Rezension zum Film von Sarah Gavron Suffragette – Taten statt Worte

Kultur

25. Juni 2018

„Suffragette“ erinnert an den harten Kampf der englischen Frauenrechtsbewegung vor rund hundert Jahren.

Kleidung aus dem Film «Suffragette», welche Helena Bonham Carter während der Protest-Szene vor dem Parlament trug. Im Hintergrund das Kleid von Meryl Streep, das sie während ihrer Ansprache auf dem Balkon anhatte.
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Kleidung aus dem Film «Suffragette», welche Helena Bonham Carter während der Protest-Szene vor dem Parlament trug. Im Hintergrund das Kleid von Meryl Streep, das sie während ihrer Ansprache auf dem Balkon anhatte. Foto: Johanna (CC BY-SA 2.0 cropped)

25. Juni 2018
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Das ist sehenswert, der historischen Bedeutung wegen, aber auch aufgrund der exzellenten Besetzung und der stimmungsvollen Ausstattung. Über die Besonderheit der Bewegung erfährt man jedoch wenig, das Drama hält sich eng an Bewährtes und ist an manchen Stellen auch vereinfacht bzw. etwas dick aufgetragen.

Für Maud Watts (Carey Mulligan) gab es bislang kein echtes Leben ausserhalb der kleinen Wäscherei im Londoner East End. Sie wurde dort geboren, hat seit ihrem siebten Lebensjahr dort gearbeitet, ist auch mit ihrem Kollegen Sonny (Ben Whishaw) verheiratet. Ihre Rolle als Frau zu hinterfragen, das kam ihr bislang dann auch nicht in den Sinn, wer sie zu sein hat, das wurde immer von anderen bestimmt. Bis zu jenem Tag, als sie mitansieht, wie ihre Kollegin Violet (Anne-Marie Duff) gewaltsam für die Frauenrechte kämpft. Zunächst hat Maude nur wenig Interesse, sich mit dem Thema näher auseinanderzusetzen. Doch je mehr sie von diesem leidenschaftlichen Kampf erfährt, je mehr sie sieht, wie sich Frauen wie Edith Ellyn (Helena Bonham Carter) für die Sache einsetzen, umso stärker beginnt sie, auch ihr eigenes Leben zu hinterfragen und sich der Bewegung anzuschliessen – mit grossen Opfern.

Ein bisschen grotesk ist es schon: So selbstverständlich ist uns das Wahlrecht geworden, dass wir es schon gar nicht mehr als Errungenschaft wahrnehmen, immer mehr Leute sogar darauf verzichten. Dabei ist es noch gar nicht so alt, zumindest für die weibliche Hälfte der Bevölkerung: Erst 1919 durften deutsche Frauen mitbestimmen, andere europäische Länder waren teils noch deutlich später dran. Einfach war der Weg dorthin nicht, in manchen Nationen ist er bis heute nicht abgeschlossen. Eine der bekanntesten Frauenrechtsbewegungen war dabei die der englischen Suffragetten, wohl auch, weil sie bei ihrem Kampf nicht vor gewaltsamen Aktionen wie Bombenanschlägen zurückschreckten.

Das britische Drama Suffragette verschweigt diesen militanten Aspekt nicht, thematisiert sogar die moralische Ambivalenz, die damit einhergeht. Gewalt unterscheidet nicht zwischen Schuldigen und Unschuldigen, wie Inspektor Steed (Brendan Gleeson) Maude an einer Stelle zu denken gibt. Und tatsächlich zieht der Kampf Opfer nach sich, die das nicht verdient haben. Aber was heisst schon verdient? Haben es Frauen verdient, als Menschen zweiter Klasse behandelt zu werden? Die Antwort darauf fällt hier eindeutig aus. Und damit auch keine Restzweifel bleiben, wird hier alles aufgefahren, was die damalige Situation von Frauen möglichst erschreckend erscheinen lässt, von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz bis zum absurden Adoptionsrecht.

Effektiv ist das sicher, wie bei anderen Bürgerrechtsdramen weiss man auch hier, wie man sein Publikum zu bedienen hat, um Wut und Empörung hervorzurufen. Nachteil: Suffragette ist ein wenig austauschbar, die beteiligten Personen und das Setting mögen für die meisten Zuschauer neu sein, der Film als solches ist es sicher nicht. Über die Hintergründe der Bewegung erfährt man relativ wenig, man will die Menschen bewegen, nicht informieren. Ein bisschen ärgerlich ist es sogar, dass hier ein bisschen dick aufgetragen wurde. Einen schmierigen Chef der Wäscherei einzuführen, überhaupt alle Männer – von Steed vielleicht einmal abgesehen – als klare Antagonisten zu zeichnen, vereinfacht den Konflikt natürlich, ist gleichzeitig aber wenig spannend. Über den Kampf hinaus bekommt hier ohnehin niemand eine echte Persönlichkeit auf den Leib geschrieben, statt Tiefgang gibt es den Hang zum Pathos.

Und doch ist Suffragette ein sehenswerter, wenn nicht sogar wichtiger Film, der uns daran erinnert, wie hart der Kampf um unseren Alltag war, wie wichtig er uns deshalb sein sollte. Dazu ist das Drama exzellent besetzt und ausgestattet, vor allem Carey Mulligan, die an Stelle des Publikums die Ungerechtigkeiten dieser Zeit erlebt und damit spürbar macht, darf sich hier mal wieder von ihrer besten Seite zeigen. Und auch Helena Bonham Carter als leidenschaftliche Vorkämpferin vereinnahmt regelmässig Szenen. Meryl Streeps Auftritt ist hingegen recht schnell vorbei, ihr grosses Bild auf dem Artwork nur ein reiner Marketingtrick. Abgerundet wird das Ganze durch eine stimmungsvolle Ausstattung, die das England der 1910er in all seiner Trübseligkeit aufleben lässt und damit wesentlich zu der bedrückenden Atmosphäre beiträgt.

Oliver Armknecht
film-rezensionen.de

Suffragette – Taten statt Worte

England

2015

-

106 min.

Regie: Sarah Gavron

Drehbuch: Jan-Ole Gerster

Darsteller: Carey Mulligan, Meryl Streep, Helena Bonham Carter

Produktion: Alison Owen, Faye Ward

Musik: Alexandre Desplat

Kamera: Edu Grau

Schnitt: Barney Pilling

Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons (CC BY-NC-SA 3.0) Lizenz.