Interview mit Philipp Schiemann «...noch eine Schaufensterpuppe kaputt machen»

Kultur

23. August 2009

Das abgedruckte Interview repräsentiert nur einen Ausschnitt aus einem anderthalbstündigen Gespräch mit Philipp Schiemann.

EMIDEC 1100.
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EMIDEC 1100. Foto: MichaelWilson78 (PD)

23. August 2009
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Korrektur
Der Hauptakzent liegt auf seinem filmischen Werk, auf seine anderen Projekte und Veröffentlichungen in Literatur und Musik konnte hier leider nur ansatzweise eingegangen werden.

Was waren Deine ersten filmischen Werke?

Ich habe mir irgendwann 'mal eine Videokamera gekauft, und dann habe ich angefangen Kurzfilme zu drehen, bei denen ich sowohl Regie als auch Kamera, Schnitt und sämtliche Rollen übernommen habe, und dadurch, dass ich keinerlei technische Mittel zur Verfügung hatte bis auf die Kamera, musste ich mit dem Teil also auch selber schneiden.

Das heisst, es gab eine Verzögerungsgeschichte von 1-2 Sekunden, so dass ich jeweils per Augenmass sagen musste: "Jetzt ist der Punkt, wo ich das Band anhalten muss, um den letzten Satz nicht abzuschneiden". Dann kam eine Umziehaktion, und ich habe die entsprechende andere Rolle gespielt. Die Sketche waren meistens Interviews und es entwickelte sich auf technischem Gebiet so ein bestimmter Zug, der zwar einfach dilettantisch war, aber dadurch, dass der Rest irgendwie ein Konzept hatte, wurde das ein eigener Stil.

Das habe ich dann immer wieder 'mal gemacht. Da war ich ungefähr 20. Das stiess auf eine gewisse Resonanz, und ich habe angefangen, den Stil zu kultivieren, und die Schnitttechnik wurde immer besser. Der Fabian Klatura z.B. kam dann '95 auf mich zu und fragte mich, ob ich nicht Lust hätte, eine Rolle in seinem Film Cleaner zu spielen. Der hatte diese Sketche gesehen und meinte: "Das ist der richtige Typ!".

Wie hast Du Deine Kurzfilme verbreitet?

Ich habe immer 20 Kopien gezogen, wenn ich ein Tape voll hatte. Habe die aufwendig gestaltet, so sammlereditionsmässig, und dann an Freunde verteilt, wo das dann auch die Runde machte, und die Kritiken gingen von "Das wäre das genialste, was ich je gemacht hätte" bis hin zu "Das ist Eierbraten auf Kackstelzen". Das war so das Spektrum, in dem sich die Kritik bewegte. Das erste habe ich '91 gedreht und dann jedes Jahr eigentlich ein paar Sachen mehr gemacht. Was ich heute vorführe, davon ist das frühste so von '93, das meiste aber von '96-'98, die Filme sind einfach qualitativ besser und weiterentwickelter.

Dann hast Du '95 in Cleaner Deine erste Hauptrolle in einem Langfilm gespielt.

Der Klatura hatte vorher noch nie was gemacht. Mit Film war er also ein Anfänger, wollte aber immer schon Regisseur werden, und das war so sein Ziel, auf das er hingearbeitet hat.

Mittlerweile hat er ein paar neue Sachen gemacht, die qualitativ auch ganz anders sind. Aber der Cleaner war so eine Sache, wo man auch mal die Grenzen des Materials ausgetestet hat, auch erst 'mal drauflosgearbeitet hat, viel improvisiert. Der Cleaner hat seine Momente, aber das Drehbuch ist eine Katastrophe.

Der Klatura macht einfach Underground, schert sich nicht um den Mainstream, macht viele Gewaltstorys. Und ich fand das auch alles ganz geil, nur beim Cleaner habe ich mich ein bisschen viel im Drehbuch eingebracht, insofern, als dass ich versucht habe, diese Story zu retten. Ich bin da viel zu ernst 'rangegangen.

Wenn ich mehr auf die trashige Art 'rangegangen wäre, ohne das jetzt alles erklären zu wollen, in irgendwelchen Offtexten während des Films, dann hätte das dem Film wahrscheinlich sehr gut getan. Aber wir waren da zu sehr involviert, wir hatten keine Distanz dazu. Es wäre besser gewesen, den Cleaner so zu drehen, dass man eine Geschichte gehabt hätte.

Man hätte die reduzieren sollen auf einen Killer im Stil der 70er-Jahre-Filme, der für irgendeinen Konzern arbeitet und nachlässig wird, aus der Rolle fällt. Die Auftraggeber sagen sich dann irgendwann: "Der muss jetzt verschwinden." und setzen andere Leute auf ihn an.

Und das ist mit einem Satz gesagt die Essenz von Cleaner. Der ganze Rest wie z.B. die Telepathienummer war völlig zuviel: Du hättest einfach ein Hauptgleis, dem ein gutes Drehbuch untergelegt wird, und von da kannst du dann die ganzen Nebenzweige entfalten. Da hast du dann viel Freiheit, aber wenn du dir einen Klotz ans Bein bindest, der erklärungsbedürftig bis ins kleinste Detail ist, dann hast du ein Problem.

Wie siehst du Deine Rollen selbst?

Ich habe mich immer mehr als Musiker oder als Autor verstanden. Diese Schauspielgeschichte liegt mir aber schon: ich kann mich in die Rollen gut reindenken. Ich war von 14-20 drogensüchtig und das Metier ist mir bekannt, also ich weiss, wie es ist. Und die Killernummer, ich glaube, dass wollten alle immer gerne mal machen, so als kleiner Junge den bösen Bubi spielen.

Film ist einfach ein Mittel, was einem ganz legitim, gesellschaftlich anerkannt -nicht jetzt direkt im Undergroundfilm- erlaubt das auszuagieren, wo du machen kannst, was du willst. Da ist das Drehbuch, vielleicht änderst du noch ein paar Dialoge und dann darfst du. Es gibt einfach unheimlich wenig Momente und Situationen im Leben, wo man wirklich mal darf. Deshalb ist das wunderbar, da kannst du dann richtig die Sau rauslassen.

Gehen Deine literarischen Sachen in eine ähnliche Richtung?

Das, was in die Filmfiguren von mir einfliesst, ist auch in meinem literarischen Werk vorhanden. Mein letztes Buch ist eigentlich ein moderner Western: Ein Junkie, der in der Ich-Perspektive erzählt, was alles so passiert. Aber es ist schwierig, das zu beschreiben. Das sollte man dann lieber lesen.

Ich hatte diesen Mantel, eine Glatze und den Bart. Und dieser Mantel, der hat irgendwie im Nacken für einen Ausschlag gesorgt, es war super widerlich, einfach alptraumhaft.

So ein billiger Wollstoff wie der, den man als Kind von irgendwelchen Tanten geschenkt bekam. Und die Glatze und der Bart - ich fühlte mich einfach überhaupt nicht wohl, total asexuell. In Boiled Baby spiele ich ein Zuhälter, der nachher auch sein Leben lassen muss, und auf die Rolle habe ich mich länger vorbereitet:

Ich habe mir Schlangenleder-Cowboystiefel gekauft, und ich war für 200 Mark im Sonnenstudio.

Goldkettchen besorgt und eine Bomberjacke, Ärmel immer hochgekrempelt, einen Schnurrbart wachsen lassen -Haare und Schnurbart immer dunkelbraun gefärbt, damit die sich besser abheben-, und dann bin ich so ein paar Wochen lang draussen rumgerannt. Allein wie die Leute auf der Strasse dir dann begegnen, das bringt dich schon weiter.

Dazu habe ich auch geprobt und mit meiner Videokamera Takes gemacht, die mir nachher angeguckt und überlegt, ob das der Zuhälter ist, den ich in meinen Gedanken so vor mir hatte. Rock'n'Roll Apocalypse ist nur ein kurzer Auftritt. Der Film handelt von einem Elvis-Imitator, der durch Deutschland tourt und von einem Ex-Fremdenlegionär gekidnappt wird. Beide fahren dann zusammen durch die Gegend, und der Fremdenlegionär, der dabei ziemlich die Sau 'rauslässt, droht dem Elvis-Imitator, ihn umzubringen, wenn er versucht zu fliehen.

In einer Sequenz kommen die beiden in eine Kneipe 'rein, und ich spiele einen Trucker, der mit anderen am Tresen steht. Dann, der Legionär geht kurz vorher auf die Toilette, schläft der Elvis-Imitator kurz ein und bekommt eine Vision, wie er uns ein Plädoyer hält, wir sollten ihm helfen. In der Traumsequenz bin ich dann nicht mehr der Trucker, sondern er sieht mich als "den Marshall", als den Anführer seiner gesammelten Beschützer.

Ich drehe mich dann um, einen Parker an, zieh' eine Fliegerbrille und einen Strohhut auf, steck' mir einen Sheriffstern an und sage: "Ja Junge, da hast du ja gottverdammtes Glück, denn ich bin nämlich hier der Marshall, und das sind meine Deputies!". Dann löst sich das auch schnell auf und der Fremdenlegionär kriegt, im Traum, tierisch die Fresse voll. Ich stehe daneben und sage Sachen wie: "Ich hoffe, es tut weh'!" oder "Noch einen für Daddy!".

Hast Du zur Zeit irgendwelche Filmprojekte?

Was bestimmtes habe ich nicht in Planung, aber ich würde gerne mal so einen typischen Texas Ranger spielen, irgendwie einer mit Schnauzbart, der so richtig korrupt und übel ist. All' das, nur potenziert und hier in Deutschland, was man aus den entsprechenden Filmen kennt. Der Ranger würde z.B. zwei Jugendliche anhalten: "Hey, wer seid ihr denn?" Die Jungs gucken aus dem Fenster, wissen genau sie haben keine Chance und sagen: "Ja. Wir waren in Holland und haben Fla gekauft." "So, so in Amsterdam!?" und dann geht's erst richtig los. Das würde ich gerne mal machen.

Und die Masters of Trash? Wirst Du das fortführen?

Ein Kurzfilm ist zur Zeit noch in Aussicht: Ich will eine Grube ausheben, da Wasser und Torfmull reinschütten, mich in kompletter Ledermontur da reinschmeissen und direkt nach dem 'rauskommen noch eine Schaufensterpuppe kaputtmachen. Ich weiss' noch nicht, wo das dann hinführt, oder was das dann für eine Aussage hat - das ist so eine Idee, die noch ansteht.

Interview: Thomas Hanne / Felix Seiffert