Über die Anfänge der Massentierhaltung Wie kommt in jeden Topf ein Huhn?

Gesellschaft

5. April 2016

Ein Bauer und tausend Hühner ohne Auslauf: Was heute gang und gäbe ist, begann mit einem Zufall. Über die Erfinderin der modernen Massentierhaltung. Ein Beitrag aus "Iss was?!", dem Fleischatlas für Kinder und Jugendliche.

Hühnerzucht in Myerstown, Philadelphia.
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Hühnerzucht in Myerstown, Philadelphia. Foto: U.S. Department of Agriculture (CC BY 2.0 cropped)Heinrich-Böll-Stiftung (CC BY-NC-ND 2.0)

5. April 2016
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Es fing mit 50 piepsenden Küken an, aus denen aber – versehentlich – 500 wurden! Die amerikanische Hausfrau Celia Steele hatte sich im Jahr 1923 vorgenommen, ihren Hühnerstall neu zu bestücken. Deshalb bestellte sie 50 frisch geschlüpfte Hühner als Nachschub. Das ging gründlich schief. Denn geliefert wurde nicht die Menge an Federvieh, die Celia bestellt hatte– sondern zehnmal so viel! Vor den Augen der verdutzten Bäuerin wurden 500 Küken entladen.

Wohin sollte die arme Frau jetzt bloss mit all den Vögeln? Sie stand vor einem Riesenproblem. So ein Tier braucht viel Platz, um sich zu bewegen. Dafür war der Hof zu klein. Und Hühner sind zwar sehr soziale Wesen, aber sie mögen es gar nicht, in Massen aufeinander zu glucken. Experten gehen davon aus, dass eine Herde von bis zu 50 Hühnern ideal ist. Bei dieser Grösse geht es den Tieren gut, sie können einander leicht kennenlernen und eine soziale Rangfolge unter sich ausbilden. Hast du schon mal von der "Hackordnung unter Hühnern" gehört? Klingt jetzt nicht so supersozial, ist aber gut und wichtig.

Orientierungslos, gestresst und aggressiv

Ein Huhn möchte seinen Platzanspruch in der Gruppe geklärt wissen. Dann entspannt es sich leichter. Wer seinen Schlafplatz wo hat, wer andere dominiert oder zuerst an den Fressnapf darf, das alles lernen bereits junge Küken mühelos und oft spielerisch. Ohne einander die "Augen auszuhacken".

Wie anders sieht es dagegen bei jenen Fabrikhühnern aus, die wir heutzutage mästen. Diese wirken wie verloren im Bedürfnis, sich sozial zu ordnen, weil sie zu Hunderten oder Tausenden orientierungslos zusammenhocken. Das macht tierisch Stress und führt zu gestörtem Verhalten und schlimmen Aggressionen. Vom "Federpicken" spricht man beispielsweise, wenn ein Masthuhn dem anderen die Federn ausreisst. Von "Kannibalismus", wenn die Hühner sich gegenseitig anfressen.

Nichts von alledem hatte jedoch Celia Steele schon vor Augen. Kein Wunder also, dass sie sich entschied, ihre neuen Küken einfach zu behalten. Alle 500, und sei es auf engstem Raum! Celia pferchte die Tiere in ihrem kohlebeheizten Stall zusammen, um sie dort sicher durch den Winter zu bringen. Ohne Tageslicht, monatelang– und mit Erfolg. Denn als das Frühjahr anbrach, waren 387 Tiere noch am Leben und verkaufsreif. Für jedes einzelne strich die Besitzerin sogar 1,40 Dollar ein. Das war der Beginn einer ganz neuen Idee: der modernen Massentierhaltung. Die Amerikanerin war tatsächlich eine der ersten, die ihren winzigen Hühnerhof in Windeseile in einen Grossbetrieb umwandelte: Eier und Fleisch wurden in rauen Mengen produziert. 1926 besass Celia schon 10.000 Hühner, fast zehn Jahre später waren es eine Viertelmillion. Andere amerikanische Züchter konnten die Frau beneiden, denn sie hatten weitaus weniger Tiere (gerade mal 23 im Durchschnitt). Was aber war das Geheimnis der Hühnerbaronin?

Hühner auf Höchstleistung

Entscheidend war das Kraftfutter. Es gab inzwischen neuartige Mischungen, mit denen Celia freudig experimentierte, weil diese Vitamin A und D enthielten. Dadurch kamen die Tiere auch ohne frische Luft, Licht und Auslauf aus. Am Ende war Celia jedoch nicht die einzige, die erkundete, wie man die gängige Tierzuchtpraxis umkrempeln könnte. Viele Bauern wollten das. Und es gab plötzlich alle möglichen Hilfsmittel dafür!

Brutschränke für die Küken und stapelbare Käfige für Legehennen. Die Ställe wurden immer grösser, und Fliessbänder hielten darin Einzug. Der Kot der Tiere wurde auf Transportbändern abgeführt, das Futter – ganz ähnlich – ohne viel Personal zu ihnen gebracht. Alles vollautomatisch! Und weil Hühner durch Licht dazu angeregt werden, mehr zu fressen (und mehr Eier zu legen!), baute man schliesslich auch Lampen über ihren Köpfen ein. Diese brannten 18 Stunden am Stück und signalisierten, dass es niemals Nacht oder Winter würde. Sprich: Das Huhn durfte sich einfach nicht auf die faule Haut legen, einen Gang runter schalten, sondern sollte Höchstleistung bringen. Und damit wurde das Geflügel, das glücklich über den Bauernhof gackert, bald zum Auslaufmodell.

Doch am Horizont tauchte ein anderes Tier auf: das viel gepriesene "Suppenhuhn für alle" oder Backhendl vom Grill. Das "Chicken to go" vom Wiener Wald oder Brathuhn "Kentucky Fried". Der Siegeszug der Billighühner schien kaum mehr aufzuhalten. Und dies nicht zuletzt, weil sich auch die Politik immer stärker einzumischen begann: Sie unterstützte die Wirtschaft darin, mehr Fleisch auf die Teller zu bringen. Kannst du dir vorstellen, wie der Wahlkampfslogan hiess, mit dem Herbert Hoover im Jahr 1928 die Präsidentenwahl in den USA gewann? Er stellte klar, was die Leute konkret wählten, wenn sie für ihn stimmten. "Ein Huhn für jeden Topf!" – so lautete sein Wahlversprechen. Keine Frage. Das klappte.

boell.de

Den ganzen Fleischatlas für Kinder und Jugendliche könnt Ihhier herunterladen.

Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons (CC BY-NC-ND 3.0) Lizenz.