Digitale Commons Wirtschaftskrieg um Werke der Kultur, Wissenschaft, Software und Bildung

Digital

19. Juli 2015

Digitale Commons – da denken viele an eine Parallel-Realität im Zeichen der “Kostenlos-Kultur”. Doch Philosoph, Theatermacher und Berliner Gazette-Autor Tomislav Medak zeigt: Hier toben knallharte ökonomische Machtkämpfe im Hintergrund. Ein Essay.

Digitale Commons: Wirtschaftskrieg um Werke der Wissenschaft.
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Digitale Commons: Wirtschaftskrieg um Werke der Wissenschaft. Foto: Dom Crossley (CC BY 2.0 cropped)

19. Juli 2015
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Digitale Commons sind Werke der Kultur, der Wissenschaft, der Software und der Bildung, die nicht durch urheberrechtliche Besitzansprüche beschränkt sind: entweder weil sie nicht unter den urheberrechtlichen Schutz fallen, weil der Zeitraum des Schutzes abgelaufen ist oder ihre Schöpfer sie freiwillig ohne Lizenzgebühren für das Teilen unddie gemeinschaftliche Produktion von Gleichberechtigten zugänglich gemacht haben. Da in den letzten dreissig Jahren Urheberrechte und andere geistige Eigentumsrechte zunehmend ausgeweitet worden sind, befinden sich digitale Commons ständig in Gefahr in Zukunft wieder eingehegt zu werden.

Die Debatte über digitale Commons kreist um die Widersprüche bei der Anwendung von Urheberrechten und Rechten des geistigen Eigentums. Daher berührt sie oft drei andere in hohem Masse umstrittene Debatten. Erstens, die Debatte über die Objekte der materiellen Welt, die durch die Technologieentwicklung unter das Regime des geistigen Eigentums in Form von Patenten gefallen sind. Zweitens die Debatte um Telekommunikationsstrukturen: die Regulierung des Marktmonopols und das öffentliche Recht auf Zugang zu ihnen. Drittens – das ist wahrscheinlich die Debatte, die am verbreitetsten ist –, die Debatte über illegale Kopien und die Verbreitung von urheberrechtlich geschützten Werken, die als Raubkopie oder Piraterie gebrandmarkt wird.

Das Monopol auf die Ausbeutung von geistigen Werken, Medikamenten und der Telekommunikationsinfrastruktur, das durch die geistigen Eigentumsrechte möglich gemacht wird, bildet die Basis der Profite der modernen kapitalistischen Grossunternehmen. Telekommunikations-, Software-, Medien- und Pharmaunternehmen sind an der Spitze der grössten Unternehmen weltweit. Das Infragestellen dieser Monopolansprüche rüttelt an den wichtigsten Pfeilern des modernen kapitalistischen Systems. Jeder Versuch darüber nachzudenken, wie dieser moderne Kapitalismus ersetzt werden könnte, muss das berücksichtigen.

Ausserdem gilt, dass die rechtlichen Praxen der Commons-Produktion und die rechtswidrigen Praxen des illegalen Teilens unmittelbare gesellschaftlich und entwicklungspolitisch ausgleichende Effekte haben und deshalb einen Rückzugsort innerhalb des real existierenden Kapitalismus bieten. Diese Problematik hat daher fundamentale Auswirkungen darauf, wie wir uns eine anti-kapitalistische Strategie und alltägliche Autonomie vorstellen.

Einhegung der Commons

Bevor wir ausführlicher über die digitalen Commons sprechen, noch drei Anmerkungen, die Licht auf die Diskussion über digitale Commons aus der Perspektive der technologischen Entwicklung und Einhegung werfen.

Erstens: Wenn wir über digitale Commons und ihre Einhegung aus einer historischen Perspektive diskutieren, können wir die materiellen Ressourcen nicht ausser Acht lassen. Allein schon deshalb, weil die Einhegungen von digitalen Commons in den letzten Jahren Hand in Hand gingen mit Einhegungen einiger fundamentaler materieller Ressourcen der Existenzsicherung wie Gesundheitswesen, Lebensmittelproduktion, Umwelttechnologie. Das sind alles Bereiche, in denen Fortschritte der digitalen Technologien neue Einhegungen möglich gemacht haben. Zum Beispiel die Computertechnik, die in der Genomanalyse oder in der Bioinformatik eingesetzt wird.

Die digitalen Technologien haben auf der einen Seite die Bedingungen für neue Formen der intellektuellen Produktion und Erzeugung von materiellen Ressourcen geschaffen. Auf der anderen Seite aber haben sie den Weg geebnet für ihre Kommodifikation und für einen erhöhten Grad von Kontrolle mittels Immaterialgüterrechten. In den späten 1990er Jahren wurde eine Offensive gestartet, angestossen durch den Zuwachs von Tauschbörsen-Netzwerken im Internet und dem Druck die Urheberrechte in der digitalen Welt zu kontrollieren.

Dieses kam gelegen als Vorwand den Schutz über physische Ressourcen wie Medikamente oder Saatgut auch zu erhöhen. Hier wurden zum damaligen Zeitpunkt Patente genutzt, um zum Beispiel Subsistenzlandwirtschaft in industrielle landwirtschaftliche Produktion für globale Märkte umzuwandeln oder traditionelle Heilpflanzen zu pharmazeutischen Produkten zu machen, die dann wieder für die indigenen Gemeinschaften vermarktet wurden.

Diese sich überlappenden Konflikte um materielle und immaterielle Ressourcen führten dazu, dass sich Bewegungen formten, um diese globale Offensive zurückzudrängen. Initiativen rund um freie Software, Open Access für das wissenschaftliche Publizieren, Zugang zu Wissen (access2knowledge), Zugang zu medizinischer Versorgung (access2medicine) und Open Science.

Freie Software und MOOCs

Zweitens: Der Aufstieg der digitalen Technologien hat in vielerlei Hinsicht emanzipative Auswirkungen. Doch er hat den technischen Fortschritt in der Produktivität bedingt, der für die Disruptionen verantwortlich ist, welche die Gesellschaft und den Arbeitsmarkt grundsätzlich verändert haben.

Das geschieht erstens durch die Integration, Optimierung und Standardisierung der Produktion, die zu erhöhter Produktivität und Wettbewerb zwischen den kapitalistischen Unternehmen führt. Zweitens durch den unterstützenden Effekt, die sie auf die Schaffung und das exponentielle Wachstum neuer finanzieller Instrumente und Märkte hatten. Drittens durch die Automatisierung und Substituierung von Arbeitern durch Maschinen. Einige dieser Widersprüche zwischen den emanzipativen und disruptiven Eigenschaften von Technologien – und implizit von digitalen Commons – werden gegenwärtig sichtbar in der Debatte um MOOCs, die sogenannten „massive open online courses“, wo der freie Zugang zu Bildung in die Hände der Universitätsverwaltungen spielt, die versuchen die Anzahl und Qualifikation der Fakultätsbeschäftigten zu senken, um Geld zu sparen.

Drittens gibt es neuere Entwicklungen in der Debatte über freie Software insofern, dass sich die Datenverarbeitung (wohl Software als auch Hardware) immer in Richtung Virtualisierung und Cloud Computing bewegt. Dadurch wird Software von einer Ware zu einer Dienstleistung, wo die Technologie hinter der Dienstleistung ausserhalb der Kontrolle und des Zugangs der Nutzer bleibt. Während die Dienstleistung kostenlos sein kann, ist die eigentliche wirtschaftliche Macht und Kontrolle in der Infrastruktur versammelt. Sie besteht darin, dass die Anbieter die grossen Datenzentren und Datenmengen, die gespeichert werden, kontrollieren und diese nutzergenerierten Daten verarbeiten und das Nutzerverhalten als Waren an Werbetreibende verkaufen können. Der Kampf um Daten und nicht um Software wird in dieser Debatte immer wichtiger. Aber wenden wir uns nun den digitalen Commons zu.

Post-kapitalistische Form der Produktion

Die Debatte um die ökonomischen Aspekte der digitalen Commons, insbesondere der freien Software, wird von zwei sehr unterschiedlichen Argumenten dominiert: Das erste Argument kam sehr früh in der Geschichte der freien Software auf. Es erkennt den innovativen Charakter der gemeinschaftlichen Produktion bei freier Software an und schreibt ihr als post-kapitalistischer Form der Produktion ein revolutionäres Potential zu. Dieses Argument wurde zuerst in den späten 1990er Jahren innerhalb derOekonux-Forschungsgruppe in Deutschland theoretisch ausgeführt (zuallererst von Stefan Merten, Stefan Meretz und André Gorz), aber diese Sicht der Dinge hält sich vor allem im Kulturbereich immer noch.

Ihre Vertreter verstehen in ihrer Analyse freie Software als Selbstverwirklichung ihrer Schöpfer, als nicht-warenförmig und im Überfluss vorhanden, und als Keim einer neuen Form von kooperativer Produktion, die irgendwann zu einer postkapitalistischen „GNU-GPL-Gesellschaft“ führen würde. Dieses Argument wurde von Sabine Nuss und Michael Heinrich früh widerlegt, in einem Vortrag, den sie 2001 ebenfalls im Oekonux-Kontext hielten, wo sie argumentierten, dass freie Software die kapitalistische Wertschöpfung nicht zerstöre, dass sie problemlos von kapitalistischen Unternehmen als kostenlose Vorleistung verwendet werden könne, dass sie nicht den Lebensunterhalt ausserhalb der kapitalistischen Produktionsweise für ihre Urheber sichern könne, und dass sie letztendlich auch dazu dienen könne, die kapitalistische Produktionsweise zu verbreiten und zu modernisieren.

Aber vor allem das zweite Argument, das einige Jahre später auftauchte, bestimmt die Debatte bis heute. Es reflektiert die sich verändernden Bedingungen der Debatte, die dadurch entstanden sind, dass freie Software inzwischen von Unternehmen auf breiter Basis angenommen wurde, aber auch durch den Aufstieg anderer Formen der besitzlosen gemeinschaftlichen Produktion, wie Wikipedia oder Open-Access-Veröffentlichungen in der Wissenschaft. Es wurde 2002 vonYochai Benkler in seinem AufsatzCoase's Penguin, or, Linux and The Nature of the Firm niedergeschrieben.

Organisationsmodelle der ökonomischen Produktion

Darin legt er dar, dass freie Software ein Modell der „commons-based peer production“, der auf Commons basierenden Produktion unter Gleichgesinnten, ist, ein drittes organisatorisches Modell neben dem der Firma und dem des Markt. Benkler bezieht sich hier auf Ronald Coases Analyse in dem Text „The Nature of the Firm“ von 1937, in dem Coase zwei fundamentale Organisationsmodelle der ökonomischen Produktion im Kapitalismus identifiziert – den Markt und das Unternehmen – und die ökonomische Rationalität der hierarchischen und relativ statischen Organisationsform, die Unternehmen so vorherrschend machen – etwas, was viele Wirtschaftswissenschaftler vor ihm verblüfft hat.

Laut Coase setzen sich Unternehmen durch, weil sie niedrigere Transaktionskosten haben. Das sind die Kosten, die bei der Suche und vertraglichen Bindung von Fähigkeiten und Ressourcen entstehen, die notwendig sind, um komplexe Produkte zu erzeugen. Benkler argumentiert, dass die commons-based peer production als drittes, aufkommendes Organisationsmodell bei der Produktion von Informationen zwei hervorstechende Eigenschaften aufweist: Sie reduziert wie ein Unternehmen Transaktionskosten und ist zugleich nicht-hierarchisch wie der Markt. Und noch dazu kommt sie ohne den Ausschluss von Eigentum und ohne die Trennung der Produzenten von den Produktionsmitteln aus.

In den Bereichen der Produktion, wo Input und Output aus Informationen besteht und wo die immaterielle Natur des Produktes es nicht-rival und nicht-ausschliessbar macht, ist die commons-based peer production sowohl dem Unternehmen als auch dem Markt überlegen. „Sie hat besondere Vorteile, wo es darum geht, einen Informationsprozess zu schaffen, der menschliche Kreativität, die zur Verfügung steht, um Informationen und kulturelle Ressourcen zu bearbeiten, identifizieren und verteilen kann. Sie ist davon abhängig, dass es grosse Ansammlungen von Individuen gibt, die unabhängig ihre Informationsumgebung nach Gelegenheiten absuchen, um in kleinen oder grossen Schritten kreativ zu sein.“

Indem er auf der Ebene der institutionellen Mikroökonomie arbeitet, bietet Benklers Analyse eine bessere Darstellung des eigentlichen wirtschaftlichen Potentials hinter freier Software als die utopistische Darstellung der Oekonux-Gruppe. Heute würde eine Analyse wohl zeigen, dass eine Weile lang das Entwicklungsmodell für freie Software aus einer Mischung bestand von Peer-Produzenten, Unternehmens- und Freiberufler-Kompetenzen, die am Markt gefunden wurden. Zunehmend aber trugen grosse Unternehmen zum Code bei, da sie GNU/Linux benutzten, um ihre verteilte Recheninfrastruktur zu betreiben.

Aber ungeachtet dessen: Wenn die Debatte um die politische Ökonomie der digitalen Commons allein mit diesen Begrifflichkeiten formuliert wird, wenn die makroökonomische Ebene und die Bedingungen der kapitalistischen Produktionsweise ignoriert werden, verurteilt diese Betrachtungsweise das Verständnis von freier Software und digitalen Commons zum Katechismus der neoklassischen Wirtschaftslehre, den Transaktionskosten und Preissignalen.

Es sollte keine Überraschung darstellen, dass ein Erkenntnisbereich, der sich mit Information beschäftigt, das Objekt der Erkenntnis – Informationsökonomie – mit einer dominanten Strömung in der Wirtschaftswissenschaft verbindet und es darauf reduziert. Ein solcher Fokus hat dazu geführt, dass die Argumente, die unkritisch Benklers Analyse unterstützt haben, die Prämissen der Informationsökonomie als erwiesen annahmen – einschliesslich ihrer Nichtbeachtung in Bezug auf die Grenzen des Wachstums und der Verfügbarkeit von Ressourcen. Das hat umgekehrt zu einem blinden Fleck geführt, bei dem die Debatte die Frage der Kosten der Reproduktion von Arbeit, die in die Produktion der Commons einfliesst, ignoriert hat.

Allerdings ist diese Theorie und ihr mikroökonomischer Ansatz nicht so dominant geworden, weil sie so aussagekräftig ist. Das liegt eher daran, weil sie gut zu den Anstrengungen in den Teilen der Open-Source-Community passt, die marktorientiert ist und offen dafür, freie Software profitorientiert zu erstellen. Dieser ideologische Shift in der Open-Source-Community reflektiert jedoch die tatsächliche Unfähigkeit der Open-Source-Philosophie, das Problem zu artikulieren und zu adressieren, wie die Arbeit aufrechterhalten werden kann, die in die gemeinschaftliche, eigentumslose Produktionsweise einfliesst, für die sie steht.

Tomislav Medak
berlinergazette.de

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