Crickhowell: Ein Städtchen wird zur Briefkastenfirma Der Bäcker muss mehr Steuern zahlen als Facebook

Gesellschaft

6. April 2016

Während Grosskonzerne kaum Steuern zahlen, legen Kleinunternehmen drauf. Ein kleines Dorf in Wales rebelliert und geht offshore.

Das walisische Städtchen Crickhowell ist ein beschaulicher Ort - und seit neuestem eine Steueroase.
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Das walisische Städtchen Crickhowell ist ein beschaulicher Ort - und seit neuestem eine Steueroase. Foto: Peter Broster (CC BY 2.0 cropped)

6. April 2016
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Es gibt eine Bäckerei, einen Buchladen, ein Café und mehrere Pubs. Die gepflasterten Dorfstrassen sind wahlweise romantisch oder gottverlassen, das kommt auf den Standpunkt an und auf das Wetter. Das Örtchen Crickhowell könnte überall in Europa sein. Bekannt war der 2'000 Einwohner zählende Weiler in Wales bis vor kurzem allenfalls bei Wanderern.

George Everest ist hier geboren – der Mann nach dem der höchste Berg der Welt benannt ist – und ein britischer Admiral namens Walter Henry Cowan. Eine Burgruine gibt es auch. Das beliebteste Fotomotiv der Stadt ist die Brücke über den angrenzenden Fluss.

Ein Städtchen wird zur Briefkastenfirma

Vor ein paar Monaten hat sich das drastisch geändert. Dank des britischen Fernseh- und Radiosenders BBC, und weil Crickhowell jetzt Steuern sparen will. Genauso wie Facebook, IKEA, Google und viele weitere transnationale Unternehmen.

Von denen hat sich das kleine Dorf die Steuertricks abgeschaut und eine Briefkastenfirma in einem Steuerparadies angemeldet. Mit der Isle of Man sowie den Kanalinseln Jersey und Guernsey gibt es dazu ganz in der Nähe günstige Möglichkeiten. Diese gehören weder zur EU noch zu Grossbritannien, sondern, ganz archaisch, der britischen Krone. Die Steuern legt die Queen persönlich fest.

Was die Grossen können, können die Kleinen auch

Steuern für lokale Gewinne einfach dort bezahlen, wo sie wenig kosten, das können wir auch, dachten sich die Waliser. Unter Anleitung von Fachleuten entwarfen sie ein Steuersparkonstrukt und stellten es dem Finanzamt vor. Das Ganze ist ein Projekt der BBC und mehrerer rebellischer Einzelhändler.

Darüber, ob der Plan gelungen ist, gehen die Darstellungen verschiedener Medien auseinander.

«Keine Chance», zitierte die New York Times am 21. Februar die britischen Steuerbehörden. Städte und ihre Gewerbebetriebe könnten sich im Gegensatz zu Unternehmen nicht einfach nach Offshore davonmachen. Crickhowells Kleinunternehmen hielten die gesetzlichen Vorschriften für eine Registrierung nicht ein. Andere Medien berichten von einem gelungenen Coup.

«Entweder zahlen alle oder keiner»

Ob es geklappt hat oder nicht – gewonnen hat Crickhowell bereits jetzt. Lehnt das Finanzamt das Konstrukt ab, ist der Protest gross – dafür sorgt die BBC. Wird er gutgeheissen, werden sich andere Städte anschliessen, 27 haben bereits Interesse gezeigt.

«Fair Tax Town» ist für die Schlacht um die Steuerpflicht gut aufgestellt. So ähnlich würde Steven Lewis es wahrscheinlich ausdrücken. Der ehmalige Elitesoldat betreibt mit seiner Frau das mittlerweile landesweit bekannte Café «Number 18» an der Highstreet und verwendet gerne militärische Ausdrücke. Laut ARD gehört ein Teil seines Kleinunternehmens neuerdings zu einem Finanzkonstrukt auf der Isle of Man.

Café zahlt siebenmal mehr Steuern als Facebook

«Entweder zahlen alle, oder keiner», sagt der Anführer der Steuer-Rebellion. Der Satz ist so etwas wie der Schlachtruf der Initiative. Dass das britische Steuersystem es grossen Unternehmen erlaubt, nur minimale Steuern zu bezahlen, stösst den Kleinunternehmern auf.

Im Jahr 2014 hat Steve Lewis 21 Prozent seines Gewinns an Steuern bezahlt, insgesamt 31'000 Pfund. Facebook hat für den gleichen Zeitraum gerade mal 4'327 Pfund beim britischen Fiskus abgeliefert. Weniger, als ein britischer Durchschnittsverdiener mit einem Verdienst von 40'000 Pfund an Einkommenssteuer und Versicherung abgeben muss.

Die Steuerspartricks der Multis sind grösstenteils legal, deshalb aber nicht weniger ungerecht. Der Bäcker Steven Askew und seine Frau beispielsweise arbeiten beide 80 Stunden pro Woche und zahlen mehr Steuern als Facebook. «Das ist einfach falsch», findet Askew. Auch an seinem Laden ist ein Aufkleber mit der Aufschrift «Fair Tax Town». Derselbe Aufkleber wie an der Lachsräucherei, dem Buchladen, dem Optiker.

Die britische Steuerbehörde HMRC (Her Majesty's Revenue and Customs) hat laut der New York Times kürzlich zugegeben, dass Grossbritannien im Jahr 2014 geschätzte 4,3 Milliarden Dollar durch Steuersparmodelle verloren gingen. Die HMRC definiert die gängige Steuersparpraxis als «getreu dem Buchstaben aber nicht dem Sinn des Gesetzes».

Während die einen Steuern sparen, fehlt anderswo das Geld

Dabei geht es nicht nur um Facebook, Starbucks, IKEA und Apple. Auch einige britische Unternehmen haben trotz Millionengewinnen in den vergangenen Jahren überhaupt keine Steuern bezahlt. Die britischen Behörden, die erst kürzlich eineSteuervereinbarung mit Google geschlossen haben, tun nicht genug, finden viele Briten.

Die Initiative «Fair Tax Town» und Steve Lewis wollen auf jeden Fall weiter gegen diese Ungerechtigkeit kämpfen. Nicht, weil sie keine Steuern mehr bezahlen möchten, sondern um die Unternehmen anzuprangern, die auf Kosten des kleinen Mannes weiter investieren und weiter wachsen können, während anderswo das Geld für die Infrastruktur knapp ist.

«Das ist kein Spass»

Wie gross die Unterstützung für das Projekt «Fair Tax Town» tatsächlich ist, kann man an einer Petition sehen, die Lewis selbst aufgesetzt hat: Sie schlägt den Kleinunternehmer aus Crickhowell als nächsten Vorsitzenden derselben Behörde vor, über die er sich ärgert: der britischen Tax Authority. Dessen Vorsitzende Lin Homer hatte Ende Januar ihren Rücktritt angekündigt.

«Das ist kein Spass», versichert der Cafehausbesitzer. Innerhalb von 10 Tagen hattedie Petition fast 150'000 Unterschriften.

Daniela Gschweng /Infosperber

Diesen Beitrag hat Daniela Gschweng aufgrund eines Berichts in der «New York Times» und anderer Quellen erstellt.