Hexenjagd Dogma kontra Dogma?

Kultur

24. Dezember 2019

Arthur Millers Roman „Hexenjagd“ von 1952/53 hatte eindeutige zeitgenössische Bezüge.

Der amerikanische Schriftsteller Arthur Miller war 1956 durch McCarthys Verfolgungswahn betroffen.
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Der amerikanische Schriftsteller Arthur Miller war 1956 durch McCarthys Verfolgungswahn betroffen. Foto: U.S. State Department (PD)

24. Dezember 2019
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Die Verfolgung vor allem amerikanischer Intellektueller im Angesicht des Kalten Krieges durch den so genannten „Ausschuss“ gegen „unamerikanische Umtriebe“, geführt von Senator Joseph McCarthy, einem der damaligen fanatischen Kommunistenhasser, dessen eigene Umtriebe allerdings nicht nur Mitglieder oder Sympathisanten kommunistischer Organisationen trafen, sondern alle und alles, was irgendwie nach regierungskritisch roch. Historisch vergleichbar, wenn auch in Intention und Ausmass nicht gleichzusetzen, waren diese Verfolgungen mit der Inquisition, später in der alten Bundesrepublik Deutschland mit dem sog. „Radikalenerlass“ und den daraus folgenden Berufsverboten, die z.B. in Bayern sogar Lehrer trafen, die der SPD angehörten und den Fehler begangen hatten, mit Mitgliedern der DKP schon einmal Kontakt gehabt zu haben.

Miller – 1956 selbst durch McCarthys Verfolgungswahn betroffen – verlegte seine Kritik an der immensen Einschränkung von Bürgerrechten durch den genannten Ausschuss in die Zeit Ende des 17. Jahrhunderts, als in Salem / Massachusetts tatsächlich 1692 immerhin 19 Einwohner als Hexen respektive Verbündete des Teufels durch den Strang hingerichtet worden waren. Miller beanspruchte nie, sein Roman wolle historische Ereignisse rekonstruieren; es ging ihm vor allem um den Aktualitätsbezug des Themas. Wie man aus der Geschichte der katholischen Inquisition, nicht nur in Spanien oder früher zur Zeit der „Hexenverfolgung“ in Zentraleuropa weiss, genügte zur „Überführung“ eines Menschen als Hexe oftmals dessen Aussehen, Aussenseiterstatus oder die Verleumdung durch Nachbarn aufgrund von Konflikten über Eigentum oder was auch immer.

Nicholas Hytner nahm sich des Stoffes 1996 an.

1692, Salem, Massachusetts. Abigail Williams (Winona Ryder) und ein paar andere Mädchen treffen sich heimlich im nahe gelegenen Wald, tanzen um ein Feuer herum, trinken Hühnerblut und manche ziehen sich aus. Ein harmloser Spass? Der Onkel Abigails, Reverend Parris (Bruce Davison) ist da anderer Meinung, denn zwei der Mädchen fallen in einen Koma-ähnlichen Zustand. Hexerei, ein Bündnis mit dem Teufel scheint im Spiel zu sein. Parris holt den in solchen Dingen erfahrenen Kollegen Reverend Hale (Rob Campbell) zu Hilfe, der fortan versucht, durch Gespräche mit den jungen Frauen und Mädchen herauszubekommen, ob hier wirklich Hexerei im Spiel ist. Der strenge puritanische Glauben der Gemeindemitglieder verlangt, dass Einwohner, die einen Vertrag mit dem Teufel geschlossen haben, entweder abschwören oder, wenn sie leugnen, verurteilt werden. Es droht der Galgen.

Abigail, Mary Warren (Karron Graves), Mercy Lewis (Kali Rocha), die schwarze Tituba (Charlayne Woodard) und etliche andere Mädchen bekommen es mit der Angst zu tun. Doch sie schwören nicht nur ab. Abigail hat noch eine Rechnung offen. Sie war Hausangestellte bei dem ausserhalb Salems wohnenden Farmer John Proctor (Daniel Day-Lewis) und seiner Frau Elizabeth (Joan Allen), in deren Ehe es kriselt. Abigail verführte John und wurde deshalb kurz darauf von den Proctors entlassen. Ehebruch war zudem ein schwerwiegendes Verbrechen zu dieser Zeit. Abigail aber versucht immer wieder, Proctor umzustimmen, der ihr jedoch unmissverständlich sagt, dass es ein für allemal aus sei zwischen ihr und ihm. Jetzt sieht Abigail die Möglichkeit der Rache. Sie schwört ab, bezichtigt aber unter anderem Tituba, den alten George Jacobs (William Preston), die Bettlerin Osborne (Ruth Maleczech) und Elizabeth Proctor der Hexerei. Der Geist der drei habe sich selbständig gemacht und andere Einwohner befallen.

Für Reverend Hale, der alle vernimmt, gestaltet sich die Angelegenheit schwierig. Hale glaubt zwar an Hexen und Pakte mit dem Teufel, ist aber ein ehrbarer Mann, der niemanden unschuldig verurteilen will. Die Gemeinde entschliesst sich, den Deputy Governor of Massachusetts, Richter Thomas Danforth (Paul Scofield), zu holen, der mit der Strenge und Autorität seines Amtes die Spreu vom Weizen trennen soll.

Auch ein anderer angesehener Einwohner, Thomas Putnam (Jeffrey Jones), steht an vorderster Front bei der Verfolgung seiner Mitbürger. Er liegt im Streit mit Proctor um ein Stück Land, das der bebaut, Putnam aber für sich beansprucht. Da kommt es ihm gerade recht, dass Elizabeth als Hexe beschuldigt wird.

Abigail wird in Salem zur entscheidenden Person. Immer neue Beschuldigungen spricht sie aus, und Richter Danforth glaubt ihr so gut wie alles. Reverend Hale allerdings bekommt immer stärkere Zweifel an den Verleumdungen der jungen Frau und versucht, den Proctors wie den anderen Eingesperrten zu helfen. Dann werden die ersten Verdächtigen verurteilt und gehängt. Schliesslich beschuldigt Abigail auch Proctor selbst, der sie weiterhin abweist und nur noch eines im Sinn hat: seine Frau zu retten ...

Man kann an dieser Geschichte – zumindest in der vorliegenden Fassung als Film – so einige Zweifel anbringen. So erscheint Winona Ryders Abigail nicht gerade wie eine junge Frau, noch dazu Dienstmagd, in einer Gemeinde von Puritanern Ende des 17. Jahrhunderts. Und dass die schwarze Tituba bei dem Tanz ums Feuer dabei war, ist auch eher unglaubwürdig für diese Zeit. Joan Allen spielt eine äusserst selbstbewusste Frau, die ihrem Mann in jeder Hinsicht ebenbürtig ist. Auch daran kann man angesichts der Verhältnisse in einer Puritaner-Gemeinde ernsthafte Zweifel anmelden.

Andererseits verdeutlicht der Film dennoch die Zusammenhänge zwischen puritanisch-strenger Religion, religiösen Wahnvorstellungen, vor-aufklärerischem Aberglauben und Rachegelüsten zwischen verschiedenen Personen, für die der plötzlich aufkeimende Hexenglaube eine günstige Gelegenheit zu sein scheint, den Galgen als Werkzeug der Revanche sprechen zu lassen. Auch die Obrigkeit in Gestalt des Richters Danforth kommt nicht gerade gut weg, lässt sie sich doch von einer rachelüsternen jungen Frau an der Nase herumführen. Als Danforth das zu ahnen beginnt, will er nur noch sein Ansehen retten: Anstatt seine eigenen Fehler und Irrtümer, seinen Aberglauben einzugestehen, müssen ein paar Sündenböcke herhalten und enden am Galgen.

In einer formalen Sicht kann man „The Crucible“ sicherlich deutliche Parallelen zu der McCarthy-Ära abgewinnen, auch wenn die konkrete Situation, die Ausgangspunkte der Verfolgung ganz anderer Natur waren. Was die Inszenierung und die Charaktere allerdings angeht, habe ich doch erhebliche Zweifel. So spielt Daniel Day-Lewis einen integren Mann, der den ganzen Hexenspuk von Beginn an für eine gefährliche Narretei hält. Doch sein John Proctor ist in gewisser Weise ein Mann, dessen Integrität und moralische Vorstellungen äusserlich bleiben. Sie werden formuliert, aber es steckt nicht das darin, was seine Haltung glaubwürdig machen würde: Lebendigkeit und Lebensnähe.

Das gilt für fast alle Hauptpersonen des Films, mit Ausnahme vielleicht von Paul Scofield als Richter, Rob Campbell als Reverend Hale und vor allem Karron Graves als Dienstmagd Mary Warren, die ich von allen Schauspielern am besten fand. Sie spielt glaubhaft eine junge Frau, die zwischen Angst vor dem eigenen Tod und schlechtem Gewissen hin- und herpendelt. Winona Ryder fällt mir zu arg aus dem historischen Kontext. Sie wirkt wie eine selbstbewusste, wenngleich skrupellose und egozentrische Frau aus dem 20. Jahrhundert.

So gerät „Hexenjagd“ zu einer Art Proklamation des guten Willens gegen den schlechten Aberglauben, die Gehässigkeit, die Rachsucht und eine Obrigkeit, die allein aufgrund ihrer Macht eine Gemeinde in das Verderben treibt. Der Geschichte fehlen menschliche Züge, und Karron Graves als Magd fällt – wie gesagt – in diesem Film und in diesem Sinn eher aus dem Rahmen. Würden alle so spielen wie sie, wäre „The Crucible“ ein exzellenter Film. Allein schon der Schluss jedoch, als Proctor sich entscheiden muss, abzuschwören oder am Galgen zu enden, ist derart pathetisch überzogen und lebensfremd, dass das kritische Moment der Geschichte sich verliert und in schalem bedeutungslosem, aufopfernden Heldentum versinkt. Proctor lässt sich hängen, seine Frau ist es zufrieden (!) – und seine beiden Kinder? Was mögen sie über einen Vater denken, der einem falsch verstandenen Ehrgefühl folgt, das der Familie ihren Vater und Ehemann raubt? Diese Entscheidung ist lebensfremd und nimmt der kritischen Intention der Handlung die Spitze.

Nicht dass ich missverstanden werde; „Hexenjagd“ ist kein schlechter Film. Aber er bewegt sich eher im luftleeren Raum der Bekenntnisse statt im prallen Leben und ist aus diesem Grund sogar tendenziell kontraproduktiv. Einer hohlen, dogmatischen Religion samt Wahnvorstellungen, Machtansprüchen und Gewalt stellt er die verselbständigte Ehrlichkeit und Ehrbarkeit eines Mannes gegenüber, die mit einem wirklichen und wirkenden Menschen nicht viel zu tun hat. Ein Dogma steht gegen das andere, eine Ideenwelt wird mit einer anderen konfrontiert. Das ist eine Welt der Standpunkte, aber keine der Lebendigkeit und des Leidens. Schade.

Ulrich Behrens

Hexenjagd

USA

1996

-

123 min.

Regie: Nicholas Hytner

Drehbuch: Arthur Miller

Darsteller: Daniel Day-Lewis, Winona Ryder, Paul Scofield

Produktion: Robert A. Miller, David V. Picker, Diana Pokorny

Musik: George Fenton

Kamera: Andrew Dunn

Schnitt: Tariq Anwar