Naomi Klein: Warum nur ein Green New Deal unseren Planeten retten kann Eine Zukunft mit dem Green New Deal?

Sachliteratur

17. Februar 2020

Sozialismus oder Barbarei – eine alte Frage, die sich angesichts der Klimakatastrophe mit neuer Dringlichkeit stellt.

Die kanadische Globalisierungskritikerin und politische Aktivistin Naomi Klein, Juni 2014.
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Die kanadische Globalisierungskritikerin und politische Aktivistin Naomi Klein, Juni 2014. Foto: drica veloso (CC BY-SA 2.0 cropped)

17. Februar 2020
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Naomi Klein beschreibt gleich zu Anfang ihrer jüngsten Essaysammlung, wie am 15. März 2019 ein Schulstreik in Neuseeland von der Polizei aus Sicherheitsgründen aufgelöst wird. Denn zeitgleich zum Klimastreik fand der rechtsradikale Anschlag in Christchurch statt. Der Attentäter bezeichnete sich selbst als Ökofaschist und behauptete, die „andauernde Einwanderung nach Europa“ sei ein „Umweltkrieg“ (S. 57). Christchurch ist für Klein der Vorbote einer kommenden Entwicklung: Die politische Rechte wird ihre Klimaleugnung nicht aufrechterhalten, ihre Anerkennung der Klimakatastrophe aber werde sich faschistisch äussern: „[R]eiche, mehrheitlich von Weissen bewohnte Länder [werden] unter Berufung auf ihre Identität als weisse Christen ihre Grenzen dicht machen und gegen sämtliche ‚Invasoren' in den Krieg ziehen“ (S. 59).

Noch ist dies nicht die ideologisch offen vertretene Linie, aber das „Othering“ im Bezug auf den Klimawandel findet bereits statt – insbesondere in Europa und Australien, die ihre Verantwortung für die auch durch den Klimawandel verursachte Migration und die Toten in den sie umgebenden Meeren leugnen und verdrängen. Klein zitiert Edward Said, der mit Othering das Phänomen der „Missachtung, Substanzialisierung, Entblössung (der Menschlichkeit) einer anderen Kultur, eines anderen Volkes oder einer geographischen Region“ (S. 175) meint. Es sind die Armen aus kolonial ausgebeuteten Ländern, die vom Klimawandel zuerst betroffen sind. Das aktuelle und das kommende Othering schliessen somit an historisch tradierte Formen des Rassismus und der globalen Ausbeutungsverhältnisse an.

Klimagerechtigkeit als strategische Notwendigkeit

Aus der Verwobenheit von Rassismus, Kolonialismus oder ganz grundsätzlich der Gerechtigkeit beim Klimaschutz folgt für Klein zwingend, dass eine intersektionale Perspektive der einzige Weg ist:

„Wir können nicht sagen: ‚Meine Krise ist drängender als deine' – Krieg übertrumpft Klima; Klima übertrumpft Klasse; Klasse übertrumpft Gender; Gender übertrumpft Ethnie. Dieses Spiel mit den Trümpfen, meine Freunde, führt am Ende zu einem wie Trump.“ (S. 218)

Für Klein gilt es, diese Verschränkungen immer wieder kenntlich zu machen. Fluchtpunkt aller in diesem Band gesammelten Aufsätze aus den vergangenen zehn Jahren ist die Verbindung von Kapitalismus und Klimakatastrophe sowie von sozialer Gerechtigkeit und Klimaschutz. Die Verbindung ist aber nicht bloss analytisch, sondern immer auch strategisch gedacht: Umweltschützer_innen allein werden eine notwendige Emissionsreduktion nicht erstreiten können, denn mit dieser Reduktion geht ein grundsätzlicher Wandel unserer Lebens- und Arbeitsweise einher. Und wenn

„Umweltschützer explizit oder implizit signalisieren: Unser Anliegen ist so wichtig und dringend, und da es alle und alles betrifft, sollte es auch grundsätzlich Vorrang haben. Was im Klartext heisst: Erst retten wir den Planeten, dann kümmern wir uns um Armut, Polizeigewalt, Diskriminierung und Rassismus[, dann ist dies] der beste Weg zu einer schwachen, begrenzten und homogenen Bewegung.“ (S. 201)

Die Blockade des öffentlichen Nahverkehrs in London an einem Bahnhof in einem Arbeiterbezirk durch manche Aktivist_innen von Extinction Rebellion drängt sich hier als aktuelles Beispiel auf. Denn gerade dort sind die Bewohner_innen auf den Nahverkehr angewiesen, um zu ihren schlecht bezahlten Arbeitsplätzen zu kommen. Für Klein gilt es, sie als Bündnispartner_innen zu gewinnen im Kampf für eine gerechtere Welt.

Für den grundsätzlichen Wandel, der zur Reduktion der Emissionen benötigt wird, braucht es eine grössere Koalition, die über die Frage der Gerechtigkeit „zusammengeschmiedet“ wird. Auch aus einer strategischen Perspektive begründet sie, warum die Gerechtigkeit für sie immer im Zentrum steht:

„Nicht etwa, weil das ‚politisch korrekt' wäre, sondern weil Gerechtigkeit hier und jetzt das Einzige ist, was Angehörige von Volksbewegungen jemals motiviert hat, sich mit Leib und Seele in den Kampf zu werfen. […] Es ist der Hunger nach Gerechtigkeit, das dringende, ganz konkrete Bedürfnis nach Gerechtigkeit, aus dem heraus solche Bewegungen entstehen.“ (S. 226f.)

Klein versucht seit langem, solche Koalitionen in der „Anglosphäre“ (USA, Kanada, Australien und Grossbritannien) zu schmieden, beispielsweise in Kanada mit dem Leap Manifesto, welches die Blaupause für die Green New Deals von Alexandria Ocasio-Cortez oder Jeremy Corbyn war. Alle diese Entwürfe sehen Emissionsreduzierung und Beschäftigungsprogramme insbesondere für die Arbeiter_innen der betroffenen Industrien vor. Es sollen gewerkschaftlich organisierte Jobs sein in Bereichen der Energieerzeugung, Verkehr aber auch Care-Work und Renaturisierung von Landstrichen. Klein geht es in dem Buch darum, für solche Koalitionen zu werben und darum, das analytische und strategische Verständnis hinter den programmatischen Vorschlägen klar zu machen.

Probleme des Green New Deal

Die konkrete Ausgestaltung und Finanzierung ihrer Pläne überlegt Klein im Epilog. Sie argumentiert für den Vorschlag von Ocasio-Cortez, mit der zusammen sie auch das Video „A message from the future“ veröffentlicht hat. Sie schlägt vor, „dass die USA das Vorhaben [des Green New Deal, Anm. L. A.] genauso finanzieren sollten wie bislang alle Notstandsmassnahmen: indem der Kongress einfach Mittel bewilligt, die vom Kreditgeber in letzter Instanz in Gestalt des Weltwährungsfonds abgesichert würden.“ (S. 320)

Im englischen Text steht hier übrigens „treasury“ – also die amerikanische Notenbank – statt Weltwährungsfonds. Das imperiale Privileg der Weltwährung soll hier nun zum guten Zweck genutzt werden, ohne die imperiale Ordnung dahinter anzugreifen. Dies ist leider keine einmalige Auslassung. Denn obwohl im Buch immer wieder die Verwobenheit von kolonialer Ausbeutung und Klimawandel betont wird, ist der Blick auf diesen Zusammenhang auffällig abwesend in der Beschreibung der konkreten Ausgestaltung des Green New Deal. Woher kommen die Rohstoffe, die für die Solarzellen, leistungsstarke Batterien, et cetera benötigt werden? Unter welchen Bedingungen werden diese produziert? Warum sind diese Rohstoffe überhaupt so günstig? Auf wessen Land werden die Aufforstungsprogramme stattfinden, wo werden die Biokraftstoffe angebaut und wer wird durch Staudammprojekte vertrieben werden?

Die globale Perspektive fehlt in der Beschreibung des Green New Deal bei Klein, wodurch die Gefahr besteht, dass dieser verspricht, alles zu ändern, während er eigentlich den Status quo erhalten wird. Leider diskutiert Klein diese Probleme nicht und vergibt damit die Chance, den Green New Deal als Richtungsforderung und Transformationsprogramm einer sozial-ökologischen Bewegung weiter zu diskutieren, für deren Zusammenkommen sie in ihrem rhetorisch und politisch ansonsten glänzendem Buch so überzeugend argumentiert hat.

Lutz Achenbach
kritisch-lesen.de

Naomi Klein: Warum nur ein Green New Deal unseren Planeten retten kann. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2019. 352 S., 31.00 SFr, ISBN 978-3-455-00693-3

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