Glucose macht süchtig, Fructose macht dick Wie «Big Sugar» die Forschung beeinflusst

Gesellschaft

25. Oktober 2016

Jahrzehntelang beeinflusste die Zuckerindustrie die akademische Forschung, fand eine Wissenschaftlerin heraus. Und sie tut es noch.

Ein Viertelliter Coca-Cola enthält 27 Gramm Zucker und 105 Kilokalorien (450 kJoule).
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Ein Viertelliter Coca-Cola enthält 27 Gramm Zucker und 105 Kilokalorien (450 kJoule). Foto: Stefano Serusi (PD)

25. Oktober 2016
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Eine Untersuchung über einen 50 Jahre alten Artikel aus der Herzforschung sorgt derzeit für Aufsehen. Die Studie wirft ein Licht darauf, wie sehr die Lebensmittelindustrie seit Jahrzehnten die öffentliche Wahrnehmung ihrer Produkte beeinflusst.

Dass zu viel Fett und Zucker ungesund sind, weiss heute jedes Kind. Vor allem Zucker ist zumindest mitverantwortlich für eine ganze Reihe von Krankheiten – von Karies über Diabetes zu Herz- und Gefässerkrankungen bis hin zu Krebs. Wie lange wir das schon wissen sollten und warum es bis zum Anfang des Jahrtausends gedauert hat, bis zu viel Zucker offiziell als gesundheitsschädlich eingestuft wurde, verdient ein wenig Beachtung.

Die Wahrheit aus dem Archiv

Erste Studien über den Zusammenhang von Zuckerkonsum und Herzkrankheiten gab es bereits Anfang der 1960er-Jahre. Das blieb in der öffentlichen Diskussion jedoch weitgehend unbeachtet. Gefährlich für Herz und Gefässe, fand man damals, seien vor allem Fette. Warum?

Cristin Kearns, Postdoktorandin an der Universität Kalifornien-San Francisco, hat zusammen mit anderen Wissenschaftlern mehr als 300 Dokumente aus den Archiven der Universitäten von Harvard und Illinois untersucht, die Korrespondenz zwischen Wissenschaftlern und der Zuckerindustrie enthalten. Das berichtet das Onlinemedium «Mother Jones».

Dazu kamen 1500 Seiten Briefwechsel aus dem privaten Nachlass eines Chemikers, der für «Big Sugar» gearbeitet hatte, schreibt die «Süddeutsche Zeitung». Letztere widmete dem Thema «Zucker» im September 2016 ein Special (nicht online verfügbar).

Wissenschaftler liessen sich für Studien bezahlen

Den Dokumenten zufolge machte sich die industriefinanzierte «Sugar Research Foundation» (heute: «Sugar Association») In den frühen 1960er-Jahren zunehmend Sorgen um den Ruf ihres Produkts. Die Anzahl der Studien, nach denen zu viel Zucker im Essen genauso gefährlich für das Herz ist wie zu viel Fett, wuchs stetig. Die Konzerne traten dem entgegen – mit industriefinanzierter Forschung.

In einer Studie mit dem internen Namen «Project 226» wurde eine Überprüfung der vorliegenden Daten angeregt. 1967 wurde sie im «New England Journal of Medicine» publiziert. Zucker, so die Autoren, spiele quasi keine Rolle bei der Entstehung von koronaren Herzkrankheiten. Schuld seien vor allem ungesunde Fette. Die beiden Professoren, die die Studie durchführten, liessen sich ihre Mitwirkung mit 48'900 US-Dollar bezahlen, fand Kearns heraus.

Direkten Einfluss, sagen diese Professoren, nahm die Zuckerlobby auf die Ergebnisse der Untersuchung nicht. Das Team um Kearns fand auch keine Belege dafür. Dennoch schienen die Ergebnisse der Studie den Financiers zu gefallen. «Lassen Sie mich Ihnen versichern, dass das [die Studie] unseren Vorstellungen entspricht und wir uns auf die Veröffentlichung freuen», schrieb ein offizieller Vertreter der «Sugar Research Foundation» an einen der Wissenschaftler. Offensichtlich erhielt die Zuckerlobby den Artikel vor Veröffentlichung zur Kontrolle. Weitere Dokumente belegen den grossen Einfluss der Lebensmittelindustrie auf die Wahrnehmung von weiteren Krankheiten wie Karies.

Wenigsten behauptet niemand, dass Zucker schlank macht

Das ist lange her. Mit der Diskussion über die krankmachenden Auswirkungen von übermässigem Zuckerkonsum ist es jedoch wie mit der auch von den Menschen verursachten Klimaerwärmung. Mittlerweile ist ausreichend belegt, dass es sie gibt und warum. Dennoch gibt es immer wieder Veröffentlichungen, die das Gegenteil behaupten.

Das Einzige, was die Zuckerindustrie im Laufe der Jahre noch nicht behauptet hat, ist, dass Zucker dünner macht – aber so ungefähr alles andere. Die Annahme, «Big Sugar» hätte mittlerweile damit aufgehört, wissenschaftliche Studien zu finanzieren, ist illusorisch.

Die Auswirkungen des finanzkräftigen Lobbyismus von «Big Sugar» hat das Deutsche Institut für Ernährungsforschung (DIfE) untersucht. In einer Gegenüberstellung von Arbeiten zur Auswirkung von zuckerhaltigen Limonaden auf das Körperfett fand das Institut, dass 80 Prozent der unabhängigen Arbeiten dazu Zucker als Dickmacher bezeichneten, aber nur 16 Prozent der industriefinanzierten, schreibt die «Süddeutsche».

Wie hoch der Anteil an industriefinanzierten Studien ist, lässt sich schwer sagen. Nicht immer ist ein Lebensmittelkonzern als Sponsor einer Forschungsarbeit angegeben, auch wenn das so sein sollte. Der Ernährungsepidemiologe Matthias Schulze vom DIfE hält ihn für «erheblich».

Kein Wunder: Der Lebensmittelmarkt ist einer der grössten der Welt. Zucker ist günstig, geschmacksintensiv, konservierend und verleiht Lebensmitteln Struktur. Dabei ist es nicht ganz einfach zu sagen, was gemeint ist, wenn man von «Zucker» redet.

Glucose macht süchtig, Fructose macht dick

Die wichtigsten Zuckersorten sind Glucose und Fructose. Und da wäre noch das, was wir umgangssprachlich unter Zucker verstehen, nämlich der handelsübliche Haushaltszucker, die Saccharose.

Glucose (Traubenzucker) funktioniert wie eine Droge. Kaum essen wir einen Löffel davon, erhöht der Körper den Dopaminspiegel – wir fühlen uns glücklich und gelöst. Das Hormon Dopamin verursacht dazu einen Erinnerungsreiz, in etwa: «Fühlt sich gut an. Gib mir mehr!».

Gleichzeitig wird Insulin ausgeschüttet, um den Zucker in die Körperzellen zu bringen. Wird es dabei nicht ganz verbraucht, hat der Körper ein Versorgungsproblem, weil das Blut unterzuckert ist. Wir bekommen wieder Hunger – nach mehr Zucker. Dieses System lässt sich im ungünstigen Fall sozusagen «trainieren». Durch zu schnelle und zu heftige Insulinausschüttung entsteht Diabetes.

Fructose (Fruchtzucker), den wir aus Äpfeln, Melonen und anderem Obst kennen, ist süsser als Glucose und führt nicht zu einer Insulinausschüttung. Gut, denkt man zunächst. Stimmt nicht – da Insulin das Sättigungsgefühl dadurch nicht beeinflusst, essen wir einfach weiter. Fructose wird nur zu kleinen Teilen verdaut. Etwa 90 Prozent davon landen in der Leber und werden dort grösstenteils zu Fett umgewandelt.

Saccharose und Fructosesirup

Die Saccharose (Haushaltszucker), der in jedem Zuckerstreuen enthalten ist, ist ein Zweifachzucker, der zu gleichen Teilen aus Glucose und Fructose besteht. Es gibt noch etliche Zuckersorten mehr, die meist ebenfalls Mehrfachzucker sind. Zum Leidwesen der Verbraucher, die Zucker in den Verpackungsangaben dadurch nur schwer identifizieren können.

Nicht jeder wird süchtig und krank, wenn er viel Zucker isst. Gehirn und Muskeln brauchen Zucker wie ein Fahrzeug Benzin, sonst können sie nicht arbeiten. Aber bekanntlich macht die Menge das Gift. Über den empfohlenen 6 Teelöffeln Zucker (25 Gramm), die Erwachsene laut der Weltgesundheitsorganisation WHO täglich zu sich nehmen sollten, liegt aber fast jeder. Schon, wer beim Frühstück einen «süssen Zahn» hat, hat die Tagesdosis bereits intus, fand der Fernsehkoch Tim Mälzer für das ARD heraus. Zucker zu vermeiden sei so gut wie unmöglich, sagt er.

Warum Schweizer Verbraucher noch Glück haben

Dabei haben wir in der Schweiz noch Glück: hierzulande wird meist mit Saccharose gesüsst. In den USA werden vor allem die heftig beworbenen Süssgetränke mit Fructose-Glucose-Sirup (engl. High-Fructose-Corn-Syrup, HFCS) behandelt, der günstig aus Maisstärke hergestellt wird und bis zu 90 Prozent Fructose enthält. Zuckersirup steckt auch in Produkten wie Wurst, Brot und vor allem in Fertiggerichten.

Ob man jetzt glauben soll, dass zwischen süssen Limonaden und Übergewicht kein Zusammenhang besteht, wie es eine Broschüre der «Wissenschaftlichen Vereinigung Zucker» behauptet? Der Körper, so die Vereinigung, nutze Zucker zuerst zur Energiegewinnung.

Ein Viertelliter Coca-Cola enthält übrigens 27 Gramm Zucker und 105 Kilokalorien (450 kJoule). Ein 80 Kilogramm schwerer Mann müsste etwa 8 Minuten richtig joggen oder 13 Minuten velofahren, um diese Energiemenge zu verbrennen. Ein Kind (40 Kilogramm) radelte da schon 25 Minuten – und die maximale empfohlene Zuckerdosis ist für Kinder nur halb so hoch.

Red. / Infosperber

Diesen Beitrag hat Daniela Gschweng aufgrund von Berichten im Onlinemedium «Mother Jones», der «Süddeutschen Zeitung» und anderer Quellen erstellt.