übrig hat als die Drohung mit Hartz IV, der wird nicht als erstes auf die Idee kommen, drei Bände Marxsches Kapital zu lesen. Und wenn man keinen blassen Schimmer hat, klingt eine Weltverschwörung auch nicht unplausibler als die Annahme eines sich systematisch selbst verwertenden Werts.

Zum notwendigen Diskurs über die brutalen Folgen der kapitalistischen Warenproduktion tragen die WahrheitsfreundInnen indes nichts bei. Ihre Behauptung, die amerikanische Fed werde von "den Rothschilds" und "den Rockefellers" gelenkt und diese schürten absichtsvoll Kriege, ist genauso haltlos wie die Idee, der Zinseszins oder die Giralgeldschöpfung der Banken sei schuld an der schlimmen kapitalistischen Welt.

Das Fed-System ist ziemlich transparent und die wichtigen EntscheidungsträgerInnen werden von den demokratisch gewählten VertreterInnen im US-Senat bestimmt. Ein Einfluss der genannten Familien auf die Fed-Politik lässt sich seriös schlicht nicht nachweisen und selbstverständlich können Geschäftsbanken nicht einfach Geld erschaffen ohne die ausgegebenen Sichteinlagen und Kredite zu bilanzieren und dafür zu haften.

Statt dezidiert darzulegen, wie etwa in den Gebühren finanzierten Anstalten Desinformation betrieben wird, werfen die WahreitsfreundInnen den JournalistInnen vor, dass sie deren selbstgemachte Wahrheiten nicht "kommunizieren" wollen.

Dabei können sich die InitiatorInnen der Montagsmahnwachen über die mediale Resonanz ihrer substanzlosen Kleinkundgebungen nun wirklich nicht beschweren.

Diese bestehen fast ausschliesslich aus Distanzierungen von Antisemitismus und Verschwörungstheorien, Forderungen nach "Wahrheit", sowie in Lamentos über die bösen Banker und dauernden Selbstvergewisserungen nach dem Motto: "Es ist so schön, dass ihr alle da seid."

Nach aussen sind die Friedensfreunde allerdings nicht sehr friedlich. KritikerInnen wie Andreas Hallaschka oder Jutta Ditfurth wurden übel beschimpft, es kursiert sogar ein widerliches Droh- Video gegen Hallaschka im Internet.

Die Kredit getriebene spätkapitalistische Ökonomie und daraus erwachsende Interessenskonflikte, die auch zu kriegerischen Auseinandersetzungen führen können, müssen genauso kritisiert werden wie der westliche Imperialismus und die oft einseitige Berichterstattung der grossen Medien. Jüdische Bankiersfamilien, den Zins, die Giralgeldschöpfung oder die Fed dafür verantwortlich zu machen, ist aber Kritik auf Kindergartenniveau, ebenso wie Jebsens Gewäsch von Pyramidensystemen. Derartige Hirngespinste als Wahrheit verkaufen zu wollen, erfordert einen gewissen Mut zur Unwahrheit und die Lamoryanz, mit der man beweint, von niemandem ernst genommen zu werden, ist tatsächlich mitleidserregend.

Gescheitert

Die Querfrontstrategie von Elsässer, Jebsen und Co. ist jedenfalls vorerst gescheitert.

Ausser einigen linken ProtagonistInnen um den trotzkistischen Attac-Funktionär Pedram Shayar und die Linken-MdBs Diether Dehm und Wolfgang Gehrcke fiel kaum jemand auf das durchsichtige Gerede herein, wonach die politischen Kategorien von links und rechts nicht mehr zeitgemäss seien.

Die deutsche Rechte, die Geldkritik- und Esoterikszene ist seit Jahren bemüht, ein Bein auf den Boden zu bekommen, indem sie linke, esoterische und verschwörungstheoretische Vorstellungen zu vereinen und diese anschlussfähig zu machen versucht. Damit sollen offenbar innerlinke Auseinandersetzungen genutzt werden, um die eigenen Verkaufszahlen und Reichweite von Produkten wie Compact oder KenFM zu erhöhen.

Der kapitalismuskritische Diskurs wird aber zum Leidwesen der selbst ernannten Wahrheits- und FriedensfeundInnen selbst zwischen verfeindeten linken Gruppen längst zumindest so solidarisch und fundiert geführt, dass totaler Blödsinn über die Lager hinweg erkannt wird, was die einhelligen Reaktionen nahezu aller relevanten linken Medien und Organisationen zeigt.

Jetzt als Friedensengel getarnt einige Gutmeinende auf die Strasse zu bringen, ist also der neueste Versuch, Fuss zu fassen und im sich gerade organisierenden antikapitalistischen Lager zu fischen.

Die NPD fand es jedenfalls gut.

Bruno Mehrland
Artikel aus: Graswurzelrevolution Nr. 390, Sommer 2014, www.graswurzel.net