Merlin Wolf: Alternative Ökonomie Kann das auch anders?

Sachliteratur

28. Januar 2020

Eine kurze Einführung in antikapitalistische Lebens- und Arbeitsmodelle.

Stillleben im Herbst mit aufgespanntem Regenschirm der Gartenregion Hannover hinter dem kik.-Projekthaus der Künstlerkooperative kik. kunst in kontakt in Hannover Herrenhausen.
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Stillleben im Herbst mit aufgespanntem Regenschirm der Gartenregion Hannover hinter dem kik.-Projekthaus der Künstlerkooperative kik. kunst in kontakt in Hannover Herrenhausen. Foto: Bernd Schwabe in Hannover (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

28. Januar 2020
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Alternativer Lifestyle ist schick. „Bio“, „Regio“, „Sharing“ oder „Fair“ sind Label, unter denen sich ein scheinbar alternatives, konsumkritisches Konsummodell entfaltet. Landkommunen, Mehrgenerationen- oder Projekthäuser erproben Formen des Zusammenlebens zum Teil schon seit Jahrzehnten jenseits vom Einfamilienhaus oder den „eigenen vier Wänden“. Tauschringe versuchen aus der Logik des Geldes zu brechen. Eine Übersicht über die gegenwärtigen Formen alternativer Ökonomie will Merlin Wolf mit seinem kleinen Band vorstellen.

Von der Vielfalt alternativer Modelle

Wolf thematisiert eine ungeheure Vielzahl an Projekten und umgesetzten Modellen aus den Bereichen Care, Wohnen, Arbeiten, Konsum und Kreislaufwirtschaft. Jedes Kapitel enthält einen kurzen geschichtlichen Rückblick, eine Beschreibung gegenwärtiger Initiativen und einen Ausblick auf mögliche künftige Entwicklungen. Wolf schafft es trotz der Kürze des Buches, die einzelnen Themen immer in einen gesellschaftlichen und historischen Kontext einzubetten und – zumindest in Ansätzen – aus emanzipatorischer Perspektive zu bewerten. So weist er auch auf – oft unter der verheissungsvoll-unkonkreten Selbstbezeichnung „alternativ“ laufende – esoterische, sektenähnliche oder rechte Gruppen hin wie zum Beispiel die Anastasiabewegung.

Die Fülle an genannten Projekten und die Kürze des Buches geraten aber gelegentlich in Widerspruch zueinander. Denn oft werden Projekte oder Initiativen wirklich nur genannt; eine genauere Beschreibung aber bleibt aus, und die Leser*innen sind zwei Zeilen weiter schon beim nächsten Projekt angelangt. Dies betrifft auch die Beurteilungen Wolfs, die manchmal im Allgemeinen bleiben, und beim Lesen etwas irritieren, so zum Beispiel beim Thema Genossenschaften:

„Nicht alle Genossenschaften fühlen sich alternativ an. So ist beispielsweise die grösste deutsche Lebensmittelhändlerin Edeka eine Genossenschaft und auch der chinesische Weltkonzern Huawei gehört genossenschaftsähnlich seinen chinesischen Mitarbeiter*innen“ (S. 40).

Es folgt der nächste Absatz mit dem nächsten Thema. Das bewirkt ein stellenweise etwas getrieben wirkendes Leseerlebnis. Einzelne Initiativen oder Konzepte, wie zum Beispiel das Mietshäusersyndikat oder die Commons werden jedoch etwas ausführlicher beschrieben. So entsteht beim Lesen ein vielfältiges Panorama der unterschiedlichen Projekte und Initiativen, die vom Anspruch auf eine alternative Wirtschafts- und Lebensform getragen werden.

Eine Stärke des Buches ist die durchgängige, wenn auch oft zu kurzgefasste Thematisierung des Zusammenhangs von Alternativwirtschaft und Kapitalismus. So wird deutlich, dass die mehr und mehr entstehenden Co-Workingspaces weniger neue Freiheitsräume schaffen als vielmehr Notlösungen für gering beziehungsweise prekär Beschäftigte und Selbstständige sind, die keinen eigenen Arbeitsplatz mehr haben. Ähnlich kritisch betrachtet er Start-ups, die sich perfekt in den Kapitalismus einfügen. Dass diese und andere „Innovationen“ keine Alternativen zu kapitalistischer Wirtschaft sind, sondern einfach neue Produktionsformen, macht er immer wieder deutlich. Was ist denn nun das „Alternative“?

Erst am Ende seiner Ausführungen kommt Wolf zu einer Einschätzung, wie die in seinem Buch vorgestellten Alternativprojekte zu bewerten sind:

„Alle Konzepte, die eine natürliche Wirtschaftsordnung versprechen, sind durch den Naturbezug per se antiemanzipatorisch. Gleiches gilt für Konzepte, die sich nur esoterisch erklären lassen oder auf rechten Ideologien basieren“ (S. 86).

Dem gegenüber stellt er Positivkriterien alternativer Ökonomien auf, die als Keimzelle einer antikapitalistischen Wirtschaft dienen könnten: rationale Begründbarkeit, klare Zielvorstellungen, Angepasstheit an lokale Bedingungen und „nicht autoritäre Problemlösungsmöglichkeiten“ und zuletzt die Darstellung der Vorteile gegenüber den herrschenden Modellen. Es wäre hilfreich gewesen, diese Frage am Beginn des Buches zu stellen und seine Vorstellung der Projekte stärker daran zu orientieren. Dafür hätten einige Themen weniger, dafür aber vor dem Hintergrund ihres emanzipatorischen Charakters intensiver diskutiert werden können.

Ratgeber oder Einführung?

„Alternative Ökonomie. Wohnen - Arbeit - Konsum“ erscheint wie ein Ratgeber zur ersten Orientierung für Menschen, die nach alternativen Lebensmodellen in Bezug auf Wohnen, Arbeiten oder Konsumieren suchen. Es kann aber auch als eine Einführung in die Thematik gesehen werden, die eine Bandbreite an aktiv umgesetzten Projekten, vor allem im deutschen Raum, vorstellt. Wer einen Einblick bekommen möchte, erhält ihn hier. Auf nur 90 Seiten beschreibt Wolf in Kurzform eine Vielfalt von Projekten, Initiativen, Kooperationen und Ideen, die den Anspruch haben, ein Leben jenseits von Kapitalismus und Ausbeutung zu ermöglichen, aber auch, welche Schwierigkeiten dabei zu erwarten sind.

Trotz der knappen Darstellung macht Merlin Wolf in seinem Ausblick Mut, sich kritisch auseinanderzusetzen und irgendwo zu beginnen. Die Lektüre lohnt sich vor allem für Einsteiger*innen, da sie einen Überblick über die Vielfalt an alternativen Entwürfen gibt und ausserdem einen eigenen Standpunkt dazu einnimmt. Wolf macht immer wieder darauf aufmerksam, wie wichtig es ist, die eigenen Ideen oder auch die, denen sich Personen anschliessen, zu hinterfragen, damit sie nicht ins Fanatische, Esoterische oder Rechte abrutschen.

Anne Herrmann
kritisch-lesen.de

Merlin Wolf: Alternative Ökonomie. Wohnen - Arbeit - Konsum. Unrast Verlag, Münster 2019. 92 Seiten, ca. 12.00 SFr. ISBN 978-3-89771-145-7

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