Über die Machenschaften globaler Öl-Konzerne und wie unsere iPhones ein Tschernobyl in Ghana verursachen Giftmüll in Afrika

Politik

26. Mai 2016

Eine NGO deckt die dreckigen Machenschaften eines Öl-Unternehmens im Südsudan auf. Sie wird vom Öl-Ministerium des Landes bedroht, muss das Land verlassen und die Nothilfe vor Ort abbrechen.

Europas giftigste Müllhalde - Agbogbloshie in Accra, Ghana.
Mehr Artikel
Mehr Artikel

Europas giftigste Müllhalde - Agbogbloshie in Accra, Ghana. Foto: Agbogbloshie Makerspace Platform (CC BY-SA 2.0 cropped)

26. Mai 2016
1
0
8 min.
Drucken
Korrektur
Im Niger-Delta vergiften internationale Öl-Firmen seit nunmehr 50 Jahren den Lebensraum. 30 Millionen Menschen sind betroffen, ihre Lebenserwartung ist um 10 Jahre gesunken. Europa exportiert seinen Elektroschrott auf eine Müllhalde in Ghana. Der Ort ist heute so stark vergiftet, dass er in einem Atemzug mit Tschernobyl genannt wird, doch ein ghanaischer Minister spricht von der Schaffung von Arbeitsplätzen. Diese dreckigen Machenschaften und die Komplizenschaft afrikanischer Regierungen scheinen Alltag in zahlreichen afrikanischen Ländern.

Das dreckige Öl-Geschäft im Niger-Delta und Südsudan

So erschreckend der im ersten Teil dieser Recherche beschriebene Trafigura-Fall auch klingt, ist die Umweltverschmutzung durch internationale Konzerne und die Gefährdung der Gesundheit von zig tausenden Menschen in afrikanischen Staaten gang und gäbe (1). Besonders tut sich hier die Öl-Industrie hervor.

Südsudanesisches Ministerium bedroht Aufklärer

Ein aktueller Fall ist der von Petronas im Südsudan. Das malaysische Staatsunternehmen, Sportfans als Hauptsponsor des Formel 1-Teams von Mercedes bekannt, ist nach Recherchen der Süddeutschen Zeitung verantwortlich für die Verschmutzung des Trinkwassers in Teilen des Südsudans. Laut Süddeutscher Zeitung hat die unsachgemässe Entsorgung von Abfällen aus jahrelanger Ölförderung von Petronas die oberen Trinkwasser-Ebenen mit Schwermetallen und Chemikalien verseucht. Davon sind 180.000 Menschen direkt betroffen. Wie der Bayrische Rundfunk berichtet, gibt es Hinweise auf Missbildungen bei Säuglingen, da die Menschen extremen Bleibelastungen ausgesetzt sind. Zudem kommt es zu Durchfallerkrankungen und Todesfällen bei Mensch und Tier. Petronas weist die Vorwürfe zurück.

Erschreckend ist dabei, dass die staatlichen Behörden im Südsudan die Aufklärung dieser Umweltverschmutzungen behindern. Der Verein Hoffnungszeichen, der die Umweltverschmutzungen aufgedeckt hat, arbeitet seit acht Jahren an einer Lösung des Problems und startet mehrere Versuche, um mit dem südsudanesischen Staat, Petronas und Mercedes als Vermittler, die Verschmutzung einzudämmen. Doch diese nicht-konfrontative Strategie hat keinen Erfolg. Ganz im Gegenteil: In einem Meeting teilt ein Mitarbeiter des südsudanesischen Ölministeriums dem Verein Hoffnungszeichen mit, die Aufklärung sei ein „Akt gegen den südsudanesischen Staat und eine Gefährdung der Sicherheit“. Laut Recherchen der Süddeutschen Zeitung sass ein „Daimler-Manager […] kommentarlos daneben (…). Das Auswärtige Amt rät Hoffnungszeichen, diese Drohung ernst zu nehmen“. Um seine Mitarbeiter im Südsudan nicht zu gefährden, bricht der Verein seine Nothilfe-Programme ab. Die von den Umweltverschmutzungen beeinträchtigte und vom Bürgerkrieg geschundene Bevölkerung muss allein zurückgelassen werden.

Niger-Delta: Um 10 Jahre verkürzte Lebenserwartung

Traurige Berühmtheit in der Geschichte der Umweltverschmutzungen erlangt auch das Niger-Delta. In den letzten 50 Jahren liefen durch berstende Bohrköpfe und leckende Pipelines über 2 Milliarden Liter Öl aus. Dadurch ist der Lebensraum von 30 Millionen Menschen verseucht. Die Lebenserwartung dieser Menschen ist durch giftige Dämpfe und verschmutztes Trinkwasser im Vergleich zum nationalen Durchschnitt um 10 Jahre verkürzt. Und ihr Schicksal dauert an. Denn die Verschmutzungen sind so schlimm, dass eine Sanierung 25 bis 30 Jahre dauern und Kosten von bis zu 1 Milliarde US-Dollar verursachen würde (2).

Die für die Umweltverschmutzung verantwortlichen Unternehmen müssen nur sehr selten eine Entschädigung zahlen. Und immer macht die Entschädigung nur einen Bruchteil des zuvor erwirtschafteten Gewinns aus. So hat Shell Anfang 2015 an 15.600 geschädigte Bewohner des Niger-Deltas insgesamt knapp 45 Millionen Euro gezahlt – pro Geschädigtem circa 2.800 Euro. Gleichzeitig macht Shell im schwierigen Jahr 2015 fast 2 Milliarden US-Dollar Gewinn (nach jeweils 15 Milliarden US$ in den Jahren 2013 und 2014).

Auch sind die Entschädigungszahlungen in afrikanischen Ländern kaum mit denen in westlichen Ländern, beispielsweise der USA, zu vergleichen. Im Vergleich zu den 2.800 Euro von Shell bekamen die 220.000 Geschädigten des Deepwater Horizon-Unfalls im Golf von Mexiko im Schnitt das 10-fache an Entschädigungen. Gleiches gilt für die staatlichen Strafen. Während BP in den USA zu einer Zahlung von 4,5 Milliarden US-Dollar verpflichtet wurde, ist unklar, wer für die Säuberung der Schäden im Niger-Delta aufkommen muss.

Auch in Nigeria hat der Staat kein ernsthaftes Interesse an einer Aufklärung. Denn um einen angemessenen Anteil an den Erdöl-Einnahmen zu erhalten, ist der nigerianische Staat durch ein Joint-Venture mit Shell massgeblich an der Ausbeutung der Ölvorkommen beteiligt. Doch dieser grössere Teil des Kuchens hat seinen Preis. Würde Nigeria Shell für die Verschmutzungen zur Rechenschaft ziehen wollen und das Unternehmen anklagen, würde sich der Staat als Teilhaber des Joint-Ventures mitanklagen. Es besteht also ein Interessenkonflikt zwischen höheren Staatseinnahmen und der Aufklärung von Umweltverschmutzungen. Da Nigeria sich für die direkte Beteiligung an der Ölausbeutung entschieden hat, kann es die Umweltverschmutzungen des Joint-Ventures gar nicht ernsthaft aufklären ohne selbst in die juristische Schusslinie zu geraten.

Kein deutscher Wohlstand in Deutschland ohne Erdöl und Rohstoffe

Trafigura und Petronas? Was haben wir normalen Menschen mit so unbekannten Konzernen am Hut? Schliesslich sind ihre Produkte nicht im Supermarkt zu finden. Das mag sein und dennoch: Unternehmen wie Trafigura und Petronas sind wichtige Rädchen unserer globalisierten Welt. Das von Unternehmen wie Petronas und Shell geförderte Öl ist der Schmierstoff der globalen Warenströme. Deutschland ist als Exportweltmeister besonders auf das Öl und den reibungslosen globalen Handel angewiesen. Und ohne die von Unternehmen wie Trafigura transportierten Rohstoffe könnten deutsche Unternehmen keine Autos, Maschinen und andere Handelswaren produzieren und in alle Welt liefern. Internationale Rohstoffunternehmen bestimmen unseren Alltag massgeblich – sei es, indem wir Bananen aus Lateinamerika und Technik aus China kaufen; sei es, weil wir Arbeiter in einem Export-Unternehmen sind. Internationale Rohstoffunternehmen tragen somit entscheidend zum Wohlstand in Deutschland bei.

Doch ähnlich wie die Zulieferer der internationalen Textilindustrie, die im Schatten globaler Marken produzieren und dabei Menschen gnadenlos ausbeuten, stehen auch globale Firmen wie Trafigura und Petronas eher in der zweiten Reihe der Globalisierung. Trotz dieses Schattendaseins: Ihre Umweltverbrechen und die Missachtung der Menschenrechte in scheinbar entlegenen Ländern ist von uns KonsumentInnen im globalen Norden nicht entkoppelt.

Agbogbloshie in Ghana – Europas giftigste Müllhalde

Und noch viel direkter ist unsere Verantwortung als KonsumentInnen beim Fall des Elektroschrotts in Ghana. Tschernobyl kennt jeder. Doch wer hat schon einmal von Agbogbloshie gehört? Genau wie Tschernobyl gehört dieser Ort mitten in der Hauptstadt Ghanas zu den am meisten verseuchten Gebieten der Erde. Doch es war kein nuklearer Unfall, der Agbogbloshie in die Liste dieser Schreckensorte hievte. Stattdessen sind es alte Videorekorder, Fernseher, Spielekonsolen und Handys aus Europa, den USA, Kanada und Australien, die den Boden und das Grundwasser in Agbogbloshie verseuchen.

Dieser alte Elektroschrott wird illegal nach Ghana exportiert. Dort landet er in Agbogbloshie, wo tausende Kinder und Erwachsene die Geräte ausschlachten. Um an die wertvollen Rohstoffe zu gelangen, werden Kabel und die „Innereien“ der Elektro-Artikel über offenen Feuern verbrannt. Das dabei freigesetzte giftige Blei, Cadmium und Phosphor verursacht Leukämie, Nierenversagen und Gedächtnisschwund. Nicht wenige Kinder leiden unter Bluthusten oder Asthma. Vielen von ihnen erreichen nicht einmal das zwanzigste Lebensjahr. Für ein paar Euro Verdienst am Tag, riskieren die Menschen ihre Gesundheit. Es ist nicht verwunderlich, dass Agbogbloshie in Ghana selbst auch Sodom und Gomorrha genannt wird.

Und diese Hölle auf Erden ist kein Einzelfall. 3Sat berichtet, dass jedes Jahr weltweit 50 Millionen Tonnen Elektroschrott entstehen. Zwei Drittel davon wird in Entwicklungsländer exportiert, um die teure Entsorgung im Ursprungsland zu umgehen. Die Zeit veranschaulicht die Problematik eingehend:

Derzeit sortieren sie in Agbogbloshie die Weihnachtsgeschenke von vor zehn Jahren: Auf einem der vielen Elektroschrotthügel liegt beispielsweise ein Videorekorder, Philips, Modell VR 740/02, der in Deutschland 2003 auf den Markt gekommen ist. Im Frühjahr 2004 war der Rekorder in der Saturn-Werbung abgebildet, als Sonderangebot für 109 Euro.

Es sind die iPhones von heute, die morgen auf den Müllkippen der Entwicklungsländer landen.

Kein Fortschritt ohne Wachstumsschmerzen?

Es mag eingewandt werden, dass ökonomischer Fortschritt überall auf der Welt mit Umweltverschmutzungen und Wachstumsschmerzen einherging. So argumentiert beispielsweise ein hoher ghanaischer Lokalpolitiker, das Ausschlachten des Elektroschrotts biete den jungen Leuten einen Job und eine Einkommensmöglichkeit. Doch er vergisst auf den hohen gesundheitlichen Preis hinzuweisen, der mit diesen Arbeitsplätzen einhergeht.

Für die Ölindustrie und die Umweltverschmutzungen durch Öl-Giganten gilt ähnliches: Sie bieten nur einer geringen Anzahl von Menschen einen Arbeitsplatz und es gibt kaum Verknüpfungen zwischen der Öl-Industrie und anderen Wirtschaftszweigen. Die Umweltverschmutzung hingegen belastet eine Vielzahl von Menschen, die weder durch einen Job noch auf andere Art vom Ölreichtum profitieren.

Zudem: Wenn westliche Ölfirmen die Reichtümer des afrikanischen Kontinents ausbeuten wollen, dann stehen sie in der Verantwortung dies auf sozial- und umweltverträgliche Art zu tun. Doch wenn die Staaten, in den aufzeigten Fällen die Elfenbeinküste, Grossbritannien, Nigeria, der Südsudan und Ghana, den Unternehmen als Komplizen zur Seite stehen bzw. sich kein Gericht zuständig fühlt, Umweltvergehen zu ahnden, liegt es an uns VerbraucherInnen, der Politik und den Unternehmen kritisch und aktiv entgegenzutreten. Gegen TTIP und Co. gehen Hunderttausende auf die Strasse. Warum nicht, wenn die Umwelt im globalen Süden vergiftet und somit das Leben von Millionen Menschen gefährdet wird?

Nico Beckert
zebralogs.wordpress.com