Britischer Bergarbeiterstreik von 1984 Die soziale Schlacht um Grossbritannien

Politik

16. März 2015

1984 rief in Grossbritannien die National Union of Mineworkers (NUM) zum landesweiten Minenstreik auf. Was sie nicht ahnten: Die Regierung Thatcher war bestens vorbereitet. Ein Lehrstück des Klassenkampfs von oben.

Dieses Gebäude an der Huddersfield Road in Barnsley, auch «The Camelot» genannt, diente der National Union of Mineworkers (NUM) als Hauptquartier während des grossen Bergarbeiterstreik von 1984
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Dieses Gebäude an der Huddersfield Road in Barnsley, auch «The Camelot» genannt, diente der National Union of Mineworkers (NUM) als Hauptquartier während des grossen Bergarbeiterstreik von 1984 Foto: Badics (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

16. März 2015
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1984 befand sich Grossbritannien schon längst im Umbruch. Seit 1979 stand die gewerkschaftsfeindliche Margaret Thatcher an der Regierungsspitze und drückte das Land immer weiter in einen neoliberalen Kurs. Die Schliessung von Kohleminen war schon vor dem Streik ein Thema, wurde jedoch meist schon nach Streikandrohungen abgetan. 1983 beförderte Thatcher Ian MacGregor zum Vorsitzenden des National Coal Board.

MacGregor war eine wahre ‚Rationalisierungsmaschine', welche die British Steel Corporation „profitabel“ machte, dies unter anderem mit der Entlassung der halben Belegschaft. Die Minenarbeiter, ihre Familien und die Minengemeinden fürchteten berechtigterweise das gleiche Schicksal. Am 6. März 1984 kündete MacGregor schliesslich an, dass 20 (langfristig 70) von 170 Minen verhandlungslos geschlossen und somit auch 20.000 Mineure freigestellt werden sollten. Dies unter dem Argument der mangelnden Rentabilität.

In Tat und Wahrheit ging es jedoch darum, die Gewerkschaften zu schwächen und die Privatisierung der verstaatlichten Industriebetriebe voranzutreiben. Kurz darauf entwickelten sich lokale Streiks und am 12. März rief die NUM unter Leitung von Arthur Scargill schliesslich den landesweiten Streik aus. Das heikle daran: Laut Statuten der NUM konnte ein Landesstreik nur mit einer Zustimmung von 55% der Mitglieder durchgeführt werden. Eine Abstimmung über den Streik – wie es Statuten und Gesetz vorsehen – gab es jedoch nie. Die NUM-Leitung umging ihre eigenen Statuten, indem sie die regionalen Vorstände zu individuellen Streiks aufforderte.

Diese Taktik wurde wahrscheinlich auch gewählt, da einerseits manche (nicht betroffene) Regionen klar gegen einen (landesweiten) Streik waren und andererseits in den Vorjahren schon drei landesweite Streiks an den Urnen gescheitert waren. Zu dieser Zeit waren die Gewerkschaften jedoch auch gesetzlich verpflichtet, Abstimmungen über Streiks abzuhalten und somit konnte die Regierung die Streikenden als undemokratisch diffamieren und sich selbst als Beschützer der Demokratie aufspielen – mitsamt Polizeirepression und massiven strafrechtlichen Angriffen.

Der Ridley-Plan

Schon 1947 wurde die Kohleproduktion verstaatlicht und unter die Führung des National Coal Board gestellt. Da die Industrie und Energieproduzent_innen lange Zeit abhängig von Kohle waren, hatten die Gewerkschaften in diesem Sektor eine grosse Verhandlungsmacht. Wurde dort die Arbeit niedergelegt, drohten Energieengpässe sowohl für die Industrie, als auch für Privathaushalte. Schon zehn Jahre vor dem desaströsen Streik von 1984 war die NUM an einem Streik beteiligt. Im Gegensatz zu 1984 war der Streik von 1974 aber ein voller Erfolg und machte die NUM zu einer der wichtigsten Gewerkschaften des „Empires“.

Die damalige Regierung Heath trat zwar in Verhandlungen, diese blieben jedoch ohne Ergebnis. Nach gescheiterten Wahlen [1] wurde die Regierung schliesslich durch eine Minderheitsregierung unter Harold Wilson (Labour) abgelöst. Diese beendeten den Streik, indem sie viele der Forderungen der NUM erfüllten. Dies war für die Kreise um Margaret Thatcher ein Kniefall vor dem „inneren Feind“. War Heath noch mit dem Slogan „who governs britain?“ - die Regierung oder die Gewerkschaften? - in die Wahlen gestiegen, war damals klar: die Minenarbeiter waren stärker. Für eine neoliberale Politik, wie sie Thatcher verfolgte, war dieser Umstand ein Dorn im Auge.

1977 wurde daraufhin von Kreisen um Thatcher der „Ridley Plan“ formuliert. Dieser enthielt wichtige Punkte, wie man die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften im Kohlebereich schwächen könnte. Der Plan bevorzugte Vorbereitungen und Massnahmen für den kompromisslosen Kampf von oben gegenüber Verhandlungen.

Im Plan gab es konkrete Angriffspunkte gegen die Minengewerkschaften, da diese damals der kampfstärkste und somit ‚gefährlichste' Sektor waren:

* Anlegen von (geheimen) Kohlevorräten bei den Kraftwerken und Unternehmen
* Importmöglichkeiten für Kohle schaffen (möglichst via Häfen, welche nicht von Gewerkschaften oder Sympathisant_innen kontrolliert werden)
* gewerkschaftsferne Transportunternehmen sollen für den Kohletransport angeheuert werden
* Heizungen werden mit einer Öl-Kohle-Kombination ausgestattet
* Keine finanzielle Unterstützung von Streikenden, damit die Gewerkschaften diese selbst über Wasser halten müssen
* eine eigene Polizeieinheit, welche sich auf die Aufstandsbekämpfung gegen „gewalttätige“ Streikposten spezialisiert

Obwohl der Plan schon 1978 im Economist abgedruckt wurde, verpasste es die NUM, sich auf die Taktik der Regierung vorzubereiten.

Und alles fing so gut an

Der Streik 1984 begann nicht mit der Ausrufung des Landesstreiks durch Arthur Scargill. Schon kurz nach den Ankündigungen des National Coal Board bildeten sich landesweit wilde Streiks, vor allem bei den direkt betroffenen Minen. Anfangs gab es eine grössere Solidaritätsbewegung, welche zum Teil auch auf die Arbeit der Frauen der Mineure zurückzuführen war. Diese bildeten ausserdem das Rückgrat der Bewegung mit Essen, Mobilisierung und Beteiligung an Streikposten. Homosexuellengruppen, Feminist_innen und weitere Gegner_innen des Thatcher-Regimes unterstützten die Streiks.

Minenarbeiter_innen und Gewerkschaften im Ausland z.B. Russland oder Jugoslawien unterstützten die Streikenden zudem finanziell [2]. Ausserdem traten auch die Dockarbeiter im Juli 1984 in einen Sympathiestreik, was den Import von „Streikbrecherkohle“ erschwerte. Auch einige Eisenbahngewerkschaften traten in den Ausstand.

Zu diesem Zeitpunkt wurde es eng für die Regierung: Es wurde gar über die Ausrufung des Ausnahmezustands und den Einbezug des Militärs nachgedacht. Nachdem die Forderungen der beiden Sympathisant_innen erfüllt wurden, kehrten diese wieder zurück an die Arbeit.

Nun konnte sich die Regierung wieder der NUM zuwenden. Im Unterschied zu 1974 ereignete sich im Minenstreik von 1984 – der „sozialen Schlacht um England“ wie ihn der Vorsitzende der NUM, Arthur Scargill, bezeichnete – kein einziger Stromausfall. Wurde 1981 einer Streikandrohung noch nachgegeben – mangels abgeschlossener Vorbereitungen wie genügenden Kohlereserven – war Thatcher 1984 bereit, der kampfstärksten Gewerkschaft Grossbritanniens das Genick zu brechen. Die spezialisierten Polizeieinheiten lieferten sich Auseinandersetzungen mit den Streikposten, wie in Orgreave, wo 5.000 zum Teil berittene Polizisten auf 5.000 Streikende trafen. Solche Bilder nutzten die Medien gezielt, um die Propaganda des „inneren Feindes“, wie Thatcher die Streikenden mehrfach nannte, zu unterstützen [3].

Die Ölheizungen sorgten für eine gewisse Unabhängigkeit von Kohle und die Transportunternehmen sorgten mit Blacklists für niedrige Beteiligung an Solidaritätsaktionen. Der wichtigste Punkt waren jedoch die Einschränkungen der Sozialhilfe für Familien von Mineuren: Der Social Security Act von 1980 strich nicht nur den Streikenden die Sozialhilfe, sondern setzte auch bei ihren Angehörigen an, um „eine ausgeglichenere Verhandlungsmacht wiederherzustellen“.

Die Streikenden waren somit auf die NUM angewiesen, deren Vermögen wurde jedoch durch Strafen gezielt angegriffen. So musste die NUM z.B. 200.000 Pfund Strafe zahlen, weil zwei Minenarbeiter gegen den „illegalen“ – weil nicht durch Abstimmung erreichten - landesweiten Streik geklagt hatten. Der Streik trieb – als die Streikkasse der NUM schon bald aufgebraucht war – die Betroffenen in massive Schulden und Armut.

Die angehäuften Kohlevorräte und das Öl liessen im Winter letzten Endes nicht ganz England frieren, sondern nur die Kumpels und ihre Familien. Dazu kam die starke Repression durch die abgestellte Polizei. Immer mehr Arbeiter_innen schlossen sich gezwungenermassen den Streikbrechern an. Manche beriefen sich dabei auf die „vorenthaltene Abstimmung“ über den Landesstreik, andere waren schlichtweg ausgehungert. Ausserdem führten gewalttätige Angriffe auf Streikbrecher zu Abspaltungen innerhalb der NUM.

Das Ende

Am 3. März 1985 erlag die NUM schliesslich der Verelendung der Streikenden und stimmte für einen Abbruch. War der Streik von 1974 noch der Moment des grossen Aufstiegs der NUM, markierte 1985 deren Untergang. Die Mitgliederzahl schrumpfte drastisch, unter anderem auch, weil in Folge des Streiks bis heute fast alle Minen privatisiert und geschlossen wurden. Thatcher hatte einen lange geplanten Feldzug gegen die Gewerkschaften geführt – von denen die NUM Symbolcharakter hatte – und gewann diesen.

Die Folge war die Verelendung der ehemaligen Minengebiete, weniger Einfluss der Gewerkschaften und ein weiterer Meilenstein in der neoliberalen Politik unter Thatcher. „The bitch is dead“, ihr Vermächtnis aber noch lange nicht.

di schwarzi chatz

Fussnoten:

[1] welche die Regierung Heath selbst einberufen hatte, um sich die Unterstützung der Bevölkerung zu sichern.

[2] Im Gegensatz zu der Regierung der Sowjetunion und der DDR, welche Grossbritannien mit „Streikbrecherkohle“ belieferten.

[3] Die Medien führten ausserdem eine Schlammschlacht gegen Scargill („Adolf Scargill“, „Yorkshire Ripper“ etc.) welche doch ein paar Parallelen zu der Schmutzkampagne gegen den GDL-Chef Claus Weselsky in Deutschland im Herbst 2014 aufweisen.