Katzelmacher „Ist auch egal eigentlich, wo man hinkommt“

Kultur

11. Juni 2019

Fassbinder zeigt in seinem Film „Katzelmacher“ – übrigens ein bayerisch-österreichisches Schimpfwort für Fremde, wie das vermeintlich „Fremde“ in das vermeintlich „Eigene“ „eindringt“ – um in der Sprache der Rassisten zu bleiben –, aufgenommen, verarbeitet wird, bis es zu einem Teil des „Eigenen“ wird.

Rainer Werner Fassbinder und Hanna Schygulla am Fimfestival von Venedig, 1980.
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Rainer Werner Fassbinder und Hanna Schygulla am Fimfestival von Venedig, 1980. Foto: Gorup de Besanez (CC BY-SA 4.0 cropped)

11. Juni 2019
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Marie (Hanna Schygulla) geht mit Erich (Hans Hirschmüller), Paul (Rudolf Waldemar Brem) schläft mit Helga (Lilith Ungerer), Elisabeth (Irm Hermann) gestattet Peter (Peter Moland) den Aufenthalt in der von ihr finanzierten Wohnung mit den von ihr finanzierten Lebensmitteln und Kleidern, Rosy (Elga Sorbas) träumt von einer Fernsehkarriere und schläft mit Franz (Harry Baer) – für Geld. Gunda (Doris Mattes) ist allein, ihr Freund irgendwo auf Montage. Paul treibt es zudem mit Klaus (Hannes Gromball) und zwar für Geld.

Eine Hauswand, zwei kleine und ein grosses Fenster; Geranien und irgendein Gestrüpp zieren die Blumenkästen. Vor der Wand zieht sich eine Absperrung, hinter der es wohl in den Keller geht. Wie die Vögel sitzen Marie, Erich und die anderen auf der Stange der Absperrung, mal geht einer, mal kommt einer. Sie schauen nach vorne, in Richtung Publikum, aber sie schauen, stieren eigentlich ins Nichts, der eine dort hin, die andere da hin. Die Besetzung der Stange wechselt. Was gesagt wird, bedeutet nichts, was nicht gesagt wird, bedeutet alles. Die Kamera ist statisch und damit bewusst immer als solche präsent. Sie fängt dieses Bild von den genannten Figuren wie für ein Fotoalbum ein. Knips. Wie durch ein Guckloch blickt man die Personen an, als ob man von der Strassenseite gegenüber hierher schaue. Auch wenn sie am Tisch sitzen und Karten spielen, die Plätze wechseln, zwei Männer auf die Toilette gehen, die anderen sich wieder anders gruppieren – die Bewegungen, die sie vollziehen, haben mit Bewegung kaum etwas zu tun.

Die Beziehungen der Personen sind eindeutig bestimmt durch Geld und Gewalt. Erich schlägt Marie, Paul Helga, Peter lässt sich von Elisabeth aushalten, Rosy lässt sich von Franz, der Arbeit hat und Geld, für Sex bezahlen. Der Sex der anderen ist nicht anders. Wenn Helga danach Paul, der sich gerade die Hose anzieht, am Bein festzuhalten versucht, um mehr zu bekommen als Tauschhandlung, wird sie mehr als unsanft zurückgestossen. Nackt und gekrümmt liegt sie im Bett, gibt aber keinen Ton von sich, sagt nichts, schreit nicht, protestiert nicht. Später legt sie ihren Kopf wieder an seine Schulter. Das ist eingespielt, eingefahren. Es gibt kaum einen Unterschied zwischen Tätern und Opfern, ihre Rollen wechseln in der Mechanik und Vorgeschriebenheit ihres eigenen Verhaltens.

In der Luft der jungen Leute liegt zudem Kriminalität. Erich und Paul denken über das grosse Geld nach. Daraus wird nichts. Nichts, was irgendwie fassbar wäre.

„Es ist besser, neue Fehler zu machen,
als die alten bis zur allgemeinen
Bewusstlosigkeit zu konstituieren“,

zitiert Fassbinder anfangs des Films Yaak Karsunke (2). Als Jorges (Rainer Werner Fassbinder) von Elisabeth als Untermieter aufgenommen wird, ändert sich einiges und letztlich ändert sich nichts. Die Männer halten wie Pech und Schwefel gegen den griechischen „Fremdarbeiter“ zusammen, er bezieht sogar ordentlich Prügel. Auch Gunda zieht über ihn her und verbreitet, er habe sie am Kinderspielplatz vergewaltigt. Schnell ist Jorges auch noch Kommunist. Man zimmert sich aus seiner Anwesenheit ein wunderbares Feindbild. Und wieder läuft alles über Gewalt, Sex und Macht. Jorges, erzählt Peter den anderen Männern, sei besser gebaut als sie, „vor allem am Schwanz“. Er wolle Geld und er sei verdorben, behaupten andere.

Marie: „Im Sommer nimmt er mich mit nach Griechenland.“
Helga: „Und seine Frau?“
Marie: „Das macht nichts. In Griechenland ist alles anders wie da.“
Helga: „Ich weiss nicht. Einfach wegfahren. Und so weit.“

Die Verhältnisse scheinen nur durcheinander geraten. Scheinen. Peter glaubt, Elisabeth schlafe mit Jorges, geht zu Rosy mit Geld, um auch mit ihr zu schlafen. Sex ist hier nichts anderes als der Versuch, eigene Macht zu gewinnen. Aber Rosy will nicht, hat ein Angebot für eine Rolle beim Fernsehen, sagt sie. Erich treibt's mit Helga. Peter trifft eine Frau (Katrin Schaake), die was hermacht: sie ist gut angezogen und hat ein Auto. Marie verlässt Erich und geht mit Jorges. Sie träumt von einem anderen Leben in Griechenland. Aber die Träume haben nichts Handfestes, sind schwache Sehnsüchte, unterentwickelt, eigentlich fast gar nicht entwickelt – wie die Spaziergänge der Paare, die in den Film eingestreut sind, begleitet von Schuberts „Sehnsuchtswalzer“ (überarbeit von Peer Raaben).

Der Grieche bringt nur scheinbar Unordnung in die öde Welt und die Tristesse des Lebens – und bezieht dafür die Prügel, dass er nicht so ist, wie die anderen ihn beschimpfen, sondern dass alle anderen so sind, wie sie es von Jorges behaupten. Die Welt dieser jungen Leute ist eine ohne Gefühle. Selbst die Gewalt hat kaum etwas Emotionales, sondern dient bei Schläger und Geschlagenen nur der Wiederherstellung der Ordnung der Bindungslosigkeit und kalten Abhängigkeit. „Der Grieche muss weg, eine Ordnung muss wieder her. Rache muss sein.“ Zuvor waren sie alle über Rosy hergezogen, die sich für Geld verkauft. Der Polizei müsse man das melden, hatte Gunda gemeint. Jetzt ist es der Grieche und morgen?

Die ewige Wiederkehr dieser Abfolgen, die Aufrechterhaltung dieses psychisch eingefahrenen, aber nicht verrosteten, sondern gut geschmierten Mechanismus aus den Elementen Geld und Gewalt, der die Beziehungen der Charaktere vollkommen zu beherrschen scheint, beinhaltet eine noch kaum sichtbare, aber vor dem Hintergrund seiner späteren Filme in der Rückschau doch erkennbare Verbindung zwischen zwei Elementen in Fassbinders Werk. Die Art und Weise, wie er seine Geschichten auf die von einzelnen Personen fokussiert, führt uns zu einer Geschichte auch des Landes, in dem sie spielen – insbesondere vor dem Hintergrund der NS-Vergangenheit.

Fassbinder zeigt zudem, wie das vermeintlich „Fremde“ in das vermeintlich „Eigene“ „eindringt“ – um in der Sprache der Rassisten zu bleiben –, aufgenommen, verarbeitet wird, bis es zu einem Teil des „Eigenen“ wird, in dem das „Fremde“ zwar noch aufgehoben, aber zu weiten Teilen verhackstückt ist. Jorges wird vielleicht bleiben, vielleicht nicht. Das lässt der Film offen, und muss es im Jahr 1969 offen lassen. Neben das Prophetische in bezug auf die gut zehn Jahre später einsetzende Welle ausländerfeindlicher Kampagnen zu Beginn der Ära Kohl und die visuelle Verarbeitung der „Kritischen Theorie“ bezüglich des von ihr behaupteten „autoritären Charakters“, der zum Gutteil den Faschismus hervorgebracht habe, tritt eine geradezu tragische, durch die statische Kamera immer wieder hervorgehobene Visualisierung einer Gesellschaft, in der sich „nichts tut“, sich alles im Kreis bewegt, sich nichts ändern kann.

„Katzelmacher“ – übrigens ein bayerisch-österreichisches Schimpfwort für Fremde – deutet schon hin auf die späteren Filme, in denen das Melodramatische im Rückbezug auf Fassbinders „Vorbild“ Douglas Sirk die Beziehungen zwischen Personen und Gesellschaft noch deutlicher konturiert. In „Katzelmacher“ ist es vor allem die minimalistische Sprache, eine fast tote Sprache, die zum Ausdruck von Verhalten wird, dessen sich die Handelnden nicht (mehr) bewusst sind. Die Gesellschaft, die sie repräsentieren, ist erstarrt und dreht sich in immer gleichen Bahnen.

Ulrich Behrens

(1) Theater in Frankfurt, an dem Fassbinder einige Zeit experimentierte. Später wurde ihm gekündigt. Seine Feinde hatten gewonnen (vgl. dazu: Gerhard Zwerenz, Der langsame Tod des Rainer Werner Fassbinder. Ein Bericht, München 1982).

(2) Yaak Karsunke wurde am 4. Juni 1934 in Berlin geboren. Nachdem er eine kurze Zeit Jura studiert hatte, begann er eine Schauspielausbildung und hielt sich mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser. In München war er 1965 bis 1968 Chefredakteur der alternativen, linken Zeitschrift kürbiskern, die er mit begründet hatte. 1976 bis 1979 lehrte er an der Deutschen Film- und Fernsehakademie, seit 1981 an der Berliner Hochschule der Künste im Fach Schauspiel.

Katzelmacher

Deutschland

1969

-

88 min.

Regie: Rainer Werner Fassbinder

Drehbuch: Rainer Werner Fassbinder

Darsteller: Hanna Schygulla, Lilith Ungerer, Rudolf Waldemar Brem

Produktion: Peer Raben (als Wilhelm Rabenbauer)

Musik: Peer Raben und Franz Schubert

Kamera: Dietrich Lohmann

Schnitt: Rainer Werner Fassbinder (als Franz Walsch)