Wie Überidentifikation in der Popmusik von einer subversiven Strategie zum Vehikel rechter Botschaften wurde Das Spiel mit den Symbolen

Kultur

3. März 2015

Es war einmal: Pop und Rock als Ausdruck eines linken Lebensgefühls, des Widerstands gegen konservative Eltern und überkommene gesellschaftliche Strukturen. Die Enkel_innen des rebellischen Nachkriegskindes Pop haben die Suche nach Emanzipation aufgegeben.

Die Industrial-Band «Laibach», welche am Prinzip der Überidentifikation ihre gesamte Ästhetik ausrichtet.
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Die Industrial-Band «Laibach», welche am Prinzip der Überidentifikation ihre gesamte Ästhetik ausrichtet. Foto: Gruppe LAIBACH (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

3. März 2015
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Inzwischen findet im Mainstream der Minderheiten von Metalcore bis Helene Fischer alles seinen Platz. Pop ist Establishment, inklusive Deutschrock in Schwarz-Rot-Gold. Dass es eindeutig rechte Bands gibt, verwundert wenig. Noch gefährlicher aber, weil uneindeutiger und verführerischer, ist die sogenannte »Grauzone«: Man gibt sich betont unpolitisch, hat aber keine Probleme mit rechtem Gedankengut und rechten Fans.

Eine Subkultur, die sich besonders anfällig für Grauzone-Bands zeigt, ist die sogenannte schwarze Szene mit Subgenres wie Industrial und Neofolk. Hier einzelne Namen durchzukauen, ist müssig. Produktiver ist es, zu ergründen, welche künstlerischen Strategien das Entstehen einer Grauzone bis hin zur gezielten Unterwanderung durch die »Neue Rechte« ermöglicht haben.Ein besonderes Augenmerk muss dabei auf der Strategie der Überidentifikation oder Überaffirmation liegen, die scheinbar zustimmende Verwendung rechter oder bürgerlicher Symbole oder Handlungen, die einst als subversive Kommunikationsstrategie begann. Wie konnte gerade sie zur Einflugschneise für rechtes Gedankengut werden?

Als Strategie einer subversiven linken Praxis hatte die Überidentifikation in den 1990er Jahren viele Fans. Reader über die Kommunikationsguerilla waren das heisse Ding, die US-Aktivistengruppe The Yes Men wurden zu Politstars. So kehrten Spass und Subversion zurück in die politische Praxis - bis der Mainstream aufsprang und z.B. das Verfremden von Markenlogos überall stattfand. Die Waffe der Überidentifikation wurde stumpf.

Überidentifikation in der Popkultur

In der Popmusik war das Spiel mit den Symbolen ambivalenter. Die Ramones standen 1977 mit Hakenkreuz-Armbinden auf der Bühne, sie galten schon vorher als Bürgerschreck, inszenierten sich als Kehrseite des American Dream. Von Dee Dee Ramone ist auch überliefert, dass er Nazi-Memorabilia sammelte. Das Establishment skandalisierte die Auftritte der Ramones, die aufkommende politische Punkszene distanzierte sich von der Band. Was vielen entging: Zwei der vier Ur-Ramones waren Juden, Joey und Tommy Ramone. Überhaupt gab es damals in der New Yorker Punkszene überdurchschnittlich viele Musiker_innen jüdischer Abstammung: Alan Vega und Martin Rev von Suicide, Lenny Kaye von der Patti Smith Group, Jonathan Richman, auch der zum Urvater des Punk stilisierte Lou Reed, der gerne im SS-Ledermantel herumlief, stammte aus einer jüdischen Familie. Der Brite Malcolm McLaren war ebenfalls Jude - was ihn nicht davon abhielt, seine späteren Schützlinge, die Sex Pistols, mit Hakenkreuz-T-Shirts auf die Bühne zu schicken.

Wohlgemerkt, es waren keine durchgestrichenen Hakenkreuze, wie sie später zum Standard auf jedem Antifarucksack werden sollten. Irritationen und Missverständnisse waren das Ziel. Kurzzeitig stand die Frage im Raum: Ist Punk rechts? Befeuert wurde dies dadurch, dass Punk sich vor allem vom in den 1970er Jahren tonangebenden Progressivrock und seinen langhaarigen Fans dezidiert abgrenzte. Mit ihren NS-Symbolen hatten die Punks das Prinzip der Überaffirmation in die Popmusik geholt.

Diese Strategie, sich die Symbole und Ästhetiken der Gegenseite anzueignen mit dem Ziel, deren Absichten zu entblössen und zu verzerren, hatte ab sofort Konjunktur in der Popmusik. Im Industrial konfrontierten Throbbing Gristle oder SPK durch verstörende Bühnenshows zu atonaler Musik das Bürgertum mit dessen dunklen Seiten. Die Popbands der »Klasse von 1982« wie ABC oder Scritti Politti wollten sich vom Designeranzug bis zur Luxusyacht die Symbole des Kapitalismus zu Nutze machen, mit dem schönen Leben für alle als Ziel. Liedertafel Margot Honecker nannte sich hingegen ein Projekt aus Hamburger Experimentalmusikzirkeln, das sich schon vor 1989 zur Aufgabe machte, Lieder der FDJ für die Nachwelt zu erhalten.

Die Band Laibach und ihre rechten Erben

Eine Band, die am Prinzip der Überidentifikation ihre gesamte Ästhetik ausrichtet, ist die 1980 gegründete slowenische Formation Laibach. Die Mitglieder treten in Uniformen der jugoslawischen Volksarmee auf, ihre Musik erinnert an Märsche und Volkslieder, gekreuzt mit elektronischer Avantgarde und Metal. Sänger Milan Fras intoniert dazu mir rollendem R deutsche und englische Texte, gerne auch Coverversionen von Beatles- und Queen-Songs oder eine Neufassung des Opus-Hits »Life is Life«. Laibach machten daraus ein Gesamtkonzept, das sie Retroavantgarde nennen. Ergänzt durch das interdisziplinäre Kunstkollektiv NSK (Neue Slowenische Kunst), dockten sie bei der Psychoanalyse nach Jacques Lacan an. In ihrem Ansatz, dass Gesellschaften ein Trauma wieder und immer wieder durchleben müssten, um davon befreit zu werden, hatten sie vor 1989 das vom Zweiten Weltkrieg geprägte Jugoslawien und später den sich in Osteuropa breitmachenden Kapitalismus mit seinen durch den Neoliberalismus verstärkt hervortretenden totalitären Elementen im Visier.

Zum Dunstkreis von Laibach gehört auch Slavoj Zizek, der die Strategien der Band gegen ihre Kritiker_innen verteidigt. Laut Zizek förderten Laibach die Nachtseite der geordneten, durch Gesetze und Anstand geregelten Gesellschaft zu Tage, die unabdingbar zu ihr gehöre. Die Strategie von Laibach sieht Zizek als einzige Möglichkeit der Subversion, da Zynismus und Ironie im Spätkapitalismus längst systemerhaltende Funktion haben: »Das ideale Subjekt hat heutzutage eine ironische Distanz zur Ideologie und zum System. Daraus folgt: Die einzige Möglichkeit, wirklich subversiv zu sein, liegt nicht im Entwickeln von kritischen Potenzialen oder ironischer Distanz, sondern darin, das System ernster zu nehmen als es sich selbst ernst nimmt.«

Ob Laibachs Ansatz gelungen ist oder nicht, darüber diskutieren Fans und Kritiker_innen seit fast dreissig Jahren. Selbst Laibach-Fans der ersten Stunde stimmen aber darin überein, dass die Band zuletzt musikalisch und ästhetisch schal geworden ist, mit ihrem Filmsoundtrack für den Nazi-Weltraumquatsch »Iron Sky« als Tiefpunkt. Laibach selbst haben das wohl erkannt und auf ihrem letzten Album »Spectre« neue Töne angeschlagen. Laut Milan Fras »so politisch wie noch nie« singen sie nun über Edward Snowden und die NSA-Überwachung - fast ohne Ironie und Überaffirmation.

Das ästhetische Programm Laibachs fand in den 1990er Jahren einige Nachahmungen, so auch bei der aktuell weltweit bekanntesten deutschen Band, Rammstein. Gegründet von Mitgliedern ostdeutscher Punk- und Wavebands, könnten Rammstein nach der Auslegung Zizeks als eine Art ostdeutsche Variante der Laibach-Überidentifikation gelesen werden, als eine Freilegung des totalitären Kerns der DDR-Gesellschaft, der sich kurz nach der Wiedervereinigung in Pogromen gegen Flüchtlingsheime und aktuell im Rassismus der PEGIDA äusserte. Doch Rammstein wurden nicht zum subversiven gesellschaftskritischen Alptraum der Ära Merkel. Stattdessen bildet die Band gemeinsam mit den Böhsen Onkelz und Freiwild die Rock-Trias des sich benachteiligt fühlenden Deutschen. Hier finden eine Sehnsucht nach dem Wahren und Echten, überkommene Vorstellungen von rechtschaffener Arbeit und ein sich unverblümt äussernder Stolz auf das »Vaterland« ihren Ausdruck.

Rammstein ist die Band aus dieser Trias, die sich am stärksten überinszeniert und in dieser Fassadenhaftigkeit etwas sehr Artifizielles hat, was ein Grossteil ihres Publikums geflissentlich übersieht oder - besser gesagt - übersehen kann. Eine Verunsicherung findet nicht statt. Bei Rammstein verflacht die Überidentifizierung zum ironischen Spiel, eine billige Provokation in Richtung des linksliberalen Bürgertums, über die sich kleinbürgerliche Spiesser_innen die Hände reiben. Die Skandalisierung durch Presse und Kulturbetrieb verhalf der Band zum kommerziellen Durchbruch und zu 20 Millionen verkauften Tonträgern weltweit.

Was bei Rammstein von der Überidentifikation übrig bleibt, ist eine kalkulierte Inszenierung, die nationalistische und totalitäre Symbolik wieder mainstreamfähig gemacht hat. Da hilft es auch nichts mehr, wenn die Bandmitglieder sich als »links« outen. Der Dammbruch ist vollzogen, auf der Flutwelle schwimmen vom Verschwörungstheoretiker Xavier Naidoo bis zu grobschlächtigen Deutschrappern allerlei mit konservativem Gedankengut hantierende Bands und Musiker_innen, die es regelmässig in die Charts schaffen. Im Gegensatz zu Rammstein meinen es etliche von ihnen wirklich ernst! Der Erfolg von Rammstein zeigt, wie eine geringfügige Neujustierung des Konzeptes Laibach deren Ästhetik nicht nur massentauglich macht, sondern sie auch jeglichen emanzipatorischen Potenzials beraubt.

Die Grauzone im Neofolk

Zeitgleich zum Aufstieg von Laibach zur Kultband Ende der 1980er gewann ein Genre an Bedeutung, das von Bands aus Grossbritannien begründet wurde. Neofolk entwickelte sich aus dem Industrial der 1980er Jahre, zeigte sich aber mit atmosphärischen Passagen und Bezügen zu alten Folkballaden wesentlich »weicher«. Im Vergleich zum Industrial, der sich mit Maschinenklängen in der materialistischen Moderne verortet, wirkt Neofolk wie ein Relikt aus einer vormodernen Zeit. Passend dazu drehen sich viele Texte um Naturmystik, Runensymbolik, vorchristliche Kulte oder das Mittelalter.

Stilprägend für den Neofolk sind Death In June. Obwohl die Band mit Nazisymbolen und mehrdeutigen Interviewaussagen immer wieder für Kontroversen sorgt, hat ihr Konzept nichts mit affirmativer Überidentifikation zu tun. Antrieb ist viel mehr der Uniformfetisch des Bandfrontmanns und bekennenden Homosexuellen Douglas Pierce sowie seine Verehrung für den SA-Offizier Ernst Röhm, der 1934 in der sogenannten »Nacht der langen Messer« von der SA-Führung aus dem Weg geschafft wurde. Ob Douglas Pierce nun tatsächlich ein Nazi ist oder nicht, ist seit Gründung der Band ein beliebtes Diskussionsthema. Symptomatisch für die Neofolkszene ist, dass bei entsprechenden Vorwürfen sofort eine Reihe Expert_innen herbeispringt, die die betroffene Band von allen Nazivorwürfen freisprechen. Das erinnert an die Debatten um rechtspopulistische Parteien, deren Vertreter_innen sich offen faschistisch äussern, nur um dann von ihren Anhänger_innen mit Sätzen wie »die sind doch gar nicht rechts« in Schutz genommen zu werden.

Daneben gibt es noch eine ganze Reihe anderer Neofolkbands, die ausgiebig mit rechten Symboliken und Thematiken jonglieren: Sol Invictus, Blood Axis, Allerseelen, Fire & Ice, Darkwood oder Triarii. Nicht alle sind tatsächlich rechts. Etliche bedienen sich der Strategie der Überidentifikation, allerdings ist an die Stelle einer Hinterfragung von Totalitarismus und Revisionismus eine Verherrlichung getreten - das Prinzip wird ad absurdum geführt. In der Neofolkszene, die sich gern »unpolitisch« nennt, sind diese Bands tonangebend - Künstler_innen, die nicht mit rechter Symbolik in Zusammenhang stehen wollen, kommen kaum darum herum, mit ihnen auf einem Konzert-Line-Up zu stehen oder in denselben Magazinen besprochen zu werden. Die Grauzone ist hier allgegenwärtig.

Das tiefe Misstrauen gegenüber der modernen, sogenannten »entzauberten« Welt kostümieren die Bands des Neofolk gerne als einen Tabubruch. Fans des Genres sehen sich als unabhängige Freidenker_innen, die hinter jeglicher Kritik Zensur vermuten. Deshalb ist der Szene das Schulterklopfen von neurechten Publikationen wie Junge Freiheit oder Blaue Narzisse lieber als die Kritik der Antifa. Für eine kritische Diskussion sind die Bedingungen immer schwieriger geworden.

»Friedliebend«, aber dem Kulturkampf nicht abgeneigt geben sich junge, rechte Intellektuelle, die sich zum Neofolk hingezogen fühlen. Um der politischen Auseinandersetzung um rechte Tabubrüche zu entkommen, pochen sie auf die Freiheit der Kunst. Doch ein Land, in dem es PEGIDA und Thilo Sarazzin bis in die Mitte der Gesellschaft geschafft haben, hat den rechten Tabubruch und die Sehnsucht nach einem besseren »Damals« längst verinnerlicht. Eine Einsicht, die bei einigen Neofolkfans langsam ankommt. Seit Sommer 2014 gibt es wieder eine Initiative »Grufties gegen rechts«, die zumindest im Netz präsent ist. Ob sie in der Grauzone des Neofolk, in der die Überidentifikation gegen ihre ursprünglichen Ziele zum Status Quo wurde, auf offene Ohren stossen wird, bleibt abzuwarten.

Tobias Lindemann
Artikel aus: ak

Tobias Lindemann ist Redakteur bei Radio Z Nürnberg, betreibt das Literaturblog Libroskop und schreibt regelmässig für das Kurze Spektakel in ak.