Diese fünf Songs erklären das neue Urheberrecht der EU Von Despacito bis Beethoven

Digital

25. Dezember 2018

Warum hat Metallica einen fast 20-jährigen Dauerstreit um Musik im Internet ausgelöst? Und warum streiten EU-Politiker bei geheimen Verhandlungen über ein Pink-Floyd-Lied? Das Mixtape zu der Reform, die das Internet für immer verändern könnte.

Von Despacito bis Beethoven: Diese fünf Songs erklären das neue Urheberrecht der EU.
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Von Despacito bis Beethoven: Diese fünf Songs erklären das neue Urheberrecht der EU. Foto: Nesta592 (CC BY-SA 4.0 cropped)

25. Dezember 2018
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Wenn es ums Geld geht, müssen auch Promis mal Politik machen. Darum wirbt Ex-Beatle Paul McCartney gemeinsam mit Placido Domingo und Udo Lindenberg für ein neues EU-Urheberrecht. Hunderte bekannte Künstler schickten jüngst einen offenen Brief ans EU-Parlament. Sie wünschen sich verpflichtende Uploadfilter auf Plattformen wie Youtube, damit mehr Geld bei ihnen landet. Die Pläne ärgern Bürgerrechtler und die Netzgemeinde: Denn die Filter sind ein automatisiertes Zensursystem, das auch viele legale Inhalte als Beifang aus dem Netz fischen könnte. Ganz abgesehen von Zweifeln, ob dadurch wirklich mehr Geld bei den Künstlern landet.

Die Filter sind nur ein Teil der umstrittenen Urheberrechtsreform. Vor einigen Wochen schickte das EU-Parlament seinen Vorschlag in die Geheimverhandlungen über den fertigen Text. Dabei steht einiges auf dem Spiel. Aber keine Angst, Ihr müsst keine Akten wälzen, um die Reform zu verstehen.

Metallica,“I Disappear“

Die Metallica-Nummer vom Mission-Impossible-Soundtrack ist ein Meilenstein in der Musikgeschichte. Nicht nur deshalb, weil es super zu Dosenbier passt und sich zum Mitgröhlen eignet. Im März 2000 verklagte die Band wegen illegaler Kopien des Songs die Tauschbörse Napster – der Beginn eines jahrelangen Endzeit-Kampfes der Musik- und Filmindustrie gegen Tauschbörsen und Videoplattformen im Netz.

Inzwischen sind Tauschbörsen Geschichte und die Gewinne der Musikindustrie sprudeln dank Streaming-Diensten wie Spotify wieder. Mehr als 75 Cent aus jedem Euro, den Spotify einnimmt, gehen an drei Platten-Labels: Sony Music, Warner, Universal. Trotzdem wird die Musikindustrie nicht müde, eine vermeintliche Verwertungslücke („value gap“) bei Plattformen wie YouTube und Facebook zu beklagen. Mit diesen Wünschen stiessen die Rechteinhaber bei der EU-Kommission auf offene Ohren, ganz im Gegensatz zu der grossen Mehrheit der über 10.000 Menschen, die sich an einer öffentlichen Umfrage der Kommission zum Urheberrecht beteiligt hatten. Deren Wünsche nach mehr Nutzungsfreiheiten und -rechten wurden einfach ignoriert.

Luis Fonsi, „Despacito“

Der sexy Sommerhit aus Puerto Rico hat beinahe 6 Milliarden Klicks auf Youtube. Also fast so viele, wie die Erde Einwohner hat. Doch das Video könnte bald gemeinsam mit zehntausenden anderen von der Plattform verschwinden, warnte Youtube-Chefin Susan Wojcicki in einem Blogpost. Die Warnung sorgte für einen Aufschrei unter Influencern: Nehmt uns nicht unser Youtube weg!

Dabei ist es schon heute so, dass YouTube mit dem Content-ID-System Inhalte automatisch filtert: Rechteinhaber deponieren ihre Inhalte in einer Datenbank. Wenn YouTube eine Übereinstimmung findet, können diese entscheiden, ob sie die Nutzung dulden, das Video blockieren oder über Werbung – gemeinsam mit Google – zu Geld machen. Mit anderen Worten, Google hat aus Rechtsdurchsetzung ein Geschäftsmodell gebastelt. Das ist möglich, weil Google derzeit nur bei Kenntnis einer Urheberrechtsverletzung haftet.

Mit der Verschärfung des Urheberrechts soll das Haftungsprivileg fallen. YouTube könnte dann dazu übergehen, im Zweifel erst mal zu blocken anstatt wie bisher zu dulden. Das dürfte viele Videos aus dem Netz fegen. Selbst bei einem Welthit wie Despacito sind nicht alle Rechte geklärt, sagt Youtube. Der Konzern lobbyiert deshalb weniger gegen Filter im Allgemeinen als gegen schärfere Haftungsregeln. Besonders hart treffen dürften die Filterpflichten vor allem Gelegenheitsnutzer, die Handyvideos hochladen oder Remixes und Memes teilen wollen.

Pink Floyd, „Another Brick in the Wall“

Was wäre der Welthit ohne den gruselig-schönen Kinderchor im Background? Die Schülerinnen und Schüler, die für den Pink-Floyd-Klassiker im Chor sangen, erhielten damals einen Scheck über 1.000 Pfund. 25 Jahre später, der Song war mittlerweile Kult, forderten die Kids rechtlich einen etwas gerechteren Anteil für sich ein.

Das neue Urheberrecht soll Künstlern mehr Rechte geben. Eigentlich. Das EU-Parlament schrieb in seine Vorschläge, Autoren und Künstler müssten eine „faire und verhältnismässige Entlohnung“ für ihre Arbeit erhalten.

So weit die Theorie. In der Praxis sah es so aus: Ein Fall wie „Another Brick in the Wall“ muss verhindert werden, sagten Abgeordnete bei Verhandlungen hinter verschlossenen Türen. Doch die EU-Kommission und Vertreter der Mitgliedsstaaten blieben hart: Sie wollen, dass unfaire Geschäftspraktiken wie Total-Buy-Out und Knebelverträge erlaubt bleiben. Hey, teacher!

Kraftwerk, „Metall auf Metall“

Seit über 20 Jahren streiten Kraftwerk und Moses Pelham vor Gericht über ein zwei Sekunden langes Sample des Songs „Metall auf Metall“ (1977). Mit dem Schnipsel hatte Pelham 1997 als Endlosschleife Sabrina Setlurs „Nur Mir“ hinterlegt. Zwar hatte 2016 das Bundesverfassungsgericht in einem wegweisenden Urteil zu Gunsten der Samplingfreiheit entschieden, das letzte Wort ist damit aber noch nicht gesprochen. Denn der Bundesgerichtshof wollte nicht entscheiden, ohne die Meinung des Europäischen Gerichtshofs einzuholen. Vereinfacht geht es dabei um die Frage, ob Sampling auf nationaler Ebene erlaubt werden darf oder ob das durch die restriktiven Regeln des EU-Urheberrechts unmöglich ist.

Das führt zu einem der grössten Versäumnisse der EU-Urheberrechtsreform. Weder für Sampling- und Remixkultur noch für Internet-Memes und andere Bagatellnutzungen wie Hintergrundmusik in Handyvideos findet sich eine Lösung im Reformentwurf. Die Reformlücke wächst und es fehlt weiterhin an Verhältnismässigkeit. Während es im US-Copyright mit dem Fair-Use-Prinzip eine flexible und innovationsoffene Ausnahmebestimmung gibt, fehlt vergleichbares im EU-Urheberrecht. Das deutsche Justizministerium regte an, die Einführung eines Recht auf Remix zu prüfen. Doch die Rufe verhallten. Deshalb könnte es gut sein, dass der Europäische Gerichtshof auch in Zukunft selbst kurze Samples wie jene zwei Sekunden „Metall auf Metall“ ohne Zustimmung der Rechteinhaber verbietet.

Beethoven, Fünfte Symphonie

Beethovens Fünfte, auch Schicksalssymphonie genannt, erkennen selbst Musikbanausen wegen des dramatischen „Ta-ta-ta-ta“ am Anfang. Das Werk ist über 200 Jahre alt und nicht mehr urheberrechtlich geschützt. Doch das ist Youtube egal. Als der deutsche Musiktheoretiker Ulrich Kaiser zuletzt eine alte, lizenzfreie Aufnahme der 5. Symphonie hochlud, unterstellte ihm Youtubes Filter eine Urheberrechtsverletzung. Offenbar vermag selbst der High-Tech-Filter des Google-Konzerns nicht zwischen unterschiedlichen Aufnahmen desselben klassischen Musikstücks zu unterscheiden. Mehr noch, Rechteinhaber beanspruchen via Content-ID-Algorithmus Rechte an Aufnahmen, über die sie gar nicht verfügen, um an den Werbeeinnahmen zu verdienen.

Einsprüche Kaisers blieben vergebens. Youtube hält das Stück bis dato für urheberrechtlich geschützt. Das Beispiel zeigt, wie unzulänglich automatische Filtersysteme in vielen Fällen sind. Verpflichtende Filter könnten die Lage deutlich verschärfen. Tausende klassische Musikstücke und andere gemeinfreie Werke sind durch die Filterpflicht bedroht. Beethovens „Ta-ta-ta-ta“ könnte bald verhallen.

Und andere Verstimmungen

Die Liste der Misstöne im neuen Gesetz lässt sich im Übrigen fortsetzen. Die Vorschläge sollen eine Lizenzpflicht selbst auf kurze Textschnipsel durchsetzen, das sogenannte Leistungsschutzrecht. Jedes Bild oder Video bei einer Sportveranstaltung könnte bald eine Urheberrechtsverletzung darstellen. Und Vorschriften beim Thema Text- und Datamining könnten sogar die Entwicklung Künstlicher Intelligenz bedrohen. Könnte darüber nicht mal wer einen Song schreiben?

Alexander Fanta
netzpolitik.org

Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons (CC BY-NC-SA 4.0) Lizenz.