„Alle möglichen diplomatischen Massnahmen“ – vom Drohen und Verhandeln Der Kampf um die Ukraine geht weiter

Politik

14. November 2014

Es war im Dezember 2013, kurz nachdem die DemonstrantInnen von Maidan zum ersten Mal versucht haben die Gebäude der Administration des ukrainischen Präsidenten einzunehmen.

Bewaffnete Kämpfer der Volksrepublik Lugansk im Juni 2014.
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Bewaffnete Kämpfer der Volksrepublik Lugansk im Juni 2014. Foto: Qypchak (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

14. November 2014
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Da wendeten sich über 600 Privatpersonen und Organisationen mit einem „Offenen Brief von Ukrainern in Deutschland und Freunden der Ukraine“ an die Bundeskanzlerin und an die Öffentlichkeit: „Wir wenden uns an die deutsche Regierung mit der dringenden Bitte, alle möglichen diplomatischen Massnahmen zu ergreifen, um eine weitere Gewalteskalation in Kiew zu verhindern und eine friedliche und demokratische Lösung der derzeitigen Regierungskrise zu ermöglichen. […] Wir bitten Sie daher, die Situation in der Ukraine sehr aufmerksam zu beobachten und im Falle einer weiteren Destabilisierung umgehend darauf zu reagieren. Engagement seitens der europäischen Institutionen und insbesondere Deutschlands würde nicht als hegemoniales Gebaren ausgelegt werden, sondern ist die einzige Hoffnung der Menschen in der Ukraine auf Frieden und Gerechtigkeit. Wir bitten Sie, diesem historischen Auftrag gerecht zu werden“.

Seitdem ist viel Zeit vergangen, viel Blut geflossen und viele weitere Aufrufe verschiedener Konfliktparteien an die jeweiligen Schutzmächte wurden verfasst. Manchmal bringen solche Aufrufe die Entscheidungsträger im Westen, wie in Russland, in Verlegenheit. Ihnen Folge zu leisten bedeutet meist eine weitere Eskalation, sie zu ignorieren bedeutet Verbündete im Stich zu lassen. Manche Verbündete können auch zur Last werden. „Föderalisten“, respektive „Separatisten“ in der Ostukraine können zwar nicht mehr gewinnen, aber sie einfach fallen zu lassen, wäre für Russland ein Schwächeeingeständnis.

Diplomatische und militärische Mittel

Dass die ergriffenen Massnahmen zu lasch sind, gegen Russlands Pochen auf seinen Ordnungsmachtstatus, das las und hörte man in den westlichen Medien fast jeden Tag. Die Diplomatie sollte härter sein, zugleich wird sie als Gegenstück zur kriegerischen Lösung angepriesen. Das ist aber ein folgenschwerer Irrtum. Diplomatische und militärische Mittel dienen grundsätzlich demselben Zweck und ergänzen sich laufend. So könnte es schon auffallen, dass mit Staaten, die über ein grösseres militärisches Potential verfügen, mehr bzw. länger verhandelt wird, als mit solchen, die ohne grosse Gefahr militärisch bedroht werden können. Des Weiteren dürfte aufmerksamen BeobachterInnen nicht entgehen, dass Diplomatie ständig auf militärische Möglichkeiten verweist. Drohen mit ökonomischen und ggf. militärischen Konsequenzen gehört zum Auftrag der DiplomatInnen.

Diplomatischen Druck können nur diejenigen Staaten aufbauen, die über entsprechende ökonomische, militärische und politische Stärke verfügen. Im Falle der Ukraine lässt sich gut erkennen, wie die Forderung nach Verhandlungen und der Abbruch eben dieser, als Instrument dient. Russland ist als Atommacht immer noch eine harte Nuss für konkurrierende Weltmächte – und setzt seinen Status ein, um Verhandlungen mit ostukrainischen Aufständischen zu erzwingen. Wenn einige westliche Staaten in diesem Punkt nachgeben, wird es von der ukrainischen Regierung als Verrat gewertet. Die USA geben ihren europäischen NATO-Partnern ebenfalls zu verstehen, dass der Geduldsfaden in Sachen Russlands Einmischung gerissen sei. Man fand einen Konsens dahingehend, dass Russlands Ansprüche ausserhalb der eigenen Grenzen eine Regelverletzung darstellen. Es soll als eine Ordnungsstörung behandelt werden. Doch diese Ordnung ist nicht einfach so da – sie muss erst durchgesetzt werden.

Gegen Russland, einen Staat, welcher nach der Einführung der kapitalistischen Wirtschaftsweise festgestellt hat, dass die Geschäftsinteressen keineswegs an den eigenen Grenzen enden, und dass die anderen kapitalistischen Staaten keine Freude an starker Konkurrenz haben. Gerade das, was in den westlichen Medien als Russlands Abkehren vom rechten Weg dargestellt wird, ist das Ergebnis einer politischen Entscheidung Russlands, ein kapitalistischer Staat zu werden, der im Weltwettbewerb der Staaten bestehen kann.

Die Interessen, die mit dem Machtwechsel in Kiew aus dem ukrainischen Staatsapparat aussortiert wurden, versucht Russland zu wahren, indem bei Verhandlungen mit dem Westen klar gemacht wird, dass die Wiederherstellung des staatlichen Gewaltmonopols im Südosten der Ukraine keine innere Angelegenheit der Ukraine sei; was der Westen im Bezug auf die Maidan-Proteste ebenfalls deutlich gemacht hat. Die Forderung von Gewaltverzicht gegenüber einer gewalttätigen Opposition ist ein unmissverständliches Signal der Grossmächte an die Regierungen schwächerer Staaten. Ab und zu lässt die Kiewer Regierung den Eindruck erwecken, dass sie darauf eingeht und verhandeln werde, aber sobald die Regierungstruppen Kampferfolge zu vermelden haben, werden alle Abmachungen über den Haufen geworfen. Wer militärisch besiegt ist, mit dem wird nicht mehr verhandelt.

Die Rebellen im Osten sind sich zwar unter sich über die Endziele nicht einig. Sie beschweren sich ständig über eine mangelnde Unterstützung von Russland oder die Donezker Oligarchen um Renat Achmetow. Ausserdem haben sie nicht den erhofften Massenzulauf. Sie machen aber klar, dass sie in der Lage sind, der Regierungsarmee schmerzhafte Verluste beizufügen. Die Staatsgründung der „Volksrepubliken“ ist aber nicht mehr als über einige Städte hinausgegangen. Bei der ukrainischsprachigen Dorfbevölkerung fanden die Rebellen kaum Unterstützung. Auch die städtische Mittelschicht war wenig begeistert, doch als Verhandlungsmasse sollten die von ihnen kontrollierten Gebiete noch nützlich sein. Russlands Forderungen nach Verhandlungen mit den Rebellen werden mit Sanktionen beantwortet. Dadurch, dass Russland sein Gewicht als Immernochirgendwie-Grossmacht in die Waagschale wirft, um die Rebellen vor der militärischen Vernichtung zu retten und loyale Kräfte in die ukrainische Politik zurückzubringen, wird aus der Perspektive des Westens als destabilisierenden Akt angesehen.

Politischer Druck und Wirtschaftssanktionen

Der kürzeste Weg zum Frieden soll der militärische Sieg der Regierung sein. Russland will aber die Ansprüche auf „Friedensstiften“ in strategisch, wichtigen Nachbarländern nicht fallen lassen. Mit dem Anschluss der Krim-Halbinsel wurde klar gemacht, dass man sich, wenn der Westen die Spielregeln im Alleingang definiert, schlicht nicht daran halten wird. Zusätzlich zu Gebietswegnahme und Rebellion in den Industriegebieten, konfrontiert Moskau die neue Regierung in Kiew mit Zahlungsaufforderungen aufgrund von Energielieferungen. Wenn der Westen die Ukraine bekomme sollte, dann als ein ruiniertes Krisenland.

Die Antwort des Westens beinhaltete Wirtschaftssanktionen. Doch im Unterscheid zu „Schurkenstaaten“, wie Nordkorea oder Kuba ist Russland nicht nur ein politischer Feind, sondern auch ein ziemlich wichtiger Handelspartner. Damit steht die Frage im Raum, ob die Sanktionen nicht den Staaten, die sie verhängen, genauso schaden wie Russland und ob es der jungen ukrainischen Demokratie wirklich wert ist, es sich mit Russland so nachhaltig zu verderben. Die Antwort der USA fällt sehr klar aus: „Ja, ist es!“. Schwieriger wird es bei der EU. Während aus Sicht der neuen Mitgliedsstaaten, wie Polen oder den baltischen Staaten gar nicht hart genug gegen Russland vorgegangen werden könne, beschleicht in Deutschland so manchen Politiker (wie schon beim Irak-Krieg 2003) der Gedanke, ob man nicht die Beziehungen zu Russland als Gegengewicht zur „unilateralen“ Dominanz der USA ausbauen könnte. Das erklärt die Verbreitung des Phänomens der „Russenversteher“ bei PolitkerInnen aller Parteien, mit Ausnahme der Grünen.

Die USA beanspruchen mehr als einen Verzicht der EU auf die Konkurrenzvorteile mit den Beziehungen zu Russland. Die politische Konkurrenz soll Vorfahrt vor der Ökonomischen haben. Russland in die Schranken zu weisen, soll eine kollektive Aufgabe des westlichen Bündnisses sein. Deutschlands Interesse am russischen Gas soll da nicht ins Gewicht fallen. Die „gemässigten“ deutschen PolitikerInnen, die in der Ukraine lieber weiterhin verhandeln wollen, haben diese Ansage der US-amerikanischen Politik sehr wohl verstanden und versuchen die Eigenständigkeit des deutsch-europäischen Imperialismus zu verteidigen.

„Separatisten, die wir Terroristen nennen“ – Zivilgesellschaft ruft nach Krieg

Währenddessen laufen in Kiew Demos, auf denen verlangt wird, keine Verhandlungen mit Rebellen zu führen. Die wehrhafte ukrainische Demokratie will lieber eigene Städte bombardiert sehen, als mit den Russenfreunden zu verhandeln.

Verständlich ist es schon – findet z.B. die taz und druckt Meinungen von „drüben“ wie diese, am 26. Juli: „Wenn Kanzlerin Angela Merkel und andere europäische Politiker die ukrainische Regierung zu Gesprächen mit den bewaffneten Separatisten aufrufen, die man hier vor Ort nur Terroristen nennt, ruft das bei den meisten Ukrainern, vor allem in den Gebieten der Antiterroreinsätze, reines Unverständnis hervor.“ Valerija Dubova, die Verfasserin, weiss Bescheid – denn sie ist eine authentische Stimme aus dem Osten, die die kritische Öffentlichkeit der freien Welt informiert.

„Für die Journalistin Viktoria aus Donezk gibt es zwei Typen von Aufständischen: Der erste Typ ist ein junger Mann, ein Plünderer, der höchstwahrscheinlich keine Bildung genossen hat und aus schlechten Familienverhältnissen stammt. Wahrscheinlich wurde in der Familie getrunken, meint sie. Nach einigen Gläschen Wodka schwelgte der Vater in Erinnerungen an die guten alten Sowjetzeiten, als Moskau noch alle Republiken versorgte. Dann schlug er die Mutter. Der Junge wuchs zu einem aggressiven jungen Mann heran. In seiner Kindheit wurde ihm immer wieder von der Sowjetunion erzählt. Die Sowjetunion wird mit Russland gleichgesetzt.

Der zweite Typ ist ein Mann mittleren Alters, ebenfalls ein Plünderer. Von Zeit zu Zeit brüllt er alle Menschen um sich herum an. Er versteht nicht, warum man etwas verändern sollte im Land. Das Beste wäre doch, die guten alten Zeiten zurückzuholen, als er noch jung war und ihm die Welt rosarot erschien. Es ist seine letzte Chance, ein Held zu werden und für die Zukunft zu kämpfen, oder einfach nur mit einem Maschinengewehr herumzuballern. Auf seine letzten Tage hat er noch etwas Macht abbekommen.“

So sind sie, diese Separatisten, liebevoll Terroristen genannt. Olena Povoliaieva ist es unter denen schlimm ergangen, ihr Schicksal will uns die taz vom 21. Mai nicht vorenthalten: „Man hätte alles im Keim ersticken müssen. Man hätte die Armee einmarschieren lassen und keine Angst vor Putin zeigen sollen“, schreibt die ehemalige Journalistin von Radio Free Europe/Radio Liberty, die – was für eine Überraschung, wenn man diesen Propagandasender kennt – keine Berufsperspektiven unter den neuen Machthabern der „Volksrepublik“ fand.

Die Regierungsmedien in Russland verlieren ebenfalls keine Zeit: Meldungen über FaschistInnen, die die Ukraine angeblich schon in ein Drittes Reich 2.0 verwandelt haben, werden dicht von Berichten über „schwarzhäutige Söldner“, die im Dienste der CIA auf Donbass marschieren, gefolgt. Rebellion im Osten sei ein Verzweiflungstat der von FaschistInnen verfolgten Bevölkerung – während in anderen Gebieten, wo die Pro-Maidan-Kräfte viel stärker sind, die russischsprachige Bevölkerung überraschenderweise weder flieht, noch Aufstände anzettelt. Neben einer eher liberal dominierten Anti-Kriegs-Opposition, die auf eine ehrliche Partnerschaft mit dem Westen hofft, gibt es auch eine Opposition, in deren Augen Putin nicht hart genug vorgeht. An exponierter Stelle tritt z.B. die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) auf, die für die Anerkennung der „Volksrepubliken“ und eine aktive, auch militärische Unterstützung der Rebellen antritt. Denn, so der KPRF-Vorsitzende Gennadi Sjuganow, in der Ukraine habe ein „liberaler Faschismus“ gesiegt.

Alexander Amethystow