Die Funktionsweise von Google-Glass Die Google-Datenbrille

Digital

15. Februar 2014

Wir rufen auf zu einer Kampagne gegen die unfreiwillige Datenspende durch Datenbrillen im „öffentlichen“ Raum.

Google Glass - Vorderansicht.
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Google Glass - Vorderansicht. Foto: Tim Reckmann (CC BY 3.0 unported - cropped)

15. Februar 2014
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Wenn wir unser Gegenüber in der Bahn oder auf der Strasse bitten, die Google-Brille abzusetzen, zündet die Diskussion um unfreiwillige Datenweitergabe von Bild-, Video- und Tonaufzeichnungen und deren Verknüpfung mit im Internet über uns auffindbare Informationen vermutlich von selbst. Wir schlagen vor, die voraussichtlich smarten Herren und Damen mit der „Google-Glass“ im Gesicht von der Seite! anzumachen und aufzufordern, ihre Daten- Brille umgehend wegzupacken. Ziel ist es, mit alltäglicher und schwungvoller Konfrontation den rücksichtslosen Techno- TrendsetterInnen ihr 24h-Dasein als Googles unbezahlte DatensammlerInnen unattraktiv zu machen und die öffentliche Debatte um die Erfassung persönlicher Daten zu befeuern. Die Ideenverbreitung und Methodenentwicklung der Kampagne soll vor Markteinführung der „Google-Glass“ in Deutschland beginnen, um rechtzeitig wirksam werden zu können. Derzeit werden nur wenige Tausend Exemplare von Googles Datenbrille an Software-EntwicklerInnen und an Zeitungs- und Fernseh-Redaktionen herausgegeben. Anfang 2014 wird Google-Glass in den USA der Masse zur Verfügung stehen. Die Markteinführung in Europa ist noch im gleichen Jahr angestrebt.

Der Zug ist längst abgefahren - Videoaufzeichnung ist doch nichts neues!

Wir wissen, dass es unzählige fest installierte Kameras im quasi-öffentlichen Raum gibt und uns zukünftig mobile Kameras in Form von Drohnen auch ausserhalb von Demos drohen. Wir wissen auch, dass täglich Millionen von Smartphones und Tablets zum Wild-indie- Menge-Fotografieren genutzt werden. Für uns kein einleuchtender Grund, uns nicht gegen weitere und vor allem sehr direkte Formen von Ton-, Bild- und Videoaufzeichnungen in Bahnen, Kneipen, Schulen, Unis, Bilbliotheken, Einkaufszentren, Sportstätten und auf der Strasse zu wehren.

Wir sind auch nicht damit zufrieden, wenn Google der kritischen Öffentlichkeit ein Lämpchen an der Brille zugestehen würde, dass bei Aufzeichnung leuchtet. Wir haben einfach keine Lust, als Aufzeichnungsgegenstand in Googles verknüpfungsreichem Datenbestand zu landen und jedem Technotrottel ungefragt Informationen zu unserer Identität offenzulegen. Letzteres ist tatsächlich eine „neue“ Qualität von Datenbrillen, die erst durch deren einfache und für die Umgebung nicht ersichtliche, permanente Erfassung von Personen im Visier des Bebrillten möglich wird. Schwer vorstellbar, dass uns eine Person mit gezückter Smartphone-Kamera über Minuten hinweg begleiten würde – mit der Brille kein Problem.

Wer trägt denn so was? – das sieht ja unglaublich blöd aus!

„Niemand, der einigermassen bei Trost ist, läuft mit diesem Ding durch die Gegend.“ (FAZ, Okt 2013). Noch sieht es so aus, als würden nur Vollidioten oder technophile Nerds eine solche Brille kaufen wollen. Doch wir wären naiv zu glauben, das gelte auch Ende 2014 noch.

Die Sogwirkung trendiger und mit der Zeit auch erschwinglicher Kommunikationshardware sollte nach den Erfahrungen mit Smartphones und Tablets nicht gering geschätzt werden. Niemand hat sich vor kurzem vorstellen können, dass sich Menschen freiwillig die derzeit neueste Generation Smartphones kaufen, deren Sensoren (zur Sprach- Blick- und Gestensteuerung) nicht mehr abschaltbar sind. Und niemand hat sich vor einigen Jahren vorstellen können, dass sich Leute riesige Tablets zum Telefonieren an den Kopf legen – auch das sah zu blöd aus. Und dennoch gehört es heute zum „normalen“ Alltagsbild.

Die Funktionsweise von Google-Glass

Die Brille kann alles, was ein Smartphone prinzipiell auch kann, sie ist nur kein Smartphone, sondern eine Brille. Per „Wisch“ am Brillenbügel, per Sprachbefehl oder per Augensensor lassen sich Ton und Video-aufnahmen mit der Datenbrille starten. Mit der richtigen App (einem ladbaren Programm für die Brille) reicht ein Augenzwinkern um die Fotofunktion auszulösen. Die Brille kann dann Informationen aus dem Internet zum Erblickten einblenden. Übertragen werden aufgezeichnete Daten an die cloud, also an Festplattenfarmen in Googles Rechenzentren – Auswertung der Daten durch Google inklusive!

Die Menschen nicht zu sehr verunsichern

Google beteuert, derzeit keine Gesichtserkennungssoftware für Google-Glass anbieten zu wollen. „Die Google-Unternehmenspolitik bei vielen Dingen ist es, bis genau an die Grenze zu gehen, wo es den Leuten unheimlich wird, aber nicht darüber hinaus“, so Eric Schmidt -Vorstandsvorsitzender von Google. Auf Nachfrage erklärt Google, die Entwicklung solcher Software durch Drittanbieter für das offene Android Betriebssystem nicht verhindern zu können. Und so ist diese strittige Software bereits verfügbar – Personen im Visier des Google-Bebrillten können direkt im Netz „gegoogelt“ werden. Die Strategie der Akzeptanzbeschaffung für Googles Datenbrille in Europa ähnelt der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte, deren Funktionalität schrittweise ausgebaut wird.

Während der Computerchip zu deren Einführung nicht viel mehr als die auf der Karte aufgedruckten Daten speichert, folgen nach und nach immer mehr sensible Daten bis hin zur vollständigen elektronischen Krankenakte. Für die langfristige Perspektive verweist Schmidt selbstbewusst auf die Kraft des Faktischen: Der Bürger müsse als Konsequenz einer zunehmenden Verbreitung von Datenbrillen zu einer „neuen sozialen Etikette“ finden. Zu eben dieser Findung wollen wir mit unserer kleinen Kampagne beitragen.

Mehr als „nur“ Überwachung

Bei vielen herrscht die Annahme vor, die digitale Totalerfassung sei in erster Linie repressiv motiviert. Tatsächlich jedoch treffen sich hier das Überwachungsinteresse der Schnüffelbehörden und unabhängig von ihm existierende ökonomische Interessen.

Denn für die Mehrwertproduktion gewinnt die Zirkulationssphäre immer stärker an Bedeutung. Ein immer schnellerer und umfassenderer Informationsfluss, eine genauere Vorhersagbarkeit von Bedürfnissen und Absatzmöglichkeiten sorgen für eine beschleunigte Wertschöpfung. Genau das ist das Kapital von Unternehmen wie facebook und Google, deren Algorithmen aus einer Vielzahl individueller Alltagsdaten nicht nur treffende Prognosen über unser zukünftiges Verhalten errechnen, sondern sich uns dabei als persönlicher, smart manipulativer Lebensbegleiter andienen. Sich der kapitalistischen Erfassung und Verwertung aller Lebensregungen zu verweigern, ist damit ein „Störfaktor“, der über den reinen Überwachungscharakter der Datensammelei hinausreicht.

Autokameras filmen Tag und Nacht

Seit einigen Monaten gibt es sie auch in deutschen Elektronikmärkten. Sogenannte dash-cams - kleine und sehr billige Autokameras zur Daueraufzeichnung, die hinter der Windschutzscheibe im Auto angebracht werden, um das Verkehrsgeschehen während der Fahrt bzw. die Umgebung des abgestellten Fahrzeugs aufzuzeichnen. Per Infrarotkamera auch nachts! Wenn die Speicherkarte voll ist, wird sie wieder von vorne beschrieben.

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