Das irakische Kurdistan Erbil: Arbeiten in der Hauptstadt der Autonomen Region

Politik

3. Oktober 2018

De facto wird im irakischen Kurdistan ein eigener, de jure nicht anerkannter Staat eingerichtet, dafür braucht es diplomatische Vertretungen, bei deren Aufbau auch Deutsche Firmen beteiligt sind. Ein Augenschein.

Zitadelle in Erbil, Juli 2018.
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Zitadelle in Erbil, Juli 2018. Foto: Zachary Williams (CC BY-SA 4.0 unported - cropped)

3. Oktober 2018
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Ein Freund von mir aus einem osteuropäischen Land, nennen wir ihn im weiteren Michael, hat gerade ein halbes Jahr im Irak verbracht. Er arbeitete für eine deutsche Firma.

Der Arbeitsvertrag

Michael erhielt für die Arbeit in einer Gegend, wo 40 Grad im Schatten üblich sind und er in einem klimatisierten Container wohnte, 1000 Euro pro Monat. Das ist der übliche Lohn, der Leuten aus Osteuropa gezahlt wird, die von ihrer Hände Arbeit leben. Natürlich gibt es besser bezahlte Jobs, in der Politik oder im Management, die werden aber eher selten mit Osteuropäern besetzt. Die meisten Firmen schicken in ihre Zweigstellen in osteuropäischen Ländern lieber Führungskräfte von zu Hause. Man weiss ja nicht …

Michael ist Elektriker und als solcher arbeitete er dort auch. Aber auch, wenn er in einem EU-Land arbeiten würde, so würde er nirgends mehr als diese 1000 Euro im Monat verdienen. Das ist eine Art Obergrenze, auf die sich das europäische Kapital geeinigt zu haben scheint. Die ehemaligen sozialistischen Staaten sind ein Arbeitskräfte-Reservoir, ihre Bewohner stellen die industrielle Reservearmee dar, mit der die EU-Kapitale gross und grösser werden wollen. So etwas wie Lohnforderungen sollen gar nicht erst aufkommen in den neuen Mitgliedsländern. Die Gewerkschaften wurden entmachtet und zerschlagen, die alten Arbeitsplätze gibt es nicht mehr und die Bewohner von diesen Staaten wetteifern in den „alten“ Mitgliedsstaaten um die schlecht bezahlten Jobs und drücken damit auch dort den Preis der Arbeit.

In Michaels Vertrag stand, dass er zusätzlich zu den 1000 Euro Unterkunft und täglich ein Mittagessen erhält. Nach dem ersten Monat stellte er fest, dass ihm das Mittagessen von der vereinbarten Lohnsumme abgezogen wurde. Er musste mit dem Vertrag in der Hand zum Bauleiter gehen und klarstellen, dass das einen Vertragsbruch darstellt und er das nicht hinnimmt. Darauf wurde das Geld rücküberwiesen und von da ab nicht mehr abgezogen.

Es kann sich natürlich um Schlamperei oder ein Missverständnis handeln, gerade bei den komplizierten Verhältnissen bei dieser Art von Baustelle. Dergleichen ist aber auch innerhalb der EU gang und gäbe. Die Firmen versuchen, die Sprach- und Gesetzunkundigkeit der ausländischen Arbeiter auszunützen, um den ohnehin schon sehr bescheidenen Lohn noch ein wenig weiter zu drücken.

Ein weiterer Faktor war die Arbeitszeit. Sie war in dem Vertrag gar nicht festgelegt. Es war eine Art Werksvertrag. Das und das und das ist zu machen, und in einem halben Jahr hat das fertig zu sein. Die in Österreich bereits angedachte und bald auch durchgesetzte 60 Stunden-Woche und der 12-Stunden-Arbeitstag lassen grüssen.

Ausser Michael und einigen anderen Osteuropäern arbeiteten auf den diversen Baustellen vor allem Filipinos und Türken, sowie Einheimische. Die deutsche Firma beschäftigte also gar keine Deutschen – ausser dem Chef, der 2 oder 3x aufkreuzte, aber nur kurz blieb –, streift aber den Reibach ein. Das ist deshalb erwähnenswert, weil diverse deutsche Politiker und Medienfritzen gerne damit hausieren gehen, dass Deutschland deshalb eine so gut gefüllte Staatskasse hat, weil die deutschen Arbeitskräfte so billig und willig sind.

Um in den Genuss dieses Traum-Jobs zu kommen, musste Michael die Geburts- und Todesdaten seiner Eltern und seiner 4 Grosseltern vorweisen, und die Orte, wo diese Ereignisse stattgefunden hatten. Ebenso musste er die Geburtsdaten und Orte seiner Kinder und seiner Ehefrau mit gültigen Dokumenten vorweisen, und ihre derzeitigen Wohnorte angeben. Da Michael der Erste seiner Familie ist, der überhaupt seine engere Umgebung verlassen hat, und auch seine noch lebenden Verwandten keine weitgereisten oder seltsamen Beschäftigungen nachgehenden Personen sind, so erhielt er den Job.

Man muss sich aber einmal vorstellen, wie sehr jemand auf eine solche Art von Arbeit angewiesen sein muss, um überhaupt diese ganze Prozedur zu durchlaufen, weil die war ja mit Behördenwegen und Papierkram verbunden, alles ohne Bezahlung. (Gut, etwas Neugierde und Abenteuerlust war natürlich auch dabei …)

Was war zu tun?

Michael verlegte Leitungen und schloss elektrische Geräte für jede Menge Konsulate an. Der USA und verschiedener EU-NATO-Staaten. Erst sagte er mir, er hätte Botschaften ans Netz angeschlossen. Wie das? fragte ich. Das irakische Kurdistan ist kein eigener Staat, wie können sie dort Botschaften einrichten? Er überlegte und sagte: Ja, du hast recht, es stand drauf: „Consulate“.

Im Grunde hatte Michael natürlich recht. Es ist eine reine Formalität, wie diese Vertretungen genannt werden. De facto wird im irakischen Kurdistan ein eigener, de jure nicht anerkannter Staat eingerichtet, dafür braucht es diese diplomatischen Vertretungen: Dieser Staat existiert nur unter ausländischer Besatzung. Michael war nur in Erbil, was die Hauptstadt dieses Gebildes ist. Dort haben verschiedene NATO-Staaten grosse militärische Lager eingerichtet. Dasjenige der USA macht laut Michael ungefähr die Hälfte der Kleinstadt aus, aus der er stammt. Ansonsten erwähnte er auch noch Italien und Frankreich.

Dieses Staatsgebilde ist also von mehreren NATO-Staaten besetzt und gleichzeitig vor dem Zugriff der irakischen Zentralgewalt geschützt. Offenbar war die Übergabe von Kirkuk die Bedingung, unter der Bagdad einer solchen Besatzung zugestimmt hat. Irakische Soldaten sah Michael kaum, die kurdischen Peschmerga hingegen schon. Er gab zu, das nicht immer genau unterscheiden zu können.

Es ist auch bezeichnend für die Rolle Deutschlands, dass es auf eine Militärpräsenz dort keinen Wert zu legen scheint, aber die Firma (oder mehrere Firmen) stellt, die die Infrastruktur errichten und damit ein Geschäft machen.

Nicht ganz klar ist in diesem ganzen Bild die Rolle der Türkei. Michael reiste durch die Türkei an. Die Sicherheitsvorkehrungen an der Grenze waren unglaublich, er berichtete von 10-12 Zäunen und Schleusen, wo er und andere durch mussten und kontrolliert wurden.

Wer hat diese Befestigungen aufgebaut? Der Irak oder die Kurden wohl kaum. Die Türkei? NATO-Staaten? Wie weit reichten sie von dem Grenzübergang aus in beide Richtungen? Die Bedingung der Türkei für diesen besetzten Kurdenstaat waren offenbar stark überwachte Grenzen und möglicherweise türkische Militärpräsenz entlang des gesamten Grenzstreifens innerhalb des Irak.

Die NATO hat damit jedenfalls einen Stützpunkt im Nahen Osten, den ihr so leicht niemand streitig machen kann, und an der Grenze zum Iran. Mit der einheimischen Elite, dem Barzani-Clan scheinen sich die NATO-Staaten auch geeinigt zu haben. Barzanis dürfen weiter ihre Geschäfte machen, vor allem mit Öl, und sollen ansonsten die Kreise der Militärs nicht stören.

Der Flughafen von Erbil ist auch gut ausgebaut, die NATO-Truppen haben aber möglicherweise auch andere zu ihrer Verfügung. Es völlig unklar, wie sehr der Irak oder die NATO in Mosul präsent ist.

Ausser Botschaften verkabelte Michael grosse, aus Container-Reihen bestehende Flüchtlingslager. Alle eingezäunt und mit ziemlichen Sicherheitstoren versehen. Für was für Flüchtlinge werden die gebaut? Mit was für kommenden Flüchtlingsbewegungen rechnen die NATO-Staaten?

Man erinnere sich, aus Deir-Ez-Zor und anderen weiter südlich entlang des Euphrat gelegenen Ortschaften sollen Führungskader des IS mit NATO-Hubschraubern ausgeflogen worden sein.

Dann gibt es noch die „Weisshelme“, die die deutsche Regierung so warm willkommen geheissen hat. Ob sie wirklich in Deutschland gelandet sind, wissen wir nicht. Schliesslich, all die aus verschiedenen Orten in Syrien nach Idlib gebrachten Islamisten – was wird aus denen, wenn Idlib wieder in den Schoss Syriens zurückkehrt? Neben Tschetschenen, Tartaren und Uiguren, die aus den missliebigen Staaten Russland und China stammen, sind auch die IS-Kämpfer aus Europa und muslimischen Staaten in ihren Herkunftsländern nicht gerade willkommen. Ihre Rückkehr würde nur Mist machen. Man muss sie vor Gericht stellen, in komplizierten und kostspieligen Prozessen verurteilen, wobei womöglich rechtliche Lücken auftreten können, oder Fakten ans Licht kommen könnten, die blamabel für die ach so humanistische EU wären.

Also werden diese Leute dort in NATO-Kurdistan aufbewahrt, wie in einem Reagenzglas. Man kann sich ihren weiteren Einsatz überlegen. Das Ideal der NATO-Truppen dürfte sein, dass diese Leute derartig von ihnen abhängig sind, dass sie sich ihren Wünschen gar nicht entziehen werden können.

So wird versucht, Söldner und Terroristen gegen Russland, China und den Iran aufzubauen.

Amelie Lanier