Klassiker, und solche, die es werden sollten (Teil 10) Allein unter Juden. Eine Entdeckungsreise durch Israel

Sachliteratur

7. September 2016

Von autobiografischen Notizen italienischer Partisanen über literarische Arbeiten zur Arbeiterbewegung bis hin zu Gedichten aus dem Klassenkampf: In der Reihe "Klassiker und solche, die es werden sollten" werden in unregelmässigen Abständen Bücher vorgestellt, die in keiner Bibliothek fehlen sollten - aber auch solche, die bereits in vielen stehen und besser anderen Platz machen sollten.

Ultraorthodoxes jüdisches Paar am Sabbat in Jerusalem.
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Ultraorthodoxes jüdisches Paar am Sabbat in Jerusalem. Foto: David Shankbone (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

7. September 2016
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Korrektur
Ende 2012 erschien Tuvia Tenenboms Reisebericht «Allein unter Deutschen», welcher monatelang auf der Bestsellerliste stand. Nun erscheint mit «Allein unter Juden» der Reisebericht des Wahlamerikaners durch Israel, jenes Land, dass dieser vor mehr als 30 Jahren verlassen hat. Ein besonderes Anliegen ist es ihm hierbei, über das zu berichten, „was ich sehe, nicht über das, was mir lieb wäre“ (14). Dabei begegnet ihm vor allem, was ihm nicht lieb ist, und er berichtet ausführlich auf den 470 Seiten des Buches davon: Antisemitismus von Seiten der Araber, der Drusen, der Deutschen und nicht zuletzt: der Juden. Ein Thema, wie es klassischer Wohl nicht geht in der deutschen Linken.

Dabei verfährt das Buch nach derselben Methode, die von den Linken, die Tenenbom so wenig mag, selbst praktiziert wird: Wo die Linke Rassisten nicht kritisieren kann[1], sondern nur als solche Verurteilen, entdeckt Tenenbom Antisemiten, ohne den Fehler des Antisemitismus zu benennen. Das ist verhängnisvoll, setzt es doch bei den Lesern des Buches bereits die schlechte Meinung über Antisemiten voraus um sich für deren Identifizierung den Applaus zu holen. Wer sich allerdings andersherum mit der Sache der palästinensischen Nationalisten identifiziert wird in diesem Buch nicht kritisiert, sondern denunziert. Material dieser Art findet sich im ganzen Buch:

„Ich lerne ein sehr nettes Paar kennen, beide sehr bekannt, hochgebildet, hochintellektuell, exemplarische Selbsthasser, optimale Araberfreunde, und sie berühren mich zutiefst […]. Vor vielen Jahren wurde die Frau des Paares von einer Gruppe arabischer Jugendlicher vergewaltigt […] Jahre später wurde ihre Enkeltochter von einem alten arabischen Freund sexuell missbraucht. Diese […] Geschichten bilden die Summe ihrer persönlichen Erfahrungen mit Palästinensern. Und doch lassen sie diese Vorfälle nicht so an sich herankommen, dass sie von ihnen betroffen wären“ (318)

Nicht nur, dass sich Tenenbom hier einen Widerspruch leistet: Immerhin können diese zwei (im Buch sind es drei) Geschichten nicht die ganzen Erfahrungen mit Arabern sein, immerhin war der Vergewaltiger ja angeblich ein „alter Freund“ der Familie – um ein solcher zu werden, muss es wohl auch ein paar nettere Geschichten zumindest mit diesem Araber geben. Was er sagen will: Es sind die drei Erfahrungen auf die es ihm ankommt: Schlechte. Und die hätten das Ehepaar doch allemal von ihrer Araberfreundschaft heilen sollen – was natürlich nicht der Fall war, wieso Tenenbom ihnen attestiert, Dummköpfe zu sein, was diese auch noch über sich selbst bestätigen (319).

Dass Tenenbom allerdings solche Vertreter der palästinensischen Sache findet, die sich gleich selbst der Dummheit bezichtigen, ist zwar – wie das ganze Buch – sehr unterhaltsam, aber taugt nicht zur Kritik: Wieso sollte auch die Erfahrung einer Vergewaltigung durch Araber das Ehepaar von der Idee des palästinensischen Staates abbringen? Weil sich in der Vergewaltigung durch die Araber ihr „Volkscharakter“ gezeigt hat? Oder weil „Muslime“ da ihr wirkliches Gesicht zeigen? Man weiss es nicht, weil Tenenbom auch hier nicht argumentiert, sondern diffamiert.

Dabei entdeckt er immer wieder Widersprüche, die linke Aktivisten in Israel betreiben, so z.B. bei einer antiisrealischen Demonstration an welcher er Teilnimmt: „Zur Rechten halten linke Weisse genau in dem Moment gross Spruchbänder gegen jüdischen Rassismus hoch, in dem der Imam saftige rassistische Köstlichkeiten auf Arabisch herausschreit“ (447). Seine Erklärung für diesen Widerspruch ist so tautologisch wie für ihn abschliessend: Sie kritisieren den jüdischen Rassismus und akzeptieren den Arabischen, weil sie Antisemiten und Araberfreunde sind…

Wer also an einigen Interessanten und skurrilen Fakten über Israel interessiert ist, kann zum Buch greifen. Eine Erklärung für das, was im Buch geschildert wird, liefert das Buch allerdings nicht – es begnügt sich damit, klar Position zu beziehen für Israel. Da diese Art der Parteilichkeit, die nicht für sich, sondern von sich aus argumentiert, immer ihre Freunde findet, wird das Buch sicher seine Leserschaft finden.

Berthold Beimler

Fussnoten:

[1] https://www.argudiss.de/node/74



Tuvia Tenenbom: Allein unter Juden. Eine Entdeckungsreise durch Israel. Suhrkamp Verlag Berlin 2016. 473 Seiten. ca. SFr. 18.00 ISBN: 978-3518465301