Begierde Style statt Geschichte

Kultur

2. März 2021

Der Kronleuchter klirrt. Weisse und orangene Schleier durchwehen wie von Geisterhand bewegt den Raum (wahrscheinlich war ein Fenster offen). Musik von Delibes, Allegri, Schubert und Ravel erfüllt den Raum (schöne Musik).

Catharine Deneuve spielt in dem Film von Tony Scott die Rolle der Miriam Blaylock.
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Catharine Deneuve spielt in dem Film von Tony Scott die Rolle der Miriam Blaylock. Foto: Hans van Dijk - Anefo (PD)

2. März 2021
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Ein paar Echos ertönen (nun ja). Wir befinden uns in einer alten Villa inmitten einer Grossstadt. Kunstgegenstände aller Art und alte Möbel zieren den Raum. Ein Pärchen liegt nebeneinander. Dann steht er auf, steht einfach da im Raum und beobachtet die schlafende Geliebte. Ist das nicht schön? Nein, es ist nicht schön. Es ist: stylish. Es ist Design. Es ist modern (bitte englisch aussprechen!). Und dieser Style und dieses Design durchziehen den ganzen Film, den Erstlingsfilm Tony Scotts aus dem Jahre 1983. Immerhin Catherine Deneuve, immerhin Susan Sarandon, und sogar Kultikone David Bowie konnte Scott für seinen Film engagieren. Allein, es half nichts. Was Scott uns hier präsentiert, ist alles andere als überzeugend. Ein wahrer Flop.

Die Deneuve – eine der grossen Schönheiten des französischen Films – spielt eine ägyptische Vampirin mit dem unschuldigen Namen Miriam und Kunstverstand. Der dieser Lebensweise immanente Bluthunger hat bisher auch all ihren Geliebten letztlich das menschliche Leben gekostet. Auf dem Dachboden lagert die bluthungrige Femme fatale ihre Verflossenen in Särgen. Und auch der langjährige Lebensgefährtenvampir John alias David Bowie, dem sie eigentlich das ewige Leben versprochen hatte, wird Opfer des Alterns. Ein paar „tragische“ Dialoge zieren den „dramatischen“ Altersprozess. Jedenfalls altert John innerhalb eines Tages beträchtlich – so um die 150 Jahre, vermute ich – , so dass er am Abend zu einem uralten Greis geworden ist, dem langsam aber sicher die Haut von Knochen fällt.

Zuvor noch hatte er sein Glück bei der Ärztin Sarah (Susan Sarandon) versucht. Die nämlich forscht an Affen über den Alterungsprozess bzw. die Möglichkeiten, den Alterungsvorgang zu verlangsamen oder gar zu stoppen. Doch leider hält Sarah John für einen jener Spinner, die sie schon oft belästigt hatten, und so sitzt der arme Kerl stundenlang in irgendeinem Wartezimmer – und vergreist. Potztausend! Kaum ist er daheim, fällt er von der Treppe und landet – wie alle anderen „Exe” Miriams – im Oberstübchen im Sarg.

Als Sarah, die ihn kurz zuvor noch im vergreisten Zustand das Krankenhaus verlassend gesehen hatte, sich bei Miriam nach ihm erkundigt, findet Miriam erst heimliches, dann ganz ungehemmtes Gefallen an der hübschen Ärztin. Susan und Catherine nackt in Umarmung. Ist das nicht schön? Vielleicht.

Der erste Biss lässt nicht lange auf sich warten. Auch Sarah verspricht Miriam das ewige Leben an ihrer Seite. Und dann kann sie sich doch nicht zurückhalten – und auch Sarah landet im Sarg bei den anderen fast, aber nur fast zerfallenden Vampiren. Potz Blitz!

Zwischendurch geht noch eine junge Lady hops, die mit Miriam musiziert hatte, und der Freund Sarah ebenfalls – und zum Schluss proben die Sargbewohner den Aufstand, stürzen die blutbefleckte Miriam das Treppenhaus hinunter, die daraufhin zu Staub zerfällt, während die noch ganz propere Sarah nun die Stelle von Miriam einnimmt. Ich fass es nicht !

„The Hunger” ist eines jener typischen Beispiele für einen Film, der gar keiner ist, für eine Geschichte, die ebenfalls keine ist, und für ein Projekt, in dem Style und Design ersetzen sollen, was sie nicht ersetzen können: nämlich eine zumindest halbwegs spannende Geschichte. „The Hunger” ist erzählerisches Niemandsland. Denn wie man an der oben kaum verkürzt wiedergegebenen Handlung unschwer erkennen kann, wird zwar gehandelt (vor allem gebissen), aber nichts erzählt.

Der Inhalt des Films erschöpft sich in dem nicht besonders spannend zu nennenden Statement: Vampire saugen Blut und können sich kaum dagegen wehren. Auch die Bisexualität Miriams – man sieht sie, natürlich hinter den wehenden durchsichtigen Schleiern, mit Sarah im Bett – macht den Film keineswegs spannender. Wie denn auch?

Miriam killt (wenn man von Killen bei Vampiren denn sprechen kann) John, dann Sarah, die wiederum ihren Freund Tom aussagt, John killt vorher noch die Violine spielende Alice – die arme – und zum Schluss haben wir Sarah an Miriams Stelle.

Das ganze funktioniert auch nicht deshalb, weil der Film besonders stylish ist. Das ist er in hohem Masse. Neben klassischer Musik hören wir auch ein bisschen kirchlich angehauchte Töne von Bach, den Song „Bela Lugosi is dead” von Bauhaus und elektronische Klänge. Superschnelle Szenenwechsel, die schon genannten Schleier nebst Wohnungsdesign und supertolle Masken – man vergleiche Bowie als Bowie und dann als Greis – beherrschen im wahrsten Sinn des Wortes die ganzen verdammten 100 Minuten dieses Machwerks.

Da rutschte ich nicht nur einmal auf dem Sofa hin und her. Und gerade die Szene, in der Bowie versucht, Kontakt zu und Hilfe von der Ärztin Sarah zu bekommen, ist erzählerisch gesehen nichts weiter als eine Katastrophe. Denn im wesentlichen sitzt der Mann, wartet und altert. Damit hat man bereits eine halbe Stunde des Films verplempert. Alles weitere ist nicht besser.

„The Hunger” straft alle jene Lügen, die glauben Style und Design im Überfluss könnten ersetzen, was Film eigentlich ausmacht: Geschichten erzählen. In dem Begriff „Geschichte” steckt das Wort „Schicht”: Eines kommt zum anderen, Schicht lagert sich auf Schicht, da ist Entwicklung, da sind handfeste Charaktere, da ist Spannung, da IST etwas. In „Begierde” ist nichts – ausser Style. Und daran können auch ansonsten noch so gute Schauspieler nichts, aber auch gar nichts ändern.

Ulrich Behrens

Begierde

England

1983

-

93 min.

Regie: Tony Scott

Drehbuch: Ivan Davis, Michael Thomas

Darsteller: Catherine Deneuve, David Bowie, Susan Sarandon

Produktion: Richard Shepherd

Musik: Denny Jaeger, Michel Rubini

Kamera: Stephen Goldblatt

Schnitt: Pamela Power