autonome a.f.r.i.k.a. gruppe: Handbuch der Kommunikationsguerilla Inhalte überwunden

Sachliteratur

28. November 2016

Mit witzigen bis aufsehenerregenden Aktionen kann es der Kommunikationsguerilla gelingen, wichtige Fragen zu stellen. Aber liefert sie auch Antworten?

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autonome a.f.r.i.k.a. gruppe: Handbuch der Kommunikationsguerilla. Foto: Marcin Wichary (CC BY 2.0 cropped)

28. November 2016
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Korrektur
Als 1867 der erste Band des „Kapitals“ erschien, war es Marx, Engels und anderen ein Anliegen, diese Schrift nicht dem gleichen Schicksal zu überlassen, wie es der „Kritik der Politischen Ökonomie“ wenige Jahre zuvor ergangen war: der Ignoranz durch die bürgerliche Öffentlichkeit. Also organisierten sie eine Reihe von gefakten Rezensionen, genauer Verrissen, unter falschem Namen in verschiedenen Presseerzeugnissen. Durch diese Präsenz wurde es für die Öffentlichkeit unmöglich, sich nicht auf das Buch zu beziehen.

Ein anderes Beispiel: Die britische Band Chumbawamba bezieht in ihren Texten klar Position: „Nothings ever burns down by itself, every fire needs a little bit of help – give the anarchist a cigarette!“(S. 63) Die musikalische Untermalung ihrer subversiven Texte ist jedoch, wie es anmuten könnte, kein Punk, Reggae oder Ska, sondern melodisch schwungvolle Popmusik – radiokompatibel und tatsächlich populär.

Und noch ein drittes: 1975 kursierte in der italienischen Presselandschaft eine Zeitschrift unter dem Pseudonym Censor mit dem Titel: „Wahrhaftiger Rapport über die letzten Möglichkeiten zur Rettung des italienischen Kapitalismus“. In der dort betriebenen Analyse wurde dem politischen Establishment Italiens angeraten, die kommunistische Partei PCI in die bürgerliche Politik einzubinden, um das potentiell revolutionäre Industrieproletariat in das politische System zu integrieren. In der anschliessenden Debatte wurden wilde Spekulationen über die Verfasser des Textes angestellt, die Thesen selbst jedoch sehr ernsthaft diskutiert. Ein halbes Jahr später gab sich der linksradikale Situationist Gianfranco Sanguinetti als Verfasser der Zeitschrift zu erkennen. Sein Ziel war es gewesen, auf das hin zu deuten, was sich schon abgezeichnet hatte und im Laufe der Jahre immer weiter bestätigte: Die Hegemoniebestrebung der PCI machte aus dieser eine konterrevolutionäre, nach bürgerlichen Prinzipien arbeitende Partei. So stand sie denn auch Ende der 1970er Jahre der links-militanten Bewegung als Gegnerin und nicht als Verbündete gegenüber.

Diese Beispiele sind nur eine kleine Auswahl von vielen, die im „Handbuch der Kommunikationsguerilla“ versammelt sind. Dieses „Handbuch“ stellt aber weniger Handlungsanleitungen zur Verfügung (obwohl die Beispiele schon ganz gute Ideen offerieren) als vielmehr eine Analyse dessen, was Kommunikationsguerilla bedeuten und erreichen kann, will, nicht will und nicht kann. Es liest sich wie ein Lexikon der Formen und Methoden der Kommunikationsguerilla und die Reflexion dieser als links und subversiv bezeichneten Praxis. Und um es vorweg zu nehmen: Es reibt auf!

Kampf um die Zeichen

Zentrale Begriffe der Kommunikationsguerilla sind natürlich Kommunikation und Öffentlichkeit. Kommunikation, so die leitende Annahme, ist die Praxis, in der sich gesellschaftliche Machtverhältnisse vollziehen, sie ist durchzogen von der Artikulation der herrschenden Ideen. Besser gesagt: der „Wahrheit“. Einer Wahrheit, die trotz schreiender Widersprüche so bestehen kann, weil sie nicht grundlegend hinterfragt wird. Zu selbstverständlich sind die Verhältnisse von Kapitalismus, Zwang und Ungerechtigkeit. Im kommunikativen Zusammenleben der Menschen ist der Kitt die so bezeichnete „Kulturelle Grammatik“, ein Apparat von Regeln und Konventionen, die Verhalten bestimmen, Umgangsformen prägen und Bedeutungen chiffrieren. Und der genau diese Regeln von Macht und Herrschaft, die historisch geworden sind, natürlich erscheinen lässt. Lesarten sind damit vorbestimmt, und solange diese Regeln befolgt werden, bleibt die Ordnung aufrecht erhalten.

Kommunikationsguerilla bewegt sich, so heisst es, auf der Ebene von Codes und Zeichen. Diese anzugreifen, umzudrehen, zu verfremden und zu dekonstruieren, das ist das erklärte Ziel der Aktionen. Sei es durch Aufkleber, Graffiti, Veränderung von Werbeplakaten, Performances, Störungen öffentlicher Veranstaltungen oder die Herausgabe einer falschen BILD-Zeitung: Akte, die die Normalität der Zeichen brechen, die kulturelle Grammatik verschieben, verstehen die Herausgeber*innen als subversiv. Die Idee ist, dass durch die Brüche Bedeutungsrahmen aufgebrochen und andere Bedeutungen ermöglicht werden. Wenn beispielsweise ein Aufkleber im Bundeswehr-Layout mit der Aussage wirbt: „Wir bilden zum Töten aus“, dann ist damit ein kritischer Kommentar zur Existenz der Armee geschaffen. Oder wenn die Partei wirbt mit dem Werbeslogan „Inhalte überwinden“, liest sich das als Kommentar zu Politikverdrossenheit und Oberflächlichkeit anderer etablierter Parteien. Das wäre zumindest die Lesart, wenn man dem Buch folgen möchte. Ziel ist es, die Legitimität der Macht in Frage zu stellen und Utopien überhaupt wieder denkbar zu machen – wenn auch nur sehr punktuell.

Im Grunde verfolgt Kommunikationsguerilla bei allen Techniken, die ihr zur Verfügung stehen, eines von zwei Prinzipien: Verfremdung oder Überidentifizierung. Ersteres findet sich beispielsweise im Überkleben einzelner Buchstaben auf Werbetafeln, die nur sehr subtil eine neue Aussage schaffen, sich aber direkt auf das Original beziehen. Aber auch das oben gewählte Beispiel, der Fake der Marx-Rezensionen, funktioniert nach diesem Prinzip. Überidentifizierung hingegen arbeitet konsequent mit den Mitteln der Angriffsziele, adaptiert deren Logik und spitzt sie zu (Chumbawamba und Sanguinetti). Wenn es gut läuft, ist mit solchen Aktionen eine bitterböse Kritik sehr gut platziert. Aber beides kann auch sehr problematische Folgen haben: Im Verwertungsgetöse des Kapitalismus können peppige Ideen schnell mal zu eigenen Werbezwecken genutzt werden, und plötzlich sind Aktionen der Kommunikationsguerilla ideenstiftend für Werbeagenturen.

Postmoderne Spielereien?

Was kann Kommunikationsguerilla nun im Sinne kritischer Gegenöffentlichkeit leisten? Hinsichtlich dieser Frage liest sich das Buch paradox. Einerseits werden die Möglichkeiten kritischer Interventionen in den Himmel gelobt. Kommunikationsguerilla könne, wenn sie gut verpackt sei, die Grenzen der Kommunikation aushebeln und Bedeutungen durcheinander schmeissen:

„Zu 'Guerilla' wird sie dann, wenn sie einer radikalen Kritik der Gesellschaft den Weg weist, wenn es ihr gelingt, sich den vielfältigen Vereinnahmungsstrategien immer wieder zu entziehen und an dem Ziel festzuhalten, die 'Ordnung der Dinge', den Horizont der bestehenden Wirklichkeit immer wieder zu überschreiten" (S. 174).

Gelänge dies, formulierten Akte der Kommunikationsguerilla eine grundlegende Kritik an den herrschenden Verhältnissen. Und hier ziehen die Verfasser*innen eine Grenze. Denn diese Praxis könne nicht mehr leisten, als Inhalte und Codes aufzubrechen und die festgeschriebenen Bedeutungen ihrer scheinbaren Alternativlosigkeit zu berauben. Neue Bedeutungen sollten aber keineswegs in die entstehende Lücke gegossen werden. Aus dem entstandenen Deutungsspielraum müssten die Rezipient*innen selbst, angeregt zum selbstständigen Denken, ihre Schlüsse ziehen. Hier täte eine Auseinandersetzung um die Emanzipiertheit der Zuschauer*innen gut.

Selbstverständlich sind diese selbst im Kapitalismus fähig, eigene Schlüsse zu ziehen und Inhalte zu reflektieren. Doch sind dem enge Grenzen gesetzt. Im Buch wird zwar eingeräumt, dass der Zuschauer sehr kontextabhängig (milieu- und klassenspezifisch) auf die Dinge schaut. Doch fehlt hier leider völlig der Bezug auf die Wirkmächtigkeit von Diskursen, die das Denken und Handeln der Menschen sehr im Sinne ihrer – nicht zuletzt auch ökonomischen – Interessen bestimmen. Schlimmer noch: Im Neoliberalismus sind Menschen dazu angehalten, sich „frei“ zu fühlen, „frei“ zu denken und Bedeutungen in einer grösstmöglichen Vielzahl zu generieren. Denn diese Ideen sind der Motor für Innovationen im Verwertungswettkampf. Spätestens hier zeigt sich, dass Sprache nicht der Schlüssel ist.

An die Stelle von aufgebrochenen Bedeutungen also „nichts“ zu setzen, im Vertrauen, der Zuschauende werde es mit der richtigen, der linken Kritik füllen, ist verheerend. Ein Beispiel: Grosse Effekte sprechen die Verfasser*innen auf Hauswänden gesprühten Tags, am besten ohne Aussage, zu. Diese stellten die Eigentumsfrage und seien ein Angriff auf das System. Jede Wette, dass die Eigentumsfrage im Allgemeinen nicht gestellt wird, sondern die Eigentumsaussage: Da hat jemand mein Haus beschmiert. Umverteilungsfragen als Reaktion: Schön wär's! Da mögen sich die Verfasser*innen des Buches noch so sehr gegen den Vorwurf der postmodernen Spielchen wehren. Beliebigkeit ist nicht das, was linke Positionen brauchen. Erstaunlich ist, dass der analytische Teil des Buches hier hinter einigen – nicht allen – ihrer angebrachten Beispiele zurück bleibt.

Unterdessen bekommt gerade die bedeutungsgenerierende Linke ihr Fett weg. Die „traditionelle“ Linke, die mit ihrer schnöden Theorie- und Textproduktion missionarisch auf die Gesellschaft einzuwirken versuche und sich immer wieder fragen müsse, warum ihr keiner zuhört. Immerhin wird mehrfach unterstrichen, dass Kommunikationsguerilla eine linke Gegenöffentlichkeit nicht ersetzt, höchstens ergänzt. Das Problem, dass die Linke ihr Publikum so schlecht erreicht, liegt sicherlich auch in der schweren Zugänglichkeit vieler Inhalte und dem Schmoren in der eigenen Suppe. Das aber zum Grund zu ernennen, warum die Linke so wenig Reichweite hat, ist leider eine Praxis grosser Zersetzungskraft: den Feind im eigenen Lager zu suchen. Derweil hat es dieser immer leichter.

Andrea Strübe
kritisch-lesen.de

autonome a.f.r.i.k.a. gruppe: Handbuch der Kommunikationsguerilla. 5. Auflage. Assoziation A, Berlin/Hamburg 2012. 248 Seiten, ca. 21.00 SFr. ISBN 978-3-86241-410-9