Punch-Drunk Love He needs me and I need him

Kultur

20. Februar 2020

Benommen (Punch-Drunk) – diese Vokabel trifft nicht nur auf die Hauptfigur in Andersons („Magnolia“, 1999) „Punch Drunk Love” zu.

Adam Sandler, Regisseur Paul Thomas Anderson, Emily Watson und Philip Seymour Hoffman bei der Präsentation ihres Filmes «Punch-Drunk Love» in Cannes 2002.
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Adam Sandler, Regisseur Paul Thomas Anderson, Emily Watson und Philip Seymour Hoffman bei der Präsentation ihres Filmes «Punch-Drunk Love» in Cannes 2002. Foto: Rita Molnár (CC BY-SA 2.0 cropped)

20. Februar 2020
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Ich fühlte mich benommen von diesem Streifen, in dem Adam Sandler vielleicht zum ersten Mal – was seine spezifischen Outsider-Rollen betrifft – zum Kern seiner Figuren vorgestossen ist. „Mr. Deeds“ z.B. war so ein typischer Sandler-Film, den ich eine deutlich sichtbare Spur als zu albern, zu unernst empfand – und zwar in bezug auf die Figur selbst, die Sandler systematisch aufbaut, ihre innere Logik aber selbst nicht durchhalten kann. Es fehlt der letzte Schliff.

Punch-Drunk – das bedeutet auch: an einem Boxersyndrom leidend, im übertragenen Sinne vielleicht: da leidet jemand an etwas, was Gewalt in ihm auslöst. Auch dies charakterisiert Andersons Film bzw. seine Hauptfigur.

Barry Egan (Adam Sandler) hat sieben Schwestern, und mehr oder weniger alle haben sich wohl immer um ihren einzigen Bruder „gekümmert“, sprich: ordentlich bevormundet. Barry hat ein Geschäft, in einer Lagerhalle, verkauft irgendwelchen Krempel im San Fernando Valley, unterstützt von ein paar Angestellten, unter ihnen Lance (Luis Guzmán). Barry neigt zu aggressiven Ausfällen, nutzt Fehler in der Werbeaktion einer Firma und sammelt deren Puddingbecher, Marke Healthy Choice, um Bonusmeilen für Flüge anzuhäufen, greift sich ein altes Harmonium, das an der Strasse abgestellt wurde, und stellt es in sein Büro in der Lagerhalle – alles Dinge, die mehr, aber eher weniger Sinn und Verstand zu haben scheinen und lediglich von Barrys Kampf gegen die Windmühlenflügel eines Lebens zeugen, in dem sich der stets in einem blauen Anzug steckende moderne Don Quichotte nicht zurecht findet.

Warum Barry eine Telefonsexnummer anruft, bleibt ebenso fraglich wie viele andere seiner Handlungen. Die Dame am anderen Ende der Strippe (Ashley Clarke) gehört zum Stab des Geschäftemachers Trumbell (Philip Seymor Hoffman), einem, der keinen Spass versteht. Eigentlich will Barry keinen Telefonsex, sondern nur reden, worüber auch immer. Barry sucht Kontakt. Trumbell dagegen will Geld, nicht nur für Telefonsex. Er spioniert seine Kunden aus, um sie zu erpressen. Als Barry gegen diese Machenschaften heftig protestiert, schickt ihm Trumbell – nach einem äusserst aggressiven Telefongespräch zwischen ihm und Barry – ein paar nette Jungs, die ihm mit Hilfe von Gewalt den richtigen Weg weisen sollen.

In dieser Situation tritt in Barrys Leben eine Frau. Eine seiner Schwestern will ihn mit Lena Leonard (Emily Watson) verkuppeln. Und Lena findet Gefallen an dem verrückten Kerl, wie der an ihr. Da kommen Barry die Flug-Bonusmeilen gerade recht. Denn Lena will nach Hawaii, Barry zu ihr und ausserdem Porno-Trumbell entkommen ...

Anderson taucht seine Geschichte und seine Hauptfigur Barry in einen prall gefüllten Krug mit Absurditäten, skurrilen Situationen, fast surrealen Bilderwelten, begleitet von einem romantischen, sentimentalen Song „He needs me“ (von Popeyes Olivia Öl). Barry ist kein gebrochener Mann, aber angeknackst, fast nicht fähig, mit anderen in einen „normalen“ Kontakt zu treten. Das ändert sich, langsam, immer wieder unterbrochen von Barrys aggressiven Ausfällen, etwa wenn er die Toilette in einem Restaurant, in das er mit Lena gegangen ist, zertrümmert. Barrys Handlungen sind „anti-real“: Ein fantastisch inszenierter Autounfall zu Beginn des Films, der wie ein göttlicher Blitz einschlägt, bringt Barry ein Harmonium, das er sich nach einigem Überlegen aneignet. Niemand versteht das, auch nicht, warum Barry ganze Lagen Puddingbecher im Lager hortet.

Barry wehrt sich. Seine aggressiven Ausfälle entfachen allerdings eine merkwürdige Sympathie mit einem Mann, der mit den Anforderungen, die man an ihn stellt, nicht zurecht kommt, warum, erklärt Anderson – Gott sei Dank – nicht. Es spielt keine Rolle. Sandler spielt, was er immer spielt, aber in einer gewissen Weise perfekt. Barry sucht. Er sucht einen Weg, nicht nur einen Ausweg aus seinem Desaster. Als er Lena besuchen will, irrt er durch die Gänge des Hauses, in dem sich ihre Wohnung befindet, jeder Flur und jede Tür sehen gleich aus. Aber er findet sie. Auf Hawaii lieben sich Barry und Lena, und noch in ihrer Intimität gerät Barrys Leidenschaft für diese Frau (phantastisch anmutig spielend: Emily Watson) in den Bereich der Gewalt. Er erklärt ihr, er liebe sie derart, dass er ihr Gesicht mit einem Vorschlaghammer zertrümmern könne. Da ist ein Rest von Gewalt, aber ein ungefährlicher, weil Barry dies nie tun würde. Seine Äusserung – auch Lena weiss dies – ist lediglich der verbale Rest von Gewalt, die Barry gerade hinter sich lässt, sozusagen Makulatur. Er möchte Lena fressen, so liebt er sie. In einer anderen Szene begegnet Barry Trumbell; es riecht nach exzessiver Gewalt. Aber Barry kann schon hier auf Aggression verzichten, weil er liebt, lieben kann.

Als Lena und Barry sich auf Hawaii treffen, fallen sich beide in die Arme, untermalt von entsprechend romantischer Musik, eine Szene, die der romantischen Komödie nahe kommt, sie aber nie erreicht, nur sporadisch. Ein Hauch von Romantik umweht den Film. Zwei offenbar völlig unterschiedliche Charaktere, die nichts, fast nichts voneinander wissen, Lena höchstens vom Hörensagen über Barrys Schwester, ihre Freundin, spüren einander, fühlen etwas füreinander, das stärker ist als jede Gewalt.

In gewisser Weise betritt Anderson mit „Punch-Drunk Love“ filmisches Neuland. Er streift Genre – romantische Komödie, Drama, Sex & Crime –, aber der Film ist genremässig kaum einzuordnen. Barry steht absolut im Mittelpunkt; der Film ist auch eine psychologische Studie über diesen Menschen, aber er ist mehr, versucht auf unkonventionelle Weise, einem Mann nachzuspüren, ohne ihn blosszustellen oder zu ergründen, beziehungsweise: Er ergründet ihn auf ungewohnte Art. Barry hat unsere Sympathie, und Sandler kommt in diesem Film zum Höhepunkt dessen, was Sandler schon immer spielte: einen Outsider, der sich versucht, seiner Qualen zu entledigen, zu sich zu finden, aber eben auf Sandler-Art.

Ulrich Behrens

Punch-Drunk Love

USA

2002

-

95 min.

Regie: Paul Thomas Anderson

Drehbuch: Paul Thomas Anderson

Darsteller: Adam Sandler, Emily Watson, Philip Seymour Hoffman

Produktion: Paul Thomas Anderson, Daniel Lupi, Joanne Sellar

Musik: Jon Brion

Kamera: Robert Elswit

Schnitt: Leslie Jones