Hermann L. Gremliza: Haupt- und Nebensätze Für sich Selbst und sein Publikum

Sachliteratur

15. September 2016

Es ist bereits im Titel angelegt: Haupt- und Nebensätze heisst der neue Sammelband von Hermann Gremliza, dem Herausgeber der linken Monatszeitschrift konkret.

«Integration? Ich bin so frei, von dieser Scheisskultur nichts wissen zu wollen. Deutschlands Werte gehen mir allesamt am Arsch vorbei.»
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«Integration? Ich bin so frei, von dieser Scheisskultur nichts wissen zu wollen. Deutschlands Werte gehen mir allesamt am Arsch vorbei.» Foto: / novofotoo (CC BY-NC 2.0 cropped)

15. September 2016
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Im Klappentext erfährt man über diesen: „Seit vierzig Jahren macht Hermann L. Gremliza alles nieder, was Menschen erniedrigt: Den Kapitalismus, das deutsche Vaterland, seine Antisemiten und Rassisten“. Was man im ganzen Buch dafür nicht erfährt, ist die Anspielung des Titels auf Maos Theorie von den Haupt- und Nebenwidersprüchen, dass also der Widerspruch zwischen Kapital- und Arbeit gar nicht immer der Zentrale in der Welt sei, sondern manchmal eben auch die chinesische Nation vorangebracht werden muss (eben auf Kosten der Arbeiterklasse), da gerade eben der Widerspruch zwischen Peripherie und imperialistischen Zentren der Entscheidende sei. Das und warum diese 'Erweiterung' des Marxismus um die 'Differenzierung' verschiedener epochemachender 'Widersprüche' den Spott von Gremliza auf sich zieht, wird allerdings all den Lesern unverständlich bleiben, die sich vom Buch antworten erhoffen.

So finden sich im Buch viele Stellen, die wohl als Polemiken vor allem von dem ihm seid eben diesen 'vierzig Jahren' folgendem Publikum geschätzt werden. Für seinen Standpunkt agitieren hält Gremliza nämlich scheinbar nicht mehr für Notwendig. In diesem aphoristischen Werke, dem offensichtlich Adorno und Benjamin Pate stehen, wird von einem Standpunkt tatsächlich „alles nieder“ gemacht was da einer als Beschädigung von sich und anderen begreift: "Integration? Ich bin so frei, von dieser Scheisskultur nichts wissen zu wollen. Deutschlands Werte gehen mir allesamt am Arsch vorbei, ich singe keine Hymne, folge keiner Flagge, werde einen Teufel tun, auf das Grundgesetz, diesen Waffenstillstandspakt im Klassenkampf (Rosa Luxemburg), einen Eid abzulegen, und wünschte mir, jeder Mensch, der hierher geflohen ist, seine Haut vor unseren Exportwaffen zu retten, wäre so frei, es zu halten wie ich" (146/147).

Was da allerdings den Gegner des GG freuen mag, weil er seine eigene Position wohl nur selten in einem Buch des Suhrkamp Verlages sieht, wird bei seinen Freunden nur Verwunderung auslösen: Warum das GG ein Waffenstillstandspakt im Klassenkampf sein soll, wird hier – wie alles – nicht erklärt, sondern behauptet. Nebenbei, stimmen tut es nicht: Ist ein Pakt nicht das Ergebnis einer Verhandlung von zwei Gegnern? Das GG ist ja ein Rechtskatalog der von einer dritten Seite, dem Staat, über die beiden Gegner verordnet wurde. Damit ist das GG vielmehr die Verkehrsform ihres Widerspruchs und kein Pakt zur Einstellung ihrer Kampfhandlungen - vor allem deshalb, weil zwar die Arbeiterklasse ihre Waffen gestreckt hat, aber der Klassenkampf von Oben ja tägliche Realität ist – was Gremliza selbst sehr gut weiss. Hier, wie an vielen Stellen im Buch, geht die Schärfe der Analyse zugunsten sprachlicher Virtuosität verloren. Man ist verlockt zu sagen: „Ihr wollt ja lieber dichten“...

Beileibe ist das kein Einzelbeispiel: „Die Welt muss leben, wie die Geschichte sie zugerichtet hat. Drehte man das Rad ihrer Geschichte zurück, spräche man jedem vertriebenen Volk das Recht auf Rückkehr zu – Böhmen den Sudetendeutschen, Manhattan den Indianern, Südamerika den Indios, Palästina den Aramäern, von den Kaschuben, den Hunnen, den Vandalen nicht zu reden -, ersäufte man die Menschheit in Blut“ (120). Als Argument für die Einrichtung der Welt soll da ausgerechnet sprechen, dass sie zu ändern eine gewaltvolle Angelegenheit sei – ganz so, als ob ihre Einrichtung nicht schon heute ebendiese Gewalt kennen würde, welche die Menschen zu Völkern macht, deren Regierungen um eben jene Landstriche kämpfen. Anstatt allerdings die reale Gewalt zu erklären, verdammt er lieber die erdachte und spricht aus, gegen was doch sein ganzes Büchlein gerichtet sein soll: „Die Welt muss leben, wie die Geschichte sie zugerichtet hat“.

Die Welt wird so leben wie sie zugerichtet wird. Für eine vernünftige Einrichtung der Welt tut das kleine Bändchen leider keinen Beitrag. Das heisst nicht, dass nicht so manches stimmt, was in launigen Aphorismen zu lesen ist. Allerdings kann sich wohl nur der Kommunist an solchen Sätzen erfreuen: „Wer der Versuchung nicht widersteht, dem Kapitalismus vorzurechnen, dass er die Krisen, unter denen er leidet, selbst nicht nur hervorruft, sondern durch die Dummheit seiner Akteure verschärft, hat schon als Arzt an seinem Krankenbett Platz genommen“ (21). Er hat Recht. Aber wer diese Behauptung aufstellt ohne ein Argument für sie zu benennen, zeigt nicht den Wahrheitsgehalt des Satzes auf, sondern setzt eine Leserschaft voraus, die wissend nickt oder sich empört: Agitieren wird dieser Band niemanden. Geschrieben ist er damit nur für sich selbst und sein Publikum.

Berthold Beimler

Hermann Gremliza: Haupt- und Nebensätze. Suhrkamp Verlag, Berlin 2016. 159 Seiten, ca. SFr 18.00, ISBN 978-3518127155