Besorgniserregendes aus einer sog. Sammlungsbewegung „Aufstehen“ & Realsatire

Politik

4. Dezember 2018

Auf dem Start- und Zielplatz der grossen Demonstration „Kohle stoppen! Klimaschutz jetzt! Tempo machen beim Kohleausstieg!“ (https://www.klima-kohle-demo.de/) am 1.12. in Berlin stand ein Tisch der „Aufstehen“ genannten Initiative. Auf diesem Tisch befand sich ausser Kuchen und warmen Getränken genau e i n Informationsangebot: ein Flugblatt.

Logo der (linken) deutschen Sammlungsbewegung aufstehen.
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Logo der (linken) deutschen Sammlungsbewegung aufstehen. Foto: Unknown (PD)

4. Dezember 2018
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Bei einer „Bewegung“, die als eigenständige Formation n e b e n allen anderen schon bestehenden Gruppen auftritt, wäre anzunehmen, dass sie viele gute Argumente und Positionen hat und diese unter die Leute bringen will. Zur Umweltproblematik aber enthielt das auf der Anti-Kohle-Demonstration ausgeteilte Flugblatt keinerlei inhaltliche Stellungnahme. Ebenso enttäuscht ist der Leser, wenn er sich irgendeine Auskunft zu den ökonomischen Zielvorstellungen von ‚aufstehen' erwartet.

Nichts ist bspw. zu lesen von Sahra Wagenknechts Plädoyer für „eine solide und soziale Politik in Deutschland und Europa, die seriöse und risikolose Geldanlagen mit einer angemessenen Rendite für alle wieder möglich macht. … In Merkels Niedriglohnparadies Deutschland hat sogar jeder zweite Bürger kein Vermögen mehr und kann nichts ansparen, geschweige denn in Aktien investieren“ (Berliner Zeitung 4.8.2018). Dem Aktionärstraum (Aktien sollen sicher sein) entsprächen Forderungen nach Atomstrom ohne Strahlung oder nach Arbeitsplätzen in der Kohleförderung bei gleichzeitigem Verzicht auf Kohleverfeuerung.

Der Leser des Flugblatts hätte auch erwarten können, etwas über die verkehrspolitischen Vorstellungen von ‚aufstehen' zu erfahren. Plädiert ‚aufstehen' für ein Verkehrssystem, in dem die Bahn und der öffentliche Personen„nah“verkehr, öffentlich subventionierte (Sammel-)Taxis, car-sharing u. ä. den Vorrang haben? Oder versteht sich ‚aufstehen' als Autofahrerpartei? Wertet ‚aufstehen' den Protest gegen die Höhe der Steuern für Autobenzin als unterstützenswerte soziale Bewegung? „Die Vorsitzende der LINKEN im Bundestag, Sahra Wagenknecht, begrüsst die französische Protestbewegung ‚Gelbe Westen' und sieht sie als Vorbild auch für Deutschland. ‚Ich finde es richtig, wenn Menschen sich wehren und protestieren, wenn die Politik ihr Leben verschlechtert – die Benzinpreiserhöhungen sind gerade für Pendler existenziell', sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. In Deutschland könne man davon lernen. ‚Wir lassen uns viel zu viel von schlechten Regierungen gefallen.'“ https://www.neues-deutschland.de/artikel/1106835.proteste-in-frankreich-wagenknecht-lobt-gelbe-westen.html 29.11.

Dass Franzosen gegen ihrer Auffassung nach zu hohe Benzinpreissteuern „aufstehen“, sei also vorbildlich. Über den Inhalt des Protestes gegen „schlechte Regierungen“ enthält das zitierte Statement von S. Wagenknecht keine Aussage. An anderer Stelle des Artikels aus dem „Neuen Deutschland“ heisst es: „Wagenknecht sagte, die Proteste im Nachbarland seien weder links noch rechts.“ Die implizite Maxime lautet also: Egal, ob rechts, links oder keines von beidem – Hauptsache Kampf! Diese Vorgehensweise würde es erlauben, Demonstranten zu loben, die in der Migrationspolitik das zentrale Problem von Deutschland sehen. Schliesslich gilt auch für AfD-Anhänger: Sie lassen sich von „schlechten Regierungen“ nicht alles „gefallen“.

Das am 1. 12. von ‚aufstehen'-Anhängern verteilte Flugblatt fügt dieser inhaltsleeren Herangehensweise das Bekenntnis zu Sahra Wagenknecht hinzu. Im Flublatt heisst es:

„Was ist das Besondere an ‚aufstehen'? Wodurch zeichnet sich unsere Sammlungsbewegung aus? Wir haben lange darüber diskutiert, und unsere Antwort darauf ist: es ist die besondere Rolle und Beteiligung der Frauen, und es ist die besondere Bedeutung der sozialen Fähigkeiten, die sonst klischeehaft allein Frauen zugeschrieben werden.

Zum ersten: jeder Mann, der bei ‚aufstehen' mitarbeitet, weiss, dass er EINE FRAU NÄMLICH SAHRA WAGENKNECHT ALS CHEFIN (BITTE UM VERZEIHUNG, NATÜRLICH: GRÜNDERIN) VOR SICH HAT, DIE MIT IHREM MUT, IHRER KLARHHEIT UND IHRER POLITISCHEN INTELLIGENZ DIESE SAMMLUNGSBEWEGUNG ERST MÖGLICH GEMACHT HAT. Gleichzeitig arbeitet sie auch noch in aller Öffentlichkeit mit anderen starken, mutigen und genau intelligenteren (sic!) Frauen wie Simone Lange, Sevim Dagdelen oder Daniela zusammen. Was für eine Abweichung vom Normalbild der Politik als (womöglich noch blutigem) Männergeschäft!“ (Die Hervorhebung durch Grossbuchstaben stammt von mir – Verf.)

Die Werbung für eine Gruppe mit dem Argument, in ihr hätten Frauen einen prägenden Einfluss, sagt wenig aus über den I n h a l t, den die MitgliederInnen dieser Gruppe vertreten. Gewiss lässt sich von e i n e m missglückten Flugblatt nicht auf eine Gruppe insgesamt schliessen. Zumal es sich bei dem Text nicht um eine Veröffentlichung der „Zentrale“ dieser Gruppe handelt, sondern um eine selbstorganisierte Initiative von einigen ‚aufstehen'-Mitgliedern (aus den Berliner Bezirken Tempelhof und Spandau).

Zur Klärung der Frage, was für Mentalitäten bei Anhängern von ‚aufstehen' existieren, bietet die mit Grossbuchstaben hervorgehobene Passage allerdings e i n e n Beitrag. Im Sinne eines worst case ist diese Passage symptomatisch. Wir haben deshalb das Gespräch am Informationsstand gesucht, um zu erfahren, ob sich hier vielleicht bösartige Gegner von ‚aufstehen' einen Spass machen. Das Ergebnis lautete: Kein fake. Alles authentisch.

PS: Eine gediegene politologische Analyse von „aufstehen“ legt Lia Becker vor: Die Linke vor der Hegemoniefrage. In: Sozialismus Heft 12/2018. https://www.sozialismus.de/detail/artikel/die-linke-vor-der-hegemoniefrage/ L. Becker weist darauf hin, dass die Beteiligung bei Aktionen von „aufstehen“ bisher im Vergleich zur „unteilbar-Demonstration“ („Solidarität statt Ausgrenzung“) vom 13.10. 2018 (240.000 Teilnehmer) nicht einmal 1 Prozent erreichte. Becker analysiert die „realpolitisch“ mageren Erfolgschancen dieses Projekts und schildert das strategische Vorhaben mancher „Köpfe“ des Arbeitsausschusses von „aufstehen“.

Becker zitiert Heiner Flassbeck: „Für eine Partei links von der SPD bedeutet das, dass sie einen Godesberg-Moment braucht, um wirklich etwas verändern zu können, also das explizite Eingeständnis, dass Systemüberwindung nicht zu ihrem Programm gehört. Nur wenn sie eine wirkliche und realitätsnahe Alternative bietet, kann sie für breite Schichten wählbar werden und eine reformunfähige und ohnehin am Abgrund taumelnde SPD endgültig aus dem Rennen werfen.“ An der „Linkspartei“ wird kritisiert, ihr fehle bislang dieses „Godesberg-Moment“, Teile von ihr hätten eine zu linke Ausdrucksweise.

Meinhard Creydt

Fussnoten:

[1] „Ein Grund für die geringe Dynamik ist die zentralisierte und bisher auch weitgehend undemokratische Organisationsstruktur. Es handelt sich weniger um eine basis-demokratische Bewegung als um eine von oben organisierte, plebiszitäre Struktur. Nur bisher haben die Social-Media-Befragungen und Diskussionen kaum Einfluss und keine bindenden Entscheidungsbefugnisse. Die Initiative ‚Aufstehen' wird bislang von einem sehr kleinen Kreis von Entscheidungsträgerinnen geführt: Beratungen finden in einem nicht gewählten Arbeitsausschuss statt, der 22 Personen umfasst“ (Lia Becker).