Schmarotzer und Akademiker Das doppelte Elend der Arbeitslosen

Gesellschaft

10. Februar 2015

Die TAZ veröffentlicht an prominenter Stelle den Bericht einer arbeitslosen Akademikerin, der sehr gut dokumentiert, welche Art von Widerlichkeiten sich jene aussetzen müssen, die hier nicht gebraucht werden.

Logos und Schriftzüge am Gebäude der Agentur für Arbeit und jobcenter im Landkreis Celle.
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Logos und Schriftzüge am Gebäude der Agentur für Arbeit und jobcenter im Landkreis Celle. Foto: Bernd Schwabe (CC BY 3.0 unported - cropped)

10. Februar 2015
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Korrektur
– “mit zwei Euro in der Woche haushalten” und “mir drei Mal überlegen, ob ich heute warm esse oder doch lieber erst am Sonntag”;

– “Ich lebe seit zwei Jahren am Existenzminimum mit knapp 400 Euro im Monat, wovon ich, wenn ich nicht auf Feldbetten, im Keller von Bekannten, auf der Couch von Wildfremden oder Oma schlafe, noch 150 Euro Krankenversicherung – freiwillig – zahle”;

– “Ich lebte zur Untermiete, portionierte mein Essen strikt, hatte kaum mehr Sozialleben und auch irgendwann keine Krankenversicherung mehr.”

Der Schluss aus der Arbeitslosigkeit und all dem Drangsal das sie erdulden muss: “Akademia! Seit wann bist du nichts mehr wert?!” Schlimm ist die Arbeitslosigkeit der Stefanie Schmidt nicht nur, weil der Mensch mit 400 Euro im Monat eben nicht anständig leben kann, sondern weil sie doch “mehr wert“ sein sollte als Akademikerin. Immer angestrengt hat sie sich! – sollte das nicht entlohnt werden?

Egal wie offensichtlich es für Frau Schmidt wird, dass die Ausbildung nicht ihr Mittel für ein gutes Leben ist, sondern sich als nützlich für andere erweisen muss: Sie hält fest an ihrem Idealismus, dass ihre Promotion ihr doch ein gutes Leben zu ermöglich h ä t t e.

Und so leidet sie eben nicht nur an der materiellen Not, sondern auch ideell: “Das Gefühl, keinen Platz in der Gesellschaft zu haben, dem „grossen Ganzen“ nicht dienlich zu sein”. Das 'grosse Ganze' ist in dem Kopf von Frau Schmidt eine Gesellschaft, die e i g e n t l i c h für alle Akademiker einen guten Job anzubieten h ä t t e und deswegen i m G r u n d e ihre Unterstützung verdient. So leidet sie nicht nur an ihrer Klassenlage, sich für andere nützlich machen zu müssen, sondern zusätzlich an ihrer eigenen Vorstellung, es wäre auch ihre P f l i c h t, sich für andere krumm zu arbeiten.

Zumindest das zweite Elend kann man sich ersparen. Es gibt kein 'grosses Ganzes' an welchem sich vergangen wird, wenn man arbeitslos wird. Es gibt nur Eigentum, jene die es haben, und jene, die sich für das Eigentum anderer nützlich machen müssen. Wer nicht nützlich ist für fremdes Eigentum, wird dann mit den Sozialkassen am Sterben gehindert – mit Sozialkassen, die mit Lohnnebenkosten sowie mit Zwangsabgaben aus dem Lohn finanziert werden. Damit werden diese von niemand anderem bezahlt als von jenen, die in der gleichen Lage sind wie Frau Schmidt – jener, sich nützlich machen zu müssen für andere.

Die Arbeitslosigkeit gehört also fest zur Lohnarbeit dazu: Wer sich für fremde nützlich machen muss, der wird eben – wenn er nicht taugt zum Eigentum Vermehren – entlassen. Sich daraus noch ein schlechtes Gewissen zu machen ist das doppelte Elend der Arbeitslosen: Sie fühlen sich als Schmarotzer an einem Staat, der sich mit den Unternehmern zusammen auf Kosten der Lohnarbeiter und der Arbeitslosen bereichert.

Berthold Beimler

Alle Zitate aus: http://www.taz.de/Arbeitslose-Akademiker-/!154353/