Lohnarbeit und Arbeitskraft Geld oder Leben

Gesellschaft

4. November 2019

«Geld oder Leben!», sagt das Gegenüber und streckt dir dazu eine Pistole ins Gesicht. Es ist keine Frage, aber immerhin ein Angebot.

Geld oder Leben.
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Geld oder Leben. Foto: Elusive Elements Pho… (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

4. November 2019
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Entweder rückst du dein Geld raus oder lässt dir dein Leben nehmen. Ich würde das Geld geben und das Leben behalten. Und ich kenne die Statistiken dazu nicht, behaupte aber, dass es den meisten so geht wie mir.

Wie dieser Überfall funktioniert unsere Gesellschaft: man gibt Geld für Leben. Dieses Prinzip hat sich auf der ganzen Welt durchgesetzt, auch wenn es nicht besonders gut funktioniert. Die Möglichkeiten, an Geld zu gelangen, um es für Leben einzutauschen, sind rund um den Globus sehr ungleich verteilt. Den einen Menschen fehlt es am Nötigsten, weil sie kein Geld haben, während andere so viel Geld haben, dass sie gar nicht wissen wohin damit. Und die meisten müssen, um überhaupt an Geld zu kommen, schon ziemlich viel von ihrem Leben hergeben.

«Dann schaffen wir das Geld doch einfach ab!», möchtest du rufen. Und du hättest in gewisser Weise auch recht mit dieser Forderung. In gewisser Weise aber auch nicht. Es ist ein bisschen wie bei Rückenschmerzen. Man sitzt den ganzen Tag – in der Schule, bei der Arbeit oder zu Hause, wo man aus lauter Langeweile stundenlang im Internet surft – und bekommt deshalb Rückenschmerzen. Und man möchte schreien: «Schaffen wir doch die verdammten Stühle ab!» Man schreit es aber nicht, weil man natürlich weiss, dass das Unsinn ist, und man sich vor den anderen nicht zum Affen machen will. Was können wir tun? «Bauen wir die Stühle so, dass sie keine Rückenschmerzen verursachen», ruft Rolf, und glaubt damit ein ganz Schlauer zu sein.

Das Problem sind nicht die Stühle, sondern dass wir den ganzen Tag sitzen müssen. Dagegen gälte es, etwas zu unternehmen. Die Rückenschmerzen sind nur sehr oberflächlich betrachtet auf den Stuhl zurück zu führen. Denn hinter dem die-gan-ze-Zeit-auf-dem-Stuhl-sitzen stehen Dinge wie die Schulpflicht, Lohnarbeit und Langeweile. Der Stuhl ist nur das Mittel, das einem das Sitzen erlaubt.

Auch das Geld ist ein Mittel. Es ist das allgemeine Äquivalent, mit dem alles auf dieser Welt verglichen wird. Auch wenn es immer heisst, man könne Äpfel nicht mit Birnen vergleichen: mit Geld klappt es. Nicht, weil dem Geld eine magische Kraft innewohnt, sondern weil hinter dem Geld das Prinzip des Wertes steckt. Es geht nicht um innere Werte oder Gebrauchswert. Wir sprechen vom Tauschwert. Alles hat einen Tauschwert: Dinge, Taten, Möglichkeiten. Und Geld ist das Mittel, mit dem sich das alles vergleichen lässt.

Geld ist aber noch mehr. Es ist auch Tauschwert. Geld lässt sich für eine bestimmte Menge Äpfel oder Birnen, für Gesangsstunden oder Ruhe eintauschen. Deshalb wurde dir ja auch die Pistole ins Gesicht gestreckt. Der Räuber oder die Räuberin will nicht Äpfel mit Birnen vergleichen, sondern Äpfel und Birnen kaufen.

Wie kommt man aber an Geld? Will man nicht kriminell werden und hat weder eine reiche Erbtante noch ein Händchen fürs Glücksspiel, bleibt fast nur übrig, dass man seine eigene Arbeitskraft verkauft. Man arbeitet also. Vielleicht übt man dabei eine Tätigkeit aus, die einem Vergnügen bereitet, oder oft Vergnügen bereitet. Vielleicht ist sie auch meist langweilig oder sogar brutal. Auf der Ebene des Geld-haben-Müssens ist das egal.

Auch was wir beim Verkauf unserer Arbeitskraft erzeugen, ist egal, solange es einen Absatzmarkt dafür gibt. Es braucht immer auch das entsprechende Geld, das Bedürfnis nach dem Angebot als solches reicht nicht. Sonst hätte in Gebieten, wo die Menschen auf der Strasse schlafen müssen, die Baubranche Hochkonjunktur, und da, wo die Menschen unter diffusen Ängsten vor dem Fremden leiden, die Psychotherapie.

Wo also konkrete Bedürfnisse nach gewissen Dingen und Dienstleistungen vorhanden wären, werden diese nicht gestillt, weil es kein Geld für die Dinge und Dienstleistungen gibt. Anderenorts werden mit Werbung Bedürfnisse geformt, um einen Absatzmarkt zu etablieren. Nicht zuletzt dies führt dazu, dass die Leute, ob mit oder ohne Lohnarbeit, zwischendurch innehalten müssen, um sich zu fragen: «Was, verdammt, mache ich hier eigentlich jeden Tag?» Anders ausgedrückt: Unsere Gesellschaft ist völlig bekloppt eingerichtet. Die müsste man grundsätzlich ändern. Nur das Geld abzuschaffen oder zu reformieren bringt gar nichts.

«Geld oder Leben!», sagt das Gegenüber und streckt dir dazu eine Pistole ins Gesicht. Es ist keine Frage, aber immerhin ein Angebot. Kein besonders gutes, wenn du mich fragst.

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