Die Rhythmen der Loveparade Party, Liebe und Profit

Kultur

18. September 2010

Die Loveparade wurde in den Neunziger Jahren zum herausragenden Ereignis der damaligen Techno-Bewegung. Sie stand für eine neue vielfältige Kultur, deren Mittelpunkt ekstatische und kreative Parties bildeten, sie verkörperte aber auch deren Kommerzialisierung. Ein Interview von 'Dancecult - Journal of Electronic Dance Music Culture' mit Wolfgang Sterneck zur Geschichte der Loveparade.

18. September 2010
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Wolfgang Sterneck tanzte in den Strassen Berlins mehrfach auf der Loveparade. Er setzte sich aber auch unter anderem in seinem Buch 'Cybertribe-Visionen' immer wieder kritisch mit den Entwicklungen auseinander und sagte früh die extreme Kommerzialisierung, sowie die Entfernung von den ursprünglichen Idealen voraus. Bis heute engagiert er sich immer wieder für Projekte, die Party und Politik miteinander verbinden.

Im folgenden Interview blickt Sterneck auf rund zwanzig Jahre Loveparade zurück. Er verbindet dabei persönliche Erfahrungen mit der Einordnung der Entwicklung der Loveparade in einen sozialen und politischen Kontext.

Diw Stadt als Dancefloor

Dancecult: Wolfgang, beginnen wir mit einer ganz persönlichen Frage. Welche Deiner Erfahrungen im Umfeld der Loveparade der Neunziger Jahre ist Dir besonders positiv in Erinnerung beblieben?

Sterneck: Das lässt sich nicht auf ein Erlebnis reduzieren. Spontan ist es insbesondere das Gefühl, auf den Strassen mit tausenden anderen Menschen zu einer mitreissenden Musik zu tanzen. So oberflächlich dies auch vielfach war, im Kern war es immer auch mit einem anderen Lebensgefühl verbunden: Die Fesseln des Alltages hinter sich lassen und in einer positiven Weise aus sich herausgehen. Und dies nicht nur in den abgeschlossenen Räumen eines Clubs, sondern Mitten auf den zentralen Strassen einer Weltstadt.

In einem besonderen Moment wünschte ich mir einmal, dass der Acid-Sound, der gerade aus dem Boxen einer Loveparade-Party klang, jeden Tag durch die Strassen zieht. Ein endloser rhythmischer Beat, anstatt dem urbanen Geräuschwall, der uns ansonsten umgibt. Und gleichzeitig Menschen, die sprichwörtlich aus der Reihe tanzen, anstatt täglich mit versteinertem Gesicht zu ihrem Arbeitsplatz fahren und wie ein Rädchen in der gigantischen Maschinerie funktionieren.

Dies war zweifellos eine psychedelische Vision, aber auch das Bild eines sozialen Utopia, das zumindest in einigen Momenten zur Wirklichkeit wurde, ohne dass die Tanzenden sich diesem Potential bewusst waren.

Dancecult: Da sind wir schon Mitten im Thema. Dennoch als Einstieg auch noch die Frage nach einem negativen Erlebnis, das Dir persönlich bis Heute noch besonders in Erinnerung ist.

Sterneck: Auch hier will ich mich nicht auf ein Erlebnis festlegen. Aber ein negatives Gefühl, das mich auf den Loveparades in vielen Momenten begleitete, war ein Gefühl der Enge. Dieses Gefühl wurde von den Medien fast nie transportiert und in der Erinnerung verblasst es auch gegenüber den ekstatischen Momenten, aber die Enge als Grunderfahrung auf der Loveparade gehörte einfach dazu. Enge auf besonders beliebten Passagen der Strecke, Enge in den Sonderzügen, Enge in dem Gedränge vor den Clubs, Enge in den dann völlig überfüllten Clubs, Enge in den Schlangen vor den Toiletten...

Negativ in Erinnerung habe ich auch noch die Berge von Flyern, die sich nach der Loveparade in den Strassen türmten. Jeder Veranstalter dachte er müsse die Leute mit seinen Party-Flyern überhäufen, die aber kaum jemand richtig angeschaut hat und meist direkt auf dem Asphalt landeten. Vermutlich hätte man mit dem Papier eine kleine Bibliothek füllen können, aber ökologische Aspekte waren nie ein ernsthaftes Thema auf der Loveparade.

Und negativ sind mir auch all die Sponsoren mit ihren unzähligen Werbezetteln, Give-Aways und Logo-Bannern in Erinnerung. Und die Politiker, die plötzlich auf der Loveparade aufgetaucht sind, weil sie dachten, dass das gut für ihr Image ist, obwohl ihre Parteifreunde noch kurz zuvor die Loveparade verdammten. Das kritisierte ich nicht nur auf einer theoretischen Ebene, sondern das war für mich immer auch ganz konkret mit dem Gefühl verbunden, die gehören hier eigentlich nicht hin, die wollen nur etwas ausnutzen, vermarkten und vereinnahmen.

Der der neuen Freiheiten

Dancecult: Die Loveparade machte Berlin zu einer einzigen, grossen Tanzfläche auf der alles möglich war, so heisst es heute. War es denn tatsächlich so?

Sterneck: Gerade in Berlin war tatsächlich in den Anfangsjahren vieles möglich. Zunehmend war der Beat einer neuen Kultur zu hören und manche Stadtteile glichen nicht nur während der Parade, sondern auch nachts einem Dancefloor. In vielem war dieses Grundgefühl, dass mit der aufkommenden Techno-Kultur etwas frisches und aufbrechendes einen Weg findet. Und dies spiegelte sich in der Energie der Loveparade der frühen Jahre: Feiern, Entfalten und Gestalten.

Neue musikalische Ausdrucksformen, der endlose Beat auf den Parties und Afterhours, die Neubewertung von Tag und Nacht. Eine positive Grundenergie, eine neue Community, später vielfältige Cybertribes als pulsierende Organismen anstatt autoritärer, festgefahrener Strukturen. Die Verbindung von Rausch, Bewusstseinsveränderung und Ekstase. Die Abkehr von den Vorgaben des bürgerlichen Establishments und der Kulturindustrie, inklusive die völlige Abkehr von der verstaubten Rockmusik jener Tage ... - All diese prägte die Zeit und die Loveparade.

Gerade Berlin bot insbesondere in den frühen Neunzigern Raum für derartige Entwicklungen. Freiräume bestanden ganz konkret in den leer stehenden Gebäuden und Lagerhallen vor allem im Ostteil Berlins, die nach dem Niedergang der DDR nicht mehr genutzt wurden. Wegweisende Locations wie etwa der Tresor, das E-Werk oder der Bunker und das Tacheles entstanden in diesem Zusammenhang.

Daneben gab es auch eine gewisse innere Freiheit und ein Gefühl neuer Möglichkeiten scheinbar auf allen Ebenen. Auf der einen Ebene war es der ursprünglich ziemlich offene Tanzstil, auf einer anderen die Besetzung einer leer stehenden Lagerhalle oder das Experimentieren mit neuen Ausdrucksformen. Die inneren Freiräume wurden auch genutzt, um sich selbst zu entfalten, um als Psychonaut in sich hineinzutauchen oder im Äusseren die Welt in etwas anderen Farben neu zu gestalten.

Die Überwindung der Ostblock-Diktaturen hatte gerade in Berlin zu einem prägenden Gefühl neuer Möglichkeiten und einer neuen Freiheit geführt. Eine Freiheit, die allerdings ganz im Sinne der siegreichen Wirtschaftsordnung nicht selten zu einem Ego-Trip führte, was sich auch in der Techno-Kultur bzw. der Loveparade spiegelte. Es war eine neu erlebte Energie der Freiheit zu spüren, die schon bald wieder in den Bereichen eingeengt wurde, die nicht konform verliefen oder sich profitabel genug verwerten liessen.

Der ekstatische Schein

Dancecult: Allerdings hatten zumindest kleine Teile der Techno-Kultur durchaus die Hoffnung, die Gesellschaft positiv zu verändern. Auch die Loveparade sich verstand nicht nur als riesige Party, sondern hatte nicht zuletzt durch die ausdrückliche Betonung der 'Liebe' durchaus eine klare Botschaft.

Sterneck: Es gab verschiedene Ansätze innerhalb der Techno-Kultur und ihrer Ausläufer. Da gab es das Konzept der Raving Society, das eher platt die Erwartung beschrieb, dass die Techno-Kultur als Jugendbewegung die Gesellschaft von innen heraus positiv verändert. Die Gesellschaft werde so zwangsläufig offener, friedlicher, toleranter, kreativer. Im Grunde war es jedoch nur ein oberflächliches Marketing-Konzept, das dazu diente, sich besser zu verkaufen und letztlich nichts grundsätzlich in Frage stellte, sondern eher bestärkte.

Dann gab es die Hoffnung, dass der massenhafte Gebrauch von Ecstasy (E) im Zuge einer 'E-volution' die Gesellschaft wandelt. Man ging davon aus, dass die mit Ecstasy verbundenen Gefühle des Glücks und der Offenheit sich immer weiter ausbreiten. Das ursprünglich gemeinschaftliche 'We are one Family'-Feeling der Parties sollte so zum sozialen Grundprinzip werden. Auch dies war eine Illusion. Genauso wie Terence McKennas Theorien von einem 'Archaischen Revival', das die gesamte Gesellschaft positiv verändern sollte.

Die meisten Party-People interessierten sich ohnehin nicht für derartige Konzepte. Sie gingen am Wochenende feiern, gerne auf Ecstasy, und funktionieren Wochentags als Verkäufer, Banker oder auch als Soldat. Eine bewusstseinserweiternde Substanz zu nehmen oder sich in Trance zu tanzen reicht nicht für eine wirkliche Veränderung. Es bedarf einer Auseinandersetzung mit den Erfahrungen, einer Hinterfragung von sich selbst und den umgebenden Bedingungen.

Schon die schlichte Fragestellung 'Warum ist das Wochenende so bunt und der Alltag so grau?' kann in diesem Sinne dazu führen, dass man das eigene Leben, den vielfach entfremdeten Berufsalltag, aber auch den oftmals so oberflächlichen Schein der Parties, anders sieht und vielleicht sogar etwas verändert.

Die Vorraussetzung ist jedoch eine Reflexion und die gab und gibt es in der bunten Party-Welt auf der persönlichen Ebene wie auch zum Beispiel hinsichtlich der Entwicklungen der Szene viel zu selten.

Entscheidend ist die Bereitschaft und der Wille, nicht nur an der Oberfläche zu kratzen, sondern grundlegend in sich und in der Gesellschaft etwas zu verändern. Und dies ist bekanntlich kein einfacher Weg. Es besteht ein täglicher unterschwelliger Druck sich anzupassen und einzugliedern.

Die Loveparade hatte den Anspruch 'Liebe' in die Welt zu tragen. Wenn man jetzt zurückblickt, erinnert man sich jedoch vor allem an die Todesopfer der letzten Loveparade, die auf dem Altar von Profit und Gier geopfert wurden.

Die Loveparades der frühen und mittleren neunziger Jahre haben sicherlich wichtige kulturelle Impulse gegeben und auf einer persönlichen Ebene vielfältige Erfahrungen ermöglicht. Aber das soziale und politische Potential blieb weitgehend ungenutzt.

Man stelle sich vor, hunderttausend Party-People hätten die Ministerien blockiert und für eine andere Politik getanzt. Von mir aus auch gerne im Zusammenhang mit der Loveparade für eine Politik der Liebe, wenn man diesen Begriff etwas mit Inhalten gefüllt hätte.

Wenn man Liebe konkret auch auf ein friedliches, solidarisches, gleichberechtigtes Zusammenleben bezieht, ohne Ausbeutung und Zerstörung von Mensch und Natur, dann hätte das Ganze eine andere Dimension eröffnet. Dann hätten aber auch die Sponsoren grossteils abgesagt...

Einen wirklichen Willen zur Veränderung, der über ein ekstatisches Party-Wochenende, verbesserte Möglichkeiten der Selbstvermarktung und Floskeln über 'Love, Peace and Unity' hinausging gab es nur im Underground. Ich denke da beispielsweise an die frühen Manifeste von Underground Resistance, Spiral Tribe und Praxis-Records.

Über die Theorie hinaus ging und geht es dabei immer wieder um die konkrete Umsetzung derartiger Ideale im Rahmen von nichtkommerziellen, idealistischen Parties, Reclaim-the-Streets-Aktionen und Projekten, die 'Party and Politics' ganz konkret miteinander verbinden. Ganz wesentlich ist auch die spezielle Entwicklung gemeinschaftlicher Formen des Zusammenlebens, wie zum Beispiel das nomadenhafte Stammesleben der Spiral Tribes oder in Freiräumen wie autonomen Kulturzentren und besetzten Häusern.

Das Symbol der Party-Kultur

Dancecult: Wie schätzt Du rückblickend die Bedeutung der Loveparade ein?

Sterneck: Da muss man zwischen den Neunziger Jahren und den folgenden Jahrzehnt unterscheiden. Von etwa 2000 bis 2010 war die Loveparade zunehmend nur noch ein Abgesang, ein völlig kommerzialisierter Remix einer ohnehin schon kommerzialisierten guten Ausgangsidee.

In den Neunziger Jahren war die Loveparade das weltweit herausragende Ereignis der Techno-Kultur, wie die Bewegung im deutschsprachigen Raum bezeichnet wurde, bzw. der Electronic Dance Music Culture, um es internationaler auszudrücken. (Techno schloss damals als Überbegriff Strömungen wie Trance, House und Hardcore mit ein).

Die Loveparade entsprach einer getanzten Vernetzung. Sie war das Ereignis, das die vielfältigen Projekte und Strömungen zusammenbrachte. Sie bündelte die überall neu aufkommenden und pulsierenden Energien und potenzierte sie gleichzeitig. Sie führte im Inneren als Bezugspunkt zusammen und strahlte nach Aussen aus, indem sie ein Lebensgefühl transportierte und zum Aushängeschild einer neuen Kultur wurde.

Es geschah etwas, was niemand anfangs voraussagen konnte, woran niemand bei der ersten, zweiten oder dritten Loveparade dachte. Dieser spassige, bunte, rhythmische, zum Teil rauschhafte und ekstatische, zum Teil naive wie augenzwinkernde Umzug, der unter dem überfrachteten Leitbild der Liebe der neuen Party-Kultur gewidmet war, traf genau den Nerv der Zeit. Innerhalb von wenigen Jahren stieg die Zahl der TeilnehmerInnen von rund 150 (1989) auf 200.000 bis auf je nach Schätzung einer Millionen oder sogar noch mehr TeilnehmerInnen (1999).

Die Loveparade symbolisiert die Entwicklung der Techno-Kultur von einer kleinen Underground-Szene zur wichtigsten Jugendbewegung dieser Zeit, zumindest in Westeuropa. Was Woodstock für die Hippie-Kultur war, wurde die Loveparade für die Techno-Kultur: Ein Kristallisationspunkt der zentralen Inhalte.

Im Kern standen insbesondere die sicherlich verschwommenen, aber dennoch gegebenen Ideale des gemeinschaftlichen, rauschhaft-ekstatischen Feierns und der freien Entfaltung, zusammengehalten durch eine neue Musik. Diese Ideale entsprachen einer tiefen Sehnsucht, aber in bestimmten Momenten auch einer konkret erlebbaren Praxis. Letztlich schluckte die kapitalistische Verwertungsmaschinerie die Loveparade und machte einmal mehr aus 'Love' eine entleerte Werbefloskel.

Der Tanz mit sich selbst

Dancecult: Du siehst einige Parallelen zu Woodstock. Auch 'Love' als Begriff und Symbol wurde wieder genutzt. Liegt eine Wurzel der Loveparade in der Hippie-Kultur der späten sechziger Jahre?

Sterneck: Wenn man sich die Entwicklung der Electronic Dance Music der letzten rund fünfundzwanzig Jahre anschaut gibt es zweifellos zahlreiche Bezugspunkte. Die Hochphase des Acid-House um 1988 wurde in Bezug auf den 'Summer of Love' der Hippies als 'The Second Summer of Love' bezeichnet.

Auch die anfänglichen PLUR-Ideale ('Peace. Love, Unity, Respect') der Techno-Kultur ähneln zumindest denen der Hippies und insbesondere die Psychedelic-Trance- bzw. Goa-Szene steht eindeutig in vielen Werten und Ausdrucksformen in der Tradition der Hippie-Kultur.

Man darf diese Verbindungslinien aber auch nicht überstrapazieren. Liebe ist das zentrale emotionale Grundbedürfnis des Menschen. Und auch die Bedürfnisse nach freier Entfaltung und nach Gemeinschaft, die Bedürfnisse nach Transzendenz und nach dem Flow, die Bedürfnisse nach einem freien Leben ohne repressive Vorgaben durch Eltern, Gesellschaft und System, gehören zu jedem Menschen.

Diese Merkmale finden sich letztlich in jeder Alternativ-Kultur wie im Kern jeder Musikszene, auch wenn sich zweifellos die Ausdrucksformen wandeln und zum Teil diese Bedürfnisse und Ideale erst auf den zweiten und dritten Blick erkennbar sind.

So entsprechen beispielsweise die Texte der frühen Punk-Kultur genau diesen Bedürfnissen, obwohl sie zumeist eher aggressiv und provokant waren. Pointiert formuliert war Punk ebenso ein Ausdruck der Sehnsucht nach Liebe auf einer ganz persönlichen Ebene wie in einem sozialen Kontext als Sehnsucht nach Gemeinschaft im Gegensatz zum Konkurrenzdenken und zur Ausgrenzung.

In diesem Sinne steht die Loveparade in einer langen Tradition und so lassen sich zum Teil auch Bezüge zu den späten Sechzigern herstellen. Allerdings gibt es auch grundlegende Unterschiede.

Eine neue Jugendbewegung oder Musikkultur entsteht nicht zufällig aus dem Nichts heraus. Sie ist vielmehr immer eine Folge bestimmter sozialer und politischer Bedingungen, die sich in den Lebenswirklichkeiten der Menschen widerspiegeln. Deren Erfahrungen, Bedürfnisse und Sehnsüchte bilden den Ausgang.

Vor diesem Hintergrund konnte beispielsweise Hip-Hop mit seinen musikalischen Ausdrucksformen und Inhalten nur in den afroamerikanischen Ghettos oder Punk in englischen Vorstädten entstehen. In Folge bildeten sich dann vielfältige Wechselbeziehungen und nicht zuletzt hatte auch die Musikindustrie einen besonderen Einfluss, aber den Ausgang bilden die umgebenden Verhältnisse.

Auch die Loveparade und ihre Entwicklung ist ein Ergebnis der umgebenden soziokulturellen Bedingungen. Und da unterscheidet sie sich grundlegend von den späten Sechziger Jahren, in denen selbst bei betont apolitischen Hippies eine grundlegende gesellschaftliche Veränderung ein selbstverständliches Ziel war. Bei der Loveparade muss man jedoch lange nach derartigen Zielen suchen und wird abgesehen von einigen Floskeln bestenfalls auf unterschwelligen und unbewussten Ebenen fündig.
Loveparade 2010, Duisburg, Deutschland.

Bild: Loveparade 2010, Duisburg, Deutschland. / © Arne Müseler - arne-mueseler.de (CC BY-SA 3.0)

Tatsächlich entsprach die Loveparade einer Abkehr von klaren gesellschaftlichen Zielen, sie war Ausdruck einer Entpolitisierung. So hatte es in der Bundesrepublik Deutschland in den achtziger Jahren zahlreiche starke ausserparlamentarische Bewegungen gegeben. Doch die Friedensbewegung und die Anti-Atom-Bewegung, wie auch die autonome Bewegung, konnten in Anbetracht der Machtverhältnisse ihre Ziele nicht erreichen und waren weitgehend versandet.

Später führte die Überwindung der pseudo-sozialistischen Diktaturen in Osteuropa nicht in den Aufbau einer neuen, tatsächlich freien Gesellschaftsform, sondern in die blinde Übernahme des Kapitalismus mit all seinen Begleiterscheinungen.

Diese gesellschaftlichen Entwicklungen spiegelten sich als Grundtendenz auch auf einer persönlichen Ebene. Verallgemeinert gesprochen, war vielfach ein resignatives politisches Desinteresse gegeben. Inzwischen schaute jeder zunehmend auf sich selbst, auf das ganz private Glück und den Erfolg, sowie gleichzeitig vorrangig auch auf persönlichen Spass, Entfaltung und Unterhaltung. Im Zeichen des vorherrschenden Neoliberalismus beschränkte sich die Perspektive zunehmend auf das Ego, auf Konsum und Karriere - und nicht auf das Gemeinwohl oder gar eine neue gesellschaftliche Perspektive.

All dies spiegelte die Loveparade. Es ging verschwommen um 'Love' als Ursehnsucht und um das ekstatische Feiern als Ausbruch aus dem Alltag, aber all dies auf einer völlig entpolitisierten und konsumistischen Ebene im Rahmen eines zunehmend kommerzialisierten Mega-Events.

Die Politik der Floskeln

Dancecult: Die Frage, ob die Loveparade eine politische Demo oder ein kommerzieller Umzug ist, wurde auch immer wieder von den Veranstalterinnen aufgeworfen. Sie definierten die Loveparade aber ausdrücklich als politische Demonstration.

Sterneck: Ja, das ist richtig, dieser Aspekt spielte immer wieder eine zentrale Rolle. Es ging in den entsprechenden Diskussionen jedoch nicht wirklich um die politische Ausrichtung und um die Ideale der Loveparade. Der Hintergrund war ein wirtschaftlicher. In Berlin gibt es die Regelung, dass die Müllentsorgung nach Demonstrationen von städtischer Seite übernommen und auch finanziert wird. Die VeranstalterInnen kommerzieller Events müssen jedoch die Müllentsorgung selbst übernehmen.

Deshalb gab es in den Neunzigern fast jährlich diese Auseinandersetzung: Die städtischen Ämter verweigerten die Genehmigung als Demonstration, die Loveparade klagte dagegen und drohte mit Absage. Letztlich kam dann doch die Bewilligung durch die Stadt, wobei sicherlich die hohen Steuereinnahmen und das Image eine entscheidende Rolle spielten.

Dancecult: Mit welchen Argumenten stellte sich die Loveparade als 'politische Demonstration' dar?

Sterneck: Dr. Motte, der Begründer der Loveparade, sprach immer wieder davon, dass 'Friede, Freude, Eierkuchen' das grundlegende Motto sei. 'Friede, Freude, Eierkuchen' ist eigentlich eine in Deutschland verbreitete Redensart, die einen sorglosen Zustand beschreibt, allerdings in der Regel mit einem ironischen Unterton, der darauf verweist, dass sich dies auf die Oberfläche bezieht.

Motte interpretierte die Redensart als politische Forderung neu. Er betonte immer wieder, dass 'Friede' im Kontext der politischen Loveparade für Abrüstung steht, 'Freude' für Musik als ein Mittel der Völkerverständigung und 'Eierkuchen' für eine gerechte Nahrungsmittelproduktion. Sicherlich schwang auch dabei eine Ironisierung bürokratischer Auflagen wie auch eine Ironisierung dogmatischer Formulierungen linker Gruppen mit. Auf der anderen Seite war und ist Motte tatsächlich ein Mensch, der sich für derartige Ziele einsetzt, so scheinbar naiv sie auch formuliert sind.

Aus der Innensicht von Dr. Motte heraus, waren jedoch nicht klassische politische Themenstellungen der zentrale Ausgangspunkt, sondern seine buddhistische Überzeugungen. In diesem Sinne sprach er mir gegenüber in der Mitte der Neunziger einmal davon, dass die Loveparade sein spiritueller Beitrag dazu war, Liebe und Glück auf der Erde zu vervielfältigen.

Dancecult: Dr. Motte hielt ja auch auf einigen Loveparades selbst eine politische Rede.

Sterneck: Nun ja. Die Reden von Dr. Motte waren zwar legendär, nur hat kaum jemand etwas davon mitbekommen. Selbst wenn zuhören wollte, war die Akustik in der Regel zu schlecht. Diejenigen, die etwas mitbekommen haben, sprachen zumeist von seichten, spirituell verklärten Welterklärungen.

Es war allerdings nicht einmal möglich die Reden irgendwo nachzulesen. Um 2000 herum habe ich die Loveparade einmal angeschrieben und nach den Redetexten gefragt. Die lapidare Antwort war, dass sie zwar ständig derartige Anfragen bekommen, ihnen aber die Kapazitäten fehlen, sich darum zu kümmern. Ich wurde auf die 'History-Facts' auf der Homepage verwiesen, wo sich aber ausser einigen Daten und Zahlen nichts Wesentliches befand.

Dies war sehr bezeichnend. Für diesen so äussert zentralen inhaltlichen Aspekt fand das Loveparade-Team keine Zeit. Vermutlich waren sie den ganzen Tag mit Sponsoring und Promotion beschäftigt. Deutlicher konnte man die bereitwillige inhaltliche Sinnentleerung der Loveparade durch deren Veranstalterinnen nicht beschreiben.

Die Loops der Musikkulturen

Dancecult: Du hast in Deinen Texten und Vorträgen die Loveparade mehrfach als Symbol für die Kommerzialisierung von Musikkulturen beschreiben. Wo siehst Du die Parallelen?

Sterneck: Wenn man etwas genauer auf die Entwicklung der Beat-Musik, des Hippie-Rocks, des Punk, des Hip-Hop, des Techno oder einer anderen grösseren Musikkultur der letzten Jahrzehnte blickt, werden immer wieder die gleichen Mechanismen deutlich. Sie ergeben sich zwangsläufig aus der Dynamik der kapitalistischen Marktwirtschaft heraus und lassen sich im Rahmen dieser strukturell auch nur ansatzweise überwinden.

Die Dynamiken der Vereinnahmung und Verwertung sind so stark, dass es dem Kapitalismus sogar gelingt gewissermassen seine Antithese zu vermarkten, wie sich am Beispiel des Produktes Che Guevara nun schon über Jahrzehnte hinweg zeigt.

Von der Entstehung im Underground bis zur Kommerzialisierung und Aufsplitterung sind es immer wieder die gleichen Abläufe, die ich in acht Phasen unterteile:

Phase 1: Wurzelnd in den soziokulturellen Bedingungen entsteht im Underground eine neue, wachsende (Musik-)Kultur mit idealistischem Ansatz. 2: Es kommt zu einer Ablehnung und zur Repression durch das Establishment. 3: Die (Musik-)Kultur wird zunehmend durch die Industrie vereinnahmt. 4: Die (Musik-)Kultur wird zum Mainstream.

Phase 5: Es entstehen Gegenbewegungen im Underground. 6: Die (Musik-)Kultur splittert sich in eigenständige Subkulturen auf. 7: Das Interesse an der (Musik-)Kultur schwindet im Zuge neuer soziokultureller Entwicklungen. 8: Es kommt zu Revivals und einer Musealisierung.

Diese Entwicklungsschritte lassen sich auf die Techno-Kultur genauso wie auf die Loveparade übertragen:

1989 begann die Loveparade als kleine Underground-Party von Dr. Motte auf den Strassen von Berlin. Rund 150 Leute nahmen teil. Als Verbindung einer neuen, aufbrechenden Musik mit einer idealistischen Do-It-Yourself-Einstellung und dem aufbrechenden Verständnis von Strassen als Dancefloors hatte diese Loveparade etwas subversives. Die Parade traf ein Lebensgefühl der Zeit und die Zahl der TeinehmerInnen vervielfachte sich. (Phase 1).

Nachdem die Parade anfangs in der breiten Öffentlichkeit unbeachtet blieb, wurde sie zunehmend in den bürgerlichen Medien als 'Drogen-' und 'Sexparade' diffamiert, während Techno lange der Musik-Charakter abgesprochen wurde. (Phase 2).

Mit der wachsenden Bedeutung der Loveparades stieg auch das Interesse von Konzernen insbesondere aus der Musik-, Getränke-, Bekleidungs- und Zigarettenindustrie, welche die Loveparade sponsorten bzw. mit ihren Produkten und ihrer Promotion den Spirit der Loveparade vereinnahmen und profitabel nutzen. (Phase 3).

In der zweiten Hälfte der Neunziger Jahre nahmen jeweils Hunderttausende Menschen an den Loveparades teil. Die Schätzungen überstiegen teilweise sogar die Millionengrenze. Techno war zur Massenkultur geworden. Die entsprechenden DJs liessen sich längst allen ursprünglichen Idealen zum Trotz auf der Loveparade als Stars feiern. Zahlreiche PolitikerInnen von Parteien, welche sich anfangs völlig abwertend gegen die Loveparade aussprachen, begaben sich nun auf die Loveparade, um sich in den Live-Übertagungen der TV-Sender mit einem jugendfreundlichen Image präsentieren zu können. (Phase 4).

Von Teilen der Szene, die sich an den ursprünglichen gegenkulturellen Idealen der Techno-Kultur orientierten, wurde die Entwicklung der Loveparade scharf kritisiert. Es kam zur Gründung der Fuckparade als betont nichtkommerzielle, politisch ausgerichtete Gegenveranstaltung. (Phase 5).

Die Techno-Kultur splitterte sich zunehmend in zahlreiche Subkulturen auf, die auf die gleichen Wurzeln zurückblicken, sich aber hinsichtlich der Entwicklungen im musikalischen Bereich, sowie ihrer Ideale und Verhaltenskodes stark unterscheiden. Nur ein Teil davon bezog sich weiterhin auf die Loveparade. (Phase 6).

Zu Beginn des neuen Jahrtausends hatte die Techno-Kultur ihren Höhepunkt überschritten. Die Loveparade war zwar zahlenmässig weiterhin ein Mega-Event, doch ein Rückgang der TeilnehmerInnen, wie auch ein deutlicher Verlust der Bedeutung der Loveparade war deutlich. Auf Grund verschärfter Auflagen und stark gesunkener Einnahmen durch Sponsoren fiel die zuvor jährlich durchgeführte Loveparade mehrfach aus. (Phase 7).

Zu einer Wiederbelebung der Loveparade kam es im Zuge des wieder zunehmenden Interesses an der Electronic Dance Music bzw. an der Party-Kultur. Die vorgebliche Modernisierung führte jedoch zu einer völligen Kommerzialisierung, die wiederum 2010 auf Grund katastrophaler organisatorischer Mängel zu mehreren Todesopfern führte. Der Veranstalter erklärte daraufhin, dass es keine Loveparade mehr geben wird. Voraussehbar ist jedoch, dass es in einigen Jahren eine umfassende Aufarbeitung der Geschichte der Loveparade geben wird und eine noch ausstehende angemessene Anerkennung ihrer Bedeutung. (Phase 8).

Die verkauften Beats

Dancecult: Wie hast Du ganz persönlich die Kommerzialisierung bzw. die von Dir angesprochene Abkehr von den anfänglichen Idealen erlebt?

Sterneck: Im Rückblick lassen sich die einzelnen Phasen relativ klar deutlich machen. Als direkt Beteiligter erlebt man es meist eher als fliessende Übergänge. Spontan fallen mir zwei Beispiele ein.

Marc Spoon war zeitweise einer der erfolgreichsten DJs und Produzenten in Deutschland. Wie alle bekannten DJs zu dieser Zeit nahm auch er an der Loveparade teil. Ich sehe noch sehr genau vor mir, wie er auf einem Truck stand. Völlig betrunken brüllte er immer wieder in ein Mikrophon 'Warum seid ihr alle so scheisse leise?!'. Und die Leute um den Truck herum jubelten ihm zu. Das wurde dann richtiggehend zu seinem Markenzeichen und wiederholte sich unzählige Male auf den folgenden Loveparades. Und immer mehr Leute versammelten sich dann um den Wagen von Marc Spoon, um begeistert mitzugröhlen.

Für mich war dieses Verhalten der Gegenentwurf zu Techno. Oder anders formuliert, es war die symbolhafte Wiederauferstehung dessen, was Techno in seiner Anfangszeit überwinden wollte. Es war die Wiedergeburt des prolligen, egozentrischen Rocktars.

Techno bedeutete in seinem Ursprung als Underground: Keine Stars, sondern eine Party-Community, in der es verschiedene Aufgaben gibt, aber letztlich ist keiner besser als der andere. Techno stand für die gemeinsame Trance-Erfahrung und nicht dafür, dass man einem DJ im wahrsten Sinne des Wortes hinterher läuft und bejubelt, was immer er auch macht, so bescheuert es auch sein mag.

Ich fühlte mich bei derartigen Szenen an den Schriftsteller George Orwell erinnert. Der beschrieb in seiner genialen 'Animal Farm' parabelhaft die Russische Revolution. Die Tiere erhoben sich erfolgreich gegen die Tyrannei der Menschen. Doch dann machten sie die Schweine zu den neuen Anführern und am Ende war kein Unterschied mehr zwischen den alten und den neuen Herrschern bzw. Leitfiguren zu erkennen.

Ein anderes Beispiel. Dieser neue Musikstil liess sich anfangs nur eingeschränkt vermarkten. Die Leute tanzten dazu zwar nächtelang auf den Dancefloors, aber grössere Profite konnte man damit erst machen, wenn die Stücke in den allgemeinen Charts ganz oben sind.

Und da befand sich dann plötzlich Marusha mit 'Somewhere over the Rainbow' auf Platz 1. Es war die perfekte Vermarktung. Die Grundlage bildete ein stupider 'Techno-Beat', darauf wurden einige melodiöse Elemente gelegt, sowie insbesondere der ohrwurm-artige Refrain aus dem Titel 'Over the Rainbow', einem allgemein beliebten Stück aus dem Spielfilm-Klassiker 'The Wizard of Oz'.

Veröffentlicht wurde das Stück nicht von einem Musik-Multi, sondern von 'Low Spirit', einem Label, das aus der Szene heraus entstanden war. Neue Vertriebs- und Produktionsstrukturen gepaart mit einer neoliberalen Grundhaltung ermöglichten, dass sich die Techno-Kultur stärker als all die Musikbewegungen zuvor, die von den grossen Musikkonzernen aufgekauft wurden, selbst vermarktete.

Dancecult: Du kritisiert immer wieder die Kommerzialisierung der Musik, aber ist es nicht verständlich, dass ein Musiker auch von seiner Musik leben will?

Sterneck: Das ist selbstverständlich in Ordnung. Wir alle müssen schauen, wie wir unter den gegebenen Bedingungen unser Leben finanzieren. Ich habe kein Problem damit, dass Jemand als ein Angehöriger einer Szene durch bestimmte Aktivitäten für sie lebt und dann auch von ihr in einem angemessenen Rahmen lebt. Es gibt aber auch Grenzen, wenn es beispielsweise nur noch um Profit geht. Oder wenn die Party-Gäste nur noch über die Einnahmen definiert werden. Oder wenn man sein Wissen über eine Szene an Konzerne verkauft, denen es nicht um irgendeinen Szene-Spirit geht, sondern nur um die bestmögliche Vermarktungsstrategie.

Oder anders herum gedacht, man kann zum Beispiel auch einen Teil der Einnahmen von Parties nutzen, um ein Soundsystem zu kaufen, das idealistischen Projekten zur Verfügung gestellt wird. Oder man kann Gruppen unterstützen, die in der Szene über Drogen aufklären oder sich gegen rechte Tendenzen stellen. Oder man kann seine Popularität nutzen, indem man sich für ein gutes Projekt öffentlich einsetzt. Für all dies gibt es aus unterschiedlichsten Musikszenen gute Beispiele.

Grundlegend ist die Frage, ob es nur um den Egotrip geht oder ob Aspekte der Verantwortung und der Solidarität eine wesentliche Rolle einnehmen.

Die Parade der Drogen

Dancecult: Welche Rolle nahmen Drogen bei der Loveparade ein?

Sterneck: Die Loveparade entsprach einer gigantischen Demonstration für eine Legalisierung von psychoaktiven Substanzen. Die VeranstalterInnen haben dies nie beabsichtigt oder in diesem Sinne so thematisiert, doch davon unabhängig entfaltete die Loveparade in dieser Hinsicht ihre eigene Wirklichkeit.

Mindestens die Hälfte der TeilnehmerInnen nahm auf der Loveparade illegalisierte Substanzen. Auf manchen Parties lag der Anteil am frühen Morgen sicherlich bei nahezu hundert Prozent. Wenn sich Menschen in solchen Massen über ein gesetzliches Verbot hinwegsetzen, dann hat dies eine politische Dimension, auch wenn es von den Beteiligten nicht ausdrücklich formuliert wird.

Am meisten verbreitet waren Cannabis, Ecstasy und Speed, sowie je nach Party und Szene auch Kokain, LSD und eine Reihe weiterer Substanzen. Hinzu kamen selbstverständlich die legalen Drogen Alkohol und Zigaretten.

Alkohol spielte in den ersten Jahren keine Rolle. Lange war Bier als dumpfe Droge alter Rock-Generationen geradezu out. Hinzu kommt, dass Alkohol in grösseren Mengen in Verbindung mit Ecstasy ein eher matschiges Gefühl erzeugt. Dann gelang es jedoch der Getränkeindustrie neue alkoholische Getränke auf dem Markt zu etablieren und dem Bier ein neues Image als Party-Getränk zu geben.

Auch die Etablierung der Energy-Drinks fiel in diese Zeit. Diese wurden auf der Loveparade zum Teil kostenlos verteilt. Ziel war es, bei den KonsumentInnen des neuen Getränkes, eine unbewusste Verbindung zwischen der positiven Party-Erfahrung und dem Getränk herzustellen. Trinkt man den Energy-Drink dann im Alltag wird unbewusst an das Gefühl erinnert.

Zu den Hauptsponsoren der Loveparade gehörten immer wieder auch Unternehmen der Tabakindustrie, die ihre Zigaretten-Marken mit einen modernen, jugendgerechten Image versehen wollten.

Und so kam es zu eigentlich völlig widersinnigen, aber im Sinne der herrschenden Ordnung legalen Situationen. Da wurden massenhaft neue alkoholische Drinks und Zigaretten kostenlos als Promotion verteilt. Immer wieder begegnete man Leuten, die betrunken durch die Gegend fielen oder im Suff aggressiv wurden, und man tanzte in einem gesundheitsschädlichen Zigaretten-Nebel. Gleichzeitig wurden Leute wegen ein Paar Gramm Cannabis oder einigen Ecstasy-Pillen verhaftet.

Drogenpolitik hatte schon immer nicht nur mit gesundheitlichen Aspekten zu tun, sondern vor allem auch mit wirtschaftlichen Erwägungen, sowie mit Macht und Kontrolle.

Drogen begleiten jedoch die Menschheit schon seit Jahrtausenden. Verbote konnten daran nichts ändern, sie haben vielmehr indirekt die schädlichen Aspekte verschärft.

Auch die Techno- bzw. Party-Kultur mit all ihren Subkulturen wäre ohne Ecstasy und LSD nicht denkbar. Die Substanzen trugen massgeblich zur kreativen Entwicklung bei, wie auch zur Entwicklung des besonderen Gemeinschaftsgefühls auf den Parties der ersten Jahre.

Allerdings war und ist gerade mit Ecstasy ein gesundheitliches Risiko verbunden, da unter den Bedingungen des Schwarzmarktes auch zahlreiche stark schädliche Substanzen fälschlicher Weise unter der Bezeichnung gehandelt werden.

Mit Ecstasy war auch viel Oberfläche und Schein verbunden. Auf E waren alle eine grosse Family, der DJ einfach göttlich und die überhöhten Eintrittspreise doch irgendwie angemessen. Im Alltag konnte man nüchtern dann oft doch nicht so viel miteinander anfangen.

Dies war ok, wenn man rauschhafte Party-Welt und Alltagsrealität trennen konnte und wollte. Wer jedoch einen engen Zusammenhang herstellen wollte, wurde oftmals enttäuscht oder musste sich mit den Zusammenhängen etwas tiefer greifend auseinandersetzen. Dies taten die Wenigsten und daran krankte die Techno-Kultur und mit ihr die Loveparade.

Die neue Mündigkeit

Dancecult: Bestimmte Substanzen haben sicherlich immer wieder eine wichtige Rolle eingenommen. Man denke zum Beispiel an Acid-House, wo schon in der Bezeichnung ein Bezug hergestellt wird. Aber es gab auch viele Probleme im Zusammenhang mit Drogen.

Sterneck: Zweifellos gab es auch zahlreiche Probleme. Es gab zu wenig sachliche Infos, es gab verunreinigte und gestreckte Substanzen, es gab Leute, die mit bestimmten Substanzen nicht umgehen können oder sich in eine Scheinwelt flüchteten.

Die Antwort kann aber nicht heissen: Verteufelung, Verbote und Repression. Die Antwort liegt in der Stärkung der einzelnen Person über die Entwicklung von Drogenmündigkeit. Drogenmündigkeit schliesst sachliche Informationen ein, genauso wie das Erkennen und Respektieren eigener Potentiale und Grenzen. Und es schliesst als Zielsetzung eine Gesellschaft ein, in der jede Person frei und bewusst entscheiden kann, ob sie eine psychoaktive Substanz für sich in irgendeiner Weise nutzt oder nicht.

Anti-Drogen-Kampagnen wie 'Keine Macht den Drogen' waren innerhalb der Techno-Kultur bestenfalls ein Lacherfolg. Auch Projekte der akzeptierenden Drogenhilfe konnten innerhalb der Techno-Szene keinen Fuss fassen, solange sie nur von Aussen etwas in die Szenen tragen wollten, ohne darin verankert zu sein oder Bezugspunkte zu haben.

Äusserst erfolgreich waren dagegen Projekte, die in der Szene entstanden und auf Parties sachlich ohne Dämonisierung oder Verharmlosung über Drogen informierten bzw. Drogenmündigkeit förderten. Das erste Projekt im deutschsprachigen Raum war 1994 Eve & Rave, später kamen unter anderen Eclipse, die Drug Scouts und das Alice-Project hinzu.

Eve & Rave war auch immer wieder auf der Loveparade mit chilligen Info-Bereichen vor Ort und verband so Aufklärung und Beratung mit einem offenen kulturellen Ansatz. Eve & Rave initiierten an den jährliche Loveparade-Wochenenden auch die ersten Vernetzungstreffen, die dann 1999 zur Gründung des bis heute bestehenden Sonics-Netzwerks führten. Sonics vereint Projekte, die von einem idealistischen Ansatz ausgehend im Party-Bereich tätig sind, die meisten mit dem Schwerpunkt 'Party und Drogen'.

Die Projekte zogen sich im Übrigen im Zuge der Verflachung der Loveparade von ihr zurück und engagierten sich zum Teil bei der Fuckparade, die weiterhin betont nichtkommerziell und politisch ausgerichtet ist.

Dancecult: In den Medien war in vielfach nicht nur von einer 'Drogen-Parade' die Rede, sondern auch zum Teil von einer 'Sex-Parade'.

Sterneck: Zum Teil tanzten Frauen und Männer leicht bekleidet auf den Trucks. Ab und zu auch mit freiem Oberkörper. Diese Bilder fanden dann den Weg in die Medien und prägten das Bild von der freizügigen Loveparade.

Allerdings war der überwiegende Teil der TeilnehmerInnen zwar durchaus bunt, manchmal auch schrill im Party-Look gekleidet, aber durchaus den auch sonst gängigen Normen entsprechend. Solch ein gängiges Outfit verblasst jedoch gegenüber einer leichtbekleideten, sexy Schönheit - entsprechend wurden diese fotografiert und in den Medien präsentiert.

Sex spielte im engeren Sinne zumeist keine Rolle. Da gab es sicherlich Musikkulturen, die offener waren. Das lag aber nicht daran, dass die Technos prüde waren. Vielmehr war das Erlebnis einer guten Party, das Aufgehen in Ecstasy, Sound und Trance zum Teil eine derartig tiefe sinnliche Erfahrung, dass das Bedürfnis nach Sex an Bedeutung verlor und dann erst wieder langsam in einer chilligen Afterhour zur Geltung kam.

Die Fuckparade

Dancecult: Als Gegengewicht zur kommerzialisierten Loveparade formierte sich 1997 die Fuckparade. War sie wirklich eine Alternative oder nur eine Selbstdarstellung enttäuschter DJs, deren Sound bei der Loveparade nicht mehr angesagt war?

Sterneck: In den Anfangsjahren fand die Fuckparade als Gegenparade am gleichen Tag wie die Loveparade statt. Sie definierte sich damals tatsächlich vor allem über die Loveparade bzw. über die Kritik an ihr. Gegen den Kommerz, gegen die Hierarchien, gegen die Verflachung und gegen die Aussperrung härterer Musikstile wie Hardcore und Gabber.

Auf der Loveparade hatte der idealistische und subversive Spirit der FreeTekno-Szene wischen den Werbebannern für Zigaretten, Handy-Verträge oder sogar in einem Jahr für eine neue TV-Soup keinen Platz mehr.

Die Fuckparade war anfangs als konkrete Kritik und lebendige Gegenposition wichtig. Auf Dauer wäre sie als reine Negation zur Loveparade aber immer auch von ihr abhängig gewesen und wäre uninteressant geworden.

Der Fuckparade gelang es jedoch über die Jahre hinweg zu einer eigenständigen Veranstaltung zu werden, die sich nicht mehr auf die Loveparade bezieht, sondern längst einen eigenständigen Weg eingeschlagen hat. Im Grunde stand sie sogar schon bald den ursprünglichen Idealen der Loveparade in einigen Bereichen näher, als die Loveparade selbst.

Weiterhin findet die Fuckparade in der Regel einmal im Sommer in Berlin statt. Sie ist in weiten Bereichen basisdemokratisch organisiert, verzichtet als Ganzes ausdrücklich auf Sponsoren und positioniert sich eindeutig politisch links.

Sie thematisiert weiterhin kulturelle Missstände, Club-Schliessungen und Razzien, sie blickt aber auch weit über die Party-Szenen hinaus. In Redebeiträgen und über Banner wird insbesondere auf den Kampf um soziale und kulturelle Freiräume eingegangen bzw. gegen die zunehmende Gentrifikation Stellung bezogen. Im Mittelpunkt stehen zudem antifaschistischen Positionen und eine Kritik an staatlicher Überwachung und Repression.

Die Fuckparade steht in der Tradition der Reclaim-the-Streets-Aktionen. Bei diesen geht es nicht nur darum, wie bei der Loveparade einige Stunden auf den Strassen zu tanzen und Spass zu haben. Vielmehr werden Party und Politik eng miteinander verbunden. Die Zurückeroberung der Strassen wird als Ausdruck einer lebensbejahenden Kultur wie auch einer an grundsätzlichen Veränderungen ausgerichteten politischen Praxis verstanden.

Auf Grund ihrer Ausrichtung und ihres Einflusses, sowie ihrer Geschichte, Regelmässigkeit und Grösse, ist die Fuckparade vermutlich weltweit die bedeutendste Reclaim-the-Streets-Aktion.

Das Ende der Loveparade

Dancecult: Die Geschichte der Loveparade hat 2010 ein tragisches Ende gefunden. Aus der Parade der Liebe wurde eine Parade des Todes. Wie kam es dazu?

Sterneck: Etwa ab 2000 liess das Interesse an der Techno-Kultur, den Parties und auch an der Loveparade nach. Diese war noch immer ein Mega-Event mit sechsstelligen TeilnehmerInnen-Zahlen, aber die Sponsoreneinnahmen gingen zurück und der Loveparade wurde gerichtlich der Demonstrationscharakter abgesprochen. Dadurch musste sie für die gigantischen Reinigungskosten selbst aufkommen.

Gleichzeitig hatte sie längst die herausragende Bedeutung verloren und glich eher einem gigantischen, ausgelassenen Volksfest auf dem inzwischen die Droge Alkohol dominierte.

Nachdem die Loveparade mehrfach auf Grund finanzieller und organisatorischer Probleme abgesagt wurde, stieg Rainer Schaller ein. Sein Unternehmen McFit gilt als grösste Fitness-Kette in Deutschland, die für vergleichsweise geringe Gebühren, aber auch für ein reduziertes Angebot und minimalen Service bekannt ist.

Zuerst wurde McFit der Hauptsponsor der Loveparade, dann kaufte Schaller die Marketingrechte bzw. die Loveparade GmbH komplett auf und führte die Loveparade unter eigener Regie weiter. Offensichtlich war von Anfang an, dass Schaller keinen Bezug zur Techno-Kultur oder zum Spirit der Loveparade hat, sondern die Loveparade nur als eine riesige Werbefläche für McFit ansah.

Im Zuge einer vorgeblichen Modernisierung der Loveparade wurde sie auch anderen Musikstilen gegenüber geöffnet und anderen Städten angeboten. Dr. Motte war inzwischen aus Protest gegen die Entwicklung ausgestiegen und hatte seine Anteile an der Loveparade verkauft.

Schaller entschied sich dann für eine Abkehr von Berlin. Die Loveparade sollte nun ab 2007 nacheinander in fünf Städten des Ruhrgebiets stattfinden. In Essen und Dortmund wurde die Loveparade unter grosser medialer Aufmerksamkeit durchgeführt, in Bochum allerdings 2009 auf Grund einer befürchteten Überlastung der Infrastruktur von der Stadt abgesagt. Auch die Durchführung 2010 in Duisburg, einer mittelgrossen Stadt, war aus ähnlichen Gründen und finanzieller Probleme umstritten.

Durchgeführt wurde die Loveparade dann nicht, wie sonst üblich, in den Strassen einer Stadt. Sie fand stattdessen auf dem Gelände eines alten, stillgelegten Güterbahnhofs statt, das im Gegensatz zu allen Loveparades zuvor eingezäunt wurde. Grund waren angeblich Sicherheitsvorkehrungen. Tatsächlich ging es vermutlich eher darum, den Getränkeverkauf zu kontrollieren. Die Veranstaltung brach dadurch mit einem weiteren Wesensmerkmal der Loveparade, der räumlich völlig offenen Zugänglichkeit.

Der einzige öffentliche Zugangsweg zum Loveparade-Gelände war ein Tunnel, der gleichzeitig auch den einzigen Ausgang bildete. In Anbetracht von zehntausenden BesucherInnen die in zwei Richtungen in einem Tunnel strömen, war eigentlich schon im Vorfeld für jeden Laien ersichtlich, dass dies zu grossen Problemen führen kann. Umso überraschender ist es, dass die entsprechenden Behörden der Stadt Duisburg die Veranstaltung nach Prüfung der Sicherheitsvorkehrungen genehmigten.

In diesem Tunnel kam es dann zur Katastrophe. Zahlreiche Fotos und Videos zeigen, dass ein unerträgliches Gedränge in dem Tunnel herrschte, dass sich die BesucherInnen-Ströme gegenseitig blockierten und die ohnehin kaum sichtbaren Sicherheitskräfte völlig überfordert waren. In dem Gedränge kam es zu panikartigen Zuständen. Zahlreiche Menschen wurden verletzt, einundzwanzig Menschen starben.

Am Tag darauf kam es zu einer widerwärtigen Pressekonferenz, auf der Veranstalter und Stadt eine Schuld von sich wiesen. Anfangs hiess es sogar noch, dass alle Sicherheitsvorkehrungen eingehalten worden wären und die Gäste selbst an dem Unglück Schuld seinen. Gleichzeitig verkündete Schaller das Ende der Loveparade.

Inzwischen gibt es eine Reihe von Erklärungen in denen der Veranstalter, die Stadt bzw. die entsprechenden Behörden und die Polizeikräfte sich gegenseitig die Schuld zuweisen. Langjährige Gerichtsprozesse werden folgen.

Die juristische Klärung, welche organisatorischen Fehler im Detail zu den Todesfällen geführt hat, ist eine Ebene. Daneben gibt es jedoch noch eine grundlegende übergreifende Verantwortung. Letztlich bildete die Gier nach Profit und Ruhm die eigentliche Ursache der Loveparade-Katastrophe von Duisburg.

Auf der einen Seite wollte Rainer Schaller bzw. seine Lopavent GmbH die Loveparade so kostengünstig wie nur möglich durchziehen. Auf der anderen Seite wollte auch Adolf Sauerland, der konservative Bürgermeister von Duisburg, unbedingt die Loveparade, um das Image der Stadt und zweifellos auch sein eigenes Image aufzubessern.

Bezeichnender Weise gaben Veranstalter und Bürgermeister später zu, dass die kompletten TeilnehmerInnen-Zahlen, die veröffentlicht wurden, in gravierender Weise nicht der Realität entsprachen. Im Zuge der Planung war der Bürgermeister informiert worden, dass die veröffentlichten Angaben über die Zahl der TeilnehmerInnen der vorangegangenen Loveparades in Essen und Dortmund, die offiziell bei 1,2 Millionen und 1,6 Millionen langen, um ein vielfaches über den tatsächlichen Zahlen lagen. Die veröffentlichten Angaben würden nur der medialen Promotion dienen, während man intern bei den Planungen mit wesentlich geringeren Zahlen arbeitet.

Selbst am Tag der Loveparade direkt vor der Tragödie sprachen Veranstalter und Bürgermeister in TV-Interviews von 1,4 Millionen TeilnehmerInnen in Duisburg. Als nach dem Unglück die Sicherheitsvorkehrungen bzw. die entsprechenden Genehmigungen hinterfragt wurden, reduzierte sich die Zahl der angeblichen TeilnehmerInnen plötzlich auf höchstens 200.000, selbstverständlich entsprechend den Genehmigungen. Alle anderen zuvor veröffentlichten Zahlen wären auch hier nur Promotion gewesen.

Schon auf Grund dieser falschen Angaben hätte der Bürgermeister zurücktreten müssen, aber mit Unterstützung seiner Partei, der CDU, die einen Abwahlantrag überstimmte, ist er noch immer im Amt.

Die Rhytmen der Veränderung

Dancecult: Stimmt es, dass Dr. Motte, als Begründer der Loveparade inzwischen bei der Fuckparade aktiv ist, die ursprünglich als Gegenveranstaltung zur Loveparade ins Leben gerufen wurde?

Sterneck: Ja, inzwischen läuft Motte bei der Fuckparade mit. Er hat dort auch schon einmal eine Rede gehalten und in diesem Jahr an der Schweigeminute teilgenommen, die zu Beginn der Fuckparade in Gedenken an die Opfer der Loveparade in Duisburg stattfand.

In Interviews hat Motte vielfach den Ausverkauf der Loveparade kritisiert. Allerdings begann dieser Ausverkauf nicht erst mit der Übernahme durch McFit, sondern schon lange zuvor unter Mottes Leitung in den Neunziger Jahren.

Das Tanzen in den Strassen Berlins auf der Loveparade war anfangs etwas neues, teilweise ein symbolhafter Tabu-Bruch, manchmal auch ein Ausbruch aus den Fesseln verkrusteter Strukturen. Es war ein wunderbares Feeling, verbunden mit vielfältigen Möglichkeiten der Entfaltung und Gestaltung.

Aber die Loveparade hat trotz all ihrer positiven Energie gezeigt, dass sich soetwas auch schnell integrieren lässt. Aus der aufbrechenden, ekstatischen Feier einer neuen Kultur wurde eine konforme, völlig kommerzialisierte Massenparade. Die Geschichte der Loveparade zeigte einmal mehr, dass das losgelöste Feiern und einige nette Slogans nicht ausreichen, wenn man wirklich etwas verändern will.

Notwendig ist die vielfältige Verbindung von Party und Politik, von Rhythmus und Veränderung nicht nur auf besonderen Events, sondern in unserem alltäglichen Leben.

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