Anbieter von Social Media sollen kostenlose Werbung verschenken Bei zu viel ISIS-Propaganda

Digital

17. Dezember 2015

Google, Facebook oder Twitter könnten ihren NutzerInnen demnächst die Gratis-Nutzung von Werbung einräumen um damit die Botschaften islamistischer Gruppen zu kontern.

Die europäischen Strafverfolgungsbehörden fordern von Vertretern der sozialen Kanälen unter anderem auch eine Aushebelung ihrer Verschlüsselungstechnik.
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Die europäischen Strafverfolgungsbehörden fordern von Vertretern der sozialen Kanälen unter anderem auch eine Aushebelung ihrer Verschlüsselungstechnik. Foto: Senado Federal (CC BY 2.0 cropped)

17. Dezember 2015
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Dies geht aus einemPapier des EU-Koordinators für die Terrorismusbekämpfung, Gille de Kerchove, hervor. Demnach sollte die kostenlose Werbung immer dann angeboten werden, „wenn Da'esh besonders viel Propaganda verbreitet“. Die Internetanbieter könnten auf diese Weise zur „Verbreitung von alternativen Argumentationslinien“ beitragen.

Das zunächst als Verschlusssache eingestufte Dokument richtet sich an den Rat der Europäischen Union und beschreibt die Umsetzung von Massnahmen zur Terrorismusbekämpfung. Nach den Anschlägen im Januar in Paris hatte Kerchove ein ganzes Bündel an Gesetzesverschärfungen und Initiativen angeregt, von denen einige bereits umgesetzt sind oder sich in Abstimmung befinden. Hierzu gehört etwa die Einführung stärkerer Kontrollen an den Aussengrenzen, die verpflichtende Abfrage von Interpol-Datenbanken oder die Einrichtung einer EU-Fluggastdatenspeicherung.

Umgehen von Verschlüsselung auch bei Cloud-Daten

Ebenfalls auf Anregung des Anti-Terror-Koordinators gründeten die EU-Kommission und die Polizeiagentur Europol vor zwei Wochen ein„Forum der Internetdienstleister“. Nach jahrelangen erfolglosen Versuchen verfügen die InnenministerInnen der Europäischen Union nun über einen direkten Draht zu weltweit tätigen Internetanbietern. An den ersten vorbereitenden Treffen beteiligten sich Delegierte von Google, Twitter, Microsoft, Facebook, Ask.fm und Yahoo. Auch der für die Koordination der Aussen- und Verteidigungspolitik der EU zuständige Auswärtige Dienst arbeitet in dem Forum mit. „Vertreter der Zivilgesellschaft“ wurden entgegen früherer Ankündigungen nicht eingeladen.

Lange war unklar womit sich das Forum eigentlich befassen soll. Vage heisst es dazu, Internetfirmen und Polizeibehörden sollten „Möglichkeiten der praktischen Zusammenarbeit“ finden. So soll erörtert werden, „welche Instrumente zur Bekämpfung terroristischer Propaganda im Internet und in den sozialen Medien eingesetzt werden können“. Die Arbeiten sollten auf dem vom Bundeskriminalamt bei Europol angeschobenen Projekt„Check the Web“ aufbauen, das unter anderem eine Datensammlung zu „islamistisch-terroristischen“ Webseiten betreibt und aus den Mitgliedstaaten befüllt wird.

Mehrmals sickerte durch, dass das „Forum der Internetdienstleister“ die Forderung der Strafverfolgungsbehörden zum Aushebeln von Verschlüsselung behandeln wird. Dies betrifft nicht nur Messengerdienste wie WhatsApp oder Skype, sondern auch Cloud-Daten. Deutsche Strafverfolger vertreten etwa die Auffassung, dass in die Cloud geladene Inhalte nicht dem Schutz der Privatsphäre unterliegen, sondern als Telekommunikation zu behandeln sind und deshalb abgehört werden dürfen. Heute soll auf der EU-Ratstagung eine Schlussfolgerung zur Vereinheitlichung entsprechender Verfahren verabschiedet werden.

Aufforderung an Internetanbieter zur „freiwilligen Mitarbeit“

Nun steht die erste Arbeitssitzung des Forums an. Kerchove schlägt vor, konkrete Ziele festzulegen deren Umsetzung „die EU von den Internet-Unternehmen verlangen kann“. Die Abfrage von Cloud-Daten wird unter dem Tagesordnungspunkt „Zugang zu elektronischen Beweismitteln“ verhandelt. Internetunternehmen werden angehalten, zunächst „auf freiwilliger Basis“ mit Polizeien und Geheimdiensten zu kooperieren und einen „raschen und direkten Zugang zu digitalen Beweisen“ zu gewähren. Diese „freiwillige Mitarbeit“ sei laut Kerchove „für Terror-Ermittlungen und die Strafverfolgung von Terroristen“ von entscheidender Bedeutung.

Inzwischen haben sich das EU-Parlament, die Kommission und der Rat auf eine neue Europol-Verordnung geeinigt. Der Polizeiagentur ist es fortan erlaubt, auch Personendaten von den Internetfirmen abzufragen. Dies musste bislang durch die Behörden der Mitgliedstaaten erfolgen. Europol darf nun IP-Adressen oder andere Informationen zu Nutzeraccounts von Privaten abfordern, verarbeiten und speichern.

Die Firmen sollen zukünftig selbst für die Überwachung hochgeladener Inhalte sorgen. Für deren Entfernung müssten die Anbieter ausserdem mehr Personal bereitstellen. Allerdings ist unklar, worin der Mehrwert einer solchen Verpflichtung bestünde. Denn Firmen wie Google, Facebook oder Twitter entfernen Enthauptungsvideos oder andere brutale Inhalte von selbst. Auch die Bundesregierung musste anerkennen dass es diesbezüglich eigentlich keine Defizite gibt.

„Internetauswertungsgruppen“ zur Entfernung von Inhalten

Trotzdem hat Kerchove im Eiltempo für die Einrichtung einer „Meldestelle für Internetinhalte“ bei Europol gesorgt. In den ersten viereinhalb Monaten ihres Bestehens seien durch die Meldestelle bereits 511 terroristische Inhalte „entfernt worden“. Die EU-Mitgliedstaaten sind nun aufgefordert, Europol noch mehr „nationale Experten“ zur Verfügung zu stellen. Diese könnten sich aus „Internetauswertungsgruppen“ rekrutieren, wie sie etwa beim Bundeskriminalamt oder dem Bundesamt für Verfassungsschutz angesiedelt sind.

Ausser der Entfernung von Inhalten drehen sich viele Massnahmen aber auch um das Befüllen des Internet mit „strategischer Kommunikation“. Geplant ist die Einrichtung einer Stiftung, die „glaubwürdige Stimmen in der Zivilgesellschaft“ unterstützen soll. Ähnliche Anstrengungen zurGegenpropaganda hat die EU bereits in Richtung der Regierung in Moskau unternommen, weitere„Gegendiskurse“ werden gegen unerwünschte MigrantInnenlanciert.

Ein neues Projekt soll nun ab Juli 2016 die „Bewältigung der Kommunikationsprobleme in Bezug auf die ausländischen terroristischen Kämpfer“ abzielen. Weitere Ziele seien laut Kerchove die Bekämpfung von „Radikalisierung und Extremismus“. Das Vorhaben baut auf einem früheren „Beratungsteam“ auf und soll diejenigen Länder unterstützen, die bereits „inländische Kampagnen“ durchführen oder darauf hinarbeiten. Auch deutsche Behörden haben entsprechende Projekte begonnen.

Matthias Monroy
netzpolitik.org

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