Evangelischer Kirchentag? 2015 Die Subversion des Kirchentags

Gesellschaft

„Damit wir klug werden“ (Psalm 90, 12) ist in Stuttgart vom 3. bis zum 7. Juni der evangelische Kirchentag. Mit fast 100.000 Dauerteilnehmern „startet fröhlich und kritisch“ (2) das Kirchenfest.

Der Eröffnungsgottesdienst am Evangelischen Kirchentag in Stuttgart auf dem Schlossplatz am 3. Juni 2015.
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Der Eröffnungsgottesdienst am Evangelischen Kirchentag in Stuttgart auf dem Schlossplatz am 3. Juni 2015. Foto: Landeshauptstadt Stuttgart (CC BY-NC 2.0 cropped)

8. Juni 2015
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Zufrieden allerdings sind die Christen mit der Welt die ihnen Gott geben hat nicht: „Kritik wird laut: an grenzenlosem Wachstum und dem Prinzip Märkte vor Menschen“ (2). Hier treffen sich nicht einfach Christen, die ihr Schicksal in die Hände Gottes legen, sondern sozial eingestellte Gottgläubige, die ihrer Verantwortung in dieser Welt gerecht werden wollen. „Klug werden“ wollen sie mit Hilfe der Bibel, und so geht es auch in der Bibelarbeit um Zitate, die den Schafen Gottes im Hier und Heute helfen sollen: Lukas 16,1-13: “Klug handeln – mit dem Mammon?” (3) – das ist die Frage, die anhand dieses Pslams geklärt werden soll.

Wie es aussieht, wenn Christen subversiv werden, zeigen sie selbst in ihrer Kritik dieser Verhältnisse, die sie in der Bibel finden: Lukas 16,1 – 13, für die weniger Bibelfesten (4), handelt von einer Geschichte, die Jesus über den Geschäftsführer eines reichen Mannes erzählt, der von seiner baldigen Entlassung erfährt. Der entschuldet fix einige Leute, die bei seinem Herren in der Kreide stehen, und hofft so auf deren Hilfe, sobald er selbst nicht mehr in Lohn und Brot steht. Jesus lobt dieses Verhalten: „Niemand kann zwei Herren, zwei Mächten, dienen. Entweder du wirst die eine hassen und die andere lieben oder du wirst an der einen festhalten und die andere verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Geld.“ Ruft hier Jesus etwa auf zur Enteignung und zum Rechtsbruch? Der Kirchentag in Stuttgart stellt mit seinen Exegetischen Skizzen klar, wie der Psalm zu verstehen ist: Dass einer aus egoistischen Gründen seinen Herren bescheisst, kann natürlich nicht gemeint sein. Also wird ruminterpretiert (wie man das bei der Bibel ja immer machen muss), bis schliesslich herauskommt: Hier tut einer Gutes, ohne mit den Rechten und Pflichten zu brechen oder ein gültiges Interesse generell abzulehnen.

I. Es handelt es sich dabei nämlich nicht um eine eigenwillige Enteignung des reichen Mannes durch seinen Geschäftsführer: “Fest steht, dass der Verwalter grosse Summen beziehungsweise Mengen erlässt. Er darf das tun. Es gehört zu seinem Recht als eingesetzter Geschäftsführer, ja, es gehört zu seinem Zuständigkeitsbereich, Pachtzinsen festzusetzen, Schuldscheine zu verwalten, Rückzahlungen zu notieren.“ (3) Jesus lobt, so die etwas eigenwillige Auslegung der Geschichte, keineswegs einen Rechtsbruch, sondern den geschickten Umgang mit dem, was erlaubt ist!

II. Auch moralisch muss schwer in Ordnung gehen, was der Herr lobt, sonst, das weiss der Christ ja, würde er es nicht loben: „Zugleich wird damit deutlich, dass der oikonomos weder die Pächter vor der Schuldsklaverei oder derartigem bewahren will und muss, noch den Grossgrundbesitzer an den Rand des Ruins treibt. Dieser nämlich verliert nichts,sondern macht schlicht keinen Gewinn“ (3). Das Eigentum des Reichen wurde, durch die Umverteilung des Geschäftsführers von unten nach oben nicht angerührt. Das steht zwar nicht im Psalm, das weiss die auslegende Dame aber, weil Eigentum anrühren ist bäh, Sowas billigt Jesus nie und nimmer. Gewinn beschneiden ist zwar auch bäh, aber manchmal und wenn man damit nicht gleich alles umstürzt, aus ethischen Gründen haltbar.

III. Mit derart rechtsförmiger “Subversivität“ ist der Protagonist der kleinen Geschichte Vorbild für christlichen Widerstand: „An diesen Stellen erzählt Jesus von Menschen, die in ihrem Verhalten selbst gegen Konventionen verstossen. Diese Menschen stellen sich gegen das herrschende System, destabilisieren es, stellen durch ihr Tun scheinbar Selbstverständliches infrage und leisten damit Widerstand – allerdings nicht in grossem Massstab, sondern in ihren eigenen Bezügen.“ (3) “In den eigenen Bezügen“ immer prüfen, ob man auch das Gute tut, soweit man kann und darf, das „destabilisiert das System“ – bloss welches? „Schuldsklaverei“ und Grossgrundbesitz sollen ja gerade nicht in Frage gestellt werden. Aber irgendwieverträglicher könnten diese Verhältnisse schon sein, nämlich wenn jeder moralisch handeln würde.

IV. Bei sich hat man anzufangen, weil der gute Christ – und ein solcher ist der hier behandelte Geschäftsführer – sich „mit seiner Tätigkeit in einer Welt bewegt, in der die Ungerechtigkeit das vorherrschende Prinzip ist.“ (3) Das „Prinzip“ ist dabei natürlich nicht das Eigentümer-Pächter-Verhältnis, sondern das der Mensch dabei die Moral vergisst, und das passiert leicht, wenns ums Geld geht: „Er lässt hier überhaupt keinen Zweifel daran: Es geht nicht um die Frage, ob es gutes und schlechtes, schmutziges und sauberes Geld gibt. Am Geld klebt Ungerechtigkeit, es schafft Abhängigkeitsverhältnisse, da ist nichts zu beschönigen. Die Frage, die zur Debatte steht, ist, wie die von ihm Angesprochenen damit umgehen.“ (3) Egal was die Welt wie beim Geld, an unangenehmen Umständen zu bieten hat, es kommt doch darauf an, was man (christlich) daraus macht.

V. Das Geld, das manchmal auch mit Mammon übersetzt wird, soll endlich an seinen wirklichen Platz gerückt werden: „Dass und wie und ob es überhaupt eine gottgleiche Grösse wird, liegt an uns Menschen, die wir uns zu der Grösse, der Macht, dem kyrios Geld verhalten, anders gesagt, ob wir das Geld als Herrn anerkennen wollen.“ (3) Du hast es also selbst in der Hand, ob du Geld zu deinem Gott machst oder dem Herrn im Himmel dienen willst: „Geld bewusst einzusetzen und nicht automatisch der ihm inhärenten Logik des „Hauptsache, es vermehrt sich“ zu folgen“ (3) ist also Aufgabe des Gottesvolkes. Die frohen Botschaft für alle Menschen jenseits ihrer Klasse: Sie müssen sich nur alle gemeinsam gegen die Logik des Geldes verhalten- natürlich in ihrer moralischen Einstellung zu ihm. Das macht das Geld so „klein“, dass man dann sogar guten Gewissens eine Bank betreiben kann. Bei der ist dann die Logik des Geldes nicht seine Vermehrung, sondern seine Vermehrung ist ein gutes Werk für den Menschen: „Dann ist es unsere [!] Aufgabe, nicht der Logik des Geldes zu folgen, nicht zuzusehen und dazu beizutragen, dass und wie Geld immer grössere Bedeutung bekommt, sondern es klein zu machen. Ist zum Beispiel das Leitmotto der GLS-Bank „Bei uns ist Geld für die Menschen da“ eine Antwort auf diese Aufforderung? Sie ist damit sehr nah bei der Formulierung der EKD: Geld ist für Jesus ein Mittel zum Zweck und niemals Selbstzweck.“

[…] Das christliche Selbstverständnis basiert auf einem verantwortlichen Umgang mit Finanzen gegenüber den Geldgebern, vor den Menschen und vor Gott. Schliesslich bestimmt nicht das Geld, was wir tun, sondern wir sind es selbst, die bestimmen, was wir mit dem Geld tun. […] Und dabei geht es ums Ganze, dazu braucht es alle Kraft und ungeteilte Leidenschaft, wie uns Vers 13 einschärft.“

So subversiv geht es zu auf dem Kirchentag. Anhand der Bibel werden sie Klug, die Christenmenschen: Dem Recht unterworfen, der Moral verpflichtet und mit ihrem Sparkonto als Mittel sollen sie kämpfen gegen die Ungerechtigkeit in der Welt, und dabei natürlich vertrauen: Auf Gottes Hilfe und Liebe. So eine Art der Subversion lässt sich dann auch das Herrschaftspersonal gefallen, dass sich zu Hauf ein Stell-dich-ein gibt: Schäuble gesteht zwar ein mit dem Psalm wenig anfangen zu können: „Ich fremdle mit dem Thema und dem Bibeltext“, aber Andrea Tarifeinheit Nahles weiss die Widerständige Botschaft zu schätzen:

„Für mich liegt der Kern dieser nicht einfachen Bibelstelle darin, dass Jesus aufruft, Spielräume zu entdecken, Chancen zu suchen und diese phantasievoll und erfinderisch zu nutzen. Das Gleichnis sagt mir als gläubige Christin aber auch: alternativlos – diese Vokabel gibt es für Christinnen und Christen nicht. Es gibt immer eine Alternative, einen anderen Weg, es gibt immer Spielraum und den sollten wir klug nutzen und gestalten.“ (6)

Den nutzt sie konsequent in ihrem Vorgehen mit dem Tarifeinheitsgesetz gegen kleinere Gewerkschaften, damit die lernen dem Geld keine so grosse Bedeutung zukommen zu lassen, aber auch als guter Christenmensch um der Christenmenschin Merkel Unchristlichkeit vorzuwerfen.

So verwandelt sich die kritische Betrachtung des Geldes durch die Kindern des Herrn in die frohe Botschaft, sich nicht klein kriegen zu lassen in dieser Welt. Mit Gottes Hilfe und Liebe gibt es immer einen Weg.So systemkonform begehren diese Christen auf gegen die Welt – und ernten dafür Applaus von denjenigen, welche diese Welt einrichten. Amen!

PS: Da braucht es schon einen christlichen Fanatiker der kapitalistischen Freiheit, um so etwas bedenklich zu finden. Dem oberste Bundeschristen Gauck ist selbst eine kritische Attitüde gegen das Paradies Marktwirtschaft schwer suspekt: Da wird für ihn „ein Menschenbild gezeichnet, das ihm zutiefst widerstrebt. Entfremdet, machtlos, von Abstiegsangst gelähmt. Diese Angst, so findet Gauck, sei oft nur eine “Attitüde”, eine Ausrede, um nichts unternehmen zu müssen gegen Not und Elend in der Welt. Sein Leben in der DDR hat Gauck gelehrt, dass der Kapitalismus und das Wettbewerbsprinzip nicht zwingend schuld sind an der Entfremdung des Menschen, sondern im Gegenteil ein Mittel zu seiner Befreiung sein können. Die Verve, mit der Gauck am Donnerstag in Stuttgart das hohe Mass an Freiheit und Wohlstand in Deutschland rühmte, liess vermuten: Er hat vielleicht doch noch die Energie, um diese Botschaft in einer zweiten Amtszeit unters Volk zu bringen.“ (sz.de) „Sein Leben in der DDR“ hat ihn diesen Stuss sicher nicht gelehrt, Aber mehr als „Nicht DDR“ hat sein Fanatismus für den Kapitalismus halt nicht zu bieten. Aber vielleicht hat er ja von der DDR gelernt, den systemkritischen Anfängen zu wehren…

Berthold Beimler

Fussnoten

(1) https://www.evangelisch.de/…/studie-jeder-zweite-kirchentag…

(2) http://www.nordkirche.de/…/kirchentag-von-stuttgart-startet…

(3) Kerstin Schiffner in: Exegetische Skizzen. Die biblischen Texte für den Kirchentag in Stuttgart

(4) Der ganze Psalm: Jesus erzählte den Jüngerinnen und Jüngern: „Ein reicher Mensch hatte einen Geschäftsführer; dieser wurde verdächtigt, seinen Besitz zu verschleudern. Er liess ihn rufen: ‚Was höre ich da über dich? Lege deine Bilanz vor! Du kannst nicht weiter die Geschäfte führen'. Der Geschäftsführer sagte sich: ‚Was tun? Mein Herr entzieht mir die Verwaltung. Für Feldarbeit bin ich nicht kräftig genug, zu betteln schäme ich mich. Jetzt weiss ich, was ich mache, damit sie mich in ihre Häuser aufnehmen, sobald ich aus der Verwaltung entlassen bin.' Er rief diejenigen, die seinem Herrn etwas schuldeten, einzeln zu sich. Den Ersten fragte er: ‚Wieviel schuldest du meinem Herrn?' ‚Hundert Fass Olivenöl.' – ‚Hier, nimm deinen Schuldschein, setz dich, schreib schnell 50.' ‚Und du? Was schuldest du?' – ‚Hundert Fuhren Weizen.' – ‚Hier, nimm deinen Schuldschein, schreib 80.'“ Und Jesus, der Herr, lobte den Verwalter der Ungerechtigkeit, weil er klug gehandelt hatte. Im Blick auf ihre Generation sind die Kinder dieser Zeit klüger als die Kinder des Lichts. Macht euch Freundinnen und Freunde mit dem Geld der Ungerechtigkeit, damit sie euch, wenn das Geld zu Ende geht, immer ein Zuhause geben. Wer im Kleinsten auf Vertrauen setzt, tut es auch im Grossen. Wer im Kleinsten auf Ungerechtigkeit setzt, tut es auch im Grossen. Wenn ihr im Umgang mit dem ungerechten Geld nicht auf Vertrauen setzt, wer sollte euch dann das Wahre anvertrauen? Wenn ihr im Umgang mit dem, was euch fremd ist, nicht auf Vertrauen setzt, wer sollte euch dann geben, was ihr braucht? Niemand kann zwei Herren, zwei Mächten, dienen. Entweder du wirst die eine hassen und die andere lieben oder du wirst an der einen festhalten und die andere verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Geld.

(5) http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.finanzminister-sch…

(6) Andrea Nahles auf Facebook am 4.06.2015