Queen of the Neighbourhood Collective (Hg.): Revolutionäre Frauen Sichtbar revolutionär

Sachliteratur

4. Februar 2021

Ein Buch, das Text und Bild ebenso wie Handeln und Denken vereint: Mit Stencils und Kurzbiografien von dreissig revolutionären Frauen können Strassenzüge und kollektive linke Wissensbestände in neuem Glanz leuchten.

Die schwarze Aktivistin Harriet Tubman, 1868.
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Die schwarze Aktivistin Harriet Tubman, 1868. Foto: Powelson, Benjamin F. (PD)

4. Februar 2021
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Brauchen Bewegungen Bilder, um sich ihrer selbst zu vergewissern? Die wohl bekannteste linke fotografische Darstellung dürfte das Bild des 1960 von Alberto Korda porträtierten Che Guevara sein. Dieses Foto, das zugleich Beharrlichkeit und Sanftmut ausstrahlt, unterscheidet sich etwa vom Bild der drei Konterfeis von Marx, Engels und Lenin, die alle drei in die gleiche Richtung blicken und so umwegslos und zielgerichtet erscheinen. Che ist in Bewegung und im Gegensatz zu Marx, Engels und Lenin geradezu stürmerisch und drängend.

Zusammen mit dem Blick Ches, bei dem nicht klar ist, ob er eher gefestigt oder träumerisch wirkt, und der Vermarktung des italienischen Verlegers Giangiacomo Feltrinelli wurde der Schnappschuss zum (Sinn-)Bild der antiautoritären Bewegung – zum Symbol des Widerstands der Achtundsechziger.

Revolutionärinnen im Che-Style?

Es gibt neben Che, Marx, Engels, Lenin noch andere ikonographische Synonyme für Rebellion: Malcolm X, Mao, Martin Luther King, vielleicht Gandhi. Es fällt auf, dass alle Männer sind. Gib es etwa (bis auf wenige Ausnahmen wie Rosa Luxemburg und Angela Davis) keine oder kaum weibliche revolutionäre Ikonen? In das kollektive Gedächtnis linker Geschichte sind vor allem Männer eingeschrieben. Das neuseeländische Queen of the Neighbourhood Collective versucht hier Abhilfe zu schaffen und brachte vor einiger Zeit zunächst ein Zine und anschliessend ein Buch mit Stencils von Revolutionärinnen bei PM Press heraus. Nun erschien das Buch in deutscher Sprache.

Es geht den Schriftstellerinnen, Forscherinnen, Redakteurinnen und Grafikdesignerinnen des Herausgeberinnenkollektivs nicht darum, auf den Zug des Che-Glamours zu springen, sondern ebendiesen zu entlarven, indem die typische Darstellung übertragen wird auf dreissig der bekanntesten Fotos von revolutionären Frauen der letzten 150 Jahre. In der Einleitung wird klargestellt, dass die ikonenhaft überzeichneten Darstellungen im Che-Style satirisch sind, schliesslich werde die tatsächliche Arbeit von der Gemeinschaft und den Menschen, die sich gegenseitig unterstützen, geleistet.

So sind Bilder von Revolutionär_innen nicht einfach Futter für die Kulturindustrie, sondern können Impulse und Kraft geben für die alltäglichen Kämpfe. Das Buch eignet sich zum einen hervorragend, um Strassen, Plätze und Häuser mit Schablone und Sprühdose zu verschönern – und zum anderen, um Wissen über linke Widerstände und Kämpfe zu erweitern, denn jedes Bild wird ergänzt durch eine zweiseitige Kurzbiografie der dargestellten Personen.

Beeindruckende Lebensläufe

Neben bekannteren Revolutionärinnen wie Rosa Luxemburg, Emma Goldman, Angela Davis und Louise Michel finden sich viele beeindruckende Biografien von Frauen, die zumindest mir teilweise unbekannt waren. Etwa Marie Equi, eine frauenbewegte Anarchistin aus den USA. Sie war zu Beginn des 20. Jahrhunderts in einer Ärzt_innen-Gruppe in Portland aktiv, die Schwangerschaftsabbrüche durchführte. Marie war auch Aktivistin der Arbeiter_innenbewegung und Mitglied der Industrial Workers of the World (IWW) und unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs Antimilitaristin.

Es werden viele antirassistische Aktivistinnen porträtiert, wie zum Beispiel Harriet Tubman. Die Schwarze Aktivistin engagierte sich im 19. Jahrhundert bei der Underground Railroad, einem Netzwerk, das Sklav_innen im Süden der USA bei der Befreiung half. Oder die Pädagogin und Aktivistin des American Indian Movement (AIM), Anna Mae Aquash.

Aufgewachsen in einem Mi'kmaq-Reservat in Kanada war ihre Schulzeit ausserhalb des Reservats durch rassistische Beleidigungen und anstössige Bemerkungen ruiniert worden. Als ihre Mutter sie und ihre Geschwister verliess, wurde sie Wanderarbeiterin und später Fabrikarbeiterin in Boston. Dort engagierte sie sich im Boston Indian Council und schloss sich später der AIM an. 1973 beteiligte sie sich an der 71-tägigen bewaffneten Besetzung von Wounded Knee, einer Ortschaft des Pine-Ridge-Reservats im US-Bundesstaat South Dakota, wo 1890 ein verheerendes Massaker der US-Army stattfand.

Nach ihrer aktiven Zeit beim AIM kehrte Anna Mae 1975 in das Pine-Ridge-Reservat zurück. Sie wurde im Herbst 1975 zweimal vom FBI verhaftet, da vermutet wurde, Anna Mae hätte Informationen über eine Schiesserei, bei der zwei FBI-Agenten und ein AIM-Mitglied getötet wurden. Anna Mae starb kurz darauf im Alter von 30 Jahren. Vor ihrem Tod war sie untergetaucht, da ihr das FBI gedroht habe, sie innerhalb von einem Jahr umzubringen, sollte sie nicht kooperieren. Zunächst kam eine unter FBI-Aufsicht durchgeführte Autopsie zu dem Ergebnis, Anna Mae sei durch Erfrieren gestorben. Eine durch Protest erzwungene zweite unabhängige Autopsie ergab, dass sie erschossen wurde. Von wem, wird wohl nie geklärt werden.

Lust auf Revolution

Viele der porträtierten Frauen starben keines natürlichen Todes, sondern wurden ermordet. Somit stellt Ondina Peteani eine der Ausnahmen dar. Sie war bereits als 17-Jährige antifaschistische Partisanin im Italien Mussolinis, wurde mehrmals verhaftet und später in die Konzentrationslager Auschwitz und Ravensbrück deportiert, wo sie während ihrer Zwangsarbeiten die Produktionen sabotierte. Im April 1945 gelang ihr während eines Zwangsmarsches die Flucht.

Sie engagierte sich, geprägt durch die physischen und psychischen Folgen ihrer Erfahrungen, als Mitglied der Kommunistischen Partei Italiens, Gewerkschafterin, Geburtshelferin sowie Aktivistin gegen Rassismus. Von ihr stammen die Worte: „Gegen jede Form von Rassismus, Unterdrückung und rassistische Übergriffe: Ob sozial, kulturell oder religiös! Hartnäckig; jetzt und für immer: Widerstand!“ (S. 68)

In „Revolutionäre Frauen“ sind keinesfalls nur Frauen porträtiert, die frei von Widersprüchen sind. Dennoch verbindet all die unterschiedlichen Biografien in dem Buch der Feminismus, wenn er auch in unterschiedlicher Form auftaucht. Das Buch versucht eine Brücke zwischen den verschiedenen Feminismen zu schlagen – „zwischen den behutsamen, simplen, grundlegenden revolutionären Vorstellungen von Grosszügigkeit, hin zu der hartnäckigen, gefährlichen, feurigen Forderung ‚Revolution jetzt!'“ (S. 16). Das gelingt hervorragend, genauso wie die zwei zentralen Motivationen für die Herausgeberinnen: „Erstens der tief verankerten patriarchalen Geschichte einen Tritt in die Eier zu verpassen und zweitens die Freude über starke Frauen zu verbreiten und Lust auf Revolution zu machen.“ (S. 16)

Sebastian Friedrich
kritisch-lesen.de

Queen of the Neighbourhood Collective (Hg.): Revolutionäre Frauen. Biografien und Stencils. Edition Assemblage, Münster 2011. 128 Seiten. ca. 17.00 SFr, ISBN 978-3-942885-05-8

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