Moderne Stadtentwicklung oder wem gehört die Stadt Gentrifizierung - Wer verdrängt wen warum?

Gesellschaft

21. Juli 2012

Die Bezeichnung "Gentrifizierung" von der Namensherkunft her, umschreibt einen Prozess, in dem Besserverdienende die Geringverdiener aus der Innenstadt oder bestimmten Vierteln verdrängen.

Betonale.
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Betonale. Foto: Wolfgang Sterneck

21. Juli 2012
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Für das, was wohnungspolitisch in Berlin, Zürich oder anderen Städten passiert, ist dies als Beschreibung schon sehr dürftig. Viele Aktivisten nehmen das aber sogar als Begriff der Sache:

I. Ökonomie des Bodens

Wer verdrängt wen warum?

Die zuziehenden Reichen treiben die Mieten in die Höhe. Entsprechend dieser Theorie sehen die praktischen Widerstände von manchen Leuten aus. Gegen diese Erklärung der Stadtentwicklung wendet sich u.a. Adreij Holm. Erstens verweist er darauf, dass die steigenden Mieten immer noch eine wichtige Grundlage in den Renatbilitätskalkulationen der Eigentümer von Grund und Häusern haben.

Zweitens sagt er, dass diese Rentabilitätskalkulationen in den letzten beiden Jahrzehnten durch neue Akteure des Immobilienkapitals sich wesentlich verändert haben und somit der ökonomische Grund der Veränderung sei.

Dagegen soll im Folgenden dargestellt werden:

Erstens: Die Freiheit der Grundeigentümer in der kapitalistischen Gesellschaft schliesst das Interesse an steigenden Mieten aufgrund der eigentümlichen Bodenbewertung prinzipiell ein und nicht erst wenn die Immobilienfonds kommen. Zweitens: Der Erfolg dieser Kalkulation hängt dabei nicht einfach von zuziehenden reichen Leuten ab, sondern von der Gesamt-Entwicklung des Kapitalismus vor Ort.

Eigentümer von Grund und Boden mit den darauf vielleicht schon befindlichen Gebäuden können von denjenigen, die diesen Boden nutzen wollen eine Pacht oder Miete verlangen. Altertümlich nennt man das eine Bodenrente (die nicht zu verwechseln ist mit der Altersrente).

Die Eigentümer wollen den Boden nicht selbst benutzen, um darauf zu ackern, zu produzieren oder zu wohnen. Andere Mitglieder der Gesellschaft wollen das tun. Damit sie das tun können, müssen sie die Zustimmung des Eigentümers bekommen. Wie bei jedem Ding, das jemand als Privateigentum exklusiv besitzt und andere haben wollen, ist das der Auftakt für eine freundschaftliche Beziehung namens, "gib mir Geld". In diesem Falle wird der Boden nicht gleich verkauft, sondern die Nutzung gestattet für einen regelmässigen Tribut namens Pacht oder Miete.

Wonach richtet sich die Miete?

Vom Grundeigentümer her: Soviel wie möglich. Das Märchen vom Eigentümer, der nur soviel nimmt, dass er davon irgendwie leben kann, kann man getrost als Märchen behandeln. Das soviel wie möglich hat eine Schranke an den Angeboten der Konkurrenzeigentümer an Boden. Von den Nutzern her: So wenig wie möglich? Das stimmt so schon nicht mehr, denn die Uckermark ist bekanntlich nicht der neue Hot Spot für alle möglichen Mieter. Mal an den möglichen Interessenten durchgespielt:

Jede Sorte Kapital braucht einen Boden, um das Geschäft abzuwickeln. Die Böden haben aber unterschiedliche Beschaffenheiten und Lagen und sind dadurch unterschiedlich interessant fürs jeweilige Kapital. Für das Agrikulturkapital ist die Fruchtbarkeit sehr entscheidend.

Für den Rohstoffabbau ist auch offensichtlich, dass die Qualität der Böden eine Rolle spielen. Für das industrielle Kapital im engeren Sinne sind Verkehrsanbindungen, Nähe von Zulieferern, ggf. Nähe von Universitäten für die Facharbeiter usw. bedeutend.

Für das Handelskapital ist die Nähe zu den Kunden entscheidend. Für Banken ist die Darstellung von Reichtum als Bedingung für Kreditwürdigkeit wichtig.

Für die Tourismusbranche die Nähe zum touristisch attraktiven Ort oder Verkehrsanbindungen, die einen Massentourismus ermöglichen – Stichwort Easy Jet. Für alle Geschäftsarten ist der Boden nicht einfach nur eine wichtige aber ansonsten gleichgültige Bedingung, sondern eine Bedingung des Konkurrenzvorteils.

Eine vergleichsweise hohe Pacht mag sich hier lohnend auf den Profit auswirken. Entsprechend der Bedürfnisse der Geschäftswelt jenseits der Grundeigentümer ergeben sich sogenannte günstige Lagen, für die dann eine relativ höhere Miete verlangt werden kann. Entsprechend gibt es auch ungünstige Lagen, wo keine Miete verlangt werden kann. Dies ist wichtig gegen den Gedanken hochzuhalten, dass die Miete einfach daher komme, dass der Boden ja generell knapp ist und nicht durch Produktion beliebig vermehrbar ist, wie etwa Autos.

Die Mieten entwickeln sich entlang der Entwicklung des kapitalistischen Geschäfts vor Ort.

Soweit kann man auch erstmal festhalten, dass für die Pachteinnahmen die Grundeigentümer gar nicht weiter tätig werden müssen. Soweit das Geschäftsleben ausserhalb von ihnen an ihrem Grund und Boden Interesse hat, ist das reine Verfügungsrecht über den Boden automatisch eine dauerhafte Geldquelle. Für die Grundeigentümer ist dann das reine Eigentum an Grund und Boden ohne weitere Zwischenschritte wie das Produzieren ein Goldesel.

Bodenpreisbildung

Bevor auf die weiteren Nutzer, die Wohnungssuchenden, eingegangen wird, soll zunächst die Bodenpreisbildung, wie sie sich aus dem bisher dargestellten weiter entwickelt, verfolgt werden. Der Bodenpreis bildet sich nicht einfach analog zur Pacht über die oben dargestellte bestimmte Art und Weise von Angebot und Nachfrage. Die Pacht oder Miete wird kapitalisiert und ergibt im Ertragswertverfahren den Bodenwert. Dazu ein Beispiel: Ein Bodeneigentümer bekommt für die Nutzung seines Bodens eine Pacht von jährlich 100.000.

Jemand ganz anderes besitzt 1.000.000 und könnte dieses Geld bei der Bank für 10% Zinsen im Jahr anlegen. Die 10% Zinsen sind gerade der übliche Zins in der Gesellschaft für Geldanlagen. Diese Person würde im Jahr also 100.000 im Jahr an Zinsen bekommen, also genausoviel wie unser Bodenbesitzer an Pacht bekommt. Daher könnte die Person anstatt die Million zur Bank zu bringen genausogut das Stück Boden kaufen und hätte denselben Nutzen: 100.000 jährliches Einkommen.
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Bild: Betonale. / Wolfgang Sterneck

In einer funktionierenden kapitalistischen Gesellschaft, in der alles dem Geldverdienen untergeordnet ist und man mit Geld alles einkaufen kann, was man zum Gewinnemachen braucht, entwickelt sich ein Banksystem, innerhalb dessen eine Geldsumme schon gleich mehr ist als sie selbst. Die Million ist Kapital und ist die Lizenz für 1.100.000 . Wo das allgemein gilt, wird umgekehrt jede regelmässige Geldeinnahme so behandelt, als wäre sie das Kind eines zugrundeliegenden Ursprungskapital.

In diesem Falle ist der Boden selber quasi Kapital. Der Wert dieses Kapitals wird dabei nicht nur nach der Pacht berechnet, sondern auch danach, welcher Zins in der Gesellschaft üblich ist.

Der Boden bringt jährlich 100.000 und so berechnet als wäre dieser Betrag das Zinsergebnis von 10% einer zugrundeliegenden Grundsumme, dann ist der Bodenwert 1.000.000 . Um diesen Bodenwert schwankt dann der Preis, zu dem dann tatsächlich verkauft wird.

Klar ist, dass der Bodenwert nach der Berechnung steigt, wenn die Pacht sich erhöht. Kann der Bodenbesitzer eine Pacht von 200.000 jährlich durchsetzen und kapitalisiert diesen Betrag zu 10%, dann ergibt das einen Bodenwert von 2.000.000. Um sich das anschaulich zu machen, kann man wieder den Vergleich machen: Hat eine Person 2.000.000 und kann die zu 10% bei einer Bank anlegen, bekommt sie jährlich 200.000. Sinkt die Pacht um die Hälfte, sinkt auch der Bodenwert um die Hälfte.

Der Bodenwert kann sich aber auch alleine dadurch ändern, dass der gesellschaftlich übliche Zins sich verändert. Fällt der Zins auf 5 % dann erhöht sich der Bodenwert auf das Doppelte. Für die Anschauung wieder der Vergleich: Um 200.000 Zinseinnahmen im Jahr zu bekommen, muss jemand schon 4.000.000 zur Bank bringen, wenn der Zins nur 5% beträgt.

Der Bodenbesitzer nimmt 200.000 pro Jahr ein. Als Kind eines Grundkapitals, dass sich zu 5% verzinst, ist das Grundkapital also 4 Millionen. Steigt der Zins in der Gesellschaft, sinkt der Bodenwert entsprechend.

Die gesellschaftlichen Zinsen sind hier gemessen an den letzten Jahrzehnten sehr hoch, also unrealistisch angesetzt. Sie sollten das Rechnen etwas einfacher machen. Dennoch kann man an den obigen Beispielen erkennen, welchen Schwankungen der Bodenwert durch veränderte Pachteinnahmen und den Zinsänderungen erfahren kann. Das macht eine neue Kalkulation für die Eigentümer auf: Man verdient zwar auch noch an der Pacht, aber diese ist dann ein Posten neben den errechneten oder durch Verkauf tatsächlich realisierten Gewinnen aus der Bodenwertentwicklung.

Auch die einfachen Hausbesitzer, die ihre Geldquelle geerbt haben, gucken neben den Mieten auch auf den Bodenpreis. Ist die Wohnlage bleibend schlecht, dann lohnt sich der Verkauf nicht. Wird die Lage besser, sind sie auch geneigt, eine grosse Einnahme auf Basis von Bodenpreisentwicklungen einzustreichen. Im Vergleich zu Immobilienfonds besteht hier der Unterschied in der Verfügung über entsprechende Geldmittel.

Der einfache Hausbesitzer kann eine Modernisierung nicht ohne weiteres stemmen, um dann die Mieten zu erhöhen, die dann evtl. aber keiner zahlen will, weil nebenan noch billigerer Wohnraum zu haben ist. Immobilienkapitale verfügen über derartige Geldmittel, mit denen sie ihre eigene Bodenwertentwicklungskalkulation positiv beeinflussen können. So können sie ganze Massen an Wohnungen kaufen, sie modernisieren und höhere Mieten verlangen.

Dadurch wird der billigere Wohnraum am bestimmten Ort knapper und man kann nicht mehr so einfach sagen, "ach dann geh ich doch zum anderen Vermieter". Sie können gestalterisch so Einfluss nehmen, dass die Wohnungen und deren Umgebung für neue zahlungsfähigere Mieterschichten, die direkt umworben werden, attraktiver sind, für alte nicht so zahlungskräftige Schichten unattraktiver.

Die Wohnungsmieter und ihre Kalkulationen

Entwickelt sich ein kapitalistisches Geschäftsleben vor Ort, dann gibt es alleine deswegen einen wachsenden Bedarf nach Wohnraum, mit dem die Grundbesitzer kalkulieren können. Vom Management, leitenden Angestellten, Fachkräfte bis hin zum einfachen Arbeiter wollen alle Wohnraum haben.
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Bild: Betonale. / Wolfgang Sterneck

Hat die Stadt dann noch eine Uni, kommen die Studierenden hinzu. Wird die Stadt zur Hauptstadt erklärt, dann kommt die ganze Staatsbelegschaft hinzu. Sie alle treten erstens mit ihrem Geldbeutel einerseits gegen die oben beschriebenen engeren Geschäftsinteressen nach Büroräumen etc. und zweitens gegeneinander an.

Sie haben die Freiheit entlang der Angebote des Wohnungsmarktes folgende Kalkulation aufzumachen: Wieviel Prozent meines Einkommens bin ich bereit für wieviel Wohnraum in welcher Qualität auszugeben?

In den höchsten Etagen des Einkommens führt das nicht zu einem Abtrag an den anderen Bedürfnissen.

Die anderen müssen schon die Miete gegen Restaurantbesuche, Kino, Reisen oder schlichte Kneipe kalkulieren und sich fragen, "wo mache ich Abstriche?". Die Abstriche bei der Wohnungsqualität umfasst solche Sachen wie: Grösse der Wohnung, Helligkeit, Lautstärke der Umgebung, gute Luft, Verkehrsanbindung insgesamt und Nähe zum Arbeitsplatz, Infrastruktur in der Umgebung (von Einkaufsmöglichkeiten über Amüsement bis hin für Familien sowas wie Kindergärten, Schulen), soziale Umgebung usw.

In diesem Salat von schlechten Entscheidungen, die zu treffen sind, sind vielfältige Trends möglich. Da entscheiden sich in Kreuzberg im Gegensatz zum Prenzlauer Berg scheinbar mehr bisherige Mieter zu bleiben, nehmen dabei im Kauf, dass die Miete dann 40% ihres Einkommens schluckt. Da gibt es Leute, die ziehen vor jeder Modernisierung ins nächste Loch bis zu dessen Modernisierung usw., bis kein Loch mehr übrig ist. In dem Masse, wie die Wohnraum an Löchern sich verknappt, steigen auch dort die Mieten horrend. Da wollen Familien nicht mehr unbedingt am Stadtrand mit viel Grünfläche wohnen, weil die Frau auch arbeiten will und muss, fühlen sich länger "jung" und geniessen ein modifiziertes Innenstadtflair.

Da entscheiden sich Menschen lieber 1,5 Stunden Fahrtweg zur Arbeit in Kauf zu nehmen, weil das Miete spart. Andere nehmen 1,5 Stunden Fahrtweg in Kauf, weil sie in Wolfsburg arbeiten, aber in Berlin wohnen wollen. Da entscheiden sich Wissenschaftler in zwei oder gleich drei Hauptstädten in Europa und USA eine Wohnung zu erhalten, weil ihnen das an Lebensqualität in Bezug auf ihren Beruf wichtig ist.

Fazit: Städtische Veränderungen in Sachen Wohnpreis und Umgebung haben meist ein paar sichtbare oder fühlbare Begleitumstände, z.B. mehr Touristen und Hostels, veränderte Sozialzusammensetzung der Nachbarschaft, andere Geschäfte etc. Man muss klar haben, dass diese Sachen Ausdruck eines viel umfassenderen Prinzips sind: Die Abhängigkeit von Geschäftsinteressen in Sachen Boden, die Abhängigkeit durch die Entwicklung des kapitalistischen Geschäftslebens.

II. Die Rolle der Politik

Standortpolitik der Stadt

Häufig ist in den Debatten um Stadtentwicklung zu hören, dass die Kommune sich aus der Wohnungspolitik verabschiedet habe: "Jede praktische Wohnungspolitik wäre eine Wende im Vergleich zur jetzigen Situation, weil im Moment schlicht keine Wohnungspolitik existiert.

Wir haben unter der »rot-roten« Regierung wie auch schon unter dem CDU-SPD-Senat einen Kahlschlag erlebt: Die Kürzung aller Fördermittel im sozialen Wohnungsbau und der sozialen Stadterneuerung auf Null, den Verkauf von mehr als 200000 öffentlichen Wohnungen. »Rot-rot« hat das Baurecht derart liberalisiert, dass in der Innenstadt heute noch dichter gebaut werden kann als zur Gründerzeit." (Andrej Holm in einem Interview mit der Jungen Welt, 30.04.2011, Beilage, S. 1.) Auf der anderen Seite gibt es dann die Verweise auf die standortpolitischen Pläne und Aktivitäten der Stadt.

Das Projekt Mediaspree z.B. ist von der Stadt initiiert, unterstützt und mit umgesetzt worden. Nicht nur in Berlin, sondern auch in anderen Städten wird aufgezeigt, wie sich Stadt und Bezirke darum bemühen bestimmte Unternehmen in ihre Region zu holen, Mieterschaften mit Zahlungskraft anzulocken, dafür auf das Immobilienkapital setzt und dafür Menschen mit geldmässig nicht so nützlichen Aktivitäten wie Hartz IV, Skateboardfahren, Obdachlose usw. indirekt oder direkt zu vertreiben.

Zusammengefasst lautet die verbreitete Vorstellung so: Früher habe der Staat, die Kommune durch ordnungspolitische Massnahmen wie sozialen Wohnungsbau, Mietobergrenzen etc. ausgleichend gewirkt. Heute dagegen werden die armen Menschen vernachlässigt und dem Kapital Tür und Tor geöffnet. Der Staat oder die Stadt hat mal neutral, ausgewogen gewirkt – heute nicht mehr.

In dieser Vorstellung sind falsche Vorstellungen über Wohnungspolitik oder Stadtpolitik enthalten, die alle drei Ebenen der staatlichen Aktivität betreffen. Die drei Ebenen sollen hier in folgender Reihenfolge abgehandelt werden: Wirtschaftsförderung, Regulation und Eigentum frei setzen.

Wirtschaftsförderung

Am Fall Mediaspree ist das Interesse der Stadt sehr offensichtlich. Mithilfe einer Raumplanung, der finanziellen Unterstützung eines Interessenverbandes von Unternehmen und dem schliesslichen Verkauf von Grundstücken wird ein Stück Stadtraum explizit für den Zweck Wirtschaftswachstum aufbereitet. Es sollen sich Unternehmen ansiedeln, die erfolgreich ihr Geld vermehren. An dieser Ecke kann man zunächst noch einfach sagen: Die Stadt ist von Geld abhängig, das sie nicht selbst verdient, sondern das Andere verdienen sollen.
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Bild: Betonale. / Wolfgang Sterneck

Über Steuern verschafft sich die Stadt dann die Masse Geld für alle möglichen Projekte. Soweit es um Wirtschaftswachstum und daher Wirtschaftsförderung geht, ist es oft einfach sichtbar, dass ärmere Menschen bei dem Projekt im Weg stehen.

Schlecht wäre an dieser Stelle zu sagen: Wirtschaftswachstum, das ist ja o.k., aber wenn dabei die Mieten ansteigen und der öffentliche Raum privatisiert wird, dann bitte nicht. Man muss sich schon klarmachen, dass die materielle Ausgrenzung nicht erst beim Wohnungsmarkt anfängt. Wirtschaftswachstum zählt die geschäftlichen Erfolge aller Bürger zusammen und ist erfolgreich, wenn die Summe gestiegen ist.

Klar machen muss man sich, dass da ein Stoff zusammengezählt wird, in geldbemessener Reichtum, der nur über den Konkurrenzweg zu bestreiten ist. Und Konkurrenz schliesst Verlierer notwendig ein. Das betrifft Unternehmen untereinander. Das betrifft vor allem diejenigen, die sich als Lohnarbeiter für die Unternehmen krumm machen müssen oder gar nicht gebraucht werden.

Das Projekt kapitalistische Wirtschaftsförderung richtet sich auf jeden Fall gegen arme Menschen. Wer das Projekt nicht mag, weil da für die armen Menschen als arme Menschen dann kein Platz mehr ist, dessen Interesse oder Mitleid hat eine komische Form angenommen. Es richtet sich nicht gegen das kapitalistische Wirtschaftswachstum, weil es Armut hervorbringt, sondern weil es die Armen als Arme dann nicht in Ruhe lässt.

Ergänzung: Die stadtpolitische Standortpolitik ist notwendig spekulativ. (Im Gegensatz zu gesellschaftlich verbreiteten moralischen Abwertung, die im Adjektiv "spekulativ" drinsteckt, soll hier erstmal nur sachlich festgehalten werden, dass auf eine unsichere Zukunft geplant wird. Unsicher nicht, weil es auch mal regnen kann, sondern notwendig unsicher, weil auf die Entwicklung einer Konkurrenzangelegenheit gesetzt wird).

Die Stadt will für zukünftige Geschäfte gute und attraktive Bedingungen schaffen. Ob das von der Geschäftswelt angenommen wird, hängt ab von deren eigener konkurrenztechnischen Entwicklung und zweitens davon ob nicht andere Städte attraktivere Angebote machen. Albern ist es bei einem Projekt, dass dann in den Sand gesetzt wurde zu behaupten: Das hätte man ja vorher wissen können.

Regulation

Während der Wirtschaftspolitik nachgesagt wird, da kümmere sich die Stadt einseitig um das Kapital oder plumper um die Reichen, wird man an anderen Aktivitäten fündig, wo die Stadt auch mal was für die normalen Menschen, die Mieter oder die Armen macht. Sozialer Wohnungsbau, Sanierungsgebiete mit Mietobergrenzen, Beschränkungen von Mieterhöhungen in laufenden Verträgen. Zwar werden auch diese Sachen skeptisch darauf begutachtet, ob nicht auch hier das Kapital zu sehr zum Zuge kommt, aber immerhin: Hier wirke die Stadt ausgleichend, da ist die Stadt irgendwie für alle da.

Der Irrtum ist einer über den Bezugspunkt der Stadt, warum sie Kapitalinteressen auch beschränkt und armen Menschen auch unter die Arme greift. Der Bezugspunkt war niemals der: Die Stadt findet entgegengesetzte Interessen vor und beschränkt beide irgendwo in der Mitte. Der Bezugspunkt war und ist immer der, dass das eigene Stadtziel erreicht wird.
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Bild: Betonale. / Wolfgang Sterneck

In Berlin sind Mieterhöhungen bei bestehenden Verträgen durch die Regel bestimmt, dass alle drei Jahre höchstens 20% der Miete erhöht werden darf. Weiter wird alle zwei Jahre ein Mietspiegel erstellt, der mit allen Lücken und Tücken, die Durchschnittsmieten einer bestimmten Wohnungsklasse erfasst.

Über diesen Durchschnitt hinaus dürfen die Vermieter die Mieten in bestehenden Verträgen nicht erheben (von Modernisierung und Staffelmietverträgen hier mal abgesehen). Das Interesse der Vermieter an Mietsteigerungen ist hier anerkannt und wird erlaubt. Zugleich wird es beschränkt.

Das Interesse der Mieter an Mietsenkungen ist hier nicht im Besonderen anerkannt. Was anerkannt ist, ist das Interesse mit der Mietentwicklung der eigenen Wohnung kalkulieren zu können. Durch diese Art der Regulation kann sich jeder Mieter frühzeitig die Frage vorlegen: Muss ich mit einer Mietsteigerung rechnen? Wenn ja, wie hoch wird die ausfallen? Und dann: Kann und will ich den Preis in Kauf nehmen und dafür bei anderen Konsumtionsgüter Abstriche machen oder stelle ich mich auf einen Umzug ein?

Die Stadt nimmt in dieser Regelung zur Kenntnis, dass eine unbeschränkte Mietentwicklung ein Leben als Lohnarbeiter verunmöglicht. Wer von heut auf morgen feststellen muss, dass er die Wohnung verlassen muss, der kann schlecht als Lohnarbeiter in der Gegend dienstbar sein oder auch als Lehrer an einer staatlichen Schule. Die Wirtschaft braucht dienstbares Personal vor Ort und das versucht die Stadt durch gesonderte Regularien sicherzustellen.

Nicht erst bei der Wirtschaftsförderung im engeren Sinne, sondern auch bei der Betreuung der Interessenkollisionen hat die Stadt ihren Standort als Geldmaschine im Blick.

Daher ist es auch kein Wunder, wenn die Stadt auch mal austestet, ob es nicht auch ohne sozialen Wohnungsbau vor Ort irgendwie geht. Das zynische ist, dass sie dann abwartet, ob die Betroffenen sich rühren. Ihr Protest ist dann ein Indikator dafür, ob die Stadt nicht übertrieben hat und wieder ein paar abfedernde Massnahmen notwendig sind. Nimmt die Stadt solche Proteste auf und gibt ihnen ein wenig Recht, ist das nicht ein Ausweis dafür, dass die Stadt eine freie Fläche ist, auf der ein Kräfteverhältnis sich hin und her verschiebt. Die Stadt hat ein eigenes Interesse und von diesem aus, nimmt sie Bezug auf die bestehenden Interessen und gibt ihnen mal mehr oder weniger Recht.

Auch in den 90ern als in Berlin Sanierungsgebiete ausgeschrieben wurden und die Immobilienbesitzer sich auf Mietobergrenzen verpflichtet haben, wenn sie die grosszügigen Subventionen der Stadt erhalten, war klar, dass Verdrängung stattfinden wird. Es ging um eine sanfte Veränderung der Bevölkerungsstruktur. Das war im eigensten Interesse der Stadt und nicht einfach eine Wohltat für arme Schlucker.

Freiheit und Eigentum setzen

Aber was heisst hier eigentlich "bestehende Interessen"? Findet der Staat oder die Stadt diese eigentlich einfach so vor und reagiert dann auf dieselben mit den Regulierungen? Bei dem Grundeigentum wird es fast augenscheinlich, dass diese Erwerbsquelle eine reine staatliche Lizenz ist. Die Freiheit über das Grundeigentum nach eigenen Belieben unter Ausschluss aller anderen Menschen zu verfügen, nimmt seinen Anfang schlicht in einem Eintrag im Grundbuchamt. Der Staat führt Buch darüber, welcher Flecken Territorium seiner Herrschaft unter die Verfügungsmacht von Privatpersonen fällt.

So schafft der Staat spiegelbildlich die Figur des Mieters, also Personen, die nicht über Grund und Boden verfügen und für die Nutzung von den Besitzenden einen Tribut zahlen muss. Nicht erst bei der Wirtschaftsförderung oder bei der Regulation, sondern schon hier im Allerprinzipiellsten kann man sehen, dass der Staat die Macht des Geldes ins Recht setzt.

Fazit: Der Staat und damit auch die Stadt als Unterabteilung schaffen die ökonomischen Kreaturen, die dann in Konflikt miteinander stehen. Für das Gelingen der Geldvermehrung vor Ort regelt der Staat bzw. die Stadt die daraus resultierenden Konflikte so, dass ein Gesamtwachstum klappt.

Klappt das Verhältnis, will die Stadt den Kapitalismus durch die gesonderte Förderung bestimmter Interessengruppen besonders gut bei seiner Entwicklung unterstützen. Das Gesamtwachstum soll möglichst hoch sein. Das Gesamtwachstum ist das des in geldbemessenen Reichtums. Dieser wird notwendig auf dem Konkurrenzweg beschritten und schliesst daher mit Notwendigkeit Verlierer ein.

Die Rolle des kreativen Milieus in der Standortpolitik

Die Kunst ist selber ein Aushängeschild der Stadt in der Standortpolitik. Darauf haben die Künstler im Gängeviertel Hamburg ja auch spekuliert und ein wenig Recht bekommen. Kleine Ich-AGs, Kneipen- und sonstige Geschäfte werden im Quartiersmanagement unterstützt, damit überhaupt was in Gang kommt, Gebäude durch Nicht-Benutzung nicht verfallen, zahlungsfähigere Mieter angelockt werden etc. Dass die Unterstützung nur gewährt wird, damit ein selbstständiges Geschäftsleben in Gang kommt, wird explizit gesagt. Dass diese kleinen Unternehmer dann später weichen müssen, ist kein Geheimnis.
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Bild: Betonale. / Wolfgang Sterneck

Als Mosaikstein innerhalb der Stadtentwicklungspolitik macht das kreative Milieu seinen kleinen Beitrag. Hier den Grund für die Mietentwicklung zu suchen ist aber ein wenig hoch gegriffen, als Selbstkritik überschätzt man sich selbst. Daher eine Präzision: Falsche Erklärung: Die Reichen treiben die Mieten in die Höhe. Richtig: Erfolgreiche Standortpolitik befördert das kapitalistische Geschäft auf dessen Grundlage die Grundeigentümer die Mieten anziehen können.

Wem gehört die Stadt

Daher ist die Frage "Wem gehört die Stadt" schlecht gestellt. Die Stadt ist als kommunaler Teil des Staates das Projekt desselben. Besser ist die Frage: Was ist der Zweck der Stadt? Dann kann man sich auch erklären, warum manche Leute zunehmend in der Stadt nichts zu suchen haben und andere schon. Schlecht ist auch die Vorstellung von kommunalen Besitz als Allmende = unserer Besitz im Gegensatz zum Privaten. Staatlicher Besitz schliesst erstmal alle aus und was damit passiert richtet sich nach den Kalkulationen des Staates.

Wer von "unserem Kiez" oder "unserem Berlin" redet, der macht sich erstens eine Illusion über die Lebensverhältnisse, in der er oder sie steckt. Das konkurrenzmässige Gegeneinander im Alltag wird gedanklich in ein Gemeinschaftsprojekt verwandelt. Zweitens macht die Person sich – wie im Nationalismus – ideell schon wieder gemein mit der Herrschaft, der sie unterworfen ist.

Die Stadt ist doch nicht autonom genug - oder?

Man könnte folgendes gegen unsere Argumentation einwenden: "Die Vorstellung eines 'eigenen Stadtziels' unterstellt ein Mass an lokaler oder kommunaler Autonomie, die es so nicht gibt." Die Stadt ist eben nur föderaler Bestandteil des Staates BRD. Da kann man sagen, stimmt, der Stadt sind bestimmte Grenzen ihrer Politik durch diese Einbettung gegeben.

Oder andersherum: So ist die Stadt und jeder Politiker, der sich darin betätigt eben ein aktives Vollzugsorgan des gesamtstaatlichen Zweckes BRD. Und: Innerhalb dieser Ordnung steht der Stadt unterhalb der gesamtstaatlichen Schranken eine Autonomie zu, hat sie eigene Politiker, eigene Strategien usw.

Oder aber mit dem Einwand ist folgendes gemeint: "Die Stadt hängt von der wirtschaftlichen Entwicklung vor Ort ab, also was sie an Gewerbesteuern einnehmen kann und daher ist sie nicht autonom." Dann muss man sagen, dass diese Abhängigkeit eine politisch selbst gewählte und gewollte Abhängigkeit ist – sei es lokal, sei es im gesamtstaatlichen Zusammenhang.

Auch Berlin ist Teil der politischen Gewalt und die steht über dem Geschäft, will was vom Geschäft und macht entsprechend etwas für das Geschäft. Die politische Gewalt ist nicht Ausdruck des ökonomischen Kräfteverhältnisses, sondern sie richtet dieses ein und erhält es aufrecht. Das Kräfteverhältnis ist entschieden und zwar zugunsten der politischen Gewalt.

Eine zynische Konsequenz der alltäglichen Gegenwehr gegen Stadtentwicklung: Verherrlichung von Armut

Neben den alle drei Jahre möglichen Mieterhöhungen um bis zu 20% bis zum Mietspiegel, ist die Modernisierung der zweite Weg, um bei bestehenden Mietverträgen die Miete zu erhöhen. Von den Kosten, die über den blossen Erhalt der Wohnung hinausgehen, kann der Vermieter 11% auf die Jahresmiete umlegen. Ein neuer Balkon zieht dann in einer 100 qm Wohnung locker mal einen Euro mehr Miete pro Quadratmeter nach sich.

Angesichts knapper Geldbeutel kommt es dann bei den Mietern zur folgenden absurden Aktivität: Sie wollen mit allen Mitteln verhindern, dass die Wohnung, in der sie leben, verbessert wird. Ganze

Heerscharen von Mietern kämpfen darum, dass ja kein Balkon an die Wohnung gebaut wird. Mietergemeinschaften unterstützen die Mieter in ihrem Rechtskampf gegen eine Verbesserung der Wohnqualität.

Dieser Irrationalismus ist nicht einfach ein Fehler, sondern ein in dieser Gesellschaft notwendig aufgeherrschter "Fehler". Dass man sich so verhält, spricht erstmal nicht gegen das Verhalten, sondern gegen die Verhältnisse, die ein solches Verhalten notwendig machen. Anders sieht es schon bei dem nächsten Punkt aus: Versucht ein Bezirk, den Kiez für zahlungskräftigere Schichten aufzuhübschen, dann findet z.B. eine Verdrängung von Obdachlosen aus einem Park statt.

Das ist eklig und zynisch. Die Menschen werden nur als Problem behandelt, die ärmliche Grundlage ihres Daseins wird nicht aus der Welt geschafft, sondern sie werden verdrängt und müssen dahin ziehen, wo ihnen das gleiche früher oder später abermals widerfährt.

Initiativen, die daran Anstoss nehmen, organisieren ihre Proteste allerdings häufig unter einem Motto wie: "Der Park ist für alle da." Wer den Protest auf diese Forderung zusammenkürzt, verhält sich ebenfalls recht zynisch, weil darin auch die Armut der Obdachlosen in keiner Weise angegriffen wird. Diese Position mag sympathischer daher kommen, weil sie die Armen in ihrer Armut nicht noch zusätzlich gängelt oder bedrängt.

Überhaupt nicht sympathisch ist aber der Gedanke, dass es Armut eben gibt und es für alle, die Reichen wie die Armen, Platz geben sollte. Das ist eine Akzeptanz und nicht die Kritik von Armut. In diese Falle laufen auch alle Initiativen, die fordern, es solle keine Verdrängung der Armen aus dem Kiez geben. Darin ist die Bewahrung der schon bestehenden Armut, also dass etwa eine Migrantenfamilie mit 5 Kindern weiter in einer 2-Zimmer Erdgeschosswohnung leben kann, als Ziel gesetzt.

An dieser Stelle wird manch einer uns den Vorwurf des Zynismus machen, nach dem Motto: "Ihr könnt gut reden, dadurch ändert sich für Leute auch nichts, und immerhin kann ein Protest die Verschlechterung der Lage ja auch mal abmildern."

Dazu: Wir schlagen nicht vor, aufzuhören, sich gegen Verschlechterungen innerhalb des Systems zu wehren. Der Tipp wäre alleine deswegen schräg, weil das System einem gar nicht die Wahl lässt. Man muss sich hier wehren, alleine damit man nicht vollkommen unter die Räder gerät. Das tun wir auch, im Alltag alleine oder organisiert in Mietergemeinschaften, Betrieben etc. Wir warnen an dieser Stelle nur davor, die zynischen Konsequenzen des Systems auch noch geistig mitzumachen - denn dann ändert sich bestimmt nichts Grundlegendes und damit darf man dauerhaft für sein Dasein als armer Mensch oder das Dasein anderer als arme Menschen kämpfen.

Junge Linke