Nur Papiertiger? Die „neue“ deutsche Afrikapolitik

Politik

15. März 2017

Die deutschen Pläne zur Förderung der Entwicklung in Afrika und zur Bekämpfung von Fluchtursachen drohen bereits im Ansatz zu scheitern. Denn Deutschland ist weder bei der Bekämpfung der Steueroasen, noch bei einer fairen Handelspolitik oder der Förderung von Good Governance als Vorreiter anzusehen.

Afrikanische Flüchtlinge im Mittelmeer, August 2016.
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Afrikanische Flüchtlinge im Mittelmeer, August 2016. Foto: CSDP EEAS (PD)

15. März 2017
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Afrika steht im Zentrum der deutschen G20-Präsidentschaft. Mit neuen Partnerschaften (Compacts with Africa) sollen die Investitionsbedingungen in ausgewählten afrikanischen Ländern verbessert und dadurch deutsche Unternehmen auf den Kontinent gelockt werden. Zudem hat Entwicklungsminister Gerhard Müller (CSU) vor Kurzem seinen Marshallplan mit Afrika vorgestellt. Müllers Plan geht über die Investitionsförderung hinaus. Er will auch „schädliche Exporte nach Afrika [stoppen], die aufkeimende Industrien zerstören“. Ebenso plant Müller, unlautere Finanzströme zu bekämpfen, die Afrika Milliardensummen kosten. Doch Müller fordert auch verstärkte Anstrengungen von Seiten der afrikanischen Partner. Er fordert „gute Regierungsführung“.

Die deutschen Pläne für Afrika basieren grösstenteils auf neoliberalen Grundannahmen, die schon in der Vergangenheit kaum Erfolge gezeitigt haben. Doch das ist nicht der einzige Mangel der neuen Entwicklungspläne. Es fehlt der „neuen“ deutschen Afrikapolitik auch an politischer Kohärenz, sodass die Pläne in vielen Bereichen Papiertiger zu werden drohen.

Kampf gegen Steuervermeidung – Deutschland kein Vorreiter

Die afrikanischen Staaten verlieren laut Schätzungen der UN jährlich etwa 50 Milliarden US-Dollar durch unlautere Finanzflüsse (Illicit Financial Flows). Legt man dem Schätzungen der OECD zugrunde, machen „kommerzielle Transaktionen“, also Steuervermeidung und -hinterziehung durch meist internationale Firmen, circa 30 Milliarden US-Dollar dieser Finanzflüsse aus. Die unlauteren Finanzflüsse sind höher als die offizielle Entwicklungshilfe, die in die Länder fliesst.

Durch die Panama Papers hat auch die internationale Politik dieses Problem erkannt. Die Bundesregierung und allen voran das Bundesfinanzministerium sehen sich als Vorreiter im Kampf gegen die Steuervermeidung. Doch Deutschlands eigene Strukturen und das Verhalten der Bundesregierung in internationalen Foren sowie der EU widersprechen dieser kühnen Behauptung.

So gilt Deutschland unter Experten des Netzwerk Steuergerechtigkeit wenn schon nicht als klassische Steueroase, so doch zumindest als einer der grössten Schattenfinanzplätze der Welt. Im Schattenfinanzindex, in den sowohl die Steuergesetze und Transparenzregeln eines Staates als auch sein Anteil an den grenzüberschreitenden Finanzdienstleistungen gewichtet einfliessen, liegt Deutschland auf Rang 8. Laut den Experten sei Deutschland „ein sicherer Hafen für die gestohlenen Reichtümer von Diktatoren, Steuerfluchtgelder und Mafiavermögen aus aller Welt“. So tauchten beispielsweise nach dem Sturz von Mubarak, Ben Ali und al-Gaddafi mehrere Milliarden US-Dollar in Deutschland auf, die diese Herrscher illegal ausser Landes gebracht hatten. Dies wirft die Frage auf, wie diese Gelder überhaupt von den deutschen Behörden unentdeckt nach Deutschland gelangen konnten.

Darüber hinaus hat Deutschland eine Vielzahl von restriktiven Doppelbesteuerungsabkommen mit Ländern des globalen Südens abgeschlossen. Solche bilateralen Abkommen bestimmen, welches der beiden unterzeichnenden Länder ein internationales Unternehmen besteuern darf. Ihr Zweck ist es, eine doppelte Besteuerung sowohl im Herkunfts- als auch im Gastland zu vermeiden. Viele dieser Abkommen werden als unfair eingestuft, da sie häufig zu Ungunsten von ärmeren Ländern gestaltet sind. Die Länder des globalen Südens müssen in vielen Fällen grössere Teile ihrer Steuerhoheit abgeben als die reicheren Länder. In einer Auflistung von ActionAid liegt Deutschland auf Rang zwei bei der Anzahl an sehr restriktiven Steuerabkommen, die die Steuerhoheit der Partnerländer stark einschränken.

Zwar ist Deutschland bereit, sogenannte Anti-Missbrauchsregeln in diese problematischen Steuerabkommen aufzunehmen. Aber laut Experten gehen diese Anti-Missbrauchsregeln am Problem vorbei. Denn es ist für die Länder des globalen Südens äusserst schwierig nachzuweisen, dass sich die Unternehmen Schlupflöchern bedient haben, um Steuern zu vermeiden. Genau diesen Nachweis müssten die Länder aber erbringen, um die Anti-Missbrauchsregeln anwenden zu dürfen. Generell fehlt es in der deutschen Politik am richtigen Bewusstsein für die Problematik, dass Unternehmen Doppelbesteuerungsabkommen nutzen, um ihre Steuerzahlungen so gering wie möglich zu gestalten.

Auch bei Bemühungen, die unlauteren Finanzflüsse durch mehr Transparenz zu bekämpfen, gilt Deutschland unter Experten eher als Bremser. So haben sich knapp 100 Länder auf OECD-Ebene darauf geeinigt, dass Unternehmen ihre Aktivitäten (Gewinn, Steuern, wirtschaftliche Aktivität) für die jeweiligen Länder aufgeschlüsselt in regelmässigen Berichten zusammenfassen müssen. Diese Berichte werden dann den Steuerbehörden der Länder zur Verfügung gestellt und untereinander ausgetauscht. Allerdings wehrt sich Deutschland vehement gegen die Bemühungen einiger Staaten, diese Berichte auch der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Experten befürchten, dass diese Intransparenz zum Nachteil der Länder des globalen Südens geht und sie vom Informationsaustausch ausgeschlossen werden.

Forcierter Freihandel statt fairem Handel

Am deutlichsten zeigt sich der Gegensatz zwischen dem Marshallplan mit Afrika und der politischen Realität in der Handelspolitik mit afrikanischen Staaten. Minister Müller spricht zwar von fairem Handel und der Eindämmung schädlicher Exporte. Doch in der Praxis handeln Deutschland und die EU Freihandelsabkommen mit Afrika aus, die die Chancen afrikanischer Staaten eher mindern werden. So kritisiert selbst Günter Nooke, Afrika-Beauftragter der Kanzlerin:

«Man sollte nicht mit den Wirtschaftsverhandlungen auf der einen Seite kaputt machen, was man auf der anderen Seite als Entwicklungsministerium versucht aufzubauen.»

Nooke geht sogar so weit, ein Moratorium für die EPA-Verhandlungen von mindestens 20 Jahren zu fordern.

Die neuen Handelsabkommen mit afrikanischen Staaten (Economic Partnership Agreements – EPAs) sollen ein System von Handelsvorteilen ersetzen, welches die EU den ärmsten afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten gewährt hatte. Die EU gestattete diesen Staaten dabei den zoll- und quotenfreien Zugang zum EU-Markt, ohne selbst auf die Öffnung der Märkte ihrer ärmsten Handelspartner zu bestehen. Mit den EPAs wird diese Vorzugsbehandlung beendet. Afrikanische Staaten sollen unter den EPAs 80% ihres Marktes für europäische Güter öffnen und dürfen keine nennenswerten Zölle mehr erheben. Die EU gewährt diesen Staaten mit den EPAs nur noch einen Handelsschutz, d.h. die Möglichkeit der Abschottung ihrer Märkte für 20% aller Produktlinien.

Doch dieser Handelsschutz für nur 20% aller Produktlinien ist für eine „Entwicklung“ der Länder des globalen Südens nicht ausreichend. Einer Studie zufolge sind die afrikanischen Staaten nicht bei 80% ihrer Produkte wettbewerbsfähig, sondern lediglich bei 15 bis 35% (je nach Region). Das bedeutet, dass die EU gegenüber den afrikanischen Partnerländern bei 50 bis 80% aller Güter einen Wettbewerbsvorteil hat (1). Da die EPAs zunehmend ratifiziert werden, droht den afrikanischen Staaten der Verlust von Marktanteilen in all diesen Industrien. Tausende Produzenten stehen vor dem Ruin, Arbeitsplätze werden verloren gehen. Zudem wird es für die afrikanischen Staaten in vielen Industriesektoren unter den EPAs noch schwieriger, Fuss zu fassen und eigene Produktionskapazitäten aufzubauen. Dies ist genau das Gegenteil einer Schaffung der von deutschen Ministern derzeit so häufig zitierten Lebens- und Bleibeperspektiven.

Gute Regierungsführung fordern und gleichzeitig mit Diktatoren kooperieren

Auch bei der Auswahl der Partnerländer kollidiert Müllers Marshallplan mit der Wirklichkeit deutschen Regierungshandelns. So will Müller eine intensive „Reformpartnerschaft“ mit denjenigen Ländern eingehen, die Rechtssicherheit schaffen, Menschenrechte gewährleisten und Korruption bekämpfen. Drei Ziele, die als „gute Regierungsführung“ firmieren.

Doch in Wahrheit kooperieren Deutschland und die EU auch mit Regimen, die Menschenrechte missachten und Flüchtlinge einsperren. So schlug Deutschland Ägypten für eine EU-Migrationspartnerschaft vor und berät dort Grenzpolizisten für eine „menschenrechtsgerechte Praxis“. Gleichzeitig betreibt Ägypten 64 Migrantenknäste. Die Flüchtlinge werden eingesperrt und kriminalisiert, damit sie nicht in Europa ankommen können. Deutschland kooperiert also mit einem Staat, der die Menschenrechte von Geflüchteten missachtet.

Selbst mit dem wegen mutmasslichen Völkermords international gesuchten sudanesischen Präsidenten Al-Bashir kooperiert die EU. Wie die taz berichtet, erwägt die EU „für Sudan die Erlassung aller Schulden, will sich bei den USA für die Streichung des Landes von der US-Terrorliste einsetzen und bei der Welthandelsorganisation für neue Gespräche.“

Sogar mit Eritrea, einem Land, das als Nordkorea Afrikas bezeichnet wird, kooperiert die EU. Das von der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) geleitete „Better Migration Management“-Programm bildet in Nachbarstaaten Eritreas eritreische Grenzbeamte aus. Anfang 2016 hat die EU 200 Millionen Euro an Entwicklungshilfegeldern für Eritrea zugesagt. Dieses Geld fliesst ohne Vorbedingungen und in der Hoffnung, dass die eritreische Regierung Reformen umsetzt. Während mehr als 70% der eritreischen Flüchtlinge einen Flüchtlingsschutz gemäss der Genfer Konvention erhalten, die Bundesregierung also über die politische Verfolgung und die schlechten Menschenrechtsstandards in Eritrea weiss, wird gleichzeitig das eritreische Regime mit Entwicklungshilfegeldern unterstützt und legitimiert.

Und auch mit Libyen will die EU ihre Kooperationen verstärken – und wird von Deutschland nicht aufgehalten. So soll die zentrale Mittelmeer-Route geschlossen werden. Flüchtlinge müssten dann in Libyen bleiben. Dabei herrschen in libyschen Flüchtlingslagern „KZ-ähnliche Zustände“ wie deutsche Botschaftsangehörige berichten. „Exekutionen nicht zahlungsfähiger Migranten, Folter, Vergewaltigungen, Erpressungen sowie Aussetzungen in der Wüste sind dort an der Tagesordnung“, so die Diplomaten. Mit einem Staat wie Libyen zu kooperieren, in dem jegliche staatliche Strukturen fehlen und die Flüchtlinge in Privatgefängnissen der Schlepper leben, widerspricht jeglicher guten Regierungsführung, die Deutschland im Marshallplan von seinen Partnern einfordert.

Generell ist festzuhalten: Wer auf der einen Seite gute Regierungsführung fordert, sollte sich auf der anderen Seite beim sogenannten „Grenzmanagement“, also den Versuchen, Flüchtlinge von ihrem Vorhaben abzubringen, nicht auf Regime verlassen, die die Menschenrechte mit Füssen treten.

Fazit

Es reicht nicht, nur Investitionsbedingungen verbessern zu wollen. Damit afrikanischen Staaten eine realistische Entwicklungschance haben, bedarf es auch einer faireren Handelspolitik, der Überwindung von Strukturen, die Steuerflucht und Steuervermeidung erst ermöglichen. Es bedarf politischem Druck gegenüber Diktatoren, die ihre eigene Bevölkerung zur Flucht geradezu zwingen, statt einer Zusammenarbeit mit solchen Regimen.

Sollen die deutschen Pläne zur Förderung der Entwicklung in Afrika und zur Bekämpfung von Fluchtursachen keine Papiertiger werden, muss Deutschland einen Kraftakt leisten. Es müsste sich auf EU-Ebene dafür einsetzen, dass die EPAs nachverhandelt und fairer gestaltet werden, es muss seine Blockadehaltung bei der Bekämpfung von Steuerflucht und Steuervermeidung überwinden und es muss legale Einreisemöglichkeiten für Flüchtlinge schaffen.

Nico Beckert
zebralogs.wordpress.com

Fussnoten:

(1) In einigen Wirtschaftssektoren sind die europäischen und afrikanischen Unternehmen ungefähr gleich wettbewerbsfähig. Dementsprechend addieren sich die Zahlen nicht zu 100%.