Rezension zum Film «Pans Labyrinth» Wider das Grauen

Kultur

18. Oktober 2018

Zauber und Realität. Wie fliessend sie in Guillermo del Toros („Blade 2“; „Hellboy“) Film ineinander übergehen.

Die Schauspielerin Ivana Baquero (im Film Ofelia) und der mexikanische Regisseur Guillermo del Toro an der Premiere von «Pans Labyrinth» am Toronto Film Festival, September 2006.
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Die Schauspielerin Ivana Baquero (im Film Ofelia) und der mexikanische Regisseur Guillermo del Toro an der Premiere von «Pans Labyrinth» am Toronto Film Festival, September 2006. Foto: Jim Bachalo (CC BY-SA 2.0 cropped)

18. Oktober 2018
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Kaum spürbar. Eigentlich, als ob Phantasie und Wirklichkeit eine untrennbare Einheit bilden würden. „El laberinto del Fauno“ ist zweifellos kein Fantasyfilm. Im Gegenteil: Er schildert uns eine Realität so hart und unausweichlich, wie man es kaum drastischer bebildern könnte. Dabei benutzt del Toro die klassischen personellen Konstellationen des Märchens, um seine Geschichte um die junge Ofelia zu erzählen: eine Mutter, einen bösen Stiefvater, märchenhafte Gestalten und vor allem die Regeln, wie man dem Bösen entkommt, sprich: erwachsen wird.

Das Ende des Films allerdings unterscheidet sich in vielem von dem, wie Märchen enden. Denn „El laberinto del Fauno“ benutzt zwar die Utensilien dieser Literaturgattung, ist aber kein Märchen. Und das Böse ist in del Toros Film nicht eine völlig bezwingbare Macht – wie in jedem Fantasyfilm –, sondern ein Teil unserer Wirklichkeit, dem man immer wieder begegnen kann. Gerade hier liegt ein wesentlicher Unterschied zu den Literaturgattungen und Filmgenres, die dem Märchen entstammen. Und doch überzeugt dieser Film in viel deutlicherer Weise als jede Erzählung, die „am Beispiel“ der Phantasie-Handlung allein in die Herzen, sei es von Kindern, sei es von Erwachsenen gelangen will.

Nein, „El laberinto del Fauno“ gleicht keinem Erziehungsroman. Und doch weist er uns einen Weg, der so grausam sein kann, wenn auch nicht muss, dass die Phantasien der jungen Ofelia – „ganz filmtechnisch“ gesehen – auch eine Art Erleichterung für das Publikum darstellen. Anders ausgedrückt: Ohne diese Gestalt gewinnenden Phantasien wäre „Pans Labyrinth“ eine Unerträglichkeit, ein Spiel der Staat gewordenen Brutalität (hier des Franco-Regimes) gegen seine Widersacher und Unterdrückten.

Der Film spielt nach dem Spanischen Bürgerkrieg. Aber die Handlung hätte in jeder anderen grausamen historischen Epoche, auch in gegenwärtigen Konflikten ihren Platz finden können.

Man schreibt das Jahr 1944. Ofelia (Ivana Baquero) ist mit ihrer schwangeren Mutter Carmen (Ariadna Gil) auf dem Weg zu ihrem Stiefvater Hauptmann Vidal (Sergi López), der mit seiner Truppe in einer alten Mühle mitten im Wald haust, um dort versprengte Gegner des faschistischen Regimes Francos ausfindig zu machen und zu liquidieren.

Carmen erwartet ein Kind von Vidal, und der glaubt fest daran, dass es ein Junge wird. Es muss ein Junge werden. Ofelias Vater ist tot, und sie mag Vidal nicht. Vidal will, dass Carmen seinen Sohn dort zur Welt bringt, wo er sich gerade aufhält, obwohl Carmens Schwangerschaft sehr schwierig ist. Sie hat Schmerzen, leidet ständig an Unwohlsein und hat ab und zu Blutungen. Eigentlich hätte sie nicht reisen dürfen.

Ofelia liebt ihre Mutter und hasst ihren Stiefvater. Und so ist es nur gut für sie, dass sie auf die freundliche Mercedes (Maribel Verdú) trifft, die als Haushälterin mit anderen Frauen für Vidal arbeiten muss. Mercedes schliesst Ofelia sofort in ihr Herz. Und bald weiss Ofelia, dass Mercedes die versprengten Franco-Gegner im Wald heimlich mit Nahrungsmitteln versorgt – ebenso wie der Arzt Dr. Ferreiro (Álex Angulo), der die Rebellen, die „Roten“, wie Vidal sie nennt, mit Medikamenten. Ofelia schweigt. Nie würde sie Mercedes verraten.

Sie begreift und spürt, was hier (und anderswo in Spanien) vorgeht. Dass sie Zauber- und Feengeschichten liebt, ist kein Geheimnis; ihre Mutter glaubt, sie sei viel zu alt dafür. Aber es geht nicht nur um Geschichten. Ofelias Welt ist eine Einheit von Realität und Phantasie. Und wie sie selbst keinen Unterschied zwischen beidem machen kann und auch gar nicht will, so geht es auch dem Betrachter der Geschichte. Seit der Ankunft bei der Mühle verfolgt eine Fee in Gestalt eines grossen libellenähnlichen Insekts Ofelia. Und eine alte Geschichte erzählt von dem merkwürdigen Ort hinter der Mühle, wo ein Gang ins Unterirdische führt. Dort lebte einst eine Prinzessin, die heimlich das Zauberland unter der Erde verliess und damit sterblich wurde. Doch die Legende erzählt auch davon, dass die Prinzessin eines Tages wieder kommen würde – in Gestalt eines jungen Mädchens. Um wieder in die unterirdische Welt eintreten zu können, muss das junge Mädchen jedoch drei Aufgaben erfüllen.

Und als Ofelia den Irrgarten betritt, dort, wo sich der Eingang in die Unterwelt befindet, trifft sie eine sagenhafte Gestalt – den Pan, einen Faun (Doug Jones), der ihr die erste Aufgabe stellt ...

Parallel dazu erzählt del Toro die Geschichte des Kampfes gegen die Rebellen bzw. von der Aussichtslosigkeit des Widerstands in einer gefestigten Diktatur und der Schwangerschaft Carmens weiter.

Del Toro erzählt diese Geschichte einer Parallelwelt ohne Kompromisse. Die Skrupellosigkeit und Menschenfeindlichkeit Vidals wird unumwunden gezeigt, etwa wenn er einen alten Bauern und seinen Sohn tötet, die verdächtigt werden, den Rebellen geholfen zu haben. Die massive Brutalität dieser Szene übersteigt jede Sequenz eines Horrorfilms, weil sie die Realität einer Situation wiedergibt und in ihr nicht eine erfundene Horrorfigur ihr Unwesen treibt. Auch die Folterung gefangen genommener Rebellen steht dem in nichts nach. Es ist dieses (beim Zuschauer vorausgesetzte) Wissen um den Realitätsgehalt, der solche Szenen so grausam auf uns wirken lässt.

Doch nicht nur das: del Toro verwebt Realität und Phantasie, märchenhaft anmutende Vorsehung und Wirklichkeit in einer Weise, die uns über den Unterschied kaum noch nachdenken lässt. In der Phantasie Ofelias ist es z.B. eine Alraune, die sie in einem Gefäss mit Milch und zwei Bluttropfen unter das Bett der Mutter stellt, damit es der besser geht. Und es geht ihr besser. Dass die Ursache dafür eher vielleicht die Tropfen des Arztes sind, die er Carmen verordnet, spielt keine Rolle. Ofelia tut alles in ihrer Macht stehende, um ihrer schwangeren Mutter zu helfen, sie zu schützen – soweit dies angesichts der Brutalität des Stiefvaters möglich ist. Der Kampf der Mutter während der Schwangerschaft ist für Ofelia eben auch der Kampf um das Leben im Gegensatz zu Vidals Kampf für den Tod.

Ofelia hat ein Gespür dafür, dass Menschen nicht gut oder schlecht auf die Welt kommen. Sie schützt die Frucht des Leibes ihrer Mutter, auch wenn sie weiss, dass dieses Kind von ihrem Stiefvater stammt. Aber das spielt für sie keine Rolle. Hier – und nicht nur hier – wird der Unterschied zwischen ihr (und auch Mercedes und den Rebellen) einerseits und den faschistischen Schergen andererseits deutlich. Vidal ist es gleichgültig, ob Carmen die Geburt übersteht – Hauptsache sein Sohn kommt zur Welt.

Der schützenden und zauberhaften Phantasie Ofelias steht der Mythos der Ideologie Vidals gegenüber: Der glaubt fest daran, dass nur der Tod als Soldat für einen Mann der richtige Tod sein kann. Sein Vater hatte im Tod seine Uhr zerstört, damit der Sohn exakt wusste, wann sein Vater im Kampf gestorben war. Immer wieder schaut Vidal auf seine eigene Taschenuhr – denn eigene Sohn soll einmal wie er wissen, wann sein Vater möglicherweise im Kampf gefallen sein wird – auf die Sekunde genau.

Dieser Ideologie der Macht und diesem Mythos des Todes diametral gegenüber steht der Inhalt von Ofelias Phantasien. Der Pan, der ihr begegnet und der ihr drei Aufgaben stellt, um sie angeblich zur Prinzessin in dem unterirdischen Reich werden zu lassen, weiss genau, was er tut. Und in Wirklichkeit sind diese phantasierten Aufgaben nichts anderes als eine Prüfung ihrer Menschlichkeit – ja, ihres Menschwerdens.

Und genau dies sind sie für uns auch. Wenn Ofelia sich am Ende für ihren bereits geborenen Bruder entscheidet – mehr sei nicht verraten –, dann ist dies das genaue Gegenstück zu Vidals Menschenverachtung.

Die Unmenschlichkeit des Geschehens im Film ist auch für den Zuschauer in gewisser Weise nur zu ertragen über die Visualisierung der Phantasien Ofelias. Und del Toro versteht es, diese beiden Welten als Einheit erscheinen zu lassen. Hinzu kommt, dass er auf die Darstellung der Figuren der Phantasiewelt sehr viel Wert legte. Ob es sich um eine grosse Kröte handelt, die in einem alten Baum ihr Unwesen treibt, um den Pan, um die Feen oder um einen fürchterlichen Menschenfresser unterhalb der Mühle – all dies wird exakt, ohne Übergänge und Brüche in die reale Welt eingebaut.

Des weiteren entsteht zwischen den beiden Welten eine Parallelität der Geschichte. Während Vidal mit allen tatsächlichen und vermeintlichen Feinden „aufräumt”, setzt sich Ofelia in der anderen Welt Gefahren aus (der Kröte, dem grässlichen Kinderfresser). Nur, dass die Geschichten diametral andere Richtungen einschlagen. Während Vidal das Morden fortsetzt, löst Ofelia ihre Aufgaben. Dass der Tod am Ende siegt, ist nur ein Teil der Wahrheit. Denn es bleiben zwar verzweifelte Menschen übrig, aber ein neues Leben eben auch, das alle Chancen des Lebens hat – gute wie schlechte. Damit wird die Geschichte – auch hier fern jeglichem reinen Fantasy-Film – vom Mythos des Schicksalhaften befreit.

„Pans Labyrinth” ist kein Lehrstück, keine Anleitung zum Handeln und kann schon gar nicht als pädagogische Exegese verstanden werden. Nein, del Toro erzählt „einfach” eine Geschichte. Und die ist so aktuell, wie eine Geschichte nur aktuell sein kann. Sie erzählt uns von den fundamentalen Prinzipien, die in dieser Welt wirken: dem Prinzip der Macht und dem der Liebe, nach denen Gesellschaften organisiert werden können. Die Phantasien Ofelias sind dabei weniger eine Art Flucht oder Schutzmechanismus; das sind sie vielleicht auch. Vor allem aber definieren sie einen intensiv entwickelten und gefühlten Kontrapunkt zu einer Welt der Grausamkeit.

Ulrich Behrens

Pans Labyrinth

Spanien, Mexiko

2006

-

119 min.

Regie: Guillermo del Toro

Drehbuch: Guillermo del Toro

Darsteller: Ivana Baquero, Ariadna Gil, Sergi López

Produktion: Alfonso Cuarón, Bertha Navarro, Guillermo del Toro, Frida Torresblanco

Musik: Javier Navarrete

Kamera: Guillermo Navarro

Schnitt: Bernat Vilaplana