Überleben in Deutschen Konzentrationslagern „Zirkus Konzentrazani”

Politik

14. Mai 2020

„Die Welt hinterm Stacheldraht war eine Welt für sich. Sie hatte ihre eigenen Lebensgesetze und eigene Ehrbegriffe. Auch ihre eigene Sprache ... Diese Sprache war ursprünglich, bunt und drastisch. Sie entbehrte nicht eines grimmigen Humors ... Häftlingssprache und Galgenhumor - Zeugnisse einer geistigen Überlegenheit, die die Gefangenen weit über ihre Peiniger stellten." (Karl Schnog, 1945)*

Befreiung des Konzentrationslager Buchenwald, April 1945.
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Befreiung des Konzentrationslager Buchenwald, April 1945. Foto: Jule Rouard - Luc Viatour (CC BY-SA 2.0 cropped)

14. Mai 2020
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I

Dass es in extremen menschlichen Bedrohungslagen wie namentlich in deutschen Konzentrationslagern1 nicht zuletzt immer auch ums Überleben und den - sei es individuellen, sei es kollektiven - Kampf gegen drohende, nicht selten aktuelle und fassliche Vernichtung humaner Existenz ging, ist bekannt. Und dass dieser Kampf, dessen weltliterarisch bedeutsame Ausdrucksversuche Überlebende erst nach Jahrzehnten des Abstands von Vernichtungsdrohung, Grauen und Scham unternehmen konnten2, auch eine bis heute verschwiegene furchtbare Wahrheit3 infolge von Überlebensnotwendigkeiten derer, die nicht in den sicheren Tod gebracht werden wollten, enthält, scheint mir unbestreitbar; auch wenn es möglicherweise weitere Jahrzehnte dauern mag, bis auch diese erfahrene Erschütterung literarisch ausgesprochen werden kann.

Beim Überlebenskampf in deutschen Konzentrationslagern spielte nun auch - was auf den ersten Blick vielleicht erstaunen mag, jedoch nicht wegzuleugnen ist - der Witz zur Bewältigung der neuen Lage und ihrer Bedrohlichkeiten eine nicht zu unterschätzende Rolle. Genauer: auch mit Hilfe von Witzen versuchten, noch im Jahr 1933 in einem neueingerichteten staatlich-preussischen Konzentrationslager, nämlich im KZ Börgermoor/Papenburg, bedrohte politische Gefangene im „dritten Reich" ihre Überlebenschancen zu sichern: indem sie sich mit dem Witz als Medium und im Medium des Witzes Handlungsspielräume gegenüber ihren SS-Wächtern als Vertretung der faschistischen Staatsmaschinerie sicherten.

Genau dies hat der handelnde Betroffene Wolfgang Langhoff4 in einem besonderen Kapitel („Zirkus Konzentrazani") seines zuerst 1935 im schweizerischen Exil veröffentlichten ´unpolitischen Tatsachenberichts´ „Die Moorsoldaten"5 authentisch dokumentiert.

Wolfgang Langhoffs Erfahrungsbericht zeichnet dabei - im Gegensatz etwa zu Karl August Wittfogels kurze Zeit später veröffentlichtem Roman6 und dem dort fiktionalisierten Schicksal des schliesslich erschossenen, radikalen Intellektuellen Martin Schneehagen - nicht nur Bilder von Grauen, Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung, sondern versucht, eigne Erlebnisse und Erfahrungen in Form eines dokumentarischen und scheinbar „unpolitischen Tatsachenberichts" (der Untertitel der ersten Buchauflage fehlt in der 1946 erschienenen Ausgabe7) als widersprüchliche Einheit von „Kampf und Verzweiflung, Hoffnung und Resignation"8 dialektisch zu verarbeiten, so dass allen Bedrückungen und Gefährdungen zum Trotz, die den Autor schliesslich nach seiner Freilassung in die Emigration treiben, die menschliche Extremlage im KZ nicht nur als hoffnungs- und ausweglos erscheint.

Im Zusammenhang dieser Autorenhaltung und der antifaschistischen Sendung Wolfgang Langhoffs kommt dem Kapitel „Zirkus Konzentrazani", in dem auch das heute noch bekannte und gesungene „Börgermoorlied"10 veröffentlicht wurde, gerade mit Blick auf die scheinbar bloss witzigen Partien einer Zirkusvorstellung im abgelegenen Konzentrationslager besondere Bedeutung zu - treffen doch hier, verfremdet in einer zunächst gespenstisch erscheinenden künstlichen Zirkuswelt im KZ und zugleich eingebunden in die verkehrten Rollen von Akteuren (den Festgenommenen als bedrohten Opfern) und Zuschauern (der SS), die personifizierten Antipoden als Kollektive aufeinander.

Diese authentische Situation mag, gerade infolge ihrer Verkehrung zur Kenntlichkeit im Sinne des Philosophen Ernst Bloch (1885-1977), als Modellfall untersucht werden. Im von Fortschreiten vom Besonderen zum Allgemeinen ausgerichteten Analyseverfahren sollen aus diesem Modellfall für Witz-Kommunikation einige bedenkenswerte grundlegende kommunikations- und verhaltenswissenschaftliche Muster und Erkenntnisse herausgearbeitet werden, die das, was Paul E. McGhee im Kontext seiner Vorstellungen von „mental health" als „coping mechanism"11 identifiziert, genauer eingrenzen. Zugleich wären die so gewonnenen Ergebnisse sicherlich in das kürzlich von Bjørn Ekmann vorgelegte anregende Szenario zur „Ästhetik des Lachens"12 integrierbar - gerade weil es hier um eine von der kommunikationsästhetischen Seite her gesehen besondere und zugleich elementare ,einfache Form"3 und nicht um ,Volkspoesie' im allgemeinen14 geht. Das Witzmaterial, das Langhoff mitteilt, ist schliesslich weder als politischer' Witz allgemein15 noch als - inzwischen reichhaltig dokumentierter - deutscher „Flüsterwitz" unter den Herrschaftsbedingungen einer faschistischen Diktatur16 zu bewerten, sondern eher als situativer Ausdruck einer neuen, sozial ungeregelten und insofern soziologisch ,anomischen' Lage aus dem Feld eines geheimgehaltenen, verborgenen gesellschaftlichen Segments17.

Die Modelluntersuchung wird freilich auch nach der besonderen Rolle von „Humor"18 und seinen konkreten Ausprägungen in der skizzierten existentiellen Extremsituation fragen müssen und die Funktion(en) des Witzes dabei herauszuarbeiten haben - wobei im einzelnen zu zeigen sein wird, worin denn die allgemein Gemeinschaftlichkeit stiftende Rolle von Witzen19 unter den Lager- und Todesbedingungen im Speziellen besteht und was mithin aus dieser Modellanalyse mit Blick für eine Kommunikationssoziologie des Witzes für (noch) Beherrschte und (noch) Herrschende möglicherweise gelernt werden könnte.

II

Wolfgang Langhoffs Kapitel „Zirkus Konzentrazani"20 beschreibt Vorbereitungen, Durchführung und Wirkungen der makabren Zirkusvorstellung im KZ Börgermoor/Pa-penburg im Herbst 1933. Und wie nicht anders zu erwarten, hatte es „viele Kämpfe gekostet unter den eigenen Kameraden, bis sich unser Plan durchsetzte"21:

„Tausenderlei Bedenken tauchten auf. Das wichtigste Argument gegen unsere Absicht war, dass unsere Veranstaltung photographiert werden und als Propaganda für die ,humane' Gefangenenbehandlung in deutschen Konzentrationslagern verwandt werden könne. Wir hielten aber dagegen, dass es jetzt vor allen Dingen darauf ankäme, trotz aller Misshandlungen den Kopf hochzutragen und uns nicht unterkriegen zu lassen."22

Das Lagerleben seiner Peiniger und damit der Adressaten dieses besonderen KZ-Zirkus beschreibt Langhoff so:

„In ihren Mannschaftsbaracken herrschten Stumpfsinn und Saufereien. Sie kamen sich selber wie verbannt vor. Weit und breit keine Stadt, wo sie Urlaub oder Freizeit verbringen konnten. So hockten sie dann in der Kantine und soffen ... Ihre Unterhaltungen in der Baracke entsprachen gewissen Kasernenhofscherzen; z.B. wenn sie alle bis zur Besinnungslosigkeit betrunken waren, fielen sie über einen jungen S.S.-Mann her, der erst frisch zur Wachmannschaft gekommen war, und beschmierten seinen Geschlechtsteil mit schwarzer Schuhwichse oder holten Jod aus der Lazarettbaracke und malten das Gesicht des Betrunkenen mit Jod ein, dass er tagelang wie ein Indianer herumlief. Das war aber schon das höchste an Humor, was sie aufbrachten."23

Die Weltorientierung und -erfahrung dieses SS-Publikums, auf das sich die Gepeinigten im KZ einstellen mussten und auch in der Weise einstellten, dass „der gesamte Ablauf [der Zirkusvorstellung] schnell, exakt und diszipliniert vor sich ging, weil ich mir sagte, dass allein schon durch straffe Ordnung und Tempo ein gewisser Eindruck auf die S. S. ausgeübt werden könne"24, skizziert Langhoff recht eingehend:

„Hauptsache war und blieb die Sauferei. Das wurde von ihnen auch ganz ehrlich als zur deutschen Mannestugend gehörend verteidigt. Der Kommandant soff selber mit ihnen - sie waren stolz, wieviel er vertragen konnte! - und aus dieser Atmosphäre heraus ist auch ihre Kameradschaft zu verstehen. Alte Zechbrüderschaft, - Raufgemeinschaft durch Dick und Dünn - das war ihr Ideal! Abgrundtiefe Verachtung für alle Waschlappen, ,Nurpolitiker' und Spiesser. Dass ihre Saufereien und flachen Ehr- und Treuebegriffe selber nur wildgewordenes Spiessertum waren, kam ihnen dabei nicht in den Sinn! Ihr Lieblingslied war:

´Dies und das - Suff und Frass
muss ein Landsknecht,
muss ein Landsknecht haben!´


Ich will nicht einmal behaupten, dass diese Haltung Verlogenheit oder Pose war - im Gegenteil, sie hätten sicher auch ihr Leben für diese seltsamen Begriffe von ´deutschem Mannestum´ eingesetzt. - Wenigstens manche von ihnen! -

Ihre soziale Zusammensetzung war so: ca. 60% waren Söhne von verarmten Kaufleuten, Gastwirten, kleinen Ladenbesitzern, Post- und Eisenbahnbeamten, deren Eltern ihnen kein Studium, keine Zukunft mehr bieten konnten. 20% waren ,Gebildete', das heisst, verkrachte Lehrer, Ingenieure, Techniker, Studenten - und ungefähr 20% Arbeiter.

Die Führerstellen waren aber fast durchweg mit den ,Gebildeten' besetzt oder mit alten Berufssoldaten aus der Reichswehr und Baltikumkämpfern. Von Arbeitern waren nur solche chargiert, die sich durch besondere Brutalität auszeichneten.

Die Hauptschlägergruppe bestand aber aus den Herren der ,besseren Kreise'. Z. B. ,Zachel', der das Polytechnikum in Aachen besucht hat, ,Entenschnabel', der ein verkrachter Junglehrer war, ,Grosskopf', der Laute spielte und Nietzsche las!

Diese Leute gaben auch den politischen' Ton in der Mannschaft an. Sie ergingen sich in hochtrabenden Phrasen, halbverstandenen Zitaten und in einer Judenhetze, Marke Streicher Nürnberg, die nur aus einer verdorbenen Sexualität erklärlich ist."25

Der Ablauf der Vorstellung des „Zirkus Konzentrazani" fand an einem Sonntagnachmittag im Herbst 1933 statt und war, soweit unter den Extrembedingungen überhaupt einzurichten, auch mit Blick auf die moralisch-politischen Bedenken der politischen Gefangenen gesichert: „Die S.S. hatten wir absichtlich so placiert, dass sie gegen die Sonne schauen mussten, im Fall es einem einfallen sollte, einen Photo mitzubringen und zu knipsen. Ausserdem hatten wir auch beschlossen, die Vorstellung sofort abzubrechen, wenn ein Photoapparat auftauchen sollte."26 - Die Zirkusvorstellung konnte dann auch nach so witziger wie disziplinierter Ankündigung und Organisierung nach Einzug der SS-Leute „mit dem Kommandanten an der Spitze"27 unter herrlichem Wetter, strahlendblauem Himmel und lachender Sonne28 beginnen29.

Auch unter den Extrembedingungen des KZs wirkten freilich die allgemeinen Handlungsmuster und Rituale der speziellen sozialen Situation ,Zirkus'; auftritt „Direktor Konzentrazani" unter „nicht endenwollende[m] Empfangsapplaus" und „Lachsalven über Lachsalven, noch ehe er den Mund aufgemacht hatte!"30 - und in der entsprechenden Programmabfolge präsentierten sich politische Gefangene der Nationalsozialisten als „Artisten", in verschiedenen Rollen verfremdet: so als die bauchtanzenden „schönsten Girls der Welt, unsere fünf Moorgirls", als turnende „Arabertruppe", als „Clowns" und spassmachende „dumme Auguste", als „Keulenschwinger" und witzerzählender „Humorist", als „Ringer" und „Boxer", als wahrsagender „Storch" und „Moorsoldaten" in einer „Pat und Patachon-Ausgabe" - mit dem schliesslichen Höhepunkt als Schluss der Vorstellung von „Zirkus Konzentrazani", dem das „Börgermoorlied"31 zunächst behutsam vortragenden „Gesangschor", der die letzte Strophe des Lieds „Die Moorsoldaten" mit ihrem trotzigen Refrain „plötzlich laut und hart"32 ausklingen liess:

„Dann ziehn die Moorsoldaten Nicht mehr mit dem Spaten Ins Moor!"

Dem Lied schreibt Wolfgang Langhoff die beeindruckendste Wirkung dieser Zirkusvorstellung im KZ 1933 zu: einerseits war das „Eis ... gebrochen und die ersten menschlichen Worte wurden von beiden Seiten gewechselt"33, verlangten SS-Leute von ihren Opfern Abschriften des Liedes, so dass der „Erfolg grösser [war], als wir erwartet hatten" - andererseits: „Zwei Tage darauf wurde das Lied verboten."34 -

Der Regisseur dieser Zirkusvorstellung kommentierte das Ereignis und sein Anliegen in seinem „unpolitischen Bericht" ein gutes Jahr später auch mit einem Hinweis auf den Mut zum Lachen in der nachgezeichneten menschlichen Extremlage:

„Es ging mit durch den Kopf, dass ich vor einem solchen Publikum und für solches Publikum noch nie im Leben gearbeitet hatte und wohl auch nie mehr arbeiten werde! Sucht Euch Menschen auf der Welt wie diese Gefangenen, die durch unmenschliche Martern und Qualen gegangen sind, fast jeder von ihnen durch die Keller der S.A. geschleift, und jetzt in einem Lager mit schwerster Fronarbeit, täglichen Misshandlungen und der ständigen Drohung ,auf der Flucht erschossen' zu werden - sucht Euch die, die dann noch den Mut aufbringen, so zu lachen, so das Leben zu bejahen -, dass die S.S., von der Ursprünglichkeit und Heiterkeit überrumpelt, mitlachte und gegen ihren eigenen Willen von ihnen beeindruckt wurde !"35

III

Ausgelegt aufs „Mitlachen" der SS-Leute waren in der Vorstellung des „Zirkus Konzen-trazani" natürlich vor allem die Witze. Sie mussten so angelegt sein, dass sie einmal den bornierten Landsknecht-Horizont der Peiniger ansprechen und ihn, zum anderen, so erweitern konnten, dass mit der jeweiligen Pointe ein einheitsstiftendes ,befreiendes' Lachen über die Situation und die sie verursachenden sozialen Kräfte möglich wurde. In diesem Sinn stellten die im „Zirkus Konzentrazani" kommunizierten und von Wolfgang Langhoff, seinem Regisseur, gewiss ohne wesentlichen Authentizitätsverlust veröffentlichten Witze36 eine angesichts der drohenden praktischen Folgen jedes ,falsch' ankommenden Witzes bei der SS gar nicht hoch genug zu bewertende rationale und emotionale, politische, psychologische, ästhetische und moralische Hervorbringung dar. Nicht zuletzt deshalb wirkt Wolfgang Langhoffs Erklärung: „Bei jedem Witz wurde immer auf die S.S. geschielt, wie sie die Sache wohl aufnehmen würde"37 - angesichts der Bedrohlichkeit der Lage und der Gefährdung nicht nur der Akteure des „Zirkus Konzentrazani", sondern letztlich aller politischen Gefangenen des KZ Börgermoor/Papenburg an jenem Sonntagnachmittag im Frühherbst 1933 - so glaubhaft.

Nach der turnenden „Arabertruppe" kamen in der Programmabfolge die beiden ,dum-men Auguste':

„Sie hatten ihr Gesicht mit Mehl und Kohle zurecht gemacht und stürzten mit Hallo in die Manege. Der eine trug ein grosses Fernrohr unter dem Arm, das er in der Mitte aufstellte.

Um den folgenden Witz verstehen zu können, muss ich vorausschicken, dass unser Kommandant Fleitmann eine ständige Redensart hatte: ,Guckste durch?' Das hiess so viel wie: ,verstanden? schaust Du durch?' Und jedesmal, wenn er mit seinem polternden Bass einen anbrüllte oder einen Befehl gab, schloss er mit ,Guckste durch?'

Der eine Clown stellte sich also ans Fernrohr, richtete es auf den Kommandanten, sah hinein und der andere stellte sich daneben und brüllte: ,Guckste durch, guckste durch?' Alles wälzte sich vor Lachen. Der Kommandant übrigens auch."38

War diese gefährliche - zur Auslotung des Handlungsspielraums des „Zirkus Konzentrazani" entscheidende - Lage so erfolgreich ,bewältigt' und ,das Eis gebrochen', konnten unter stetiger Abnahme der Gefährdung weitere Witze und Clownerien, die sowohl von den ,dummen' Augusten als auch später von einem „Humoristen" erzählt wurden, gleichermassen versuchen, Naziüberzeugungen und Überzeugungen der Nazis witzig zu hinterfragen und im Medium des Witzes die Lage der politischen Gefangenen selbst gegenüber ihren SS-Wächtern zu veröffentlichen.

Die beiden folgenden Witze schliessen sich an eine witzig präsentierte Forderung der Gefangenen an und verfremden zentrale Aussagen der Nazipropaganda39 über „Bonzen" und „Schieber":

,„Was suchst Du denn?' fragte der eine Clown den anderen. ,Was suchst Du denn?' Und der am Fernrohr schrie in höchsten Tönen: ,Die tägliche Raucherlaubnis!' Das sass!- Dann richtete er das Fernrohr auf den ganzen Kreis und sein Freund fragte wieder: ,Was suchst Du denn jetzt?' ,Ich suche die grossen Bonzen hier im Lager.´ Ein beinahe erschrockenes Lachen antwortete auf diesen aggressiven Witz, denn es waren ja nur alles Arbeiter, die Ärmsten der Armen, die hier von den Nazis eingesperrt waren und von den sogenannten grossen ,Novemberverbrechern', mit denen die Nazis so viel Propaganda machten, war nichts zu sehen. ,Hast Du denn schon welche gefunden?' ´Nein. Aber eine Menge Schieber!´ ,So - Schieber?´ ´Ja. - Lorenschieber.´ Und damit waren unsere Kameraden gemeint, die die Loren der Feldbahn schieben mussten."40

Nicht zuletzt durch das Wörtlichnehmen - dies zur Witztechnik im letztzitierten Kalauer - von „Schieber" wurde so jene Sinnverschiebung in der Pointe produziert, mit deren Hilfe die politischen Gefangenen glaubten, ihren SS-Wächtern die Absurdität ihrer wie der gemeinsamen Lage mitteilen zu können.

In anderen Programmteilen sprachen weitere Witze, in denen u. a. auf die (damals populären) Kölschen Witztypen Tünnes und Scheel rekurriert wurde41, wieder die Lebens- und Leidensbedingungen im KZ selbst an:

„Es folgte ein Humorist, der sich ein Mikrophon aus einer Konservendose gebaut hatte und ,5 Minuten Moorfunk' brachte. Er definierte den Namen ,Humorist' als einen Mann, der im ,Hu! Moor ist'. Verschiedene riefen: ,Au'! Dann erzählte er Witze vom ,Tünnes und Scheel', den beiden Kölschen Jungens, die unter anderem auch im Konzentrationslager Börgermoor waren und sich über das Essen dort unterhielten:

,Dat Essen, Scheel, dat war dir komisch! Dat Mehl war in der Wurst, und die Kartoffeln im Brot!' Jut war et nich - dafür aber wenig!'"42

Was hier politische Gefangene als letzten Witz in einer zunächst nur künstlich geregelten sozialen Lage als situativ und kritisch gewendeten Tünnes-und-Scheel-Witz im „Zirkus Konzentrazani" (abgekürzt: Z.K.) ihren Nazibewachern mitteilten, dürfte denn auch mehr bedeutet haben als blosse seelische Entlastung und ,mental health' für die Unterdrückten und Gefährdeten. Vielmehr drückt auch der letztzitierte Kalauer als Moment einer „mental rebellion" (George Orwell) in einer leicht fasslichen Form gleichermassen politische Forderung - nach angemessener und ausreichender Verpflegung - und moralische Selbstachtung - nämlich den Überlebenswillen selbst - der Erniedrigten und Geschundenen aus. Auch dieser Witz diente so als Versuch einer, wenngleich zunächst ideellen, Neudefinition43 der bedrückenden Lage und ihrer durch Gewalt und Todesdrohung bestimmten Kräfteverteilung - ohne dass der Konflikt selbst witztypisch doch nur bloss weggelacht wird: denn die hier nicht nur verschiedenen Wertsysteme44, sondern gegensätzlichen und feindlichen Welten bestehen ebenso weiter wie die übergreifende Lage der Gefangenschaft im Konzentrationslager45.

Insofern kann auch ein an sich so faszinierender wie eingängiger lachtheoretischer Ansatz - Michail Bachtins sozioästhetische und volkskulturelle Erklärung46 - die besondere soziale Lage des „Zirkus Konzentrazani" nicht fassen.

IV

Ist damit nun das, was als „Zirkus Konzentrazani" von Wolfgang Langhoff unter den Bedingungen faschistischer Herrschaft in der Extremsituation im Konzentrationslager Börgermoor/Papenburg an einem Sonntagnachmittag im Frühherbst 1933 inszeniert wurde nichts weiter als ein frühes und besonders anschauliches Beispiel für ,Galgenhumor' unter Extrembedingungen ? Also - um McGhees zusammenfassende Kennzeichnung dieser Humorsorte zu bemühen - „the most extreme example of using humor to cope with distress"? Dessen Entäusserung dem einzelnen dazu verhelfen kann, „trying to go through the motions of humor in order to prevent being overtaken by the fearfulness of the Situation"47?

Und erhielte dieser „gallows humor" im „Zirkus Konzentrazani" nicht eine doppelte „soziale Funktion" - indem er nämlich einmal „die Illusion [verschaffte], dass die Unterdrückten noch einiges an Macht und Unabhängigkeit besassen, und stärkte dadurch die Widerstandskraft" und zum anderen „nicht nur als ein Indikator für die Moral der Unterdrückten, sondern auch für die Stärke der Unterdrücker" wirkte? - Brächten dann nicht gerade die im „Zirkus Konzentrazani" kommunizierten Witze und Kalauer die Lage auf den Punkt: „Wenn nämlich die Unterdrücker es sich erlauben können, diese Witze zu übersehen, ist ihre Stärke offensichtlich gross; versuchen sie aber, sie mit Gewalt zu unterdrücken, dann sind sie offenbar sehr unsicher - trotz allen Säbelrasselns"48?

Die operative Gerichtetheit des ,Galgenhumors' jedenfalls, zuallererst der so bedrohlichen wie zu bewältigenden jeweiligen extremen Lage geschuldet, ist immer praktisch bestimmt:

„Not humor-for-humor, but humor with a definite purpose - that is, to ridicule with irony, invectives, and sarcasm in order to become a means of an effective social control. This teleological character of gallows humor determines its social function, which is twofold - positive and negative. Its positive effect is manifested above all in the strengthening of the morale and the spirit of resistance of people who struggle for their individual and national survival; its negative effect (which, of course, is again something very positive from the viewpoint of the oppressed) reveals itself by its disintegrating influence among those against whom it is directed. In both instances it proves to be an extremely powerful weapon."49

In dieser soziologischen Deutung des ,Galgenhumors' durch Antonin Obrdlik, der Erfahrungen anlässlich der Besetzung der CSR 1939 durch Nazitruppen einvernimmt, scheint sicherlich ein wichtiges Moment in Gestalt der die Möglichkeiten von Humor und Witz bestimmenden (reflexiv jeweils von Unterdrückern und Unterdrückten wahrgenommenen) Lage und ihrem jeweiligen sozialen Kräfteverhältnis auf.

Und doch ist damit eine Besonderheit der im „Zirkus Konzentrazani" 1933 verbreiteten Witze und mithin auch dieser Sorte von Humor, meines Erachtens, noch nicht angemessen angesprochen: denn hier handelte es sich um bewusste, kollektiv organisierte und getragene Formen von Humor- und Witzverbreitung, die den Unterdrückten gegenüber den Unterdrückern vor allem eines sichern helfen sollten: erweiterte Aktionsräume, mit deren Hilfe das kollektive und individuelle Überleben in einer besonderen und tödlichen Gefährdungssituation allein zu bewältigen sein konnte.

So gesehen, drücken Humor und Witz im „Zirkus Konzentrazani" - aber auch die Tatsache der bewussten, kollektiven und organisierten Hervorbringung der Zirkusveranstaltung selbst unter genannten Lebens- und Kampfbedingungen - modellhaft zumindest zweierlei aus: einmal den Überlebensmut, auch mittels der humanen Entäusserungsform des Lachens gegen die an sich naheliegende Selbstaufgabe zu arbeiten; und zum anderen das situative Zutrauen, diese menschliche Gattungsfähigkeit als scheinbar einheitsstiftendes (Unterdrücker und Unterdrückte dialektisch verbindendes) Medium auch gegenüber den Vernichtungs- und Destruktionsgewalten einzusetzen, um die Unterdrückten überleben lassen zu können.

Witze, Humor, das Börgermoor-Lied wie die Inszenierung des „Zirkus Konzentrazani" waren dabei freilich immer nur Mittel zum Zweck - dem bewussten, zielgerichteten und organisiertem Kampf ums Überleben.

Richard Albrecht

Fussnoten:

*Karl Schnog, Unbekanntes KZ. Erlebtes. Luxemburg: Selbstverlag 1945, S. 12-15 (=Unbekanntes KZ 1).

1 Vgl. Eugen Kogon, Der SS-Staat. Das System der deutschen Konzentrationslager [1946]. München: Kindler 1979; Falk Pingel, Häftlinge unter SS-Herrschaft. Widerstand, Selbstbehauptung und Vernichtung im Konzentrationslager. Hamburg: Hoffmann & Campe 1978 ( = Historische Perspektiven 12).

2 Vgl. etwa Bruno Apitz, Nackt unter Wölfen (1958). Frankfurt/M.: Röderberg 1978 (m. 12 Zeichn. v. Fritz Cremer); Jorge Semprun, Le grand voyage. Paris: Gallimard 1963; Peter Edel, Die Bilder des Zeugen Schattmann. Berlin: Die Nation 1972. - Die Überlebensproblematik (coping) im KZ wurde einer breiten internationalen Öffentlichkeit v. a. durch die BGS-Verfilmung von Fania Fenelon´s Buch: „Sursis pour l'Orchestre" (1976) nahegebracht. In der Bundesrepublik Deutschland am 9./10.3. 1981 im ZDF erstgesendet.

3 Georg K. Glaser, Geheimnis und Gewalt. Ein Bericht. Stuttgart, Hamburg: Scherz & Goverts 1953, S. 501; ähnlich schon Walter Poller, Arztschreiber in Buchenwald. Ein Bericht des Häftlings 996 aus Block 39. Hamburg: Phönix-Verlag Christen & Co. 1946, S. 24-31. Vgl. auch Benedikt Kautsky, Teufel und Verdammte. Erfahrungen und Erkenntnisse aus sieben Jahren in deutschen Konzentrationslagern. Zürich: Büchergilde Gutenberg 1946, bes. S. 159-169.

4 Zum Autor vgl. Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration, Bd. II. München, New York, London, Paris 1983 (KG Saur), 2 . Halbband, S. 691 f.

5 Wolfgang Langhoff, Die Moorsoldaten. 13 Monate Konzentrationslager. Unpolitischer Tatsachenbericht. Mit zwei Illustrationen von Jean Kralik. Zürich: Schweizer Spiegel Verlag 1935 (17. Auflage); Lizenzausgabe mit einem Vorwort von Willi Dickhut bei Verlag Neuer Weg, Stuttgart 1973, 51982. - Ich habe keinen Grund, zu verschweigen, dass auch von Züricher Schauspielerkollegen Langhoffs bewusst (als ´unpolitischer Tatsachenbericht´) angelegter Erlebnisbogen im deutschen KZ oft „auf Unglauben stiess", dass „man damals selbst von Schauspielerkollegen des Verfassers die Frage [zu] hören bekam: ,Das ist doch wohl alles erfunden?'" und dass gerade der „mitleidig angesehen wurde", der betonte, „dass das dort Berichtete durchaus den Tatsachen entspräche" (Friedrich Siegmund-Schulze, Die deutsche Widerstandsbewegung im Spiegel der ausländischen Literatur. Stuttgart: Reclam 1947, S. 15f.).- Zeitgenössische Rezensenten betonten, dass der mitgeteilten Erfahrungen keineswegs ´unpolitisch´ sind und erkannten die herausragende Bedeutung des „Zirkus Konzentrazani“: Vgl. anstatt weiterer etwa A[lexander] S[tein] in: Zeitschrift für Sozialismus, 2 (1935) 20/21, S. 685-686; Hanus [Hans] Burger in: Der Gegen=Angriff, Prager Ausgabe, 3 (1935) 14, unpag. [S. 8]. – Die Authentizität des scheinbar ´unpolitischen´ Berichts von Wolfgang Langhoff mit den Kernstücken: „Zirkus Konzentrazani“ und „Moorsoldaten“-Lied(text) ist nicht nur später zahlreich bestätigt worden sowohl von zeitgenössischen Akteuren in Erinnerungs- und Memoirentexten als auch von später zeitgeschichtlich forschenden Wissenschaftlern. Für die erstgenannte Gruppe vgl. anstatt weiterer etwa: Rudi Goguel, Gedanken zum Lied der Moorsodaten; in: Sieglinde Mierau (Hrg.), Intersongs. Festival des Politischen Liedes. Berlin: Neues Leben, 1973, S. 274-279; Heinrich Goertz, Lachen und Heulen. Roman. München: List, 1982, S. 163-164; Alfred Lemmnitz, Beginn und Bilanz. Erinnerungen. Berlin: Dietz, 1984, S. 51; für die zweitgenannte Gruppe vgl. anstatt weiterer etwa Waclaw Dlugoborski (Hrg.), Zweiter Weltkrieg und sozialer Wandel. Achsenmächte und besetzte Länder. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1981 [= Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 47], hier Beiträge von Falk Pingel (S. 151-163); Krzysztof Dunin-Wasowicz (S. 164-170) und Anna Pawelczynska (S. 171-183); Elke Suhr, Die Emslandlager. Die politische und wirtschaftliche Bedeutung der Emsländischen Konzentrations- und Strafgefangenenlager 1933-1945. Mit einem Vorwort von Hermann Langbein. Bremen: Donat & Temmen, 1985, S. 144-154; dies., Konzentrationslager – Justizgefangenenlager – Kriegsgefangenenlager im Emsland 1933-1945; in: Ludwig Eiber (Hrg.), Verfolgung – Ausbeutung – Vernichtung. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Häftlinge in deutschen Konzentrationslagern 1933-1945. Hannover: Fackeltäger, 1985, S. 66-89, hier besonders S. 85-88, mit an Karl Schnog (1945) angelehnten Hinweisen auf besonderen „Lagerhumor“, der die „geistige Überlegenheit“ der Gefangenen verdeutlichen sollte, ihre galgenhumoristisch-sarkastischen Sprüche („Ich hoffe das Beste, aber ich bin auf das Schlimmste gefasst“) als Medien sowohl zur Wahrung/Entwicklung individuellen Selbstbewusstseins als auch Voraussetzung für gemeinschaftliches Handen. – Einen entscheidenden Hinweis auf die Authentizität von Wolfgang Langhoffs Bericht fand ich schon v o r Publikation der Erstausgabe des Langhoff-Buchs im Frühherbst 1934 in einer anonymen Broschüre bestätigt: Als sozialdemokratischer Arbeiter im Konzentrationslager Papenburg. Mit einem Vorwort von Willi Bredel; Moskau: Verlagsgenossenschaft ausländischer Arbeiter in der UdSSR, 1935, 74 p.; Seiten 37-30 und 34-36 werden „Moorsoldaten“-Lied und „Zirkus Konzentrazani“ vorgestellt. Bredels Vorwort (S. 3-7) datiert September 1934.

6 Vgl. Klaus Hinrichs, Staatliches Konzentrationslager VII. Eine „Erziehungsanstalt" im Dritten Reich. London: Malik 1936.

7 Vgl. Wolfgang Langhoff, Die Moorsoldaten. 13 Monate Konzentrationslager. München: Zinnen-Verlag Kurt Desch o.J. (1946).

8 Richard Albrecht, Paul Zech zum Beispiel. Zu einigen Problemen der Aneignung antifaschistischer Exil-Literatur anlässlich des Romans „Deutschland, dein Tänzer ist der Tod". In: Sammlung. Jahrbuch für antifaschistische Literatur und Kunst 5 (1982), S. 123-133, hier S. 130.

9 „Es musste mir doch gelingen" - schreibt Langhoff (Die Moorsoldaten [1946], S. 289f.), „nachdem jetzt einigermassen Gras über die Sache gewachsen war, irgendwo unterzukommen! ... Ich wusste, was ich [als Schauspieler und Regisseur] wert war und vertraute meiner Kraft und meinem Optimismus. Überall, wo ich hinkam, misstrauische, zurückhaltende Gesichter ... Ich versuchte, private Beziehungen zu Bühnenleitern wieder aufzunehmen. Umsonst. Es ist unmöglich, ein Engagement zu bekommen. Auch beim Film ist nichts zu machen ..." - Vgl. auch zu dieser Ausgrenzung und Ächtung ebd., S.66, und Georg Glasers Beispiel zur Erklärung ihrer Wirkung (Geheimnis und Gewalt, S. 332 f.).

10 Abgedruckt in: Inge Lammel (Hrsg.), Das Arbeiterlied. Frankfurt/M.: Röderberg 1974 (= Röderberg-Taschenbuch 10), S. 200f., wobei die Herausgeberin dieses Lied als „hervorragendstes Beispiel“ neuer (Marsch-) Lieder, die in KZs entstanden und als Ausdruck des antifaschischen Kampfs 1933-1945, bewertet (S. 74). Ähnlich Krzysztof Dunin-Wasowicz, Resistance in the Nazi Concentration Camps 1933-1945. Warszawa: PWN, 1982, mit Hinweis, dass „Zirkus Konzentrazani“ mit dem „Moorsoldaten“-Lied überhaupt eines der ersten künstlerischen Ereignisse in deutschen KZs war. Der „Moorsoldaten“-Liedtext auch in Hein & Oss Kröher (Hrsg.), Das sind unsere Lieder. Ein Liederbuch. Frankfurt/M.: Büchergilde Gutenberg 1977, Lied 192, und in: Thomas Friz; Erich Schmeckenbacher (Hrsg.), Es wollt ein Bauer früh aufstehn ... 222 Volkslieder. Dortmund: pläne 1978, S. 402 f.

11 Vgl. Paul E. McGhee, Humor - its Origin and Development. San Francisco: W. H. Freeman 1979, S. 227-234.

12 Vgl. Björn Ekmann, Wieso und zu welchem Ende wir lachen. Zur Abgrenzung der Begriffe komisch, ironisch, humoristisch, witzig und spasshaft. In: Text & Kontext, 9 (1981) I, S. 7-46; vgl. auch den sprachgeschichtlichen Diskurs von Karl-Otto Schütz, Witz und Humor. In: Europäische Schlüsselwörter, Bd. I; München: Max Hueber 1963, S. 161-244.

13 Vgl. Andre Jolles, Einfache Formen. Legende - Sage - Mythe - Rätsel - Spruch - Kasus - Memorabile - Märchen - Witz (1930). Tübingen: Max Niemeyer 51974, S. 247-261.

14 Vgl. Hermann Bausinger, Formen der „Volkspoesie" (1968). Berlin: Erich Schmidt, 21980 (= Grundlagen der Gemanistik 6), S. 137-149.

15 Vgl. Hans Speier, Force and Folly. Essays in Foreign Affairs and the History of Ideas. London, Cambridge (Mass.): M.I.T.-Press, S. 180-185; ders., Über den politischen Witz. In: Freiburger Universitätsblätter 11 (1972), 36, S. 13-26; ders., Witz und Politik. Essay über die Macht und das Lachen. Zürich: Edition Interfrom 1975 ( = Texte und Thesen 58).

16 Vgl. Ernst Friedrich (Hrsg.), Man flüstert in Deutschland. Die besten Witze über das dritte Reich. Paris, Prag: Kultur-Verlag 1934, 2 Hefte; Jörg Willenbacher (i. e. Franz Osterroth), Deutsche Flüsterwitze. Das Dritte Reich unterm Brennglas. Karlsbad: ,Graphia' 1935 ( = Braunes Deutschland: Bilder aus dem Dritten Reich, 2); Otto Hoffmann (Hrsg.), Witze, Karikaturen und andere Ergötzlichkeiten aus dem III. Reich. Cassarate: Libreria Internazionale 21935; Paul Range, Der Flüsterwitz. In: Aufbau 2 (1946), 2, S. 214-220; Hans-Jochen Gamm, Der Flüsterwitz im Dritten Reich (1963). München 21979 ( = dtv 1552); Max Vandrey, Der politische Witz im Dritten Reich. München: Goldmann 1967 ( = Gelbe Taschenbücher 1085).

17 Vgl. Georg Simmel, The Sociology of Secret and of the Secret Society. In: American Journal of Sociology 11 (1905/6), S. 441-498; wiederaufgenommen in ders., Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung. Leipzig: Dunker & Humbolt 1908, S.257-304 [Gesammelte Werke 2, 41958]; Vilhelm Aubert, The Hidden Society. Totawa (N.J.): Bedminster Press 1965.

18 Vgl. anstatt vieler grundlegend Sigmund Freud, Humor (1928). In: ders., Gesammelte Werke, Bd.XIV. London: Imago 1948, S. 383-389; zusammenfassend vgl. Jacob Levine, Humor. In: International Encyclopedia of the Social Sciences, vol. VII; New York: MacMillan 1968, S. 1-8.

19 Gunnar Myrdal, An American Dilemma. New York: Harper 1944, S. 38 f.

20 Ich zitiere parallel aus allen vorliegenden Ausgaben von „Die Moorsoldaten": a) der Erstausgabe 1935; b) den beiden textidentischen Nachdrucken m.e. Vorwort v. Willi Dickhut (Stuttgart: Neuer Weg 1973, 51982; c) dem Faksimile-Nachdruck der 9. Auflage der Erstausgabe (Frankfurt/M : Röderberg 51981) - jeweils zit. als: 1935 mit Seitenangabe - und d) der Nachkriegsausgabe ohne Untertitel - zit. als: 1946 mit Seitenangabe; vgl. o., Anm. 5 und 7 mit den genauen Angaben der Ausgaben von 1935 und 1946. Rasch nach der Züricher Erstausgabe erschienen englische Übersetzungen: Wolfgang Langhoff, Rubber Truncheon. Being an account of thirteen months spent in a concentration camp. Translated from the German by Lilo Linke, with a foreword by Lion Feuchtwanger. London: Constable & Co. 1935; New York: E.P. Dutton & Co. 1935; französische Ausgabe: Paris 1935, latinospanische Ausgabe: Buenos Aires 1939; - die zweite deutsche Nachkriegsausgabe (Berlin: Aufbau 1947) lag mir nicht vor.

21 Langhoff, Moorsoldaten, 1935, 175; 1946, 155; in diesem KZ waren 1933 überwiegend Kommunisten, aber auch einzelne prominente Sozialdemokraten wie z.B. Carl Mierendorff und Wilhelm Leuschner politische Gefangene der Nationalsozialisten

22 Ebd.; - die Furcht vor der Nazi-Propaganda, die Langhoff hier anspricht, war nicht unberechtigt; vgl. als Beispiel den Erlebnisbericht des sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Gerhard Seeger, Oranienburg. Karlsbad: ,Graphia' 1934 ( = Probleme des Sozialismus. Sozialdemokratische Schriftenreihe, Nr. 5) und das Nazipropagandabuch gegen Seegers Broschüre von [Werner] Schäfer, Konzentrationslager Oranienburg. Das Anti-Braunbuch über das erste deutsche Konzentrationslager. Berlin: Buch- und Tiefdruckgesellschaft mbH./Abt. Buchverlag o. J. (1934).

23 Langhoff, Moorsoldaten, 1935, 178f.; 1946, 157 f.

24 Ebd., 1935, 180; 1946, 160.

25 Ebd., 1935, 179f.; 1946, 158 f.

26 Ebd., 1935, 182; 1946, 161.

27 Ebd., 1935, 183, 1946, 162.

28 Ebd., 1935, 182; 1946, 161.

29 Wolfgang Langhoff kommentieret die Zwiespältigkeit der Lage so: „Würde unser Zirkus nicht noch im letzten Moment verboten werden ? - Es lässt sich schwer beschreiben, welche Stimmung uns alle ergriffen hatte. Man muss die ganze Situation berücksichtigen, in der wir lebten. Die S.S. kam sozusagen zu uns als Gast! Wir, die wir nicht mehr das Leben von Menschen führten, hatten es gewagt, für einige Stunden über uns selbst zu bestimmen, ohne Befehle, ohne Anweisungen, ganz so, als ob wir unsere eigenen Herren wären und als ob so eine Einrichtung wie Konzentrationslager nicht existierte! Dieses Gefühl war in der Masse der Zuschauer deutlich spürbar." (ebd., 1935, 182; 1946, 161 f.)

30 Langhoff, Moorsoldaten, 1935, 183; 1946, 163.

31 Zuerst veröffentlicht ebd., 1935, 191.

32 Ebd., 1935, 193; 1946, 172.

33 Ebd.

34 Ebd., 1935, 194; 1946, 173.

35 Ebd., 1935, 184f.; 1946, 164.

36 Auch wenn es sich um besondere Witzsorten wie den in der beschriebenen Lage aufgrund von Adressatenbezug und Rezeptionshorizont unumgänglichen ,Kalauer' handelt, benutze ich weiter die allgemeine Gattungsbezeichnung - es geht mir um eine Modellanalyse der sozialen Situation und nicht um einen Beitrag zur Typologie von Witzsorten.

37 Langhoff, Moorsoldaten, 1935, 189; 1946, 168.

38 Ebd., 1935, 185f.; 1946, 164f.

39 Vgl. z. B. die politische Rhetorik im NSDAP-Wahlaufruf zur Reichstagswahl am 14.9. 1930; in: Reichstagshandbuch 1930. V. Wahlperiode. Berlin: Reichstagsdruckerei 1931, S. 156-171.

40 Langhoff, Moorsoldaten, 1935, 186; 1946, 165.

41 Vgl. Heinrich Lützeler, Philosophie des Kölner Humors. Honnef: Peters 101955 (= Die Rheinbücher, Neue Folge); Herbert Schöffler, Kleine Geographie des deutschen Witzes. M. e. Nachwort v. Helmuth Plessner. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1955 (= Kleine Vandenhoeck-Reihe 9, 21970).

42 Langhoff, Moorsoldaten, 1935, 186f.; 1946, 166.

43 Dieser Gesichtspunkt bezielt eine der ,klassischen' sozialen Funktionen des Witzes und des Humors, nämlich Spannungsabbau und Anomiereduktion; vgl. u. a. Rose L. Coser, Some Social Functions of Laughter: A Study of Humor in a Hospital Setting. In: Human Relations 12 (1959), S.171-182; dies., Laughter Among Colleages. In: Psychiatry 23 (1960), S. 81-89; Charles Winnick, Space Jokes As Indicator of Attitudes Toward Space. In: Journal of the Social Issues 17 (1961), S. 43-49; Christie Davis, Ethnic Jokes, Moral Values and Social Boundaries. In: British Journal of Sociology 33 (1982), S.383-403.

44 Vgl. F. W. Wertheim, Society As a Composite of Conflicting Value Systems. In: ders., East-West Parallels. Chicago: Quadrangle Books 1965, S. 23-39.

45 Als Rache für eine witzige Bemerkung des im „Zirkus Konzentrazani" auftretenden prophetischen „Storchs" - berichtet Langhoff - „hat uns der Scharführer in der Nacht um 1 Uhr aus den Betten geschmissen und mit uns rumexerziert. Von wegen der ,Autorität'!" (Moorsoldaten, 1935, 188 f.; 1946, 168)

46 Vgl. Michail Bachtin, Rabele i Gogol. In: ders., Voprossy literatury i estetiki. Moskva 1975, S. 484-495.

47 McGhee, Humor, S. 232.

48 Anton C. Zijderveld, Humor und Gesellschaft. Eine Soziologie des Humors und des Lachens. Graz, Wien, Köln: Styrial 1976, S. 187 (zuerst 1971 [niederländisch]); vgl. auch ders., Jokes and Their Relations to Social Reality. In: Social Research 35 (1968), S. 286-311.

49 Antonin Obrdlik, „Gallows Humor” - A Sociological Phenomenon. In: American Journal of Sociology 47 (1942), S. 709-716, hier S. 716. – Spätere Deutungen zum Zusammenhang von Witzen und (Galgen-) Humor zum Überleben unter extrembelastenden Erschwernisbedingungen in deutschen KZs auch bei Anna Pawelczynsla, Values and Violence in Auschwitz. A Sociological Analysis, translated and with an introduction by Catherina S. Leach. Berkeley etc.: UCP, 1979, hier S. 119-120 und S. 126-132; sowie bei Victor E. Frankl, ... trotzdem Ja zum Leben sagen. Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager. Mit einem Vorwort von Hans Weigel. München: Kösel, 1978², S. 16-148.