Auszug aus dem Text zum Videofilm Zürich brennt

Gesellschaft

24. November 2007

Es dauerte lange, bis Zürich brannte, und als es endlich Feuer gefangen hatte, fand dieses keine Nahrung.

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Foto: Screenshot vom Videofilm «Züri brännt»

24. November 2007
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Denn der Beton tönt hohl und will nicht brennen. Ein Supersicherheits-Klotzgefängnis ist kein Scheiterhaufen, aber modern.

Modern, viereckig, grau und in Ordnung sind auch die von plastifizierten Hollywoodmonstern belebten Kinderspielplätze, in Ordnung ist überhaupt alles, was glatt, kahl und sauber ist. Gähnende Wüste unter Industriedunst, gegen oben elegant sich verjüngende Turmarchitektur, reduzierte Bildwelt.

Andächtige Monotonie von Beamtenschritten in den öden Gängen der Registraturbehörden, riesige planierte Flächen vor den Einkaufszentren, so leer und wunschlos wie die Köpfe der Familienväter am Sonntag.

Doch unten, wo der Verputz zu bröckeln beginnt, wo verschämte Rinnsale Kleenex-sauberer Menschenärsche zu stinkenden Kloaken zusammenfliessen, da leben die Ratten, wild wuchernd und fröhlich, schon lange.

Sie sprechen eine neue Sprache, und wenn diese Sprache durchbricht, ans Tageslicht stösst, wird gesagt nicht mehr getan sein, schwarz auf weiss wird nicht mehr klipp und klar sein, Alt und Neu wird ein Ding sein. Krüppel, Schwule, Säufer, Junkies, Spaghettifresser, Neger, Bombenleger, Brandstifter, Vagabunden, Knackis, Frauen und alle Traumtänzer werden zusammenströmen zur Verbrennung der Väter (...).

Es gibt Häuser, wo Du wohnen möchtest, weil sie traurig und wehmütig sind, weil sie aus verwinkelten, schattigen Ecken Gerüche vieler Jahre verbreiten, weil dir vom ersten Stock an die Holzstiegen schauerliche Geschichten vorknarren und weil du in vorfabrizierten Kaninchenställen, in Schlafschubladen, in blinden Satellitenstädten ganz einfach wahnsinnig würdest. Also besetzen wir die leerstehenden, zum Abbruch bestimmten Hauser und begehen damit Hausfriedensbruch.

Wir rentieren nicht, also werden wir von den Grenadieren schnell wieder geräumt. Wir besetzen andere Häuser, und gleichzeitig beginnen wir zu verhandeln. (...)

Geld manifestiert sich in Höhe und sterilen Glasfassaden. Macht blinzelt im starren Rhythmus vom Rot-Gelb-Grün der Verkehrsampeln. Unumwerflich die stabilisierende Wirkung nie endender Autoschlangen, und allgegenwärtig wachen Roboter über Recht und Ordnung. Zürich City - Grossraumbüro, rentabel, doch zum Wohnen leider ungeeignet. Zürich City - Parkhaus für Pendler und motorisierte Alleskäufer.

Abgase zerfressen Sandsteinfassaden in den letzten wohnlichen Quartieren, Lärm und Stress geben ihnen den Rest (...)

Hautnah haben wir miterlebt, wie um uns herum die grosse Illusion der Wohlstandsgesellschaft aufgebaut wurde. Wir lebten in den grünen Städten des sozialen Wohnungsbaus, in der heilen Welt der neu besiedelten Aussenquartiere. Unsere Eltern krabbelten emsig und tüchtig wie die Ameisen, kurzsichtig und stur wie die Maulwürfe an der Erfolgsleiter herum.

Die wenigsten schafften es bis ganz oben, aber die meisten schafften es zu dem, was sie heut sind: eine riesige Mittelschicht kleinkarierter, langweiliger, subalterner Fünfzigjähriger, die unerschütterlichen Helfer des Grossen Bruders mit Bierbauch, verklebter Fantasie und meterdicken Mauern um Hirn und Herz. Dann kam das Jahr 68 mit einem ominösen Schwall neuartiger, aufrührerischer Worte.

Polemisierende Vater, besorgte Mutter am Familientisch, und wir, die wir damals noch heimlich Zigaretten rauchten auf dem Pausenplatz, waren fasziniert und verunsichert. "Hilfe, die Schweiz von Aufruhrwelle erfasst!" japsten die Nachrichtensprecher mit überschnarrender Stimme.

Globuskrawall, die autonome Republik Bunker, die ersten Joints, Bilder knüppelnder Polizisten in Zeitungen und am Fernsehen fressen sich in unsere Kindskopfe. (. . .)

Wir verteidigen unsere langen Haare gegen die Macht von Elternhaus und Schule. 68 wird zum Begriff und schlaft ein, Jimi Hendrix erwacht zum Leben und stirbt wieder.

Während die graue Hand der liberalen Restauration unerbittlich die Lage zu stabilisieren beginnt, erwachen wir zu politischer Reife.

Wir haben am Aufstand gerochen, wir sind genauso unzufrieden wie es die guten alten Achtundsechziger waren, doch wo sind sie geblieben? Ihre Devise lautete: "Unterwandert die Institutionen, höhlt sie aus!" und jetzt hocken sie in ihren Parteien, Gremien und Ausschüssen, sind hohl und müde. Sie resignieren in den von ihnen geschaffenen Selbstverwaltungsstrukturen, der Zahn der Zeit nagt an der Frauenbewegung, und in den Wohngemeinschaften werden kleinliche Frustratiönchen gehätschelt.

Es wird kälter und kälter, Langeweile und das dumpfe Gefühl, nicht mehr langer von den alten Zöpfen aus den 68er Zeiten leben zu Können.

Es muss etwas in der Luft liegen, wenn aus allen Ecken der Stadt ein tiefkehliges Murren anzuschwellen beginnt, wenn gute Bürger hastig die Laden schliessen und ihre Tochter vom Gehsteig entfernen, wenn da und dort in schummrigen Lokalen unter Wuschelköpfen Unheimliches, Konspiratives zusammengebraut wird.

Verhaltene Wut und das Gefühl, machtlos zu sein vor der schmierigen Verlogenheit multinationaler Grossfinanz. Das ausweglose Verstricktsein im feinmaschigen Netz schweizerischer Rechtsstaatlichkeit. Im Mief biederen Wohlstandes ersticken. (. ..)

Die Rote Fabrik wird zum Schmelztiegel, in dem Hunderte von jungen Bösewichten sich zu einer Einheit verbinden. Der wühlende Stachel des Punk. Wände erzittern, Nachbarn werden aus den Betten vibriert, wilde Feste werden gefeiert und dem durchschnittlichen Strassenbahnbenutzer zieht es das Arschloch zusammen, und sein Gesicht erstarrt zur säuerlichen Grimasse, wenn das erste gemeine Gitarrenriff aus geschändeten Verstärkern drohet. Das ist sie, die Ouvertüre zu einer neuen, bösen Oper, DER TANZ DER KULTURLEICHEN. (...)

Wenn der Ausdruck "Eiszeit" überhaupt irgendwo seine Gültigkeit hat, dann bestimmt für die heiligen Hallen, wo unsere geistige Elite, straff an der Kandare gehalten, zu Schnellesern und Spezialisten im Durchackern von Bibliothekskarteien ausgebildet wird. Seit etlichen Jahren herrscht an der Universität Grabesruhe.

Was einst eine aufmüpfige Studentenschaft war, schlängelt und windet sich heut, möglichst auf dem Weg des geringsten Widerstandes, durch die Semester. Als unten am Limmatquai die ersten Scheiben barsten, witterten viele Studenten Morgenluft.

Doch anstatt zu versuchen, die Uni mit militanten Mitteln ein bisschen ins Chaos zu stürzen, ging man in altbekannter humorloser Art daran, langweilige Aktionstage zu organisieren. Man erging sich in unterkühlten Diskussionen, politisierte in den Fachschaften, analysierte was das Zeug hielt und fuhr dann erschöpft in die Sommerferien.

Unterdessen konnte die Hochschulkommission in aller Ruhe eine Überprüfung des Ethnologieseminars anordnen, ein unbequemer Dozent wurde gefeuert und die umstrittene Krawallführung, oh Schmach und Schande, wurde den Bullen zur Beweisbeschaffung gegen Krawallanten ausgehändigt. Niemand wehrte sich, an der Uni wird wieder geschlafen. Es bleiben nur jene Studenten, die von Anfang an dabei waren, auf der Strasse, mit geröteten Wangen, wurfbereiten Pflastersteinen und dem Huronengebrüll aus wunden Lungen. Immerhin, es waren nicht wenige. (...)

Langsam aber stetig, für Augenstehende kaum spürbar, beginnen sich im AJZ Strukturen zu bilden. Alle sind ständig auf Draht, Informationen laufen, jeder ist über alles im Bild, um jedes nötige oder unnötige Problem bildet sich eine Arbeitsgruppe. Der Begriff "Autonomie" wird behutsam und teilweise mit Mühe aus seiner Abstraktion geschält, wird erlebbar, sowohl fürs Auge, als auch für tieferliegende Sinne.

Im gleichen Mass, wie die Theke des Restaurants Form annimmt, verdichtet sich bei jedem einzelnen ein kribbeliges Gefühl der Zusammengehörigkeit. Nie gekannte Formen der Obereinstimmung, allen Meinungsverschiedenheiten zum Trotz, das eigenartige Gefühl der Sicherheit in einer alles andere als gesicherten Situation.

Hier sind wir in unserem Zentrum des Bösen, wir schmelzen zusammen, stülpen Althergebrachtes arglos um, wir staunen selbst, dass zwei mal zwei nicht immer vier sein muss, und ausserhalb der AJZ-Mauern liegt ein anderer Planet. Die neue Sprache entsteht, neue Wörter, farbenprächtige Sinnbilder beginnen durch die ausgetrockneten Kanäle schweizerischer Massenmedien zu rieseln.

Verschlüsselte Nachrichten, ganz leise erst, doch dann, anlässlich der Sendung "Telebühne" ätzt sich unauslöschlich und mit riesigen Lettern das Wort "Verweigerung" in den blüten weissen Medienhimmel. Eine Welle der Empörung schwappt giftig aus gutbürgerlichen Fernsehsesseln, von Panik erfasst schreien die Vertreter des wirtschaftstreuen Liberalismus nach Rache, und die wirklich liberalen Geister schütteln verständnislos die Kopfe. Sie sind sprachlos, nicht wir. (...)

Es ist ein erhebendes Gefühl, für den Staat, diese verrostete, prähistorische Additionsmaschine, eine Gefahr zu sein. Die wildesten, die romantischsten Traume sind plötzlich gar nicht mehr so irreal. Das AJZ als Insel der Gesetzlosen inmitten einer langsam verrottenden Grossstadtleiche. Wir, eine Horde verwegener Wegelagerer. Meine Damen und Herren Brigantinnen und Briganten, heute feiern wir den tragischen Einsturz des Kreditanstalt-Palastes.

Das mit uns verbündete Gras überwuchert fleissig den in Schutt und Asche liegenden Paradeplatz, und die ewigblöden Kühe glotzen wiederkauernd an den Sprüngli-Ruinen vorbei ins Unendliche, grad' so, als hatten sie's schon immer gewusst. Und über unseren Köpfen baumelt bedrohlich der Stadtrat an einem immer dünner werdenden Faden. Irgendwann werden diese Herren einen Grund finden müssen, um das AJZ zu schliessen, denn die Ratten sind ans Tageslicht gestossen, sie sind wild und gierig. (...)

Was alle bereits mit Schrecken erwartet haben, ist eingetroffen: Ein paar windige Vorwände genügen, um die Schliessung des AJZ zu rechtfertigen. Unsere Anarchie, wie immer chaotisch, organisationsfeindlich und naiv, wird von der Staatsgewalt planiert, zertreten und mit Stacheldraht eingezäunt. Niemand wundert sich. Noch einmal flackern die letzten Restchen Energie auf, die Bahnhofstrasse liegt in Scherben, und die Bewegung liegt in den letzten Zügen. Ein langer, arschkalter Winter steht vor der Türe.

Doch es geht weiter. Zwar wird der grosse Ausverkauf einer Idee beginnen, keine Buchmesse, kein Filmfestival wird an der Bewegung 80 vorbeikommen, die Medien werden weiterhin alles unternehmen, unsere Unzufriedenheit zu erklaren, zu schlucken und zu neutralisieren.

Doch draussen, in den nasskalten Strassen Zürichs, werden immer wieder kleinere und grössere Gruppen Zeichen ihrer Existenz setzen, Zeichen, die unmissverständlich an die Sprache eines heissen Sommers erinnern.

Geheimnisvolles Spraydosengeflüster wird durch nachtschwarze Fussgängerunterführungen zischen, aus den Mörderknästen wird es zum Entsetzten der Justizdirektoren ganz unheimlich dröhnen, auch Scheiben werden klirren, und Freudenfeuer werden brennen, und höhnisches Gelächter wird ungeschlachte Politikergesichter zu irritiert grinsenden Fratzen erstarren lassen. Ihre kulturellen Repräsentationspflichten werden sie in Zukunft vom sandsackgeschützten Schreibtisch aus erfüllen.

Mit allen Mitteln werden sie versuchen, uns hinter Mauern und weissgekachelten Psychiatriewänden verschwinden zu lassen. Sie sind überall, die Bullen. Sie stehen vor Deiner Tür und wissen alles von Dir. Doch eines wissen sie nicht: Wir haben gelernt, wir haben uns kennengelernt.

Die ganze Stadt ist mit zainen Faden durchzogen, wir fühlen uns nicht mehr allein. Zürich, Lausanne, Basel, Bern, Amsterdam, Bremen, Hamburg, Stuttgart, Freiburg im Breisgau, Berlin und - Zürich, immer wieder...

Auszüge aus dem Text zum Videofilm «Zürich brennt»