Nach dem gleichnamigen Buch Noam Chomskys am Beispiel Indonesiens Wirtschaft und Gewalt

Sachliteratur

29. November 2007

Bevor ich "Wirtschaft und Gewalt" von Noam Chomsky gelesen hatte, konnte ich die beiden Wörter Wirtschaft und Gewalt nur schlecht miteinander in Verbindung bringen.

Noam Chomsky in Toronto, Kanada.
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Noam Chomsky in Toronto, Kanada. Foto: Andrew Rusk (CC BY 2.0 cropped)

29. November 2007
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Ich sah und spürte die Gewalt nicht direkt und sehe sie immer noch nicht. Dies war jedoch kein Anlass, Wirtschaft als gewaltfrei zu bezeichnen. Mit der freien Marktwirtschaft geht zweifelsohne die psychologische Kriegsführung Hand in Hand. Die Konkurrenten sind "Feinde" und schenken einander nichts, und damit auch nicht ihren Angestellten. Darin sah ich die primäre Gewalt der Wirtschaft.

Dieser Eindruck war vielmehr eine Sache des Gefühls, aber nicht eine Sache der Informationen, obwohl diese vorhanden sind, sind sie aber aus dem grossen Zusammenhang herausgerissen. Anhand des Buches von Noam Chomsky gewinnt man einen Einblick in die Machenschaften der Politik, vor allem der nordamerikanischen, die im Zusammenhang mit der Wirtschaft stehen.

Indem Chomsky seine Betrachtung der Wirtschafts- und Machtpolitik in der Zeit des Kolonialismus beginnt und bis in unsere Zeit fortführt, erhält man ein ganzheitliches Bild der Wirtschaftspolitik der USA in diesem Jahrhundert. Das Buch ist eine gute Basis, um momentane Geschehnisse in der Politik besser verstehen und unter einem anderen Blickwinkel betrachten zu können.

Zum Beispiel die Geschehnisse zu Anfang März, als die Chinesen vor Taiwan militärische Manöver abhielten. Amerika empörte sich gegen diese Aggression und setzte zwei Flugzeugträger in Bewegung. Richtung Taiwan. Daraufhin liess China in einer Presseerklärung verlauten, Taiwan gehöre nicht zu dem Protektionsgebiet der USA. Verärgert über diese Aussage drohte Amerika weitere Wirtschaftssanktionen an.

An diesem Exempel möchte ich aufzeigen, dass sich die USA als Beschützer der "Freien Welt" verkaufen möchte und Aussagen wie diese, die den Nagel auf den Kopf treffen, mit grösstmöglicher Empörung entgegentritt und verneint, weil Amerika ähnliche Dinge auch schon durchgeführt hat, aber auch Beihilfe zu Massenmord und politische Morde sowie subversive Tätigkeiten zu seinem Repertoire gehört. Zu diesen Dingen, die sich in Südamerika, Indonesien, Mittelamerika, Kuba und sonstwo zugetragen haben, ist Chomskys Buch eine gute Quelle für Daten und Fakten. Hierzu noch ein ausgewähltes Beispiel um das vorhin Gesagte zu verdeutlichen.

Menschenrechte, Freiheit und Meinungsfreiheit

Die Ideale unserer westlichen Hemisphäre sind, wie man gelegentlich hört, Menschenrechte, Freiheit und Meinungsfreiheit. Wenn es um die Freiheit anderer geht, wird scheinbar alles getan, um diese wieder herzustellen, wie man am Beispiel Kuwait gut belegen kann. Offensichtlich ging es ja um das Öl der Kuwaitis. Gut für die Kuwaitis.

Dort aber wo Amerika keine direkten Interessen hat, schaut man erst gar nicht hin und unterstützt die Aggressoren wenn die Definition von Freiheit nicht mit der amerikanischen Freiheit übereinstimmen sollte. Dabei toleriert man auch Völkermord. Ohne ein Wort über Menschenrechte zu verlieren, welche doch ein solch edles Ideal darstellen, aber nur auf ihnen besteht, wenn man einen Nutzen davon hat.

Ein gutes Beispiel für solches Verhalten ist Indonesien. Nach dem zweiten Weltkrieg lag Westeuropa und Japan in Schutt und Asche. Nun ging es für die USA darum, ihre Position gegenüber der Sowjetunion zu stärken. Indonesien sollte als politische ökonomische Gegenmacht zum Kommunismus und als Basisregion für weiterreichende Operationen gewonnen werden. In der Zeit nach dem 2. Weltkrieg war Indonesien nach wie vor unter niederländischer Herrschaft und ultra-nationalistische Gesinnungen waren weit verbreitet. Nach Ansicht der Amerikaner verhinderten diese Strömungen die Einflussnahme auf Wirtschaft und Politik.

Deshalb drängten die USA die Niederlanden auf die Unabhängigkeit Indonesiens, wohlgemerkt unter der Vormundschaft der ehemaligen Kolonialmacht. Der erste Staatspräsident Indonesiens, Achmed Sukarno, war anfänglich ein Verbündeter der USA, das um so mehr, weil er mit Hilfe der Armee eine Landreformbewegung, die die vergesellschaftlichung des Agrarlands zum Ziel hatte und von einem Grossteil der Bevölkerung mitgetragen wurde, unterdrückte und auslöschte. Unter diese Repressionswelle fällt auch die Liquidierung eines grossteils der Führung der damals sehr populären kommunistischen PKI.

Für diese Tat erhielt Sukarno das Wohlwollen der Amerikaner. Sukarno versuchte ganz nach dem Wunsch der USA, die beiden massgeblichen Machtfaktoren Indonesiens, Armee und die PKI, auszubalancieren. Wobei die Armee im wesentlichen westlichen Zielvorstellungen folgte.

In den folgenden Jahren versuchte jedoch die CIA sich des lästigen Sukarnos zu entledigen. Er war für den Fakt mitverantwortlich, dass anti-amerikanische Extremisten immer noch frei herumliefen und entpuppte sich somit für die Vereinigten Saaten als untragbar. Zu den Methoden der Unterwanderung gehörten die Unterstützung von Rechtsparteien. 1957/58 beteiligten sich die USA an bewaffneten Aufständen, wozu auch möglicherweise Mordanschläge gehörten.

Lehrbeispiel Indonesien

Aber mit diesen Methoden der subversiven Kriegsführung hatten die Amerikaner kein Glück, denn die Erhebungen wurden alle niedergeschlagen. So versuchten die USA Sukarno zu stürzen, indem sie ein Militärhilfeprogramm lancierten und gleichzeitig die Wirtschaftshilfe verkleinert wurde. Noch bis Mitte der sechziger Jahren führten die Destabilisierungsversuche der USA in Indonesien nicht zum Erfolg. Gerade dieser Umstand beunruhigte Kräfte der CIA, die sich mit diesem "Problem" beschäftigten.

Ein hoher CIA Mitarbeiter gab zu bedenken, Indonesien könnte möglicherweise zum ersten Land in Südostasien werden, das von einer rechtmässig gewählten kommunistischen Regierung übernommen werden wird. Eine andere Stimme schrieb besorgt, dass den US-nahen Gruppierungen möglicherweise die Rücksichtslosigkeit fehlen könnte, die den Nazis erlaubte, erfolgreich die kommunistische Partei Deutschlands zu unterdrücken.

Doch der "Zufall" wollte es, dass 1965 sechs Generäle ermordet wurden. Öffentlich wurden die Attentate als kommunistischer Putschversuch gewertet, obwohl eine Beteiligung der PKI nicht erkennbar war. Nun übernahm der pro-amerikanische General Suharto, ermutigt durch amerikanische Waffenhilfe, die Macht. Er beginnt ein Massaker was mit der praktischen Vernichtung der PKI enden sollte und erntete dazu noch von der Botschaft und der Regierung der Vereinigten Staaten Beifall, die mit der Vorgehensweise der Armee insgesamt einverstanden waren. Zudem belohnte man das "gemässigte" Regime mit grosszügigen Bürgschaften für Reis, Baumwolle und Maschinen.

"Wahrscheinlich waren die Attentate eine geheime Aktion der CIA, um dem General ein "Grund" zu geben, gegen die PKI vorzugehen und andererseits um mögliche Widersacher Suhartos aus dem Weg zu räumen. Möglicherweise war es auch Suhartos Plan. Eine ähnliche Taktik verwendete Hitler, indem er eigene Leute einen deutschen Sender überfallen liess und danach behauptete es seien polnische Soldaten gewesen. So hatte Hitler sich seinen Kriegsgrund selber gezimmert, aufgrund dem er dann Polen überfiel".("Anmerkung des Autors")

Die Reaktionen der amerikanischen Medien waren wirklich verwunderlich. Die Machtübernahme durch Suharto wurde als Sieg der "gemässigten Kräfte" gefeiert. Ein Journalist der Zeitung U.S. News schrieb bespielsweise, dass die PKI, eine Partei mit drei Millionen Mitgliedern, durch ihren einzigen ernsthaften Rivalen, die Armee, beseitigt und der wahrhafte Volksheld Sukarno gestürzt wurde, könne gewissermassen als Triumph der Demokratie angesehen werden.

Die Grausamkeiten des Suharto-Regimes

Das Time Magazin verkündete erfreut, das neue Militärregime achte peinlich genau auf Verfassungstreue. Was mit Verfassungstreue gemeint ist, zeigen die Ereignisse 1975. Suharto und seine Getreuen überfielen die ehemalige Kolonie Osttimor und veranstalteten ein Blutbad, das Hitler alle Ehre gemacht hätte. Im Gegensatz zu diesem erhielt Suhartos Unternehmen entscheidende Unterstützung der Menschenrechtsregierung Präsident Carters und ihrer Verbündeten. Unterstrichen wird diese Tatsache durch die Aussagen eines gewissen Senator Monyhan. Er war UNO Botschafter, als die Indonesier Osttimor besetze, und rühmt sich in seinen Memoiren, jegliche internationale Reaktion auf den Angriff und auf das Massaker verhindert zu haben.

"Die Vereinigten Staaten wollten die Wendung der Dinge so, wie sie sich dann tatsächlich vollzog", schreibt er. "Und sie arbeiteten daran, dies zustande zu bringen. Das Aussenministerium verlangte, dass jegliche Massnahmen seitens der Vereinten Nationen sich als ganz und gar wirkungslos erweisen sollten. Diese Aufgabe wurde mir übertragen, und ich habe sie mit nicht unbeträchtlichem Erfolg ausgeführt." Man bedenke, dass innerhalb weniger Wochen mehr als 60'000 Menschen getötet wurden: welch ein Verdienst. Natürlich ging die Unterstützung und die Vertuschung Suhartos Massenmord einher mit wirtschaftlichen Interessen.

Wie könnte es anders sein. Vor der Küste Timors lagern reiche Vorkommen an Erdöl und Erdgas. Ein weiterer Grund bestand darin, den Indonesier weiter Waffen liefern zu können. 1978 erreichten dann die US-Waffenlieferungen gleichzeitig mit den erneuten Massakern den Höhepunkt. Nach 1980 ist Grossbritanien zum grössten Waffenlieferant Indonesiens avanciert.

Zu diesem Thema schreibt ein Historiker, Grossbritanien sei zu einem der wichtigsten Waffenlieferanten Indonesiens geworden und habe allein im Zeitraum von 1986 bis 1990 Ausrüstungen im Wert von damals ungefähr 630 Millionen Franken dorthin verkauft. Während dieser Periode unterzeichneten die indonesischen Eroberer mit Australien ein Abkommen über die Ausbeutung und Aufteilung Timors Reichtum.

Schon 1990 empfing Australien 31 Millionen Austrodollar für die Terrainerkundung einiger Ölgesellschaften. Trotz weiterer Menschenrechtsverletzungen seitens des Suharto-Regime unterzeichneten bis Mitte 1992 US-amerikanische, australische, britische, japanische, holländische und andere Ölkonsortien Verträge zu Ölbohrungen. Überdies einigten sich Grossbritannien und Indonesien über neue Waffenlieferungen.

Der Fall Osttimor

Unter anderem sollte British Aerospace und Rolls-Royce 40 Kampfflugzeuge vom Typus "Hawk" liefern. Sie sollten die 15 bereits im Dienst befindlichen Maschinen ergänzen, von denen einige im Kampf gegen die Timoresen eingesetzt worden waren. Zudem wurden Pläne bekannt, wonach Grossbritannien ein Kriegsschiff an Indonesien verkaufen solle.

Dass Timor ein Opfer eines aggressiven Staates geworden war, kümmerte die Grossmächte nicht. In der Zeit der Annexion war der Golfkrieg voll im Gange und die Medien berichteten weitgehend nur von den Vorgängen im Irak und die Informationen aus Timor blieben fast unbeachtet. Der Zeitpunkt des Überfalls war wirklich gut gewählt, da dadurch der Massenmord fast ganzheitlich vertuscht werden konnte. Also blieben eine weltweite Verurteilung und wirtschaftliche Sanktionen aus. Natürlich lag dieser Zustand der Informationsarmut und -verbreitung im Interesse derer Konzerne und Länder, die mit Indonesien Handel trieben, denn sie hätten einen massiven Imageverlust hinnehmen müssen. Was aber noch grössere Auswirkungen gehabt hätte, wäre ein Wirtschaftsembargo gewesen.

Die Konzerne hätten voraussichtliche Gewinne in Milliardenhöhe abschreiben müssen. Natürlich wurde der Vorwurf an die USA gemacht, sie hätten bei den Geschehnissen auf Timor weggeschaut und vermehrt Waffenlieferungen an Indonesien getätigt. Aber wie so oft gibt es Stimmen, die nicht wahrhaben wollen, dass ihr geliebter Staat, der vordergründig unter dem Segel der Menschenrechte schifft, mehr oder weniger an einem regelrechten Massenmord beteiligt sein könnte.

Unter anderem meinte einer, dass der Einfluss der USA auf Indonesiens Entschluss zur Invasion gerne Übertrieben werde, obwohl die USA den Blick von Osttimor abgewendet hätten und sehr viel mehr hätten tun können, um sich vom Blutbad zu distanzieren. Die Regierung Australiens äusserte sich dagegen freimütiger. Der Aussenminister erklärte, es gäbe keine bindende gesetzliche Verpflichtung, die gewaltsame Aneignung eines Territorium nicht anzuerkennen. Weiter führte er aus: "Die Welt ist ein Ort voller Unfairness, übersät mit Beispielen von gewaltsam eroberten Territorien." Aber in der gleichen Erklärung erteilte er, im Gefolge Grossbritanniens und der USA, allen offiziellen Kontakten mit der PLO eine Absage, weil diese den irakischen Einmarsch in Kuwait rückhaltlos verteidigt.

"Man erinnere sich daran, dass zur gleichen Zeit Präsident Bush die neue "Weltordnung" ausrief. Zu dieser meinte der Premierminister Australiens, dass grosse Länder nicht einfach kleine Nachbarn überfallen und ungeschoren davonkommen könnten.

Dabei bezog er sich auf den Irak und Kuwait. Weiter verkündete er, dass in der "Neuen Weltordnung", welche die Angloamerikaner errichten würden, "Möchtegern-Aggressoren es sich zweimal überlegen, ehe sie kleinere Nachbarn überfallen." Die Schwachen werden "sich sicherer fühlen, weil sie wissen, dass sie im Fall einer Bedrohung nicht allein dastehen", denn nun müssten endlich "alle Nationen wissen, dass die Herrschaft des Gesetzes in den internationalen Beziehungen Vorrang geniesst vor der Herrschaft der Gewalt." Wenn man Aussagen wie die des Senators Monyhan oder die der australischen Regierung liest, stellt sich einem wirklich die Frage; wie viel Wert die Menschenrechte, die Demokratie und die "Freiheit" in der westlichen Gesellschaft haben. Es entsteht der Eindruck, als ob die ehren Werte wie ein Schafspelz vom Wolf umgelegt oder abgelegt werden können je nach dem wie die Situation es erfordert.

In Kuwait und in China bemüht sich die Weltmacht Amerika und ihre Verbündeten um die Menschenrechte und deren Freiheit, weil es wirtschaftlich sinnvoll erscheint, und gleichzeitig unterstützen sie diverse Regime, die die guten Werte mit Schuhen treten, aus rein wirtschaftlichen undpragmatischen Gründen.

Also ist die "Neue Weltordnung" dieselbe, die wir bis anhin hatten: die Ordnung der Macht und der Wirtschaft, aber mit der neuen Legitimation der Freiheit, Demokratie und der Menschenrechte. Die Mittel und Gesetze der Machtausübung bleiben die Gleichen, aber die Ausführung steht unter hohen Idealen und wirkt dadurch noch absurder.

Christoph B.

Noam Chomsky: Wirtschaft und Gewalt. Klampen Verlag, 2007. 438 S., 27 SFr, ISBN 978-3934920101