Mobilität - eine Ingenieurswissenschaft? Umstieg auf Elektroantrieb verhindert die Verkehrswende

Gesellschaft

16. April 2021

Die Debatte um eine Verkehrswende ist technisch, oft (deshalb?) sehr männlich dominiert.

Elektro-Auto-Ladepark Hilden, Giesenheide, Mai 2020.
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Elektro-Auto-Ladepark Hilden, Giesenheide, Mai 2020. Foto: Paulgerhard (CC BY-SA 4.0 cropped)

16. April 2021
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Es geht um Antriebe und Grenzwerte. Der Flächenverbrauch von Autos wird eher mit dem von anderen Verkehrsmitteln verglichen, aber selten mit dem, was die Menschen in der Hauptzeit ihres Lebens brauchen. Es wird als normal hingenommen, das riesige Flächen allein dem Verkehr, vor allem dem Autoverkehr gewidmet sind, während die meisten Menschen sowie erst recht Tiere und Pflanzen auf kleine Refugien begrenzt werden. Mobilität scheint eine Ingenieurswissenschaft zu sein, keine soziale Frage, wo es um eine sehr grundlegende Gestaltung unseres Lebens geht.

Vermutlich basiert auf diesem Holzweg der Verkehrsdebatte die grosse Sympathie für elektrisch angetriebene Autos. Sie ist zu finden bei einer Reihe von umwelt- und verkehrspolitischen Organisationen, aber auch zum Beispiel bei den Grünen, deren amtierende Minister wie in Hessen sogar Millionen an Steuergeldern aufwenden, um per Erforschung des E-Antriebs für LKWs selbst diese Verirrung, immer mehr und immer weitere Warenflüsse zu auf die Strasse zu bringen, noch greenwashen zu wollen. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter wird dabei sogar zum Auto-Macho: „Ein Elektroauto zu fahren macht deutlich mehr Spass als Benziner oder Dieselfahrzeuge – weil Sie zum Beispiel blitzschnell an der Ampel starten können, da lassen Sie jeden Maserati stehen.“

Seine Parteistiftung ergänzt: „Die Integration des Autos als Verkehrsdienstleistung braucht auch und vor allem öffentliche Stellflächen und öffentlich zugängliche Ladeinfrastrukturen. Zentraler Baustein eines solches Plans wäre ein Marktanreizprogramm für Elektromobilität zum Ausgleich der technikbedingten Mehrkosten in der Markteinführungsphase. Als Vorbild kann hier das 100.000-Dächer-Programm bzw. das Erneuerbare-Energien-Gesetz dienen …“ Das wäre ein ambitionierter Plan und die Aussicht auf riesige Absatzmärkte für Automobilkonzerne und Zulieferer – und ein Horror für die Menschen, die weiter den Verkehr oder zusätzlichen, grossflächigen Rohstoffabbau ertragen müssen.

Wer jedoch alle Effekte von PKWs und LKWs anschaut, merkt sofort, dass eine reine Antriebswende nur einen Aspekt verändert und selbst da eine zweifelhafte Bilanz aufweist.
  • Eines der grössten Probleme des LKW- und PKW-Verkehrs ist der enorme Flächenbedarf zum Fahren und zum Abstellen der fahrbaren Untersätze. E-Autos brauchen genauso viel Platz (Strassen, Parkplätze usw.) wie die bisherigen Autos, zum Teil (weil grösser und schwerer mit den ganzen Akkus) sogar etwas mehr. Unabhängig vom Antrieb benötigt der Pkw-Verkehr rund vier Mal mehr Fläche als ein Verkehrssystem, das auf Fusswegen, Radfahren und öffentlichen Verkehrsmitteln beruht. Diese Flächenkonkurrenz zu Mensch und Natur bliebe bei einer Umstellung auf Elektromotoren in vollem Umfang erhalten.
  • Die Erzählung vom emissionsfreien Fahren per E-Motor ist ein Märchen. Die Feinstaubbelastung in der Luft stammt vom Reifenabrieb, der bei E-Autos wegen ihrem hohen Gewicht eher höher sein dürfte. Zudem fahren sie mit Strom, der irgendwo und irgendwie produziert und verteilt werden muss. Weiter verschlechtert wird die Bilanz dadurch, dass ein E-Motor nicht genug Abwärme für die Heizung abgibt. Wärmeproduktion verbraucht viel Strom, die in den Modellrechnungen oft verschwiegen wird.
  • Nicht einmal beim Lärm werden wesentliche Vorteile eintreten, denn ab einer Geschwindigkeit von 30 km/h übertönt der Reifenlärm den des Motors, so dass E-Autos nur bei sehr niedrigen Geschwindigkeiten Vorteile bieten. Möglicherweise wird das aber nicht einmal das so sein, da wegen der sonst steigenden Unfallgefahr künstliches Motorengeräusch abgestrahlt werden muss.
  • Ohnehin: Die Toten und Verletzten haben auch nichts von einem Antriebswechsel. Es bliebe beim hohen Blutzoll von aktuell weltweit einer Million Strassenverkehrstoten pro Jahr. In Europa sind es rund 45.000 jährlich. In Deutschland sterben pro Tag acht bis neun Menschen, 1053 werden durchschnittlich verletzt, die Blechschäden gar nicht benannt. All das geht solange weiter, wie PKWs und LKWs auf den Strassen unterwegs sind.
  • Der Aufbau einer Ladeinfrastruktur verschlingt riesige Geldsummen, wird flächendeckend Baustellen in Stadt und Land schaffen. Mit dieser Power wäre der Umbau auf Strassenbahnen im Stadtbereich, die Reaktivierung von Bahnlinien mit Zubringerlinien per Bus und vielen Fahrradstrassen leichter zu bewältigen. Die Umstellung auf E-Autos wird die Verkehrswende nicht unterstützen, sondern auffressen.
  • E-Autos verbrauchen noch mehr Rohstoffe beim Bau und erfordern vor allem für die Akkus viele spezielle Stoffe (z.B. Lithium), für die in Erwartung der E-Auto-Kaufflut bereits ein imperialer Kampf um Abbaugebiete läuft. Zudem wird die Knappheit der Akku-Rohstoffe zu einem weltweiten Gefälle der Automobilität führen, da nur die reichen Industrienationen die Lithium-Vorräte ausbeuten und aufkaufen können.
  • Bislang ist es statistisch eindeutig: Jeder Ausbau der Verkehrsinfrastruktur erhöht das Verkehrsaufkommen. Das wird auch für die E-Autos gelten. Die Gesamtzahl der Autos und der gefahrenen Kilometer würde durch ein grossangelegtes Förder- und Ausbauprogramm steigen. Begünstigungen wie die Mitbenutzung von Busspuren, kostenloses Parken, Einfahrt in sonst für Autos gesperrte Zonen und kostenloser Strom verstärken den Trend zu noch mehr Fahren.
  • Hinzu kommt der in vielen Bereichen immer wieder auftretende Reboundeffekt. Er bedeutet, dass eine Verbesserung an einer Stelle zu Verhaltensänderungen an deren Stellen führt, die positive Effekte teilweise oder ganz aufheben. Für die Nutzer*innen von E-Autos ist bereits nachgewiesen, dass sie dieses häufiger nutzen und damit vor allem ÖPNV-Fahrten, aber auch manch Fahrradtour ersetzen. Das suggerierte gute Gewissen führt offenbar zu einer hemmungsloseren Nutzung des fahrbaren Untersatzes. Elektro-Pkw sind dann, wenn sie von Individuen gekauft werden, fast immer Zweit- oder Drittwagen.
  • Sehr ähnlich wirkt die erlaubte Gegenrechnung: Für jedes E-Autos dürfen Autobauer an der anderen Seite auch Verbrenner verkaufen. Reine E-Auto-Konzerne wie Tesla finanzieren sich zum Teil aus dem Verkauf dieser Rechte an andere Autokonzerne, die dann mit diesen Rechten wiederum Verbrenner verkaufen. Rechnerisch fährt damit in jedem E-Auto ein Verbrennungsmotor mit.
Somit bliebe als einziger Nutzen eine mögliche Verringerung von Umweltfolgen der eingesetzten Antriebsenergie. Doch selbst das ist mehr als zweifelhaft. Prof. Hans Peter Lenz hält die Erwartungen an Elektromobilität für übertrieben. „Sie bringt in den nächsten Jahrzehnten nichts für die Umwelt, kostet Konsumenten viel Geld und ist dem Verbrennungsmotor in allen Punkten unterlegen“. Der Initiator des Wiener Motorensymposiums und Vorsitzende des Österreichischen Vereins für Kraftfahrzeugtechnik ist mit dieser Kritik nicht allein. ...

Elektrofahrzeuge im Nachteil. Zwar nutzten deren Antriebe 90 % der Energie zum Fahren. Doch Nebenverbraucher und Klimatisierung ruinieren die Bilanz. Mangels Abwärme muss geheizt werden. Der Verbrauch steige dann nach seinen Berechnungen auf 31 kWh/100 km. Zudem kämen in der Vorkette aufgrund von Kraftwerkswirkungsgraden um 50 % und 10 % Leitungsverluste nur 40 % in den Batterien an. Well-to-Wheel summierten sich die Verluste dabei auf 77,5 % (Quelle: www.ingenieur.de)

Ohnehin wäre ein Vorteil nur möglich, wenn die E-Autos mit regenerativer Energie gespeist werden. Das würde aber bei vollständiger Umstellung die Gesamtmenge an Ökostrom auffressen, die heute produziert wird. Für alles andere bliebe nur der dreckige Strom übrig – oder anders ausgedrückt: Der Ökostrom für die E-Autos ist eine Fiktion. Tatsächlich würde die dadurch herbeigeführte gewaltige Steigerung des Strombedarfs den Weiterbetrieb fossiler Kraftwerke oder einen massiven Ausbau von Wind- und PV-Anlagen nach sich ziehen, der mangels geeigneter Flächen und Stromtrassen immer stärker in Konflikt mit Wohngebieten und Naturschutzbelangen käme.

pm