In Deutschland das bereits praktiziert … Aufregung in Frankreich wegen geplantem Verbot, Polizei zu filmen

Politik

16. Dezember 2020

Ob durch ausreichend unabhängige Journalist*innen oder die inzwischen omnipräsenten Smartphones: Immer öfter werden gewalttätige Übergriffe oder rechtswidrige Massnahmen der Polizei dokumentiert.

Blockade in Wolfsburg, August 2019.
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Blockade in Wolfsburg, August 2019. Foto: zVg

16. Dezember 2020
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Dass das der Polizei nicht gefällt, liegt nahe. So soll in Frankreich ein Gesetz erlassen werden, welches das Filmen der Uniformierten unter Strafe stellt. Die Aufregung über diesen Plan ist gross. Dabei nutzen Polizei und Justiz hierzulande schon seit längerem einen Paragraphen des Strafgesetzbuches, um genau das Gleiche zu erreichen.

Bereits mehrfach hat die Polizei Kameras und Smartphones beschlagnahmt, mit denen ihr Handeln dokumentiert wurde. Von Privatpersonen oder Presse, im Alltag oder auf Demonstrationen zieht sie potentielle Beweismittel für eigene Gewaltanwendung oder rechtswidrige Handlungen aus dem Verkehr. Der Paragraph, mit dem das geschieht, ist der § 201 im Strafgesetzbuch, der heimliche Tonaufnahmen verbietet.

Da Filme immer mit Tonaufnahmen verbunden sind, nutzt die Polizei diesen Paragraphen, um Menschen, die Polizeihandeln filmen, anzugreifen und ihnen Kamera plus bereits aufgenommene Daten wegzunehmen. Dabei helfen weder die Urteile hoher Gericht, die solche Praxis untersagen, noch konkrete Anweisungen von ganz oben. Das musste jetzt ein Journalist feststellen, der am 2. Juni 2020 die Kesselung eine Demonstration in Wolfsburg filmte.

Obwohl Versammlungen per se ein öffentlicher Raum sind und der Paragraph dort gar nicht passt, nahm die Polizei den Journalisten fest, durchsuchte ihn und beschlagnahmte Kamera, Zubehör und alle bei ihm gefundenen Datenträger. Bis heute hat er all das nicht zurückbekommen, obwohl das Bundesverfassungsgericht vor über einen Monat sowohl das Handeln der Polizei als auch die dazu ergangenen Beschlüsse von Amts- und Landgericht als Missachtung des Grundrechts auf Pressefreiheit geisselte und die Staatsanwaltschaft anwies, die Materialien herauszugeben. Doch geschehen ist nichts.

Im Gegenteil: Gegenüber einem nachfragenden Journalisten bestätigte die Staatsanwaltschaft, dass sie das Verfassungsgerichtsurteil einfach nicht beachten werde. Dabei log die Strafverfolgungsbehörde, sie hätte den Beschluss nie erhalten. Das ist nachweislich falsch, da der Anwalt des Journalisten den Verfassungsgerichtsbeschluss bereits am 27.10.2020 an die Staatsanwaltschaft schickte.

Zum Hintergrund

Der 2. Juni 2020 in Wolfsburg: Nach einer Demonstration, die per Auflage nur auf Geh- und Radwegen stattfinden durfte, sammelten sich knapp 20 Personen zu einer spontanen Versammlung, um gegen ein zeitgleich laufendes Gerichtsverfahren wegen der VW-Blockade im August 2019, drei erneute Verhaftungen und die Bevorzugung des Autoverkehrs zu protestieren.

Mit Sprüchen wie „In Wolfsburg sind die Strassen den Autos gewidmet“ drängte ein grosses Polizeiaufgebot die Demonstrant*innen von der Strasse und kesselte sie auf dem Geh- und Radweg, der dadurch knapp zwei Stunden vollständig unbenutzbar war. Mehrere Journalist*innen filmten und fotografierten die rechtswidrige Verhinderung einer Kundgebung samt anschliessender, mit dem Versammlungsrecht nicht in Einklang zu bringender Personalienkontrollen und Platzverweise.

Während Mitarbeiter*innen lokaler Zeitungen brav den Anweisungen der Polizei folgten und viele rechtswidrige Handlungen nicht weiter dokumentierten, hielten zwei auswärtige Journalist*innen diese genau fest. Das missfiel der Polizeiführung. Der Journalistin Cecile Lecomte wurde ein Platzverweis erteilt. Sie wurde, zwecks Überwachung der Abreise, bis zum Bahnhof von Polizei begleitet. Der Journalist Jörg Bergstedt wurde hingegen sogar festgenommen.

Die Polizei beschlagnahmte Datenträger und Kamera mit der Behauptung, das Aufnehmen von Polizeihandlungen sei eine Straftat. Widersprüche beim Amts- und Landgericht bleiben erfolglos. Daraufhin reichte der so um sein Arbeitsmaterial Gebrachte Beschwerde beim Verfassungsgericht ein und hatte Erfolg. Die Staatsanwaltschaft muss die Geräte und die Daten des Journalisten herausrücken – tut es aber nicht.

Das Verfassungsgericht rügte in seiner Entscheidung sehr deutlich, dass die entscheidenden Gerichte das Grundrecht der Pressefreiheit nicht berücksichtigt hätten. „Die amtsgerichtlichen Beschlüsse nehmen die in Rede stehende Pressefreiheit nicht in den Blick“, geisselten die Karlsruher Richter*innen eine völlige Grundrechtsblindheit des seltsamerweise in Braunschweig abgelaufenen, erstinstanzlichen Verfahrens.* Die zweite Ebene machte es kaum besser.

Zwar heisst es in dem Verfassungsgerichtsbeschluss: „Erstmals das Landgericht erkennt in seiner Beschwerdeentscheidung, dass die Pressefreiheit einschlägig ist.“ Doch dann würde das Landgericht Braunschweig die Geltung von Grundrechten im Verdachtsfall von Straftaten verneinen: „Es nimmt sich mit seiner Argumentation, strafprozessuale Massnahmen, die im Zusammenhang mit der möglichen Begehung einer Straftat vorgenommen würden, beeinträchtigten die Pressefreiheit (von vornherein) nicht, indes die Möglichkeit, die gebotene Abwägung durchzuführen.“ Zudem hätte „das Landgericht seine Feststellung, die Beschlagnahme der Kamera sei weiterhin erforderlich um die Straftat nach § 201 StGB beweisen zu können, nicht nachvollziehbar begründet.“

Mit der Eilentscheidung des Verfassungsgerichts – das Hauptverfahren folgt später – schien die erste Auseinandersetzung um die Polizeiübergriffe und den Kessel vom 2. Juni in Wolfsburg entschieden, was jedoch ein Irrtum war, weil die Staatsanwaltschaft rechtswidrig sogar das Bundesverfassungsgericht zu missachten plant, um eigene Interessen durchzusetzen und die Polizei zu schützen. Etliche weitere Verfahren zu den Abläufen am 2. Juni laufen. So haben fast alle Betroffenen Klagen gegen die Verhinderung einer Versammlung beim Verwaltungsgericht Braunschweig eingereicht.

Ausserdem erliess die Stadt Wolfsburg Bussgeldentscheide nach der Corona-Verordnung, weil die durch den Polizeikessel zusammengedrängten Menschen eine nicht genehmigte Ansammlung dargestellt hätten. „Hier decken sich mehrere Behörden gegenseitig, um in der VW-Stadt jede kleinste Kritik am Auto zu unterdrücken“, äusserte sich Jörg Bergstedt nach dem Verfassungsgerichtsspruch. Er hofft, durch weitere Gerichtsentscheidungen das Grundrecht auf Versammlungen auch für Wolfsburg erkämpfen zu können. „Der Protest gegen Klimawandel, Flächenverbrauch, Lärm, neun Tote und 1053 Verletzte pro Tag muss gerade dort stattfinden dürfen, wo das Auto seine Hochburgen hat – und zwar nicht nur abgedrängt auf Fuss- und Radwege!“

pm

* Nach wie vor nicht geklärt ist, wieso überhaupt das Amtsgericht Braunschweig sich für zuständig erklärte. Die Handlung und damit die behauptete Straftat geschahen unzweifelhaft mitten in Wolfsburg. Die Stadt verfügt über ein eigenes Amtsgericht mit Strafabteilung. Kein Gericht, auch die angerufenen höheren Instanzen, habe die Rüge der falschen Zuständigkeit aufgegriffen.