Leviathan Ein aussichtsloser Kampf

Kultur

31. Juli 2020

„Leviathan“ mutet Protagonisten und Zuschauer schon einiges zu, indem er sie gegen übergrosse Mächte kämpfen und verlieren lässt.

Der Dreh- und Angelpunkt des Films - das Haus am unteren Bildrand in einer kleinen Bucht an der Barentssee in Russland.
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Der Dreh- und Angelpunkt des Films - das Haus am unteren Bildrand in einer kleinen Bucht an der Barentssee in Russland. Foto: Юрочкин Роман (CC BY-SA 4.0 cropped)

31. Juli 2020
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Schön ist das nicht, effektiv dafür umso mehr, gerade auch in Verbindung mit den majestätischen, rauen Landschaftsaufnahmen, die keinen Platz für Menschen lassen.

Sein Land soll der Automechaniker Kolia (Aleksey Serebryakov) aufgeben, seine Gebäude, alles zum Wohle der Gemeinheit. Dass Bürgermeister Vadim Shelevyat (Roman Madyanov) bei der Enteignung nur an sich denkt, ist allen klar. Nur: Was dagegen unternehmen, wenn Justiz und Polizei ihm untergeordnet sind und alles tun, was er von ihnen verlangt? Zusammen mit seiner Frau Lilya (Elena Lyadova) und dem Anwalt Dmitri (Vladimir Vdovichenkov), mit dem er schon lange befreundet ist, nimmt Kolia dennoch den Kampf mit dem korrupten Politiker auf, bekommt dabei aber schnell seine Grenzen aufgezeigt.

Dass der Kampf aussichtslos ist, wird gleich zu Beginn klargemacht, wenn eine Richterin im Höchsttempo Paragrafen herunterrattert und Kolia sowie den Zuschauer unter der Flut aus Worten begräbt. Und daran wird sich im Laufe des Films nicht viel ändern, auch wenn einem zwischendrin immer mal wieder Hoffnung geschenkt wird. Kein Zweifel, Regisseur und Drehbuchautor Andrey Zvyagintsev meint es hier nicht gut mit einem, zeichnet ein äusserst düsteres Bild staatlicher Willkür in Russland.

Das könnte man natürlich als Kritik an seinem Vaterland auffassen, schliesslich ist Vadim selbst kein grosser Mann, sondern nur ein kleines Getriebe. Korruption und Ungerechtigkeit als System? Vielleicht. Wahrscheinlicher aber ist, dass Leviathan viel universeller gemeint ist, der Mensch in seinem vergeblichen Widerstand gegen Kräfte gezeigt wird, für die er selbst völlig unbedeutend ist.

Als Insekten bezeichnet der Bürgermeister jene, die sich gegen ihn auflehnen. Und er ist nicht der einzige, der den einfachen Menschen in Relation zu setzen versucht, auch dessen Beziehung zu Gott wird immer wieder thematisiert. Neben den offensichtlichen Verweisen zur titelgebenden Sagengestalt Leviathan und der Geschichte Hiobs finden sich regelmässig Vertreter der Kirche im Film, die betonen, dass der Mensch zu gering sei, um die Wege des Herren zu verstehen.

Auch optisch spiegelt sich das wieder, in den geradezu majestätischen Landschaftsaufnahmen, vor denen sich unentwegt die Protagonisten verlieren. Als würden sie keine Rolle spielen. Geradezu ironisch ist dieses Nebeneinander von wunderschönen, rauen Bildern und dem hässlichen Treiben der „Insekten“. Überhaupt ist Zvyagintsev Humor nicht fremd, wenngleich dieser von einer eher bitteren Natur ist, eine Art Galgenhumor. Man macht das Beste aus dem, was man hat. Auch wenn das Beste nicht unbedingt gut ist.

Nicht einmal die Protagonisten sind es wirklich. Man wünscht ihnen Gerechtigkeit, natürlich, allein schon, weil Bürgermeister Shelevyat seit Anfang an als Widerling auftritt. Die grössten Sympathien bringt man den Unterdrückten dann aber doch nicht entgegen, dafür handeln sie manchmal selbst zu verwerflich.

Sofern sie denn überhaupt handeln, denn Leviathan ist alles nur nicht actionreich. Der eigentliche Plot ist recht überschaubar, vor allem angesichts einer Lauflänge von 140 Minuten. Wem es nur auf die Frage ankommt, ob Kolia denn nun seine Entschädigung bekommt oder nicht, der darf zwischendurch eine ganze Menge an Szenen überspringen, welche die Geschichte nicht vorantreiben, sondern allein der Atmosphäre dienen.

Die ist dafür umso stärker, lässt einen auch ohne Worte verzweifeln und mit der Welt hadern. Mit sich selbst. Mit Gott. Mit biblischen Ungeheuern. Das könnte für manche zu viel Resignation bedeuten, die Ohnmacht zu einseitig sein. Wer sich jedoch darauf einlässt, darf sich von dem russischen Film erschüttern und wütend machen lassen, wie es in der letzten Zeit kaum einer geschafft hat.

Oliver Armknecht
film-rezensionen.de

Leviathan

Russland

2014

-

142 min.

Regie: Andrei Swjaginzew

Drehbuch: Andrei Swjaginzew, Oleg Negin

Darsteller: Alexej Serebrjakow, Jelena Ljadowa, Sergej Pochodajew

Produktion: Sergei Melkumow, Alexander Rodnjanski

Musik: Philip Glass

Kamera: Michail Kritschman

Schnitt: Anna Mass

Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons (CC BY-NC-SA 4.0) Lizenz.