Commons werden zu Laboren der gesellschaftlichen Erneuerung “Es gibt keine Alternative” – oder doch?

Gesellschaft

29. April 2016

Von “collaborative commons” (Jeremy Rifkin) bis hin zu “atmospheric commons” (Naomi Klein) – Gemeingüter, also Commons, sind das grosse Thema in gesellschaftspolitischen Debatten.

29. April 2016
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Das aktuelle Interesse nährt sich aus der tiefen Krise der kapitalistischen Ordnung, die sich nicht nur in der Finanzkrise, sondern vor allem in der Umweltkrise manifestiert. Kulturkritiker und Berliner Gazette-Autor Felix Stalder geht der Sache auf den Grund:

In der gegenwärtigen Krise werden fundamentale Konstruktionsmängel deutlich. Beispielsweise: Die „Umwelt“ wird als Externalität betrachtet, aus der man Rohstoffe entnehmen kann oder, in die man Abfall entsorgen kann, ohne dass dies ins ökonomische Kalkül einbezogen werden muss.

Dieses Problem kann auch ein „grüner Kapitalismus“ nicht lösen. Denn Kapitalismus braucht solche Externalitäten. Ohne diese hört er auf, Kapitalismus zu sein. Das heisst: ein System, welches auf das Ziel der Kapitalanhäufung – und eben nicht auf andere Ziele – ausgerichtet ist. Das ist kein neuer Gedanke. Wirtschaftshistoriker Karl Polanyi hat ihn bereits in den 1940er Jahren sehr klar formuliert. Aber heute sind die Folgen dieses Problems in Gestalt der Umweltkrise mehr als deutlich sichtbar. Und es ist schwer vorstellbar, wie der Kapitalismus, trotz aller Innovationsfähigkeit, dieses Problem angehen kann.

So hat die Krise eine Leerstelle in der sozialen Imagination entstehen lassen und auf diese wird nun das Konzept der Commons, als eine holistische Organisationsweise projiziert, die auch an Entwicklungslinien in vielen verschiedenen Kulturen anzuknüpfen verspricht.

Gemeinschaftliche Organisationsformen, Genossenschaften, Mutualismus

Gleichzeitig ist mit dem Internet eine Infrastruktur entstanden, die es möglich macht konkrete Formen der Zusammenarbeit zu entwickeln, welche die Praxis der Commons neu beleben. Und die demonstrieren, dass es auch ausserhalb des Kapitalismus möglich ist, komplexe wertvolle Güter zu entwickeln – nicht als zu verkaufende Waren, sondern als Gemeingüter.

Und so findet seit knapp 20 Jahren ein grosses soziales Experiment statt, das den Commons-Ansatz auf immer neue Klassen von informationellen Gütern ausdehnt: Software, Wissen, Daten etc. Wir beobachten gerade, dass dieser im Internet praktisch erprobte Ansatz den Sprung zurück in die Organisation physischer Infrastrukturen macht. Beispielsweise in der Bewegung der Commons-Gärten oder den Versuchen der Re-Kommunialisierung der Energieversorgung.

Ob wir im Zuge dessen mehr Bewusstsein und mehr demokratische Strukturen für Commons aufkommen sehen, ist allerdings eine offene Frage. Im Moment gibt es auf jeden Fall sehr viele Experimente, die die Commons mal direkter, mal indirekter, als Referenzpunkt nehmen und dabei auch andere gemeinschaftliche Organisationsformen, Genossenschaften, Mutualismus etc. erneuern.

Spielregeln verändern

Die meisten dieser Experimente sind aber entweder relativ klein, regional oder sektorial isoliert. Das macht das Ganze kleiner als die Summe der Einzelteile. Denn sie kämpfen überall mit einem Umfeld, das ihnen das Leben schwer macht. Dieses Umfeld ist nicht darauf ausgerichtet, solche Produktionsweisen zu unterstützen, sondern vielmehr auf den Markt hin optimiert.

Was fehlt, ist die Verbindung zwischen diesen einzelnen Inseln. Nur durch eine Vernetzung können sie die Kraft erlangen, um die Spielregeln, unter denen sie agieren, in ihrem Sinne zu beeinflussen. Nur so können sie ihre Ausgangslage im Verhältnis zu Markt-Mechanismen verbessern. Dazu wird ein verändertes Bewusstsein allein nicht ausreichen.

Denn die Spielregeln zu verändern heisst: Auseinandersetzungen gegen jene zu gewinnen, die von den aktuellen Spielregeln profitieren. Das wird nicht ohne Kampf gehen. Denn auch wenn es sich nicht um ein einfaches Nullsummenspiel handelt, werden nicht alle gewinnen.

Eine Antwort auf die Systemkrise

Eine treibende Kraft sind derzeit die sozialen Bewegungen: Sie fordern ganz allgemein “reale Demokratie” und beziehen sich teilweise auf konkrete Problembereiche: Finanz-Algorithmen, Strom-Netze oder Big Data.

Auf einer tieferen Ebene verbindet die sozialen Bewegungen die gemeinsame Erfahrung einer umfassenden Systemkrise – nicht nur wirtschaftlicher, sondern auch politischer und ökologischer Natur. Diese Dinge werden zunehmend miteinander verbunden. Mit Syriza in Griechenland haben die sozialen Bewegungen die erste Kraft an die Regierung gehievt, die zumindest das Wirtschaftliche und das Politische wieder direkt miteinander verbindet.

Für alle, die in den letzten 30 Jahren den Slogan „Es gibt keine Alternative“, der so mühelos von Thatcher zu Merkel gewandert ist, verinnerlicht haben, ist dies eine enorme Irritation. Diese mag auch den Hass erklären, der Syriza auch aus Kreisen entgegenschlägt, die nicht unbedingt direkt von der Fortsetzung der Austeritätspolitik profitieren.

Die Erfahrung der multiplen, miteinander verkoppelten Krise nährt das Interesse an einem grundsätzlichen Wechsel. Es ist dieselbe Erfahrung, die auch zeigt, dass das einfache Zurückdrehen des Rades, im Sinne von „Mehr Staat, weniger Privat“, keine Option ist. Also machen sich die sozialen Bewegungen auf, konkrete Alternativen zu entwickeln. Das geht schon länger vor sich. Neu ist, dass sie sich auch daran machen, zumindest an einigen Stellen, ins politische System der Parteien, Wahlen und Parlamente einzusteigen. Sie machen sich damit zu historischen Akteuren in der Erneuerung der Demokratie.

Die klassischen Institutionen der repräsentativen Demokratie wurden in den letzten Jahrzehnten immer mehr ausgehöhlt. Sie verkommen zur Show und zur Verwaltung von als alternativlos dargestellten Zuständen. Die Entwicklung geht klar in Richtung Postdemokratie. Demgegenüber stehen die sozialen Bewegungen und der Begriff der Commons für eine Ausweitung und Neudefinition von Demokratie. Das heisst: von Entscheidungsmöglichkeiten über die Ausrichtung des Systems selbst, und nicht nur Auswahl von bereits vorgefertigten Optionen.

Die zentrale Referenzgrösse: das „Netzwerk“

Die Konjunktur der Commons ist eingebettet in eine tiefgreifende, komplexe und widersprüchliche Transformation der Subjektivität. Das heisst, der Art und Weise, wie Menschen sich selbst und ihre Beziehung zur Umwelt, also zu anderen Menschen, Lebewesen und Gegenständen, erleben und entwerfen.

Der Imperativ der Zeit heisst: „Vernetze dich!“ Auch wenn er zumeist in der verkrüppelten Form von Facebook und anderen kommerziellen sozialen Massenmedien erlebt wird, so vermittelt er doch immer noch: Es hat keinen Sinn, sich selbst in Isolation zu denken. Nein, das Relationale – die „Gemeinschaft“ oder das „Netzwerk“ – stellt die zentrale Referenzgrösse dar. Ohne diese macht die eigene „Individualisierung“ keinen Sinn, denn es braucht immer die Anderen, die diese Individualisierungsleistung lesen und schätzen können.

Damit entsteht eine neue Verbindung zwischen Individualität und Gemeinschaft, die nicht mehr als Gegensätze gedacht, sondern in ihrer gegenseitigen Bedingungen, in ihrer Gleichzeitigkeit und Gleichwertigkeit erlebt werden.

Das Problem des „Teilens“

Eine Sonderrolle nimmt in diesem Zusammenhang der Begriff des “Sharing” bzw.”Teilens” ein. Einerseits ist er wichtig für die Commons-Idee. Andererseits im Zuge einer Vereinnahmung durch Massenmedien und Silicon Valley inzwischen in ein dystopisches Licht getaucht. Doch man muss auch ganz grundsätzlich konstatieren, dass “Sharing” ein problematischer Begriff ist.

Zum einen verweist “Sharing” auf eine grundsätzlich andere Beziehung zwischen Subjekten als jene des Austausch, des Kaufs und Verkaufs. Ein Handeln jenseits von Markt und Staat scheint möglich. Zum anderen löst der Begriff “Sharing” dieses Handeln auch aus dem Kontext, aus der politischen Perspektive, die mit dem umfassenderen Begriff der Commons verbunden wäre. Dadurch eignet er sich sehr gut, als „feel good”-Begriff, Dinge zu beschönigen und die Realität zu verschleiern.

Wenn etwa Facebook sagt, dass seine Daten mit anderen „teilt“, dann ist das nichts anderes als ein Euphemismus dafür, dass es diese verkauft. Oder die gehypte „Sharing Economy“, die ist im Grunde nichts anderes, als granulares Vermieten. Das kann mal traditioneller organisiert sein, etwas beim Carsharing, bei dem Autohersteller mit Autovermietern kooperieren, oder mal prekarisierter, etwa beim vermieten des Gästezimmer in der eignen Wohnung, des eigenen Autos, der eigenen Werkzeuge etc.

Nachhaltiges Handeln

Im einen Fall kann man von einen normalen Innovationsschritt sprechen, der Märkte effizienter macht, im zweiten Fall geht es klar um die Umgehung von Konsumentenschutzstandards. Hier muss man sehr genau hinschauen, dass sich nicht ein Plattformkapitalismus entwickelt, der nur dem “einen Prozent” dient.

Nun muss es darum gehen, vor diesem Hintergrund die zentralen Herausforderungen für die Commons-Bewegungen ins Blickfeld zu rücken. Drei Dinge sind dabei wichtig. Erstens, die Fortsetzung und Erweiterungen der vielen sozialen Experimente, die hier stattfinden. Sie sind Labore der Graswurzelinnovation. Zweitens, der Kampf gegen die Subversion der Idee der Commons und des Teilens durch die problematischen Dynamiken der „Sharing Economy“. Drittens, geht es um den Umbau des regulativen Umfelds in dem sowohl Commons- als auch Markt-orientierte Akteure handeln.

Im Moment ist alles im Sinne des Marktes ausgerichtet. Hier geht um die Neuausrichtung von Anreizen und Einschränkungen. Wie kann man langfristiges, nachhaltiges Handeln besser fördern, so dass es eine Chance hat, in der Konkurrenz mit kurzfristigen, die Kosten externalisierendem Handeln zu bestehen? Wie bei der Biolandwirtschaft – man setzt auf ein verändertes Bewusstsein und die Bereitschaft, einen höheren Preis zu zahlen – wird es nicht gehen. Sonst bleibt das eine privilegierte Nische. Wir müssen uns die Frage stellen, wie wir das System verändern können, so dass umwelt- und sozial-schädliches Handeln teurer wird, als umwelt- und sozial-freundliches.

Felix Stalder
berlinergazette.de

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