Geburtshilfe Von Risiko, Selbstbestimmung und dem Druck auf freiberufliche Hebammen

Gesellschaft

15. Oktober 2011

Die gesellschaftliche Sicht auf Geburt ist meist die eines notwendigen Übels. Angeblich ist die stundenlange „Qual“ aber schnell vergessen, wenn das Baby friedlich in den Armen der Mutter liegt.

Detail der Terrakotta-Plastik 'Hebamme mit Säugling' über dem Eingang der 1930-31 errichteten geburtshilflichen Klinik mit Hebammenlehranstalt.
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Detail der Terrakotta-Plastik 'Hebamme mit Säugling' über dem Eingang der 1930-31 errichteten geburtshilflichen Klinik mit Hebammenlehranstalt. Foto: Bernd Schwabe (CC BY-SA 3.0 unported)

15. Oktober 2011
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In dieser Sicht ergänzen sich verschiedene Zuschreibungen, die einerseits implizieren, dass Muttersein etwas per se ganz wundervolles sei und andererseits körperliche Vorgänge, die damit zusammenhängen am besten im Verborgenen bleiben.

Körper die schwitzen, stöhnen, bluten und schreien, passen irgendwie nicht recht zum Bild des Individuums im Neoliberalismus, das mit ständiger Selbstoptimierung ja eigentlich schon genug ausgelastet ist. Generell sind Körper, mit ihrem komplexen Zusammenspiel von Hormonen, Botenstoffen, Nerven und Muskeln, ziemlich unberechenbar und damit potenziell risikobehaftet... Dass das Gebären auch Spass machen kann, dass der eigene Körper in dieser Situation als kraftvoll und schön erlebt werden kann, erscheint den meisten ziemlich abwegig.

Den frauenbewegten Frauen* der 70er und 80er Jahre war das positive Potenzial der Geburt durchaus bewusst und sie haben es mit ihrer politischen Arbeit geschafft die Geburtshilfe nachhaltig zu verändern. Diese Bewegung hat es ermöglicht, die Dominanz der Ärzte in der Gynäkologie zurück zu drängen und Perspektiven auf Frauenkörper zu eröffnen, die nicht pathologisierend sind. Ein zentraler Punkt war die Selbstermächtigung der Frauen im Umgang mit ihrem Körper. Unter diesem Gedanken sind viele Gruppen entstanden, in denen Frauen sich selbst untersucht haben und sich ihren Körper so wieder aneignen konnten. Dieses Umdenken hat auch dazu geführt, dass Hebammen wieder begonnen haben Hausgeburten durchzuführen.

Aus einem queer-feministischen Blickwinkel, sind sicher einige der Ansätze, die damals in der Frauenbewegung Anklang fanden, kritikwürdig. Gerade im Bereich der Geburtshilfe haben sich viele Versatzstücke öko-feministischer Theorien getumelt, deren emanzipatorischer Gehalt zu bezweifeln ist. In vielen Fällen wurde der Dualismus, der Natur und Weiblichkeit gleichsetzt und das Kulturelle dem Männlichen zuordnet, einfach übernommen und positiv belegt. Teilweise wurden Frauen auch per se Eigenschaften wie Friedlichkeit und Fürsorglichkeit zugeschrieben. Solche essentialistischen Ansätze sind aber auch innerhalb der durchaus heterogenen Frauenbewegung immer wieder kritisiert worden.

Trotzdem sind aus dieser veränderten Sicht auf Körperlichkeit, reale Verbesserungen für Schwangere und Gebärende** hervorgegangen; das Ermöglichen von Geburten in vertrauter Umgebung, die Selbstbestimmung über die Gebärposition und eine Haltung die es Gebärenden zutraut aus eigener Kraft ein Kind auf die Welt zu bringen. Hausgeburten sind in dieser Zeit wieder zu einer Option geworden. Momentan werden in der BRD jährlich noch etwa 10.000 Kinder zu Hause oder in einem von Hebammen geleiteten Geburtshaus geboren. Diese Form der individuellen Geburtshilfe steht, durch die Erhöhung von Versicherungsprämien, jedoch faktisch vor dem Aus.

Zum 1.Juli 2011 ist die Berufshaftpflichtversicherung für freiberufliche Hebammen, von jährlich etwas über 1.000 Euro auf über 3.000 Euro im Jahr, angehoben worden. Viele Hausgeburtshebammen haben bereits angekündigt, sich aus der Geburtshilfe zurückzuziehen. Ein Fünftel hat dies bereits getan. Dieser Zustand ist untragbar, da er bedeutet, dass Gebärende in Zukunft keine freie Wahl über den Geburtsort haben werden.

Zentraler Bestandteil von ausserklinischer Geburtshilfe ist es, möglichst wenig in den Geburtsablauf einzugreifen und die Selbstbestimmung der Gebärenden zu achten. In Kliniken kommt es dagegen oft zu so genannten „Interventionsketten“. Das bedeutet, dass Eingriffe gemacht werden, die häufig andere Eingriffe nach sich ziehen und sogar nötig machen. So wird zum Beispiel mit Wehen fördernden Medikamenten gearbeitet.

Dadurch hervorgerufene Wehen können vom Körper häufig schlechter verarbeitet werden, was wiederum oft schmerzstillende Praktiken nach sich zieht. Durch Teilnarkosen kann in vielen Fällen aber weniger aktive Geburtsarbeit geleistet werden, sodass die Notwendigkeit operativer Eingriffe wächst. Das ist nur ein Beispiel einer möglichen „Interventionskette“. Viele dieser Eingriffe werden als grenzüberschreitend erlebt bzw. die Gebärenden finden sich in Situationen wieder, in denen sie sich als abhängig und ausgeliefert empfinden.

Die Motivation von Kliniken derartige Geburtshilfe zu betreiben, ist selbstverständlich nicht darin begründet den Gebärenden ein möglichst unschönes Geburtserlebnis zu bereiten, sondern sie hängt mit dem dortigen „Risikomanagement“ zusammen. Risiko wird dort als etwas individuelles bewertet - Als etwas, das eine Person „in sich trägt“ (Castell). Die Grundlage jedes Risikobegriffs ist jedoch die Statistik, mit deren Hilfe zwar Aussagen über Populationen getroffen werden können, nicht jedoch über Individuen.

Aufgabe der Statistik ist es, zwei Faktoren miteinander in Beziehung zu setzen und zu überprüfen ob sich bestimmte Korrelationen ergeben. Also Beispielsweise nachzuprüfen ob die Erhöhung des einen Faktors, Auswirkungen auf den anderen Faktor hat. Wenn das der Fall ist, ist damit jedoch noch nichts über Ursachen gesagt. Geht es um Statistiken in denen beispielsweise ein Zusammenhang, zwischen der Abnahme der Storchpopulation und dem Rückgang von Geburten beschrieben wird , fällt es noch relativ leicht nicht von Ursächlickeiten zu sprechen. Schafft es eine beliebige Korrelation jedoch Anklang in bestimmten Diskursen zu finden, werden schnell „Ergebnisse“ oder eben Ursachen präsentiert. In den letzten Jahren werden beispielsweise immer wieder angebliche „Gene für...“ gefunden.

Dass es sich dabei bloss um statistisch nachweisbare Häufungen von bestimmten Genkombinationen auf der einen Seite und Krankheiten auf der anderen Seite handelt, bleibt im Dunkeln. Doch auch wenn der Blick nicht an vermeintlichen Ursachen hängen bleibt, sondern die statistischen Häufigkeiten in den Focus rücken, bleibt die tatsächliche Aussagekraft begrenzt. Was sagt der betroffenen Person ein Risiko von 20%? Wenn sie 100 mal lebt, wird sie 20 mal krank? Noch nicht einmal das, denn damit sich ein aussagekräftiges Muster abzeichnet, müsste schon deutlich häufiger gelebt werden...

In der modernen Medizin wird nun aber genau dieser Fehler begangen und quantitative Aussagen über Bevölkerungsgruppen, werden zu individuellen Risiken erklärt und behandelt. So wird das Risiko unmerklich zur Diagnose und vermeintlich Gesunde werden vermeintlich behandlungsbedürftig. Ob nun eine „Gefährdung“ von 0,1 oder 70 Prozent vorliegt, jedes Risiko muss vermieden werden und entsprechend wird interveniert. Weitere Risiken, die der Intervention folgen können, müssen ebenfalls bestimm- und händelbar sein. Selbstverständlich muss eine Person, die ein Kind zur Welt bringt mit diesen Praxen nicht zwangsläufig unzufrieden sein. Auch soll hiermit die Klinikgeburtshilfe nicht generell diskreditiert werden, zumal sie bei bestimmten Diagnosen durchaus angebracht ist.

Problematisch ist vor allem die Aussicht sich bald nicht mehr bewusst für oder eben gegen eine Klinikgeburt entscheiden zu können.

Die gesellschaftlichen Auswirkungen, der darin zum Ausdruck kommenden Risiko- und Präventionskultur, sind allerdings viel weitreichender. Robert Castell prognostiziert beispielsweise, dass das Risiko die Funktionen anderer Elemente, die eine strukturierende und ordnende Wirkung auf Gesellschaft haben, wie zum Beispiel Kontrolle und Fürsorge ergänzen oder ablösen könnte.

Das Heranziehen von Risiken erlaubt einen weitreichenden Handlungsspielraum bevor etwas eintritt. Wird ein Risiko erkannt impliziert das immer einen bestimmten Handlungsdruck. Nicht zu handeln wäre verantwortungslos. Der Zwang zur Prävention schreibt sich so mehr und in die Individuuen selber ein. Ob es nun um Arbeitslosigkeit, Krankheit oder das Kinderkriegen geht, jeder_r wird zur Manager_in der eigenen Risiken und ist im Falle eines „Scheiterns“ eben selbst schuld.

Besonders deutlich wird diese Entwicklung auch im Bereich der vorgeburtlichen Diagnostik. Anhand bestimmter Statistiken und mit Hilfe von Testverfahren wird das individuelle „Risiko“ ermittelt, ein behindertes Kind auf die Welt zu bringen. Dann muss eine Entscheidung getroffen werden, für deren Folgen man selbstverständlich selbst verantwortlich ist. Schliesslich hätte sich ja auch anders entschieden werden können... Diese vermeintliche Freiheit, die gesellschaftliche Problematiken individualisiert und entpolitisiert macht gerade deshalb Widerständigkeit so schwierig.

Die Tatsache, dass der Berufshaftpflichtversicherungsbeitrag so dramatisch ansteigt, liegt im Übrigen nicht daran, dass bei Hausgeburten mehr schief geht als im Krankenhaus. Dass die Versicherungsprämie derart gestiegen ist, liegt eher an einem starken Anstieg der Schadenshöhe im Einzelfall. Diese wird vor allem dadurch verursacht, dass gesundheitliche Probleme der Säuglinge durch neuere medizinische Möglichkeiten besser und aufwändiger behandelt werden können und die Kosten dadurch steigen.

Ein Lohnerhöhung, die die Versicherungskosten ausgleichen würde, ist jedoch politisch nicht gewollt. Mehr noch, das Gesundheitsministerium hat sich aus seiner Vermittlerrolle bei den Tarifverhandlungen herausgezogen und die Hebammen müssen sich nun ganz allein mit den Krankenkassen auf ihre Gehälter einigen. Bleibt zu hoffen, dass die bisher eher zaghaften Proteste der Hebammen noch anwachsen werden und solidarische Unterstützung finden!

Eine autonome Geburtshelferin