Lessons from the Marble Machine Die Melodie der Murmeln

Kultur

10. Mai 2016

Wie 17 Millionen andere Menschen habe auch ich vor einigen Tagen das Video des jungen Schweden und seiner selbstgebauten „Marble Machine“ geschaut.

Die Marble Machine mit seinen 200 Murmeln des jungen Schweden Wintergatan.
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Die Marble Machine mit seinen 200 Murmeln des jungen Schweden Wintergatan. Foto: (CC BY-SA 3.0 cropped)

10. Mai 2016
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Und während die Murmeln, bewegt durch einen komplizierten Fördermechanismus und geführt entlang verschlungener Wege, eine nach der anderen herunterpurzelten und eine süsse Melodie spielten, wanderten meine Gedanken weit weg, und mich überkam ein eigenartiges Gefühl. Zuversicht.

Hatte dieser Mensch nicht viele hundert, vielleicht mehrere tausend Stunden, ganz ohne jeden Zwang, mit der Konstruktion und Perfektionierung einer Holzmaschine verbracht, die nur dem kindischen Zweck diente, mit Spielzeugmurmeln Musik zu machen? Wie viele Versuche und Neuanfänge, wie viele Irrwege hatte er dafür beschritten? Alles für ein grosses Holzspielzeug, und sicher jede einzelne Stunde abgeknapst vom kostbaren Schlaf, jedes Holzbrett zusammengespart vom kläglichen Lohn, jede Schraube eingedreht von der müden Hand, wie man es vor hundert Jahren getan hätte!

Eine Arbeit unter widrigsten Bedingungen, die Hoffen macht. Wenn das möglich ist – was wird einst möglich sein? Welche Leistungen, welche Wunder wird die menschliche Kreativität und Schaffenskraft eines Tages vollbringen, wenn sie davon geheilt ist, den Grossteil ihrer Lebenszeit für die Produktion überflüssiger Waren und für die Anpassung an eine sinnlose Selbstoptimierung zu vergeuden? Wenn sie nicht länger getrennt ist von den Produktionsmitteln, den Werkzeugen zur Verwirklichung ihrer Pläne und Ideen?

Wenn sie die Gesellschaft nicht länger dem Wirken der falschen Naturgesetze von Tauschwert und Kapital überlässt, sondern bewusst plant? Wenn sie die riesigen Potenzen von Wissenschaft und Technik nicht mehr zur Vermassung und Verbilligung von Waren einsetzt, sondern zur Verbesserung des Lebens aller Menschen? Wenn sie nicht länger nachts und vereinzelt, sondern am hellichten Tag und unter Mitwirkung der gesamten Gesellschaft und ihrer Kräfte sich entfalten kann?

Wo würden wir anfangen? Wo müssten wir aufhören? Die Grenzen der kapitalistischen Gesellschaft, ihre Machbarkeiten und Möglichkeiten sind doch lächerlich angesichts der Werke, zu denen eine freie Gesellschaft von sechs Milliarden Menschen in der Lage wäre. Wenig gäbe es, das unvorstellbar bliebe, oder nicht wenigstens versucht werden könnte. Wir können die Sahara begrünen und den Klimawandel umdrehen. Wir können die Regenwälder wieder anpflanzen und die Weltmeere wieder mit Fischen bevölkern. Ja, wir können diesen Planeten wieder lebenswert machen.

Nein, wir haben immer noch keine Angst vor den Ruinen, die wir von dieser Gesellschaft, ihrem Profit und ihren Kriegen erben werden. Wir werden Wege finden, die Wunden zu heilen, auch unsere eigenen. Wir können nichts ungeschehn machen, aber wir werden alles daran setzen, die Spuren der Gewalt, all die Traumata und Verhärtungen in uns und anderen zu lindern.

Alles, was es dafür braucht, ist ein bisschen Zeit. Zeit, die tatsächlich uns gehört. Alles beginnt damit, dass du morgen fünf Minuten früher von der Arbeit gehst. Alles beginnt damit, dass du dich morgen fünf Minuten aus der sozialen Netzwerkscheisse ausklinkst. Alles beginnt damit, dass du dein Leben selbst in die Hand nimmst. Es ist das einfache, das doch so schwer ist.

M.W. - LCM / Redaktion Kritische Perspektive