Verordnetes Reformmanagement statt politischer Gestaltungsfreiheit Thailands neue Verfassung: Die Junta triumphiert

Politik

4. Oktober 2016

Nach einer Vorgeschichte von Desinformation und Repression haben mehr als 60 Prozent der Wähler/innen in Thailand für den neuen Verfassungsentwurf der Militärregierung gestimmt. Das Land bleibt gespalten, die wesentlichen Konflikte ungelöst.

China Town in Bangkok, Thailand.
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China Town in Bangkok, Thailand. Foto: Diego Delsodelso.photo (CC BY-SA 3.0 cropped)

4. Oktober 2016
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Am 7. August 2016 wurden die stimmberechtigten Bürger/innen Thailands von der herrschenden Militärregierung zu den Urnen gerufen, um in einem Referendum über die Annahme einer neuen Verfassung abzustimmen. Zur Entscheidung stand der Entwurf zur insgesamt zwanzigsten Verfassung des Landes seit der Einführung der konstitutionellen Monarchie im Jahre 1932. Das Referendum war der vorläufige Höhepunkt eines mehr als zwei Jahre dauernden verfassungsgebenden Prozesses, den die Militärregierung nach dem Coup im Mai 2014 auf den Weg gebracht hatte.

Die Machtübernahme der Junta im Mai 2014 erfolgte aus strategischem Kalkül. In der politisch volatilen Phase des sich abzeichnenden Thronwechsels an der Spitze des thailändischen Königshauses erzwangen die Militärs und die sie tragenden konservativen Eliten des Landes eine Neuordnung der Machtverhältnisse in ihrem Sinne. Das unmittelbare Ziel des Coups bestand darin, rechtzeitig sicherzustellen, dass sich zum Zeitpunkt des dynastischen Machtübergangs keine aus freien Wahlen hervorgegangene, Thaksin Shinawatra nahestehende, zivile Regierung in Verantwortung befinden würde, die den Transitionsprozess hätte beeinflussen können.

Der Coup bildete zudem die Vorstufe zu weitergehenden Plänen des Regimes, mit Hilfe fundamentaler Veränderungen des parlamentarisch-demokratischen Systems alle verbliebenen Elemente des verhassten ‚Thaksinismus' endgültig zu beseitigen. Dazu reichte es nicht aus, lediglich die aus freien Wahlen im Jahr 2011 hervorgegangene, von Ministerpräsidentin Yingluck Shinawatra geführte Pheua-Thai Regierung in einem Staatsstreich im Mai 2014 zu entmachten. Aus Sicht der neuen Machthaber mussten langfristige, verfassungsrechtlich gesicherte Vorkehrungen getroffen werden, um das Staatswesen vor der Übernahme und den Missbrauch durch eine nicht näher definierte korrupte Politikerkaste dauerhaft zu schützen.

Thaksins aggressiver Populismus gepaart mit konkreten sozialpolitischen Angeboten an die wirtschaftlich benachteiligen Schichten Thailands hatten während seiner Amtszeit eine Massenwirkung entfaltet. Diese äusserte sich in einer verstärkten Mobilisierung breiter Bevölkerungskreise, überwiegend im agrarisch-geprägten Norden und Nordosten des Landes, aber auch unter der verarmten Stadtbevölkerung, die sich zunehmend als Staatsbürger/innen mit Anspruch auf genuine politische Teilhabe in einer sich rapide modernisierenden Gesellschaft verstanden. Diese Bewegung bildeten das Rückgrat für Thaksins anhaltende Wahlerfolge zwischen 2001 und 2005.

Das neugewonnene Selbstverständnis und der wahlpolitische Einfluss dieser Gruppen erregten den wachsenden Unmut konservativer und ultra-royalistischer Eliten aus Wirtschaft, Verwaltung und Militär. Ihrem tradierten, hierarchischen Gesellschaftsverständnis folgend, taten sie die politische Emanzipation dieser zuvor gesellschaftspolitisch unsichtbaren Schichten als Folge von Stimmenkauf und kruden Manipulationen durch eine korrupte Politikerkaste ab, die die vorgebliche Ungebildetheit und Unerfahrenheit der Wähler/innen zum eigenen Machtausbau missbrauchten. Die Person und das politische Programm des Populisten und Machtpolitikers Thaksin Shinawatra bildeten die perfekte Projektionsfläche für diese eindimensionalen Erklärungsmuster der Folgen eines weit komplexeren, sozio-kulturellen und ökonomischen Wandels, den Thailand in den letzten drei Jahrzehnten durchlaufen hatte.

An der Entmachtung Thaksins in einem Militärputsch im Jahre 2006 waren bereits eine Reihe der heutigen Militärmachthaber in führender Position beteiligt. Sie mussten jedoch mit ansehen, wie nach einem ersten Verfassungsreferendum und Wahlen im folgenden Jahr erneut zivile Regierungen an die Macht kamen, die Thaksin programmatisch und persönlich nahestanden. Sie empfanden den Coup von 2006 daher als eine Art offene Wunde und machten sich nach der Machtübernahme 2014 daran, die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen zu schaffen, das Rad endgültig zurückzudrehen. Sollte das parlamentarisch-demokratische System in seiner jetzigen Form nicht die gewünschten Ergebnisse zur Durchsetzung der von ihnen forcierten Elitenagenda liefern, musste es grundlegend und nachhaltig - notfalls mit autokratischen Mitteln angepasst werden.

Mit Hilfe einer oktroyierten Übergangsverfassung errichtete die Militärregierung unmittelbar nach dem Coup vom Mai 2014 eine Reihe von verfassungsrechtlichen Organen, deren Rolle es war, der Öffentlichkeit zu suggerieren, dass das Regime weiterhin einem pluralistischen auf Gewaltenteilung basierenden Demokratieverständnis verpflichtet sei. Sämtliche Mandatsträger/innen dieser neu geschaffenen Institutionen wurden jedoch von der Militärregierung ausgewählt und eingesetzt.

Dazu zählte unter anderem die unter Artikel 32 der Übergangsverfassung geschaffene Verfassungskommission, welche mit der Aufgabe betraut wurde, den neuen Verfassungsentwurf zu erarbeiten. Der Verfassungskommission wurden jedoch schon in der Übergangsverfassung eine Reihe von verbindlichen Rahmenbedingungen gesetzt, die deutlich machten, dass die Militärmachthaber keine Rückkehr zum repräsentativen Parlamentarismus dulden würden, wie er sich seit Erlass der liberalen ‚Volksverfassung' von 1997 herausgebildet hatte. Dieses System hatte seit 2001 zu regelmässigen Wahlsiegen politischer Parteien geführt, die Thaksin Shinawatra und seiner Familie nahestanden.

Im Auftrag der Militärregierung machte sich die eingesetzte Verfassungskommission daran, die ihr zugewiesenen Aufgaben zu erfüllen. Die erste bestand darin, der Militärregierung Zeit im politischen Übergangsprozess zu verschaffen und Neuwahlen hinauszuzögern. Dies wurde im September 2015 deutlich, als der erste Verfassungsentwurf nach einem 20-monatigen Verfahrensprozess vom Nationalen Reformrat mit relativ grosser Mehrheit abgelehnt wurde. Der Nationale Reformrat war, wie die Verfassungskommission, ein vollständig von der Militärregierung ernanntes Gremium, dessen Mitglieder sich zum grossen Teil aus Militärangehörigen, Sicherheitskräften und Verwaltungsbeamten zusammensetzte. Die Junta hatte ganz offensichtlich die von ihr eingesetzten und kontrollierten Organe dazu benutzt, im Verfassungsverfahren auf Zeit zu spielen.

Unmittelbar im Anschluss daran nahm eine neue von der Militärregierung ernannte Verfassungskommission die Arbeit auf. Deren Entwurf wurde nach monatelangen, der Öffentlichkeit kaum zugänglichen Verhandlungen am 7. August 2016 ohne die Einschaltung vorgelagerter Instanzen wie des Nationalen Reformrats direkt der Bevölkerung in einem Referendum zur Entscheidung vorgelegt.

Verordnetes Reformmanagement statt politischer Gestaltungsfreiheit

Die zweite Verfassungskommission schaffte mit ihrem Entwurf die rechtlichen Rahmenbedingungen zur Etablierung einer ‚geleiteten Demokratie' in Thailand. Im Wesentlichen wurde der krude, propagandistisch überhöhte, autoritäre Reformplan der Junta in geltendes Verfassungsrecht umgewidmet, das künftige zivile Regierungen dazu zwingt, die von der Militärregierung langfristig gesetzten Eckpunkte einer Elitenagenda durchzusetzen.

Seit Beginn der Militärherrschaft wurde das Verfassungsverfahren von einem öffentlich gelenkten Diskurs begleitet, der dezidiert anti-parlamentarische Züge trug und frei gewählte politische Mandatsträger/innen pauschal als korrupt, von Eigeninteressen gelenkt und unfähig desavouierte. Das Gegenmodell bildete die Herrschaft einer vorsichtig ausgewählten, effizienten, sich dem Gemeinwohl verpflichtet fühlenden Elite. Ziel des Reformfahrplans der Militärmachthaber war es, die Herrschaft einer solchen Elite dauerhaft verfassungsrechtlich zu verankern, um- wie es Artikel 35 der Übergangsverfassung der Verfassungskommission auferlegte, eine ‚Form von Demokratie zu schaffen, welche den Bedingungen der thailändischen Gesellschaft entspricht'.

Neben der Inklusion einer langfristigen, verbindlichen Reformagenda in die neue Verfassung, welche sich in Kapitel 16 des Entwurfs befindet, musste die Verfassungskommission sicherstellen, dass die Kontrolle über die konkreten Inhalte und die Umsetzung dieser Reformen langfristig innerhalb der elitären Machtzirkel verbleiben, die den Umsturz vom Mai 2014 initiiert hatten. Dies erforderte unter anderem eine grundsätzliche Anpassung des Wahlrechts sowie eine Revision der Befugnisse der Nationalversammlung und der aus Parlamentswahlen hervorgegangenen Regierungen.

Die Verfassungskommission entwarf hierzu ein Modell, das darauf abzielte, den Einfluss politischer Parteien im thailändischen Verfassungssystem einzuschränken und den parlamentarischen Regierungen politische Gestaltungsmöglichkeiten zu entziehen. Teil dieser Strategie war die Abschaffung des Zweitstimmenwahlrechts, das es den Wählern seit 2001 erlaubt hatte, neben einem lokalen Wahlkreiskandidat/in eine nationale Parteienliste zu wählen. Das Ergebnis der Parteienliste spielte die entscheidende Rolle bei der Bestimmung der Sitzverteilung in der Volksvertretung (House of Representatives) und hatte im Laufe eines Jahrzehnts zur Bildung von stabilen politischen Mehrheiten zur Regierungsbildung (2001, 2005, 2007 und 2011) geführt.

Das Listensystem förderte neben der Schaffung stabiler Mehrheiten ausserdem die Herausbildung von komplexeren Parteiprogrammen, die es den Wähler/innen ermöglichte über lokale Interessen hinaus, sich für nationale, politische Strategien einzelner Parteien zu entscheiden. Das gesteigerte Interesse an diesem Wahlsystem spiegelte sich in der zunehmenden Wahlbeteiligung seit Einführung der Parteilisten im Jahre 2001 wider, wobei beachtet werden muss, dass seit Einführung der Verfassung von 1997 Wahlpflicht in Thailand besteht.

Das neue Wahlrecht sieht dagegen nur noch die Abgabe einer Stimme für eine/n lokalen Wahlkreiskandidat/in vor, was aller Voraussicht nach zu einer Fragmentierung des Parlaments, unklaren Mehrheitsverhältnissen und einem allgemeinen Bedeutungsverlust thematisch geprägter nationaler Parteiprogramme führen wird. Diese Veränderungen erfolgten im Interesse der konservativen Eliten des Landes, die nichts mehr fürchten als eine auf Wahlen beruhende, durch sozialpolitische Programme induzierte Rückkehr Thaksin-naher Parteien in die Regierungsverantwortung.

Auf Weisung der Militärregierung re-konzipierte die Verfassungskommission den Senat, das Oberhaus der thailändischen Nationalversammlung. Die 250 Senator/innen sollen nun ebenfalls für die Dauer einer Übergangszeit von fünf Jahren vollständig von der Militärregierung ernannt werden. Der Oberkommandierende der Streitkräfte, der Staatssekretär des Verteidigungsministeriums, die Kommandeure aller drei Truppenteile sowie der nationale Polizeichef werden ex officio im Senat vertreten sein.

Um die Rolle des Senats als wesentlicher Teil der konservativen Reformagenda zu stärken, wurde die stimmberechtigte Bevölkerung in dem Referendum vom 7. August 2016 ausserdem aufgefordert, dem Senat während einer Übergangsphase von fünf Jahren ab der Errichtung der ersten Nationalversammlung unter der neuen Verfassung das Recht einzuräumen, die/den Ministerpräsident/in mit zu bestimmen. Laut dem Verfassungsentwurf muss die/der Ministerpräsident/in nicht aus der Mitte des Parlaments stammen. Nach dem neuen Verfassungsentwurf kann auch eine externe Kandidat/in in das Amt gewählt werden. Da die Amtszeit der Senator/innen, die der gewählten Parlamentarier/innen um ein Jahr übersteigt, wird der der Militärregierung verpflichtete Senat voraussichtlich in den beiden folgenden Parlamentswahlen die Ernennung des/der Ministerpräsident/in entscheidend beeinflussen können.

Der Verfassungsentwurf stattete die Militärregierung nicht nur mit dem Privileg aus, eine ‚Reformagenda' vorlegen zu dürfen, sondern zwingt alle neu gewählten Regierungen diese Agenda auch umzusetzen. Unter diesen Voraussetzungen werden künftige Parlamentswahlen zur Farce. Die abgegebenen Wähler/innenstimmen verlieren an Gewicht, denn sie richten sich an Parteien, die im Falle einer Regierungsübernahme verfassungsrechtlich zu reinen Erfüllungsgehilfen einer von aussen oktroyierten, festgeschriebenen Reformagenda degradiert werden, ohne eigene, der Wählerbasis geschuldete, originäre Programmziele umsetzen zu können. Auch die Rolle des Parlaments (House of Representatives) als genuine Volksvertretung würde dadurch Schaden nehmen, was durchaus im Sinne der ultra-konservativen Reformer wäre, die darauf hinarbeiten, den Parlamentarismus und die repräsentative Demokratie, wie sie sich in den vergangenen Jahren in Thailand herausgebildet hatte, dauerhaft zu beseitigen.

Der Militärregierung wurde ausserdem das Privileg übertragen, nach Annahme des Referendums die notwendigen Gesetze zur konkreten Umsetzung der Verfassung zu erlassen. Zum Zeitpunkt des Referendums konnten die wahlberechtigten Bürger/innen daher nicht vollständig überblicken, welche weitreichenden politischen und rechtlichen Veränderungen die neue Verfassung letztendlich hervorbringen würde.

Nach Fertigstellung des Verfassungsentwurfs durch die von ihr eingesetzte Kommission machte sich die Militärregierung an die abschliessende Aufgabe, die Annahme des Referendums mit den Mitteln staatlicher Repression durchzusetzen.

Volksbefragung ohne Redefreiheit: Das Referendum vom 7. August 2016

Das Ergebnis des Verfassungsreferendums vom 7. August 2016 wurde von der Junta mit einem tiefen Gefühl von Bestätigung, wenn nicht gar Triumph aufgenommen. Bei einer Wahlbeteiligung von 59,4 Prozent entschieden sich insgesamt 61,35 Prozent der circa 50 Millionen wahlberechtigten Bürger/innen des Landes dafür, den Verfassungsentwurf anzunehmen, während sich 38,65 Prozent dagegen aussprachen. Auch die Zusatzfrage zum Referendum, dem von der Militärregierung ernannten Senat Mitspracherecht bei der Ernennung des Ministerpräsiden/in zu erteilen, beschieden 58 Prozent der Wähler/innen positiv.

Damit wurde der Verfassungskommission die die Aufgabe übertragen, innerhalb von 90 Tagen nach Abhaltung des Referendums den Verfassungsentwurf im Hinblick auf die hinzugewonnen Mitspracherechte des Senats anzupassen. Danach wird die neue Verfassung endgültig in Kraft treten.

Doch auf dem Weg zu diesem Ergebnis verschärfte die Militärregierung die sozialen und politischen Spannungen innerhalb der thailändischen Gesellschaft, anstatt, wie propagiert, einen dauerhaften Ausgleich zu schaffen. Ein Blick auf das Verfassungsreferendum von 2007 zeigt, mit welcher Unnachgiebigkeit und Härte die Militärregierung die demokratischen Freiräume in Thailand im Jahre 2016 weiter einschränkte. Alle Ansätze freier und kritischer Auseinandersetzung mit dem Verfassungsentwurf wurden mit Hilfe staatlicher Repression schon im Keim erstickt. Öffentliche Veranstaltungen zum Verfassungsprozess wurden nur geduldet, wenn sich die Organisatoren offen für die Annahme des Entwurfs aussprachen.

Die Situation nach dem Coup von 2006 und dem darauf folgenden ersten Verfassungsreferendum von 2007 konnte nicht unterschiedlicher sein: Damals war es beiden Lagern noch möglich gewesen, sich zu mobilisieren und ihre jeweiligen Argumente für oder gegen die Annahme des Entwurfs öffentlich austragen. In einer Vielzahl von Kampagnen wurden die wesentlichen Inhalte des Dokuments offen diskutiert. Dazu gehörten auch Debatten zum politischen Kontext der neuen Verfassung und Analysen, welche gesellschaftspolitischen Konsequenzen bei der Annahme der neuen Verfassung zu erwarten wären. Die Bevölkerung wurde auch nicht daran gehindert, sich zu versammeln, um gemeinschaftlich die Verfassung zu analysieren und Meinungen auszutauschen.

2016 zeigte sich die Militärregierung von einer anderen, weit repressiveren Seite. Sie erliess ein Gesetz zur Abhaltung des Referendums, welches mit Hilfe vager Formulierungen der Straftatbestände, Bürger/innen, unter Androhung von bis zu 10 Jahren Haft einschüchtern und letztendlich davon abhalten sollte, sich öffentlich gegen die Annahme der Verfassung auszusprechen. Im Laufe der Vorbereitung des Referendums zwischen April und August 2016 wurden auf dieser Grundlage insgesamt 19 öffentliche Veranstaltungen verboten sowie 39 Personen verhaftet und angeklagt.

Ausserdem erfolgte unter Anwendung des Versammlungsgesetzes des Strafgesetzbuches und verschiedener Verordnungen der Militärregierung die Festnahme und Anklage von weiteren 142 Personen im Zusammenhang mit Anschuldigungen, sich öffentlich gegen die Annahme der Verfassung gestellt zu haben. Teilweise mussten sich die Angeklagten vor Militärgerichten verantworten, was die abschreckende Wirkung dieser staatlichen Repressalien unter der Bevölkerung noch verstärkte.

Neben den strafrechtlichen Massnahmen zur Unterdrückung einer öffentlichen und kritischen Auseinandersetzung mit dem Verfassungsentwurf nutzte die Militärregierung den Zugriff auf die staatlichen Erziehungs- und Verwaltungsinstitutionen, um das Referendum in ihrem Sinne einseitig zu beeinflussen.

Tausende von Verwaltungsbeamten und Militärangehörigen wurden mobilisiert, um die Bevölkerung über das Referendum ‚aufzuklären', während Vertreter/innen zivilgesellschaftlicher Gruppen Verhaftung drohte, falls sie versuchten, den Entwurf in der Öffentlichkeit kritisch zu hinterfragen. Die Lehrerschaft wurde entsprechend unterwiesen und stand unter dem Zwang, über ihre Schüler zu versuchen, Einfluss auf die Einstellung der Eltern zu nehmen. Es gab Kampagnen unter dem Titel ‚7. August-Referendum der Einheit', und Videoclips und Flyer mit holzschnittartig verfassten Botschaften, die für die Annahme des Referendums warben.

Auf der anderen Seite unterliess es die Militärregierung gezielt, die Bevölkerung umfassend über den konkreten Inhalt des Verfassungsentwurfs zu informieren. Die Wahlkommission versprach im Vorfeld 1 Million Exemplare des Entwurfs für die circa 50 Millionen wahlberechtigten Bürger/innen bereitzustellen. Die Kopien sollten jedoch nicht direkt an die Haushalte gehen, sondern waren für staatliche Stellen bestimmt, die die Wähler/innen ‚unterweisen' sollten. Gleichzeitig drohten Vertreter des Militärregimes sowie der Verfassungskommission offen, dass im Falle einer Ablehnung des Referendums eine noch restriktivere Verfassung ohne weiteres prozessuales Verfahren oktroyiert werden könnte.

Wie auch immer die individuelle Bewertung des Ausgangs des Referendums ausfallen mag, sollte man sich nicht über grundlegende systemimmanente Risiken hinwegtäuschen. Eine tragfähige Aussöhnung zwischen den divergierenden, sozio-ökonomischen, politischen und kulturellen Interessen in einer sich rapide modernisierenden und globalisierenden thailändischen Gesellschaft kann nicht auf Grundlage von Ausgrenzung und Repression erreicht werden. Die Strategie über ein autoritäres Verfassungsverfahren eine Elitenagenda zu etablieren, die die Interessen weiter Bevölkerungsschichten negiert und deren Gewicht im demokratischen Prozess zu neutralisieren sucht, wird auf lange Sicht zu einer weiteren Eskalation der tradierten Interessensgegensätze führen.

Geographisch manifestierte sich diese gesellschaftliche Spaltung in der deutlichen Ablehnung des Verfassungsentwurfs in den drei südlichen Provinzen des Landes, die mit einem mehrheitlich muslimischen Bevölkerungsanteil seit mehr als einem Jahrzehnt in einen Kreislauf von Gewalt gegen die Zentralregierung verstrickt sind. Dort lehnten mehr als 63 Prozent der Bevölkerung den Verfassungsentwurf ab. Trotz der staatlichen Repressionen sprach sich auch in den sozio-ökonomisch unterprivilegierten Provinzen des Nordostens eine Mehrheit von 51,3 Prozent gegen den Verfassungsentwurf aus.

Dies war zwar ein deutlicher Rückgang der Ablehnungsquote im Vergleich zum ersten Referendum von 2007, steht jedoch exemplarisch für die weiterhin ungelösten politischen Differenzen zwischen den hauptstädtischen Eliten und der Bevölkerung des agrarisch geprägten Nordostens. Auch die Aussicht auf freie Wahlen zum Ende des Jahres 2017 nach Annahme der Verfassung steht unter dem Vorbehalt anhaltender staatlicher Unterdrückung von Dissens und pluralistischer zivilgesellschaftlicher Beteiligung. Die zu erwartende Intensivierung juristischer und sicherheitspolitischer Massnahmen gegen eine breitere gesellschaftliche Mobilisierung im Vorfeld möglicher Wahlen birgt zudem die Gefahr der Verfestigung existierender gesellschaftspolitischer Konflikte.

Manfred Hornung
boell.de

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