Das Märchen von der Korruption Ist ja nur Afrika …

Politik

18. September 2017

Afrika kommt in den Medien meist nur am Rande vor. Allzu oft mit falschen Darstellungen und üblichen Vorurteilen. Dabei gäbe es so viele Geschichten zu erzählen.

Kupfer Mine bei Chingola, Sambia.
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Kupfer Mine bei Chingola, Sambia. Foto: blk24ga (CC BY 3.0 unported - cropped)

18. September 2017
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Korrektur
Hauptsache jemand klickt's an, dachte sich da wohl die Redaktion von Spiegel Online. Noch fix einen reisserischen Titel rausgesucht – „Verschenken wir eine Milliarde“ –, ein brennendes Flüchtlingsboot als Bildchen gewählt und schon sollten die Klickzahlen in die Höhe schnellen. Argumente und faktische Richtigkeit spielen dabei nur eine nebensächliche Rolle.

Ja, es geht um Afrika. SPON beweist einmal mehr, dass der Kontinent in der deutschen Medienlandschaft nur am Rande vorkommt. Und dass man mit frei erfundenen „Fakten“, die landläufige Vorurteile bestätigen.

Vorab eine kurze Zusammenfassung des Artikels: Der Autor kritisiert die europäische Flüchtlingspolitik als„natürlich Blödsinn“, dann die Entwicklungshilfe als „Geldversenken“, die nicht zur Verhinderung von Flucht und Migration beiträgt und schlägt dann als Lösung vor, Maliern, Gambiern oder Senegalesen 30 Euro pro Monat zu schenken. Dass würde lokale Wirtschaftskreisläufe in Schwung bringen und die Menschen von der Flucht abhalten. So weit, so oberflächlich.

Schaut man sich den Artikel genauer an, fallen einige falsche Darstellungen und übliche Afrika-Vorurteile auf.

So stand in der ursprünglichen, mittlerweile geänderten Fassung, dass 1970 nur 10% der Afrikaner mit weniger als einem Dollar pro Tag auskommen mussten, es nach dem Geldregen der Entwicklungshilfe aber 30% und mittlerweile gar 65% sind. Zwar wurden diese Zahlen aufgrund von Hinweisen aufmerksamer Leser geändert. Was aber nichts daran änderte, dass sie zuerst – und zwar auch noch falsch – aus diesem Artikel kopiert wurden.

Zur Korrektur: Zwar leben heute in Subsahara-Afrika noch immer 388 Millionen Menschen in extremer Armut (also von weniger als 1,90 US-Dollar am Tag), allerdings machen diese nicht 65%, sondern „nur“ noch 40% aus.

Doch damit nicht genug. So behauptet der Autor Hans-Jürgen Schlamp weiter, dass der grösste Teil der 800 Milliarden bis 2 Billionen US-Dollar, die an westlichen Entwicklungshilfegeldern nach Afrika flossen, von „afrikanischen Potentaten“ und „korrupten Eliten“ in die Schweiz und nach London gebracht wurden.

(Fast) alles Blödsinn. Natürlich gab und gibt es einige äusserst korrupte afrikanische Potentaten – die Namen schillernder Figuren wie Mobutu, Mugabe und al-Gaddafi fallen sofort ein. Doch Studien von Global Financial Integrity und der African Union Commission/United Nations Economic Commission for Africa besagen, dass der Verlust durch Korruption von Politikern und Beamten nur etwa ein Zehntel der Summe ausmacht, die afrikanischen Staaten durch die Steuerflucht von Unternehmen verloren geht.

Solche Fakten sind in der heutigen Zeit schnell recherchiert. Doch noch einfacher scheint es, dem einseitigen Märchen vom korrupten Afrika eine weitere Episode hinzuzufügen, ohne zu hinterfragen, wer denn das globale Finanzsystem mit seinen Schattenbanken und Steueroasen am Laufen hält.

Dabei haben die medienwirksamen Skandale der letzten Jahre deutlich aufgezeigt, dass es eben auch westliche Staaten wie die Schweiz, die Niederlande oder – kontrolliert durch Grossbritannien – die britischen Überseegebiete sind, die diese Strukturen geschaffen haben und sie aufrecht erhalten.

Doch nicht nur mit den Zahlen hat Schlamp ein Problem. So schreibt er beispielsweise, „nur eine wirtschaftliche Entwicklung von unten hat dauerhaft eine Chance“. Diese Entwicklung von unten möchte er mit blossen 30 Euro pro Haushalt in Gang setzen.

Klingt schön – aber ist auch schön eindimensional. Denn erneut verkennt der Autor die Fakten. Nahezu jedes Land, dass dauerhaft den Weg aus Armut und Elend gefunden hat, hat dies mit einer staatlich gelenkten Industriepolitik (also von oben) geschafft sogar ein Beispiel wie ein afrikanisches Land diese Strategie umzusetzen versucht, oder hier zum Freihandelsmythos).

Diese Industriepolitiken waren von Land zu Land unterschiedlich. Die Erhöhung der einheimischen Nachfrage – also was der Autor als Ideallösung vorschlägt – spielte in allen erfolgreichen Aufholprozessen zwar eine Rolle. Aber es war eben nur ein Baustein unter vielen.

Kurz: Nur das komplette Puzzle führte zu einem Aufholprozess wie etwa bei den asiatischen Tigerstaaten. Die Implementierung lediglich einzelner Teile wäre vollkommen wertlos gewesen. Neben der höheren einheimischen Nachfrage spielte der Schutz und die Förderung einheimischer Industrien eine Rolle, die (vor allem staatliche) Finanzierung erfolgreicher Unternehmer bei gleichzeitiger Disziplinierung nicht-erfolgreicher Subventionsempfänger, eine staatliche Lenkung potenziell beschäftigungs- und produktivitätsfördernder Sektoren, der Zugang zu Technologien, Innovationsbereitschaft und Förderung dieser und weiterer Faktoren.

Oder im Stil des Spiegels: Was bringt es langfristig hinsichtlich der Armutsminderung, wenn Familien zwar im Monat 30 Euro mehr für ihre Konsumbedürfnisse haben, diese aber für importiertes Tomatenmark oder gebrauchte westliche Kleidung ausgeben, weil es keine einheimischen, Beschäftigung schaffenden Industrien mehr gibt?

Das Spiegel-Elaborat zeigt in peinlicher Weise unser westliches Afrikabild. Der Kontinent wird als Almosenempfänger mit korrupten Eliten dargestellt, dem wir gönnerhaft eine Milliarde schenken könnten, um dann zauberhaft die dortige Armut zu mildern.

Das ist Journalismus unterster Schublade. Auch im schnellen, auf Klickzahlen beruhenden Online-Journalismus muss es möglich sein, mit Fakten statt Vorurteilen zu argumentieren. Der Spiegel dürfte seine Leser gerne einmal mit den globalen Strukturen „konfrontieren“, die Armut auf der Welt verfestigen: Offene Finanzmärkte, die zu makroökonomischen Ungleichgewichten führen, Währungs- und Rohstoffspekulation, Steuerflucht und die Strukturen dahinter – um nur einige zu nennen.

Doch leider passt der Artikel nur allzu gut in die Afrika-Berichterstattung vieler Medien. Es werden immer die gleichen Geschichten erzählt. Von Krankheit (Ebola), Krieg, Korruption, Kindersoldaten, Konfliktrohstoffen. Oder dem einerseits „hoffnungslosen Kontinent“ und einige Jahre später dem „Chancenkontinent Afrika“. Grautöne scheint es in den meisten Redaktionen nicht geben zu dürfen.

So wichtig es ist, über diese Probleme zu berichten, so viele spannende Geschichten gibt es aufzudecken: Warum verbietet Ruanda den Import gebrauchter Kleidung? Wie hat es Kenia weltweit zum Vorreiter des bargeldlosen Zahlungsverkehrs geschafft? Warum wächst Äthiopien seit über einem Jahrzehnt mit durchschnittlich über 10%? Und wie hat es das Land geschafft, den grössten Staudamm Afrikas nur mit einheimischen Geldern zu finanzieren? Was ist AfricaRising und was der Africapitalism?

Nico Beckert
zebralogs.wordpress.com