Der Schweizer Brückenbauer Toni el Suizo in Italien Dem Pontiere fliegen die italienischen Herzen zu

Gesellschaft

17. Mai 2016

Toni Rüttimann alias Toni el Suizo, der Brückenbauer, tritt auch in Italien auf. Die Italiener staunen und sind total begeistert.

Der Brückenbauer Toni Rüttimann alias «Toni el Suizo» vor gespendeten Metallröhren aus Italien, September 2014.
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Der Brückenbauer Toni Rüttimann alias «Toni el Suizo» vor gespendeten Metallröhren aus Italien, September 2014. Foto: Toni Rüttimann (CC BY 3.0 unported - cropped)

17. Mai 2016
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Italien – ein wunderbares Land! Viel Sonne, gutes Essen, guter Wein, malerische Altstädte, traumhafte Badestrände, all überall freundliche Leute! Auch heute, im Zeitalter der Billigstfliegerei, bietet kaum ein Ferienland mehr an Lebensfreude auf Zeit und Erholung vom schweizerischen (oder auch deutschen) Arbeitsstress, als eben Bella Italia.

Wer regelmässig und/oder auch länger in Italien ist, weiss allerdings, dass auch dieses Land seine Kehrseiten hat: die Bürokratie in Italien zum Beispiel ist die wahre Hölle. Rechnungen für elektrischen Strom etwa umfassen mindestens fünf A-4-Seiten Kleingedrucktes, nur was eine Kilowattstunde Strom kostet, steht nirgends. Und selbst die Rechnungen für die Immobiliensteuern muss man zwar am PC aufgrund der Kataster-Daten selber zusammenstellen, aber die IBAN zur Zahlung per eBanking ist da unbekannt. Man muss zur Post gehen, dort nicht selten eine Stunde anstehen und bar bezahlen, selbst wenn der Zahlungstermin der 15. Dezember ist. Doch welcher deutsche Ferienhausbesitzer ist am 15. Dezember schon in Italien?

Sehr positiv wieder sind die örtlichen sozial-kulturellen Bewegungen, die man allerdings nur entdeckt, wenn man näher hinschaut. In der Gemeinde Cassano Valcuvia in der Provinz Varese zum Beispiel, einer Gemeinde mit knapp 700 Einwohnern, findet jedes Jahr ein Dorffest statt, an dem nicht nur das Risotto aus der Schulküche für alle gratis ist, sondern auch das zarteste Rindfleisch vom Grill – und dies à discrétion! Auch an Marktständen kriegt man dann viele Produkte aus den häuslichen Küchen und Bastel-Wohnstuben unentgeltlich. Man zahlt einfach vor dem Nach-Hause-Gehen beim Ausgang des Festplatzes einen pauschalen Betrag – nach eigenen Möglichkeiten und eigenem Ermessen, und also nicht zu sparsam. Der Überschuss des ganzen Festes geht an wohltätige Vereine, zum Beispiel zur Hälfte zugunsten der Armen der Region und zur Hälfte zugunsten gestrandeter Migranten. Die Verbindung von Fest und sozialem Engagement in Cassano ist beeindruckend und lässt jedes Herz höher schlagen!

Für einmal galt unser Besuch der Stadt Arese am nördlichen Rand von Milano, genauer dem dortigen Auditorium Aldo Moro, in dem zum Beispiel die Veranstaltungen des lokalen Forums stattfinden. (Aldo Moro war jener italienische Staatspräsident, der 1978 von den Roten Brigaden entführt und ermordet worden war, nach neusten Forschungen vermutlich unter gnädiger Beihilfe des US-amerikanischen Geheimdienstes, weil er, obwohl selber als gläubiger Christ der «Democrazia Cristiana» angehörend, daran war, zur Überwindung der damaligen Wirtschaftskrise die Kommunisten an der Regierung zu beteiligen.) Arese ist eine 20'000-Seelen-Stadt, hier wurden in guten Zeiten die Alfa Romeos gebaut, bevor deren Produktion – die globalen Konzerne lassen grüssen – mit Fiat zusammengelegt wurde. Übriggeblieben ist ein Museo storico Alfa Romeo und eine Industriebrache, die auf ihre Umnutzung wartet...

Am 10. Mai trat dort, im Auditorium Aldo Moro, «el pontere Suizo», der Schweizer Brückenbauer Toni Rüttimann auf. Toni, auf Italienisch «il pontiere», ist der in seinem Heimatland noch viel zu wenig bekannte Schweizer, der schon als 20-Jähriger 1987 nach Ecuador ging, um nach einem Erdbeben den dortigen Notleidenden zu helfen, und nach Hause kam, um Bauingenieur zu studieren, und wieder nach Ecuador ging, um dort mit einfachsten Mitteln Brücken zu bauen: Brücken über Flüsse, Brücken über Schluchten und Abgründe, gebaut mit seinem technischen Know-how, aber gemeinsam mit der einheimischen Bevölkerung. Brückenbau in jedem Sinne des Wortes.

Der Brückenbauer aus der Schweiz, el pontere Suizo, ist heute 49-jährig und hat zwischenzeitlich in acht lateinamerikanischen und fünf asiatischen Ländern über 700 Brücken gebaut, immer Hängebrücken, mit geschenktem Material – die verwendeten Stahlseile sind oft aus dem Verkehr genommene Stahlseite von Schweizer Seilbahnen – und mit Hilfe der Einheimischen auf beiden Seiten des zu überwindenden Hindernisses.

Die Bilder, die Toni Rüttimann hier in Arese zeigte, machten deutlich, wie so ein Brückenbau nicht nur zwei Seiten eines Abgrundes verkehrstechnisch miteinander verbinden kann, sondern auch die Menschen zusammenbringt. Sie ziehen etwa, wenn sie die schweren Drahtseilkabel zu Fuss heranschleppen müssen, nicht nur am gleichen «Strick», sondern auch in die gleiche Richtung – bildhaft und auch real. Tonis Bilderschau ist denn auch keine billige «Show», sondern eine Dokumentation: so kann Menschen, die nicht zu den Privilegierten dieser Welt gehören wie wir hier in Europa, echt geholfen werden.

In Italien beginnen solche kulturellen Veranstaltungen meist um 21 Uhr und enden dann erst kurz vor Mitternacht. An diesem Abend waren gut 150 Leute gekommen, Leute jeden Alters, auch ganz viele junge, ein voller Saal. Man klatschte herzlich nach jeder Bildsequenz. Und an diesem Abend erwies man Toni, dem äusserst bescheiden auftretenden Sprecher, aber eben echten Philanthropen, auch eine besondere Ehre: die Zuhörer erhoben sich von ihren Stühlen, um zu zeigen: Vor so einem Mitmenschen kann man nur eines haben: eine grosse Achtung, einen sehr hohen Respekt!

Und wie bedanken sich in Bella Italia die Organisatoren einer solchen lokalen Kultur-Veranstaltung? Mit einem wohlpräparierten Dankeswort und drei Flaschen Wein in einer Tragtasche, wie hier in der Schweiz üblich? Nein, der wohl 70-jährige Präsident des Forums, Roberto Mori, ergriff zwar das Mikrophon, aber die ebenfalls anwesende 43-jährige Stadtpräsidentin Michela Pallestra stürmte auf die Bühne und schloss Toni kurzerhand in ihre Arme – «bacio ed abbraccio» – Kuss und Umarmung – für einmal nicht nur am Ende eines persönlichen Briefes oder Emails, sondern vor Publikum auf der Bühne. Begeisterung und spontaner Zuspruch, auch eine Stadtpräsidentin darf es in Italien zeigen, wenn sie überwältigt ist!

Ja, in puncto Toni, el pontere Suizo, dürften die Schweizer für einmal von den Italienern etwas lernen: sich für das soziale Engagement eines Miteidgenossen echt zu begeistern und diese Begeisterung auch öffentlich zu zeigen.

Christian Müller / Infosperber