Über das neue Berliner Hip-Hop-Album „LIT Lost in Translation“ von JuJu Rogers und Bluestaeb Right on! All Power to the People!

Kultur

11. Januar 2017

Panther Power Rap auf souligen Hip-Hop-Beats – das neue Album „LIT Lost in Translation“ von JuJu Rogers (Rap) und Bluestaeb (Beats und Produktion) ist schon musikalisch vom Feinsten.

Black Panther Convention, 1970.
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Black Panther Convention, 1970. Foto: Thomas J. O'Halloran (PD)

11. Januar 2017
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In Tagen, in denen es uns an revolutionärem Gedankengut aber definitiv mehr mangelt als an guter Musik, sticht das Album vor allem durch seine bewusste Message hervor. Lyrisch nimmt uns JuJu Rogers mit auf eine Reise vom hegemonial antipolitischen Zeitgeist, ob im heutigen Hip-Hop oder der Mainstream-Popkultur, über die Reflexion der politischen Verantwortung von Künstler*innen und die Analyse der Widersprüche der Gesellschaft, bis zum Aufruf zur Einheit, zur Organisierung und zum revolutionären Kampf.

Der Titel des Albums „LIT“, angelehnt an das trendy Jugendwort „lit“, steht hier für „Lost in Translation“, den Ausgangspunkt der Geschichte. Der erste Track „Get Lost“ ist ein Spiegelbild unserer heutigen bürgerlichen Spassgesellschaft: Nach jeder Woche anstrengender Lohnarbeit ist Zerstreuung das oberste Gebot: Clubben, Alkohol, Sex, Schuhe – das Nachahmen des Lifestyle der Reichen. Die Auseinandersetzung mit den drängenden Fragen der Zeit findet in diesem Rausch keinen Raum mehr: „We ain't nothing to do with all that politics: Africa, Palestine, all that shit, Ferguson, Baltimore…“ Unpolitische, fleissige und konsumfreudige Partyprolet*innen – für sie steht „lit“. Aber wie der auf den Kopf gedrehte Titel auf dem Albumcover andeutet, stehen sie damit nicht auf dem Boden der Tatsachen. Der Ausgangspunkt der Auseinandersetzung ist der Verlust des politischen Bewusstseins, das Verlorensein im Übersetzen der Realität, in einem Zustand, der von der kollektiven Erkenntnis der eigenen Ausbeutung und der weltweit geführten Kämpfe komplett entfremdet ist.

Diesen Missstand macht sich JuJu, gebürtiger Schweinfurter und spätestens seit seinem Soloalbum „From a Life of a Good for Nothing“ eine Grösse im deutschen Hip-Hop, zum Anlass um seine eigene Rolle als Künstler zu hinterfragen. Ein Sample von Nina Simone auf dem Track „Artist's Duty“ fasst das Ergebnis zusammen: „Du kannst nichts dagegen tun. Die Pflicht eines*r Künstler*in, wenn es nach mir ginge, ist es die Zeit zu reflektieren. Ich habe entschieden die Zeiten und die Situationen in denen ich mich wieder finde zu reflektieren. Für mich ist es meine Pflicht und es ist ausschlaggebend in unserem Leben, wenn alles so aussichtslos ist, wenn jeder Tag eine Frage des Überlebens ist. Ich glaube, du kannst nicht anders als dich einbringen.“

Der nächste Schritt ist die Aufgabe, die Conscious Hip-Hop mehr noch als alle anderen Genres zu erfüllen hat: Die lyrische Wiederspiegelung der Gesellschaft in der wir leben. In „LIT“ passiert das durch eine Mischung aus biographischen Referenzen, durch Metaphern, Gleichnisse und das Aufwerfen der entscheidenden Fragen („Who's the master, who's the slave?“, „What's the answer to the pig?“). Dabei zieht JuJu Linien zwischen Deutschland und den USA – seine Familie väterlicherseits kommt aus New Orleans, Louisiana – und thematisiert das Zusammenspiel von Kapitalismus, Armut, Polizeigewalt, Rassismus, bürgerlicher Ideologie und fehlendem politischen Bewusstsein, das der Gesellschaft auf beiden Seiten des Atlantiks gemein ist.

So heisst es im Track „Psalm 137“ – angelehnt an die biblische Geschichte von Diaspora und Versklavung in Babylon: „By the rivers of Babylon is where we wept, but these negus just party on.“ Es ist ein Weckruf an diejenigen unter uns, deren Taten und Gedanken die eigene Unterdrückung unbewusst verschleiern, anstatt sie zu bekämpfen. Im Geiste des antikolonialen Theoretikers, Arztes und Revolutionärs Frantz Fanon verlautet die Signatur von „LIT“: „Dieses Album is den Verdammten dieser Erde gewidmet. Den Schwachen und Armen. Den Menschen auf der ganzen Welt, die weniger privilegiert sind als wir, und die gezwungen werden unter noch schlechteren Bedingungen zu leben. Den Kriminalisierten, Rassifizierten und Marginalisierten dieses Planeten.“

Privileg bedeutet hier nicht nur das relative Privileg in Deutschland geboren worden zu sein. Im Vorwort von „Soledad Brother“, den Gefängnisbriefen des schwarzen Revolutionärs George Jackson, der 1960 mit 18 Jahren für einen angeblichen Diebstahl von 70 US-Dollar an einer Tankstelle in Los Angeles in den Knast geschickt wurde, wo er zehn Jahre später nach seinem Beitritt in die Black Panther Party vom Staat ermordet wurde, schreibt sein Neffe Jonathan Jackson Jr. passend: „In diesen Zeiten gibt es zwei sehr unterschiedliche Wege in ein Privileg herein geboren zu werden“ – Reichtum und Bewusstsein. Und weiter: „Diejenigen, die nicht ins Privileg geboren werden, können auf verschiedene Weisen ein politisch bewusstes Fundament gewinnen.

Kein Schleier trennt die Unterklasse von den Wirklichkeiten des Alltags. Ihnen wurde das Geschenk der Ernüchterung gegeben. Bürgerlicher Lifestyle, obwohl er vielleicht begehrt wird, ist in den meisten Fällen nicht realisierbar. Tägliches Überleben ist das primäre Ziel, so wie es bei George war. Wenn es aber ansprechender für einen wird zu kämpfen – und vielleicht zu sterben – als permanent im Überlebensmodus zu leben, dann beginnt die Revolution eine Möglichkeit zu werden.“

Das Erbe George Jacksons, Huey P. Newtons, Assata Shakurs und der Black Panther Party, der schwarzen marxistischen Organisation, die vor genau 50 Jahren in Oakland, California, gegründet wurde um entgegen dem Mantra der Gewaltlosigkeit des bürgerlich geprägten Civil Rights Movements explizit bewaffneten, proletarischen Widerstand gegen den Staat, Kapitalismus und dem ihn eingeschriebenen Rassismus zu leisten, kommt schliesslich im Track „Right On!“ zur Sprache: Wir, die nichts verdienen, haben – nach Marx – eh nichts zu verlieren als unsere Ketten. In unserer heutigen Gesellschaft, in der Lohnsklaven systematischer Ausbeutung unterliegen, in der der Kolonialismus im Verhältnis von Staat und Kapitalismus zu immer wieder neu rassifizierten Individuen notwendig weiterlebt, in denen es durch permanente Konkurrenz auf allen Levels „töten oder getötet werden“ heisst, in der Prolet*innen nur Spielfiguren herrschender Interessen sind, sind die Forderungen und Slogans der Panthers so zeitgemäss, wie sie es bereits in den 70ern waren.

Nicht nur in den USA, wo sich die Anzahl von Gefängnisinsassen seit 1970 auf 2,3 Millionen mehr als verzehnfacht hat, um den aufgeblähten Gefängnis-industriellen Komplex durch ultragünstige quasi-Sklavenarbeit zu nähren. Staat, bürgerliches Recht, Gefängnisse, Polizei, Kapital und Lohnarbeit – das sind die Institutionen, welche auch die deutsche Gesellschaft im Würgegriff halten. Um diese abzuschütteln bedarf es nicht weniger als den organisierten, revolutionären Kampf der Unterdrückten und Ausgebeuteten: In den Kiezen, in den Betrieben, in den Schulen und Universitäten.

Bei den Panthers hiess das: Mit den sogenannten Survival-Programms, d.h. kostenlosen Frühstücksprogrammen für die Kinder armer Familien, kostenlosen Gesundheitschecks und Rechtsberatung die Grundlage für das Überleben der Community gewährleisten, um in den „Liberation Schools“ mit einfach verständlichen Analysen der Vergangenheit und Gegenwart des Befreiungskampfes politische Bildung in die Nachbarschaft zu tragen. Weder die Survival Programs, noch die politische Bildung sind aber der Endzweck. Sie bilden nur die Grundlage für die massenhafte Organisierung, die uns erlaubt der herrschenden Klasse und ihren Handlangern unsere eigenen Spielregeln aufzuzwingen.

Aber fangen wir dort an, wo wir gerade stehen. Machen wir uns an die Arbeit die Realität kritisch zu untersuchen und dabei Sein und Schein voneinander zu unterscheiden. Unterstützen wir unsere Familien, unsere Freund*innen, Nachbar*innen und Kolleg*innen darin dasselbe zu tun – nicht durch Vorwürfen oder Abgrenzung, sondern im Wissen, dass wir ohne sie nicht weit kommen werden. Machen wir uns bewusst, welche Verantwortung wir zu tragen haben, ob als Rapper,*in Künstler*in, Arbeiter*in, Arbeitslose, Jugendliche oder Studierende, Migrant*innen oder Deutsche. Organisieren wir uns politisch und scheuen wir nicht die Konfrontation mit unseren Ausbeutern und Unterdrückern. Das ist die Botschaft der Black Panthers, die in „LIT“ weiterlebt. Right on! All Power to the People!

Sadeq Rasasa / lcm