Der Stand der Dinge Die letzten Überlebenden

Kultur

11. Dezember 2020

„Der Stand der Dinge“ ist ein Film von grosser formaler Schönheit, aber inhaltlich ein sehr ernüchternder Einblick in die Verbindung von Kunst und Kommerz.

Der französische Kameramann Henri Alekan (links, Juni 1986) wird zu den bedeutendsten Filmkameraleuten des 20. Jahrhunderts gezählt.
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Der französische Kameramann Henri Alekan (links, Juni 1986) wird zu den bedeutendsten Filmkameraleuten des 20. Jahrhunderts gezählt. Foto: Gal deren d (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

11. Dezember 2020
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Die tollen Bilder sowie das kluge Drehbuch sind nur zwei Aspekte einer Geschichte, die sich bei allem Pessimismus auch an den Zuschauer richtet und sich fragt, welchen Platz die Kunst überhaupt in einem Leben einnimmt.

Nach einer langen Zeit in Hollywood kehrt der deutsche Regisseur Friedrich Munroe (Patrick Bachau) für seinen neuen Film nach Europa zurück. Finanziert von einem US-amerikanischen Produzenten soll er in Portugal bei der Neuverfilmung des Science-Fiction-Films The Survivors die Regie übernehmen, doch das Projekt steht leider unter keinem guten Stern. Schon bald geht dem Team das Geld aus und nun sitzen alle in dem eigens für den Film bezogenen, verlassenen Hotel fest.

Die optimistischen Bekundungen Munroes, man werde schon noch früh genug mit den Dreharbeiten weiter machen können und das nötige Geld erhalten, überzeugen nur noch eine Handvoll Leute im Team, auch er selbst beginnt am Gelingen des Projekts zu zweifeln. Schliesslich beschliesst Kameramann Joe Corby (Samuel Fuller) zurück in die Staaten zu fliegen, um dort den Produzenten zur Rede zu stellen, doch als nach Tagen niemand mehr was von ihm gehört hat, bricht der Zusammenhalt im Team vollends auseinander. Nach einem Gespräch mit dem völlig desillusionierten Drehbuchautor trifft Munroe den Entschluss, es nun selbst beim Produzenten zu versuchen.

Alles in der Schwebe

Nachdem das Drehbuch zu seinem und Francis Ford Coppolas Projekt Hammett abermals überarbeitet werden musste, überfielen Regisseur Wim Wenders grosse Selbstzweifel und zudem eine sehr skeptische Haltung bezogen auf den Film als Kunstform. Als er dann seinem Regiekollegen Raúl Ruiz bei dessen Dreharbeiten mit Filmmaterial aushelfen musste, hatte er schliesslich die Idee zu Der Stand der Dinge, der letztlich im gleichen Jahr herauskam wie Hammett. Wenders erzählt in Der Stand der Dinge vom Ist-Zustand der Kunst und dessen fatalem Bezug zum Kommerz.

In jeder Kunstform ist die Begegnung der Vision des Künstlers mit der harten, meist wirtschaftlich motivierten Realität meist eine sehr unerfreuliche. Als Patrick Bachau seinem Team eine schöne Kamerafahrt vorschlägt, nickt sein Kameramann, mit Samuel Fuller kongenial besetzt, zunächst anerkennend und lobt sogar die Vision des Regisseurs, erinnert ihn aber im nächsten Satz an das fehlende Filmmaterial, welches bestenfalls noch für eine kurze Nahaufnahme reicht. Das von Wim Wenders und Robert Kramer geschriebene Drehbuch ist gespickt mit derlei Dialogen, welche immer wieder auf die Grenzen der Kunst hinweisen, deren Durchlässigkeit immer von der Finanzierung des Projekts abhängen.

Durch die Zwangspause der Dreharbeiten entsteht für das Team eine Art Schwebezustand. Die teils langen Einstellungen und Kamerafahrten zeigen, wie sich die Schauspieler und Crewmitglieder die Zeit vertreiben, sich über Banales auslassen, um dann wieder auf die Frage nach dem Sinn der Kunst zu sprechen zu kommen. In Anlehnung an Alan Le Mays Roman The Searchers, den Munroe an eine seiner Darstellerinnen ausleiht, sind sie es, die einfach weitermachen, die immerzu an neuen Projekten planen, auch wenn sich diese als Luftschlösser erweisen. Die schwarz-weissen Bilder in Der Stand der Dinge mögen diesen Idealismus unterstreichen, doch die Baufälligkeit und die Nähe des Meeres, welches an der baulichen Substanz des Gebäudes nagt, geben diesen Szenen bisweilen ein fast schon fatalen Unterton.

Die letzten Überlebenden

Schon nach wenigen Minuten setzt Irritation beim Zuschauer ein, wird er doch unvermittelt aus der Geschichte eines Science-Fiction-Films herausgerissen und nun mit der Arbeit eines Filmteams konfrontiert. Jedoch trügt der Schein in einer Geschichte, in der ein Charakter davon spricht, das alles Fiktion sei, denn der Film geht immer weiter, zeigt nun die tatsächlichen Überlebenden, wie sie, scheinbar abgeschnitten von der Aussenwelt, über ihr Überleben und ihre Zukunft sprechen. Wie in diesem „Film im Film“ überschneiden sich Gefühle der Hoffnung und der Ohnmacht mit denen der Schauspieler und Crewmitglieder.

Jedoch begleitet Wenders Inszenierung dann einen Prozess des Zerfalls. In ihren Hotelzimmern mit Aussicht aufs Meer spielen sich kleine Dramen des Überlebens ab, zeigt sich die Einsamkeit und die Isolation, in die sich die Figuren flüchten, die ihrer eigentlichen Aufgabe beraubt, sich nun die Zeit vertreiben müssen und irgendwie überleben wollen.

Rouven Linnarz
film-rezensionen.de

Der Stand der Dinge

Deutschland

1982

-

124 min.

Regie: Wim Wenders

Drehbuch: Robert Kramer, Wim Wenders

Darsteller: Patrick Bauchau, Allen Garfield, Isabelle Weingarten

Produktion: Chris Sievernich

Musik: Jürgen Knieper

Kamera: Henri Alekan, Fred Murphy, Martin Schäfer

Schnitt: Barbara von Weitershausen

Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons (CC BY-NC-SA 4.0) Lizenz.