Vom Sozialstaat zur gespaltenen Gesellschaft Wirtschaft, die arm macht

Sachliteratur

9. März 2016

Der Autor beschreibt den Abbau des Sozialstaates in Deutschland und seine Folgen - eine gut zu lesende Entzauberung neoliberaler Mythen.

Hamburg, Blick auf den Hafen vom Ufer an der Fischauktionshalle.
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Hamburg, Blick auf den Hafen vom Ufer an der Fischauktionshalle. Foto: Konrad Lischka (CC BY-SA 4.0 cropped)

9. März 2016
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Eine globalisierungskritische deutsche Stimme: Horst Afheldt, Sozialwissenschaftler am Max-Planck-Institut, untersucht die Auswirkungen des Neoliberalismus speziell in der Bundesrepublik. Seine Ergebnisse sind ernüchternd! Seit den 1950er Jahre verläuft das Wirtschaftswachstum linear, mit abnehmenden jährlichen Wachstumsraten. Afheldt bringt die Zahlen des Statistischen Bundesamtes und belegt ausführlich wie die Steuerlast auf die abhängig Beschäftigten verlagert wurde. So zahlen Unternehmen in der BRD die niedrigste Umsatzsteuer ganz Europas.

Der Staat zieht sich zurück durch Privatisierungen, selbst der Jugendknast in Hamburg wird inzwischen von einer privaten Sicherheitsfirma überwacht. In Hessen betreibt ein ehemaliger Boxer Jugendhilfe nach dem KJHG im Auftrag des Jugendamtes, mit «Kollektivstrafen» und anderen pädagogisch höchst wertvollen Methoden. Haben wir also zu viel oder zu wenig Staat? Der Autor veranschaulicht dies an Hand der Gesetzgebung nach dem 11. September 2001, mit biometrischen Pässen und Einsatz der Bundeswehr im Inneren. Auf der anderen Seite werden die Menschen in Deutschland zu so substanziellen Dingen wie der EU-Verfassung, nicht einmal gefragt! Der Nachtwächterstaat für Reiche, ein wahrhafter Heroldscher Sonnenstaat für Arme.

Auswege gibt es genug, sind aber politisch nicht gewollt: Abbau der Subventionszahlungen etwa, direkte und indirekte, wie unnötige Infrastrukturmassnahmen. Der Hamburger Senat etwa baggert seit Jahrzehnten die Elbe immer tiefer aus. Mittlerweile ist man bei 15 Meter angelangt und damit knapp über dem Elbtunnel, von den ökologischen Schäden abgesehen.

Was bei diesen Diskussionen allerdings in den Hintergrund tritt, ist die Tatsache, das die Wirtschaft sich jedem beliebigen politisch vorgegebenen Rahmen anpasst und Nutzen daraus zieht: Nationaler Protektionismus oder globaler Welthandel, Hauptsache die Profite stimmen! Der Umstand, dass gerade die exportorientierten deutschen Firmen dies zu nutzen wissen, zeigen die Mannheimer Bauunternehmer Bilfinger & Berger. Sie bauen und betreiben zum Beispiel in Australien Gefängnisse, Produktion und Dienstleistung aus einer Hand. Deutschland ist also nicht in der Falle der Globalisierung, die nun der Reformen der sozialen Sicherungssysteme verlangen, wie es Politiker gerne formulieren. Das deutsche Kapital selbst, vor allem die grossen Kapitalgesellschaften, sind es die weltweit am meisten davon profitieren (Stichwort: Exportweltmeister).

Afheldt nimmt sich Kapitel für Kapitel die neuesten neoliberalen Worthülsen vor und beweist, das komplexe Zusammenhänge, Zahlen und Fakten nicht notwendigerweise langweilig und unverständlich klingen müssen. Ein wichtiges Buch, nicht nur für die Gewerkschaftsschulung.

Adi Quarti
kritisch-lesen.de

Horst Afheldt: Wirtschaft, die arm macht. Verlag Antje Kunstmann, München 2005. 256 Seiten. ca. 16.00 SFr. ISBN: 978-3-88897-385-7

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